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Dies ist eine Internet-Sonderausgabe des Buches
"Iranica Armeno-Iberica.
Studien zu den iranischen Lehnwörtern im Armenischen und Georgischen [Bd. 1]"
von Jost Gippert (1990).
Sie sollte nicht zitiert werden. Zitate sind der Originalausgabe, veröffentlicht als
"Österreichische Akademie der Wissenschaften,
philosophisch-historische Klasse,
Sitzungsbericht, 606. Band" /
"Veröffentlichungen der Kommission für Iranistik, Nr. 26",
Wien 1993,
zu entnehmen.
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This is a special internet edition of the book
"Iranica Armeno-Iberica.
Studien zu den iranischen Lehnwörtern im Armenischen und Georgischen [Bd. 1]"
by Jost Gippert (1990).
It should not be quoted as such. For quotations, please refer to the original edition,
published as
"Österreichische Akademie der Wissenschaften,
philosophisch-historische Klasse,
Sitzungsbericht, 606. Band" /
"Veröffentlichungen der Kommission für Iranistik, Nr. 26",
Wien 1993.
Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved:
Jost Gippert, Frankfurt 2002.
Jost Gippert
Iranica
Armeno-Iberica
Studien zu den
iranischen Lehnwörtern
im Armenischen und Georgischen
osṭigan-:
Das Grundwort ist mit der Bedeutung "Verwalter der klösterlichen
Lebensmittel" offenbar nur im Typikon des Petricon-Klosters belegt (6,12
{1.}), wo es zur Glossierung von ḳelar-i dient, das selbst als Nachbildung
des in der griech. Parallelversion erscheinenden κελλαρίτης oder, genauer,
von dessen synonymer Variante κελλάριος gelten kann1. Wie schon der
Herausgeber der georg. Version des Typikons, A. Šaniʒe, hervorhob (Ed.,
26 / 256), deckt sich die aus dem Text hervorgehende Bedeutungsangabe
genau mit der Definition des Wortes im Sabaschen Lexikon: Hiernach ist
der osṭigan-i ein sasmel-sač̣melt mne oder mcveli, d.h. "Verwalter oder
Aufseher der Speisen (und) Getränke" (nach dem Handschriftenzweig E
einfach meḳuč̣nave, i.e. "Lagerverwalter"2). Eine mit den Angaben des
Typikons noch genauer übereinstimmende Definition findet sich in einigen
Hss. des Lexikons unter der Weiterbildung sa-osṭign-o-, wörtlich "zum
osṭigan- gehörend"; während sa-osṭign-o- meist einfach als saḳuč̣na(o), i.e.
"Vorratsraum" erläutert wird, heißt es hier: saosṭigno ec̣odebis ṗuri, ġvino
da q̇ovelive samarxavi ertsa saxlsa šina damarxul iq̇os da ertisa ḳacisa
mier c̣aregebodes; mas ḳacsa osṭigani ec̣odebis, d.h. "s. nennt man es,
(wenn) Brot, Wein und alles aufzubewahrende in einem Hause aufbewahrt
wird und von einem Mann ausgegeben wird; dieser Mann wird o. genannt"
(CE). Die Bedeutung, die hier für das textual bisher nicht belegbare
sa-osṭign-o- angegeben ist3, deckt sich weiter auch mit der Verwendung
der parallelen Ableitung
sa-osṭign-e-:
Diese Bildung begegnet zweimal in der Vita des Grigol von Xanʒta
(257,14 {2.}; 318,30 {3.}). Daß dabei ein "klösterlicher Vorratsraum"
und nicht, wie noch N. Marr annahm, der "Speisesaal" gemeint ist (Ed.,
XX: "въ кaчecтвѣ `s.', т.e. тpaпeзнoй или cинoдa, oбщaгo зaлa"),
wurde ebenfalls bereits von A. Šaniʒe richtiggestellt (l.c.), der Marr
zugute hielt, daß er weder die ausführliche Definition aus dem Sabaschen
Lexikon noch das Petricon-Typikon kennen konnte.
Die von Marr gewählte Bedeutungsangabe für sa-osṭign-e- war wesentlich durch seine etymologische Auffassung bedingt, wonach das georg.
Wort mit arm. ostikan "нaчaльникъ" zu verbinden sei (o.c., XX, Anm. 1:
"зaлъ нacтoятeля, пpeднaзнaчaвшийcя для coбpaнiй пpи пpieмaxъ,
вo вpeмя oбщeй тpaпeзы и.т.д."). Da für das arm. ostikan schon früher
eine miran. Herkunft erwogen worden war (Hübschmann, AG 215 f.,
492.), legte Marr somit auch für das georg. osṭigan- eine iran. Etymologie
nahe. Für eine miran. Herleitung sprach sich dann weiter M. Androniḳašvili aus (Narḳv., besd. 358 f.), ferner A. Šaniʒe in seiner Ausgabe
des Petricon-Typikons, nach dem die miran. Herkunft des Wortes auch
Marr selbst gegenwärtig gewesen sein muß (27 / 256, Anm. 2).
In zweierlei Hinsicht muß die angenommene Verknüpfung allerdings
überprüft werden. Zunächst stellt sich die Frage, ob die Bedeutungen des
armen. und des georg. Wortes sowie des präsumptiven mpers. Etymons
überhaupt in Einklang gebracht werden können. Tatsächlich hatte schon
Hübschmann (l.c.) den Zusammenhang zwischen arm. ostikan "Aufseher,
Verwalter, Präfect" und mpers. ōstīkān (ōstīgān) = Pāzend ōstiyān "the
faithful, steadfast, treu, zuverlässig" wegen der Bedeutungsdifferenz als
fragwürdig hingestellt; allerdings stehe das armen. Wort in 1.Makk. 14,3
{20.} neben kapankՙ "Fesseln" und könne hier "sicher, fest" bedeutet
haben. Zum anderen gilt es zu entscheiden, ob das Wort, die iran. Etymologie vorausgesetzt, über das Armenische ins Georgische gedrungen ist,
wie N. Marr annahm ("на дѣлѣ оно произведено отъ арм. ostikan ..";
l.c.), oder ob es sich um unabhängige Entlehnungen beider Sprachen aus
dem Mitteliranischen handelt, was Androniḳašvili (Narḳv., 172) und
Šaniʒe (l.c.) vorzogen.
Tatsächlich ist das arm. ostikan mit mpers. ōstīgān nicht ganz leicht zu
vermitteln. Arm. ostikan erscheint in der Bibel-Übersetzung (AT) regelmäßig als Entsprechung von gr. ἐπίσκοπος wie z.B. in Num. 4,16 {4.};
das Wort konkurriert dabei mit den Termini verakacՙow "Aufseher",
wörtlich etwa "Übergeordneter" (z.B. 2.Chr. 34,17 {8.}), aycՙelow "Aufseher", wtl. etwa "Aufsucher" (z.B. Jes. 60,17 {9.}), oder der kopulativen
Kombination beider (z.B. Neh. [2.Esr.] 11,9 ff. {12.}). In ähnlichem Sinne
begegnet ostikan noch zweimal für gr. ἐπιστάτης (Jer. 52,25 {13.} und,
fast wortgleich, 4.Kön. 25,19); entsprechend ist ferner die Ableitung
ostikanowtՙiwn für ἐπισκοπή (Num. 7,2 {14.}) und ἐπίσκεψις gebraucht
(1.Chr. 26,30 {15.}). Wie weit davon die Bedeutung von mpers. ōstīgān
abweicht, läßt sich mit einer Stelle aus dem Psalter zeigen, wo das Abstraktum ōstīgānīh <՚wstyknyhy> zur Wiedergabe von gr. ἀλήϑεια (bzw.
syr. ܫܪܪܐ šrārā) "Wahrhaftigkeit" dient, dem der armen. Text das in dieser
Bedeutung übliche čšmartowtՙiwn entgegensetzt (Ps. 131,11 {16.}).
Auch die georg. Bibelübersetzung kann zwischen arm. ostikan und mpers. ōstīgān nicht näher
vermitteln. Weder osṭigan- noch seine Ableitung sa-osṭign-e- (bzw. -o-) sind hier belegt, und
im Ps. 131,11 ist das dem arm. čšmartowtՙiwn äquivalente č̣ešmariṭeba- gebraucht. Für
ἐπίσκοπος erscheint meist moġuac̣e-, wtl. etwa "Handelnder, Ausführender" (z.B. Num. 4,16
{4.}; zur Wz. ġuc̣-, ġuac̣- "tätig sein"), daneben aber auch ganmgebel- "Verwalter" (Num. 31,14
M {5.}), mcvel- "Hüter" (4.Kön. 11,18 M {6.}) sowie einmal msṭuvar- "Kundschafter" (Weish.Sal. 1,6 {7.} nach der Ošḳi-Handschrift; die Mcxeta-Bibel hat statt dessen msaxur- "Diener").
Als Versuch einer Calque des gr. ἐπί-σκοπ-ος ist das vereinzelte zeda-mxedvel-, wtl. "Darauf-Schauender" (zu xed-v-a- "sehen"), in Jes. 60,17 {9.} in der Mcxeta-Bibel aufzufassen, dem in
der älteren Redaktion wieder moġuac̣-e- entgegensteht; ähnlich ist auch einfaches mxedvel-, wtl.
"Sehender", in Hiob 20,29 ({10.}; hier in beiden Redaktionen) zu beurteilen. An den Stellen,
wo arm. ostikan für ἐπιστάτης gebraucht ist, hat der georg. Text mit zeda-mdgomel-, wtl.
"Darüberstehender", ebenfalls eine das Griechische nachahmende Bildung, die auch für arm.
verakacՙow in der Verbindung aycՙelow ew verakacՙow im Nehemia-Buch erscheint; aycՙelow
ist hier zweimal wieder durch moġuac̣e-, einmal durch meʒieb-el-, wtl. etwa "Erkunder"
vertreten (2.Esr. 11,9 {12.}; daß das georg. Esra-Buch dabei ebenfalls eine kopulative Verbindung zeigt, ist eines der zahlreichen Indizien für seine Abhängigkeit von der armen. Version). Dem armen. Abstraktum ostikanowtՙiwn steht einmal die entsprechende Weiterbildung
von moġuac̣e-, moġuac̣eba- gegenüber (Num. 7,2 {14.}), einmal ist aġxilva- zu notieren (1.Chr.
26,30 {15.}), das als Verbalnomen zu -xil- "sehen, schauen" wiederum auf einer Nachahmung
des gr. ἐπίσκεψις beruhen dürfte.
Eine umso größere argumentative Bedeutung kommt deshalb der im
Sprachgebrauch der armen. Bibelübersetzung abseits stehenden Wendung
hramayeacՙ kapel zna i kapans ostikans "er befahl, ihn mit (wtl. `in') `o.'
Ketten zu binden" im ersten Makkabäerbuch (14,3 {20.}) zu, auf die ja
bereits Hübschmann hingewiesen hat, der in ostikan hier ein Adjektiv der
Bedeutung "sicher, fest" zu sehen vorschlug. Diese Auffassung kann zwar
durch den griech. Text, dem die ganze entsprechende Aussage fehlt, nicht
gestützt werden, wohl aber durch einen weiteren Beleg im selben Buch, wo
ostikan offenbar attributives Adjektiv zu pahapan "Wache, Festung" ist
(12,34 {19.}). Ähnlich zu beurteilen ist ferner ein dritter Beleg aus 1.Makk.
(10,75 {18.}), wo dasselbe pahapan (im Pl.) mit dem Instr. des Abstraktums ostikanowtՙiwn verbunden ist; obwohl auch in diesen beiden
Fällen der gr. Text nicht hilft, da hier jeweils einfaches ϕρουρά "Festung"
gebraucht ist, kann die Bedeutung doch mit "zuverlässige Wache" bzw.
"Wachen mit Zuverlässigkeit" angegeben werden (das Ven.Wb. identifiziert ostikanowtՙiwn s.v. allerdings mit gr. ϕρουρά selbst).
Unter der Annahme, daß sich hier eine ursprünglichere, dem mpers.
ōstīgān näherstehende Bedeutung erhalten hätte, wäre für die weiteren bibl.
Belege eine Bedeutungsentwicklung von "fest, sicher, treu, zuverlässig" >
"zuverlässiger Beamter, Vertrauensperson" > "ἐπίσκοπος, ἐπιστάτης"
anzunehmen. Daß im gleichen Sinne auch die durch gr. ἐπίσκοπος, arm.
ostikan bezeichnete Funktion in der Bibel mit "Aufrichtigkeit" assoziierbar
war, erweist sich z.B. an der o.g. Stelle Weish.Sal. 1,6 {7.}, wo ausdrücklich von einem ἐπίσκοπος ἀληϑής die Rede ist (ähnlich auch Jes. 60,17
{9.} mit ἐπισκόπους ἐν δικαιοσύνῃ). Besonders deutlich wird die angenommene Konnotation in einem Beleg in dem Geschichtswerk des armen.
Autors Sebēos (34.: 115,14-19 {17.}), wonach der Perserkönig vor der
Einnahme Jerusalems zur Bewachung ostikan-kՙ in die Stadt schickte, die
ausdrücklich als "getreue Männer" glossiert werden (ars hawatarims).
Leider ist nun weder für den Text der Makkabäer-Bücher noch für die
Sebēos-Passage eine georg. Parallele verfügbar (das einem Antiochos
Stratēgos zugeschriebene, auch in georg. Version vorliegende Traktat über
die "Einnahme Jerusalems durch die Perser", Exp.Jerus., enthält in den
Kapiteln V-VII {17a} nichts Vergleichbares), so daß sich hier keine Stütze
für die angenommene Bedeutungsentwicklung findet. Dasselbe scheint für
das georg. osṭigan- zu gelten, das sich mit seiner Bedeutung "Lebensmittelverwalter" noch weiter als arm. ostikan von seinem vorgeschlagenen iran.
Etymon entfernt zu haben scheint. Dennoch gibt sogar das spärliche Belegmaterial für osṭigan- einen deutlichen Hinweis darauf, daß auch bei diesem
Wort die Konnotation einer "persönlichen Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit" gegeben war. Genau das wird nämlich im Typikon des Petricon-Klosters ausgesagt, wo es heißt: "Und einer (der Klosterinsassen) soll
der "Cellarius" sein, d.i. der o., einer, der der Klosterregel entsprechend
untrughaft und aufrichtig (ist), in dessen Hand ..". Das hier erscheinende
Adjektiv der Bedeutung "aufrichtig", ertguli (wtl. "einherzig", i.e. "im
Herzen eins mit jdm."), ist z.B. gerade eines der Wörter, mit denen bei
Androniḳašvili, Narḳv. 359 das mpers. ՚wstyk՚n übersetzt wird (die
Autorin konnte den Text des Typikons noch nicht kennen, da dieses in
Georgien erst fünf Jahre nach Erscheinen ihres Werkes veröffentlicht
wurde). Zu erinnern ist hier an die besondere Stellung, die sich für
"Lebensmittelverwalter" und ähnliche Personen an fürstlichen Höfen auch
sonst nachweisen läßt, wozu etwa die Bedeutungsentwicklung von aengl.
hláford, wtl. "Laib-Wart", zu nengl. lord "(adliger) Herr" zitiert werden
kann (s. dazu weiter unter maṭaḳaran-).
Im gegebenen Zusammenhang dürfte es kein Zufall sein, daß auch das Syrische eine vergleichbare Entwicklung bezeugt: das Adjektiv ܫܰܪܝܪܴܐ šarrīrā "fest, wahr, aufrichtig", zu dem
das in Ps. 131,11 {16.} erscheinende Abstraktum ܫܪܴܪܴܐ šrārā ≈ gr. ἀλήϑεια zu gehört, ist
ebenfalls zu einem Beamtenterminus der Bedeutung "Kommissar" substantiviert worden (cf. z.B.
Brockelmann, Lex.Syr., 802b mit Belegen; nach Wiessner, Märtyrerüb. 168 šarrīrā də-malkā
"Kommissar des Großkönigs"). Die Bedeutungsentwicklung von arm. ostikan könnte also auf
einer Nachahmung syr. Gegebenheiten beruhen. Da das syr. Wort in der substantivischen
Funktion, soweit ich sehe, in der Bibelübersetzung nicht auftritt (für gr. ἐπίσκοπος erscheint
statt dessen z.B. ܫܘܽܠܛܳܢܳܐ šūlṭānā "magistratus" in Num. 4,16 {4.}, ܫܰܠܺܝܛܳܐ šalīṭā "id." in
Neh. [2.Esr.] 11,9 ff. {12.}, ܦܳܩܘ݁ܕܳܐ pāqōdā "praefectus" in Num. 31,14 {5.}, ܩܳܝܘܽܡܳܐ
qāyūmā in 2.Chr. 34,17 {8.}; für gr. ἐπιστάτης ܡܫܰܠܛܳܐ məšalṭā in Jer. 52,25 {13.}), bleibt ein
solcher Lehneinfluß allerdings unbeweisbar.
Andererseits kann die angenommene Bedeutungsentwicklung aber sogar im Mittelpersischen
selbst nachgewiesen werden. Im Frahang-ī Pahlavīk erscheint das Wort in der Graphie <՚wstyg՚n> (Junker, 55,4; Salemann, Parsenhs. 564,3) bzw. <՚wstyk՚n̍> (Nyberg, XIII., 10.: 11,5
bzw. Jamaspji-Asa/Haug 9,9), wobei es zur Glossierung des davorstehenden Ideogramms
<ŠLL՚> dient. Hinter diesem Ideogramm verbirgt sich nichts anderes als das aram. Äquivalent
des oben behandelten syr. šarrīrā "fest, wahr" (vgl. in diesem Sinne auch Nyberg, Frahang
83). Bemerkenswerterweise erscheint die Glosse aber in einem Kapitel, das Begriffe enthält, mit
denen "niedriger(stehend)e Menschen" bezeichnet werden (<syčdhwm dl. ՚ylyk՚n' mltwm՚n̍>
sēzdahom dar: ērīgān mardōmān; Nyberg: "Thirteenth [chapter]: low people"; Jamaspji-Asa/Haug: [Cap.] XIII. "Men of lower rank"); ōstīgān steht dabei z.B. neben <՚š՚klt> hašāgird
"Schüler" oder <dstwbl> dastwar "Theologe, Priester". Auch ōstīgān dürfte hier also nicht als
Adjektiv, sondern vielmehr als Titel oder Standesbezeichnung gemeint sein, der Grundbedeutung entsprechend am ehesten die einer "zuverlässigen Vertrauensperson"4. Nicht völlig klar ist
dabei allerdings das Verhältnis der vorliegenden Glosse zu dem davorstehenden <՚wstwb՚l>, das
selbst nicht ideographisch notiert ist, andererseits aber auch kein ideographisches Glossatum
neben sich hat und deshalb "überzählig" erscheint. Während Junker noch annahm, daß ōstīgān
an der gegebenen Stelle sowohl dieses Wort als auch das Ideogramm ŠRR՚ glossiere (84 bzw.
90 f.), hält es Nyberg für ein zweites Äquivalent des vorangehenden Ideogramms ՚WMNTY՚,
das selbst durch <mzdwl> mizdwār "Söldner" glossiert ist (82f.). Nun verbirgt sich hinter der
Graphie <՚wstwb՚l> offenbar das Wort awestwār (so MacKenzie, Dict. in Übereinstimmung
mit der man. Graphie <՚wystw՚r՚n> in M 49 II V 8 = Boyce, Reader, b 3: 31,1 = Andreas/Henning, Mir.Man. 2, 17 [308],8, die die Lesungen ōstavār bei Nyberg bzw. ōstəbār oder
x�astəbār bei Junker, Frahang 90 f. ausschließt; ähnlich äußert sich auch Sundermann,
awist(u)wār [ZPE 45], 58), dessen primäre Bedeutung ebenfalls die eines Adjektivs "firm,
reliable" ist (MacKenzie; Nyberg "faithful", Sundermann "der mit Festigkeit, Zuverlässigkeit versehen ist"). Das durch <mzdwbl> mizdwār, wtl. etwa "Lohnempfänger", glossierte
՚WMNTY՚ dürfte demgegenüber eher eine Berufskategorie wie "Handwerker" oder "Arbeiter"
bezeichnet haben (vgl. Nyberg, 82). Eine Zusammenstellung von awestwār und ōstīgān, wie
sie auch Menasce, Papyrol. [J.As. 1953], 192 vertritt, verdient also a priori den Vorzug. Hinzu
kommt, daß für awestwār eine Verwendung in der Bedeutung "Vertrauensperson" durch
Textstellen belegt werden kann (MHD 75,13: Junker, Frahang 90), wobei fraglich bleibt, ob
dabei unbedingt eine religiöse Konnotation angenommen werden muß, wie sie etwa Junker
vorsah (o.c., 90 f.: "one who has a religious title"; ähnlich Nyberg, 145 s.v. ōstavār: "a confident"; die Interpretation als "an artizan, a skillful man" bei Jamaspji-Asa / Haug, o.c., 128
sowie Müller, PPGl [WZKM 6], 304, die auf der Gleichsetzung mit ՚WMNTY՚ sowie dessen
npers. Glossierung durch kāmil "id." in der Hs. U7 beruhen dürfte, ist nicht mehr haltbar).
Tatsächlich handelt es sich eher um eine Vertrauensposition oder Stellvertreterfunktion innerhalb
der Familie (ebenso bei der Ableitung -īh in MHD 26,14, Junker ib.).
Zu beachten ist letztlich noch, daß zumindest in einer Hs. des Frahang (K; cf. Nyberg, 12,
Anm. 15-15) die Glosse ŠRR՚: ōstīgān in ein anderes, nämlich das vorhergehende Kapitel
verschoben ist (an die drittletzte Stelle; cf. Nyberg 11, Anm. 20; nach Junker 55, Anm. 23 ist
sie in K "om."), während <՚wstwb՚l> seinen angestammten Platz innehat. Dies könnte darauf
hinweisen, daß die Glosse erst nachträglich neben <՚wstwb՚l> gerückt ist. Nun hätte ōstīgān als
die Bezeichnung einer "zuverlässigen Vertrauensperson" in Kapitel XII, das die Bezeichnungen
"höhergestellter" Personen enthält, wahrscheinlich sogar einen besseren Platz: die Glosse stünde
hier zwischen <gnčwbl: gnčwl> = ganǰwar "Schatzmeister" und PKYT՚: <՚wst՚t̍> = awestād
"Meister". Auch wenn die ursprüngliche Einordnung nicht zuverlässig ermittelt werden kann,
geht aus dem Frahang doch hervor, daß auch im Mittelpersischen selbst ōstīgān nicht nur ein
Adjektiv der Bedeutung "fest, sicher, zuverlässig" gewesen ist, sondern auch ein Terminus, mit
dem eine bestimmte Kategorie von Funktionsträgern bezeichnet wurde5.
Während auf diese Weise die semantischen Bedenken gegen eine Verknüpfung von georg. osṭigan-, arm. ostikan und mpers. ōstīgān aus dem
Weg geräumt werden können, so bleibt doch zunächst die Frage weiter
bestehen, ob das Wort, wie von Marr postuliert, über das Armenische ins
Georgische gelangt ist. Gegen eine solche Annahme scheinen zunächst die
Bedeutungsdifferenzierung und die daraus resultierende Beleglage zu
sprechen. Ein bedeutendes Indiz scheint weiter der Unterschied im Konsonantismus (arm. -k-, georg. -g-) zu sein, der für Wörter "gemeinsamen
Gebrauchs im Armenischen und Georgischen" keinesfalls als normal anzusehen ist, wie M. Androniḳašvili meint, nach der er "nicht aus dem
Rahmen der lautlichen Möglichkeiten bei armen.-georg. Entsprechungen
fällt" (".. სომხურისა და ქართულის ფონეტიკური ურთიერთობის ფარგლებს არ სცილდება"; Narḳv. 172). Die Divergenz legt vielmehr eine
Deutung nahe, wonach das armen. und das georg. Wort auf unterschiedlichen Entlehnungsstrata beruhen; dabei wäre georg. osṭigan- als die jüngere,
sasanid. Entlehnung aufzufassen, während arm. ostikan eine ältere, eventuell bereits parth. Entlehnung darstellen würde. Zu bedenken ist auf der
anderen Seite jedoch, daß in beiden Sprachen in der Mittelsilbe ein -i-
vorliegt. Wenn ostikan im Armenischen ein altes Lehnwort wäre, sollte sein
-i- ein iran. -ē- vertreten; folgerichtig führte Nyberg (Man. II, 145) das
armen. Wort auf ein ursprüngliches *ōstēkān < *ava-staya-ka- zurück. Ein
miran. -ē- hätte aber im Georgischen in älteren und jüngeren miran.
Entlehnungen erhalten bleiben müssen, wie einerseits die Beispiele vešaṗ-
"Drachen" < miran. *vēšāp gegenüber arm. višap oder sṗeṭaḳ- "weiß" <
miran. *spētak gegenüber arm. spitak und andererseits Wörter wie abezar-
< mpers. abēzār zeigen (s.d.). Die Beibehaltung eines miran. -ē- ist im
Georgischen sogar bis in npers. Zeit hinein zu konstatieren, wie z.B. die
Bildung bečara- "hilflos" erweist, die erst im Visramiani bezeugt ist (s. dazu weiter unter abezar-). Die Annahme einer Entlehnung, die bereits den
npers. Übergang von -ē- in -ī- reflektieren würde, kann aufgrund der
Beleglage — das Typikon wie auch die Vita des hl. Grigol von Xanʒta sind
im 10. Jh. entstanden — also mit Sicherheit ausgeschlossen werden.
Als Lösung des Dilemmas könnte zunächst eine Restitution des häufigen
Suffixtyps -ik- innerhalb der armen. Form erwogen werden, die durch den
Fortbestand des mpers. Wortes in sasanid. Zeit begünstigt worden sein
könnte. Damit wäre — im Gegensatz zu Nybergs Ansatz — doch von einer
miran. Vorform *ōstīkān auszugehen, die etwa auch Bailey, Ir.Stud. II
[BSOS 7], 76 annimmt. Eine eindeutige etymologische Analyse, die den
Ansatz rechtfertigen würde, fehlt allerdings bislang und wird auch durch
das mpers. <՚vstyv՚n>, Pāzend ōstią (MX 2,69), das Bailey (ib.) mit
ōstīkān kontrastiert und auf ein < *ava-sti-van zurückführt, nicht nahegelegt; man wird sich einstweilen mit der bereits bei Hübschmann, Pers.Stud. 20, 135. vorgeschlagenen Verknüpfung mit npers. ōstām, ustām
"fidus, securus" und dessen Zusammenstellung mit aind. avasthā- "Bestand" ≈ apers. *au̯astā- ≈ mpers. *ōst "Standhalten"6 begnügen müssen
(vgl. dazu auch Sundermann, awist(u)wār 58).
Wahrscheinlicher ist demgegenüber, daß georg. osṭigan- doch auf arm.
ostikan beruht. Zu berücksichtigen ist dabei, daß beide Texte, die das Wort
enthalten, dieselbe zeitliche und örtliche Provenienz aufweisen: Sie sind
beide in der zweiten Hälfte des 10. Jhs. in der Provinz Ṭao-Ḳlarǯeti entstanden, in der nach allgemeiner Ansicht ein besonders reger Austausch mit
der armen. Sprache und Literatur bestanden hat. In der wohl bedeutendsten
ageorg. Handschrift dieser Provenienz, dem Šaṭberd-Codex, fallen nun
mindestens zwei weitere Wörter an, die als textgebundene Entlehnungen
armen. Äquivalente gelten können und dabei eine genau entsprechende
lautliche Divergenz zu ihrem armen. Pendant zeigen wie osṭigan- gegenüber
arm. ostikan, nämlich ḳaṭaban- ≈ armen. *katapan (s.d.) und ḳwšṭobin- ≈
armen. *kštapan (s. dazu weiter unter *ḳušṭaban-). Zu beachten ist dabei,
daß die anzunehmende Substitution einer armen. nicht-aspirierten Tenuis
durch eine georg. Media in beiden Fällen wie bei osṭigan- die
prädesinentiale Silbe betrifft. Ob dieses Phänomen als ein erster Schritt in
Richtung auf die westarmen. Lautverschiebung zu deuten ist oder aber eine
dialektale Sonderentwicklung darstellt, muß einstweilen dahingestellt bleiben.
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