TITUS
Heinrich von Meissen, Frauenlob
Part No. 3
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Text: 2 
II. Kreuzleich


Strophe: 1 
Verse: 1    Wie wunder wernder süze ursprinc,
Verse: 2    
ho swebendes vluzzes nam, so willeclich begin,
Verse: 3    
der ersten sache sechic dinc,
Verse: 4    
ir wesen, ir ewic und ir immer wegender sin!

Verse: 5    
Wie tirmic, spiegel sehender kunft
Verse: 6    
gruntsippic blic, der zit gewegen in geschicht:
Verse: 7    
mit im wart bündic sigenunft
Verse: 8    
in dir, du griffic, sichtic, immer gebendez icht.

Strophe: 2 
Verse: 1    
Wie vor der zit geselle
Verse: 2    
din in der unspate   drate   gienc zu rate,
Verse: 3    
nam dich mit dir din ewic hort,

Verse: 4    
Sust din untirmic stelle
Verse: 5    
von dir ungemachet   wachet,   niur besachet
Verse: 6    
erschein nach burt din einic wort.

Strophe: 3 
Verse: 1    
Sam von der sunnen tut der schin,
Verse: 2    
ouch sam von den brunnen schiuzet,   diuzet,   vliuzet
Verse: 3    
ein rivier, daz die wurze ergiuzet,   runsic, seffec unde fin,

Verse: 4    
Wie biltsam uz des herzen schrin
Verse: 5    
sich daz wort in willen dringet,   swinget,   slinget,
Verse: 6    
swenn ez die zunge luftic twinget,   sust gebar der vater sin

Strophe: 4 
Verse: 1    
Den sun. David in geiste gicht:
Verse: 2    
ʽmit dir, begin, der engel liecht,
Verse: 3    
min brust dich bern verbar do nicht,
Verse: 4    
e Lucifer nam wesen und icht,
Verse: 5    
min wunder,   munder   ^sunder   zunder,^   under ordenlicher stift Melchisedech!'

Verse: 6    
Min ewekeit, majestas, sprich:
Verse: 7    
ʽdu min vernunst, ich du, du ich,
Verse: 8    
min geist entsproz von dir, do mich
Verse: 9    
din minne twanc, min minnen dich.
Verse: 10    
ich niure,   tiure,   stiure   ^viure,   hiure^   darnach, des min wort din alter zech.'

Strophe: 5 
Verse: 1    
Sprich, vaterlich persone:
Verse: 2    
ʽmich, min, mir;   sun : dich, din, dir;   geist: er, sin, im.
Verse: 3    
nu merket, daz ich allez bin.'

Verse: 4    
Der sun uz kindes vrone:
Verse: 5    
ʽvater min,   in dir ich din,   in mir du nim
Verse: 6    
den erben, ja ich, du vatersin.'

Verse: 7    
Der geist uz beider done:
Verse: 8    
ʽer, du; ich   - uz dir in dich -   iu beiden zim:
Verse: 9    
drivaldic got, doch ein begin.'

Strophe: 6 
Verse: 1    
Is, wazzer, sne sich vrien,
Verse: 2    
der apfel rot, sin mast wiz ob dem kerne.
Verse: 3    
sin, seiten, hant niur einen don ziugen, wirken gerne.
Verse: 4    
tacht, viure, wachs drilich git ein liecht sam der sunnen sterne.
Verse: 5    
sust drie von drien ich lerne.

Verse: 6    
Diz beren und diz drien
Verse: 7    
got e der zit sich larte durch versuchen,
Verse: 8    
daz er ez kunde, als in der biz   brachte in bitter vluchen.
Verse: 9    
dem engel bleip der wernde val,   got wolde unser ruchen:
Verse: 10    
manna din witze uns buchen.

Strophe: 7 
Verse: 1    
Wer nerte, Jona, dich in visches wamme?
Verse: 2    
wer half uz hungerlewen velsen Daniel?
Verse: 3    
wer sante bi dem raben spise Elie zwir?

Verse: 4    
Wer slug Egipten kummer tragender vlamme?
Verse: 5    
wer gap, verkoufter Joseph, heil der trüben sel?
Verse: 6    
Isac, sprich: vater, wer gap wider din mortswert dir?

Strophe: 8 
Verse: 1    
Isaias, wer was der seraph, der sich dir erscheinte,
Verse: 2    
ouch uf dem berge Sinai mit Moysi vereinte?
Verse: 3    
welch sünders verge   rach mit kerge,   kalbes scherge,   bartes erge,
Verse: 4    
der mit golde was betroffen,   offen   wandel meinte?

Verse: 5    
Ezechiel, wer stal sich durch din phorte von naturen?
Verse: 6    
Johan, wer kunde uf Sion sich in ein lam figuren
Verse: 7    
mit zwelf geslechten,   die da vlechten   unde vechten   got zu knechten?
Verse: 8    
ieder stam zwelf tusend kante,   nante:   tau die vüren.

Strophe: 9 
Verse: 1    
Sage, Israhel, berichte mich:
Verse: 2    
wer vurte dich   gewaldeclich
Verse: 3    
durch daz mer vor Pharaone?
Verse: 4    
schone   dir zu lone
Verse: 5    
wart: des wages lunden   stunden,   kunden
Verse: 6    
must er mit des grimmen todes unden   scharf.

Verse: 7    
Abdenago, wem wart din loben,
Verse: 8    
do viures toben   dich hete verschoben?
Verse: 9    
wer schuf, daz die brunst der glüte
Verse: 10    
vrute   dich nicht mute?
Verse: 11    
daz tet sun der & arten,   zarten,   scharten
Verse: 12    
vri, der sich in enger brüste garten   warf.

Strophe: 1    Des vater zorngejeide
Verse: 1    
und unser biltbeheide
Verse: 2    
den sun treip zu der meide
Verse: 3    
alsam daz [ ] eingehürne tüchtic   vlüchtic   liez er sich ir schoz besliezen.

Verse: 4    
Er gap sich blünder vrone
Verse: 5    
der gerten din, Aarone.
Verse: 6    
wie listic Gedeone
Verse: 7    
wart dunstic trucht des touwes vollen   wollen!   vorbedenken schuf daz giezen.

Strophe: 11 
Verse: 1    
Alrerst viel der reine, wise, starke, gute
Verse: 2    
uz hohen himelvelsen her.
Verse: 3    
swaz er mit ger in der propheten kramen
Verse: 4    
het behalden, secht, daz wolde er melden mit dem gotelichen samen.

Verse: 5    
Er lit nu in einer bernden meide blüte,
Verse: 6    
der schepher siner stift verhal
Verse: 7    
die zal,   daz tal.   der val   sust quam zu liechte
Verse: 8    
von ir, sam tut uz dem spiegel ganzer forme glast, ob er nicht schrichte.

Strophe: 12 
Verse: 1    
Der blumen glanz   gar sunder schranz   belibet,
Verse: 2    
swie wite ir smac,   ir süz bejag,   sich tribet.
Verse: 3    
Jeremias, der schribet:
Verse: 4    
sie bar   gar   clar   den rat ob aller engel schar,
Verse: 5    
meit, werlich ungewibet.

Verse: 6    
Durch menschen gruft   schein gotes guft   gegerwet
Verse: 7    
alsam der schin   mit glesten sin:   sich nerwet
Verse: 8    
darnach daz glas, sich verwet.
Verse: 9    
er kluc   sluc,   truc   den bruch, des menschen ungevuc
Verse: 10    
in todes tranc gemerwet.

Strophe: 13 
Verse: 1    
Got spranc uz sinem vater in sin ewekeit,
Verse: 2    
dar nach so spranc er in daz wort,
Verse: 3    
der dritte sprunc was in die meit,
Verse: 4    
der vierde quam in ales wise,   spise,   criuze, diner hohen werdekeit,

Verse: 5    
Der fünfte in endeloser trüben varben weit,
Verse: 6    
der sechste in Salomonis hort,
Verse: 7    
des sedel, des tron was im bereit.
Verse: 8    
der sibende sprunc ist nu gemeine   reinen   herzen, swer sie willeclichen treit.
Strophe: 14 
Verse: 1    
Gelichen sich der slangen slingen, winden er hie wolde,
Verse: 2    
do er sich twingen, binden liez, der holde.
Verse: 3    
durch unser ringen vinden liez er sich in jamers solde.
Verse: 4    
er slanc sich an des criuzes boum, alsam die slange het getan.

Verse: 5    
Sin mut was, unser kranken krenken,   wenden   in sin hulde.
Verse: 6    
ʽEli' sin schenken,   enden   todes schulde,
Verse: 7    
den geist sust lenken,   senden   was der minne ein übergulde.
Verse: 8    
des vater zorn dem sun den geist in grabe, in helle im wesen span.

Strophe: 15 
Verse: 1    
Adam   biltsam   vernam:   er gram,
Verse: 2    
im quam   ein siuche, die nicht lebenden zam:
Verse: 3    
durch trost, in helfes wise
Verse: 4    
den sun zum paradise
Verse: 5    
sante er nach einem rise,
Verse: 6    
da von im was die spise
Verse: 7    
des eweclichen valles komen.
Verse: 8    
er starb, e dann im quam zu vromen
Verse: 9    
der hohen, ^riche helfe bernden selden^ holz.

Verse: 10    
Doch hiez   heilvliez   not ie ez   durch niez:
Verse: 11    
Set stiez   daz ris uf sines grabes griez.
Verse: 12    
da wart des criuzes dille,
Verse: 13    
do tet ez melt Sibille,
Verse: 14    
sit Salomones wille
Verse: 15    
nach zukunfteger stille
Verse: 16    
bot im sin recht in willekür.
Verse: 17    
sit trug ez aller himel tür,
Verse: 18    
an ez so schoz der vater siner sele bolz.

Strophe: 16 
Verse: 1    
Stoz uf die hant!   dir wirt bekant   des criuzes rant,
Verse: 2    
wie got in siner ewen vant
Verse: 3    
den sun, als er daz wort gebar.
Verse: 4    
daz wort sante er der meide sider:
Verse: 5    
da von so ziuch die hant hernider!
Verse: 6    
sam wirf sie gein der linken!
Verse: 7    
der sun durch unser sinken
Verse: 8    
wolde ezzec, gallen trinken.
Verse: 9    
sust wart der helle ein richer roup gezücket.

Verse: 10    
Sin süzez bant,   sin bitter phant   was wol bewant:
Verse: 11    
zur zeswen in der himel lant
Verse: 12    
wont er bi sinem vater clar,
Verse: 13    
da von so ziuch die hant her wider!
Verse: 14    
der & kracter hat so starc gevider,
Verse: 15    
gein siner vetchen winken
Verse: 16    
varn uf des himels klinken,
Verse: 17    
dar an sol nieman hinken.
Verse: 18    
durch daz got in der priester hant sich bücket.

Strophe: 17 
Verse: 1    
Cypressus, cedrus, palmenboum,
Verse: 2    
die dri niur ein stoc, gicht min goum.
Verse: 3    
du edel presse, an dir gar aller eren soum
Verse: 4    
gepresset und gedrücket wart
Verse: 5    
mit scharfen nageln ungespart.
Verse: 6    
du richer schilt von solcher art,
Verse: 7    
swer dich kan vüren, der gesiget uf aller vart.
Verse: 8    
eia, stolzer aneboz!

Verse: 9    
Uf dir geworcht wart unser himel,
Verse: 10    
trost, heil gesundert, sam ein vimel.
Verse: 11    
du bernder ast, din obez brach unsers jamers schimel.
Verse: 12    
du vater ingesigel ergraben,
Verse: 13    
er twanc an dich des wortes [ ] knaben.
Verse: 14    
du richer tisch mit spise erhaben,
Verse: 15    
din kost der engel und der sele lust kan laben.
Verse: 16    
heilic alter, uf dich goz

Strophe: 18 
Verse: 1    
Got sin öl und sinen cresem:
Verse: 2    
sus wichte dich sin selbes zesem.
Verse: 3    
uf dir der tot
Verse: 4    
brach sin brot.
Verse: 5    
daz tet die menscheit, sam die gotheit ir gebot,
Verse: 6    
sie leit aber do kein not.

Verse: 7    
Gotes vleischbanc was din nam,
Verse: 8    
uf dir daz lam zu tode erquam.
Verse: 9    
sin lip, sin blut
Verse: 10    
dich bewut,
Verse: 11    
des bis gegrüzet, küneges stritvan mechtic, vrut.
Verse: 12    
er mit dir erwarp sin gut.

Strophe: 19 
Verse: 1    
Sust wart der tot erwecket, die
Verse: 2    
banier ufgestecket
Verse: 3    
wurden, die man schone enphie,
Verse: 4    
do der von Bosra zu der helle phorte gie.
Verse: 5    
nu set an des gelouben klus!
Verse: 6    
daz criuze ein rigel ist in dem hus,
Verse: 7    
daz die tür bevestet wol vor allem diepgehiuze.

Verse: 8    
Des cristentumes ouwe,   daz
Verse: 9    
criuce ich heize ein vrouwe.
Verse: 10    
sie gebar daz lebende leben,
Verse: 11    
sie truc ein kint al unbewollen, rede ich eben,
Verse: 12    
ein liecht der sacramente wert.
Verse: 13    
ir griezstange und ir sigeswert,
Verse: 14    
himelzeichen, gotes marc, wir cristen han daz criuze.

Strophe: 20 
Verse: 1    
Zwei uber haten tiefen tal:
Verse: 2    
ja gotes zorn, ein grimmez wal,
Verse: 3    
daz ander was Adames val.
Verse: 4    
da zwischen manche groze schif versunken,
Verse: 5    
die kleinen ane widerwer ertrunken,
Verse: 6    
nieman hat uf dem wazzer kein gelücke.
Verse: 7    
do wart daz criuze ein immer wernde brücke,
Verse: 8    
die worchte Crist, der lebende got, uf sines selbes rücke:
Verse: 9    
alsust die hohen, tiefen uber wurden uns ein ebenez phat.

Verse: 10    
Ein leiter gienc von himel her nider
Verse: 11    
uf erden, die sach Jacob sider,
Verse: 12    
da clummen engel hin und wider.
Verse: 13    
criuze, ob ich sprechen tar, du bist die leiter,
Verse: 14    
himel, erde rurte dich. du jüdisch eiter,
Verse: 15    
die huf der alden e, die wart zerbrochen,
Verse: 16    
sust quamen wir von immer werndem sochen,
Verse: 17    
wir hielden Crist, biz uns der segen des lebens wart gesprochen.
Verse: 18    
wir clummen, criuze, an diner want hin wider an unser erbestat.

Strophe: 21 
Verse: 1    
Helenen vinden,
Verse: 2    
daz kan binden
Verse: 3    
gein den sweren und den swinden,
Verse: 4    
jenen, die mit falschen winden
Verse: 5    
blasen uf der himel her.
Verse: 6    
du bist die lanne, an der gezemt
Verse: 7    
wart des grozen lewen kint.
Verse: 8    
jene, die zu himel sint,
Verse: 9    
jehen, daz nimmerme kein walt
Verse: 10    
brenge ein holz sam daz gestalt.
Verse: 11    
merket, welch ein lebender mast,
Verse: 12    
mit dem unsers geistes last
Verse: 13    
sigelt von dem immer kummer tragenden mer.

Verse: 14    
Des tiches vliezen
Verse: 15    
wart ein niezen
Verse: 16    
allen jenen, die da liezen
Verse: 17    
sich des tiches vluz begiezen.
Verse: 18    
criuze, ein engel hute din.
Verse: 19    
swenn er daz holz erwegete,
Verse: 20    
swaz sich danne von dir warf,
Verse: 21    
gein der siuche ez was so scharf,
Verse: 22    
ez vertreib ir bitterkeit.
Verse: 23    
criuze, Cristes wapencleit
Verse: 24    
- er truc dich, du trüge in ouch,
Verse: 25    
sust verdampf des valles rouch -,
Verse: 26    
gotes wallestap und kefs der marter sin.

Strophe: 22 
Verse: 1    
Becriste, criuze, uns cristen,
Verse: 2    
daz Krist uns ruch zu vristen
Verse: 3    
daz leben, in den genisten
Verse: 4    
daz wir der fulen sünden mist geistlichen überlisten.
Verse: 5    
waz eren mac der künic began an uns vil cranken misten?

Verse: 6    
Er sol sins geistes samen,
Verse: 7    
den ie die guten namen,
Verse: 8    
lan unsers geistes ramen.
Verse: 9    
so liebet uns die heilekeit, dann alle tugende ie quamen.
Verse: 10    
ein ende gut uns vater, sun, heileger geist gip! Amen.



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This text is part of the TITUS edition of Heinrich von Meissen, Frauenlob.

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