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Dies ist eine Internet-Sonderausgabe des Buches
"Iranica Armeno-Iberica.
Studien zu den iranischen Lehnwörtern im Armenischen und Georgischen [Bd. 1]"
von Jost Gippert (1990).
Sie sollte nicht zitiert werden. Zitate sind der Originalausgabe, veröffentlicht als
"Österreichische Akademie der Wissenschaften,
philosophisch-historische Klasse,
Sitzungsbericht, 606. Band" /
"Veröffentlichungen der Kommission für Iranistik, Nr. 26",
Wien 1993,
zu entnehmen.

Attention!
This is a special internet edition of the book
"Iranica Armeno-Iberica.
Studien zu den iranischen Lehnwörtern im Armenischen und Georgischen [Bd. 1]"
by Jost Gippert (1990).
It should not be quoted as such. For quotations, please refer to the original edition, published as
"Österreichische Akademie der Wissenschaften,
philosophisch-historische Klasse,
Sitzungsbericht, 606. Band" /
"Veröffentlichungen der Kommission für Iranistik, Nr. 26",
Wien 1993.



Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved:
Jost Gippert, Frankfurt 2002.

Jost Gippert



Iranica

Armeno-Iberica



Studien zu den
iranischen Lehnwörtern
im Armenischen und Georgischen






dalič̣-:

1. Innerhalb der Bibelübersetzung begegnet das Wort lediglich zweimal innerhalb ein und desselben Verses in der durch die Jerusalemer und die Ošḳi-Bibel vertretenen älteren Redaktion (Jer. 35,4 = 42,4 LXX {1.}: -sa bzw. -ta), wobei es einmal griech. παστοϕόριον "Gemach" und einmal griech. οἶκος "Haus" entgegensteht; daneben ist griech. οἶκος im selben Vers noch zweimal wie üblich durch saxl- wiedergegeben. Der georg. Text nimmt damit gleichsam eine Übergangsstellung zwischen der Septuaginta und der hebr. Bibel ein, die in drei Fällen das Wort תכּ̱שׁ̦ל̣ liškaṯ "Kammer" und lediglich einmal תיבּ̤ beṯ "Haus" verwendet. Daß dalič̣- als Wiedergabe von griech. παστοϕόριον intendiert ist, ergibt sich aus der jüngeren Redaktion des georg. AT, die in der Mcxeta-Hs. repräsentiert ist, da hier für dalič̣- beide Male der Stamm ṗasṭoporion- erscheint, der sich unschwer als Entlehnung des griech. Wortes erkennen läßt. Es ist deshalb anzunehmen, daß die georg. Übersetzung der Stelle insgesamt einer Traditionslinie angehört, bei der dem hebr. לִּשְׁכָּה liškāh zweimal griech. παστοϕόριον entsprach. In einer solchen Traditionslinie dürfte ursprünglich auch der armen. Text gestanden haben, der wiederum eine Sonderstellung einnimmt: Hier steht dem georg. dalič̣- einmal das lautlich fast identische dahlič gegenüber, nämlich dort, wo die Septuaginta παστοϕόριον bietet; dem zweiten georg. dalič̣- ≈ griech. οἶκος entspricht aparan "Palast", während dem georg. saxl- "Haus" ≈ griech. οἶκος das gleichbedeutende town entgegensteht (die syr. Bibel hat insignifikanterweise viermaliges ܒܝܬܐ baytā "Haus"). Schematisch ergibt sich folgendes Bild:


 hebr.  beṯ  liškāh  liškāh  liškāh
 gr.  οἶκος  παστοϕόριον  οἶκος  οἶκος
 georg.              saxl-              dalič̣-              saxl-              dalič̣-
 armen.  town  dahlič  town  aparan
 syr.  baytā  baytā  baytā  baytā

Weiter läßt sich wahrscheinlich machen, daß die Verwendung von georg. dalič̣- im gegebenen Kontext ihrerseits durch das arm. dahlič bedingt ist, für das die an der vorliegenden Stelle anzutreffende Bedeutung "Halle, Vorhof" als Normalbedeutung angesetzt wird (cf. z.B. Ven.Wb. s.v.: "curia, aula"). Dies würde implizieren, daß das ansonsten unmotivierte arm. aparan sekundär, etwa bei einer Überarbeitung, für ursprüngliches dahlič eingetreten ist. Immerhin ist die Gleichsetzung von griech. παστοϕόριον und arm. dahlič innerhalb der Bibelübersetzung auch noch an anderer Stelle zu belegen (Ez. 40,17bis {17.} und 38 {18.}); die georg. Bibel verwendet hier statt dessen das Wort ḳreṭsabmel- (Var. ḳertsabmel-), das ansonsten regelmäßig griech. καταπέτασμα bzw. arm. varagoyr "Vorhang" wiedergibt (z.B. Mt. 27,51 DEC {19.}; Ex. 39,4 OBAK = 38,26 M {20.}). Von den diversen anderen Termini, die dem griech. παστοϕόριον in der armen. und der georg. Bibel gegenüberstehen (s. dazu weiter unter senaḳ-, 5.), ist im gegebenen Zusammenhang allenfalls noch ṭaʒar- erwähnenswert (1.Chr. 9,26 {30.}; 23,28 M {29.}; Jes. 22,15 I {31.}; 3.Esr. [= 1.Esr. LXX, armen.] 8,59 OM {32.}), da dieses Wort weithin synonym mit arm. aparan im Sinne von "Palast" gebraucht wird und so die Verwendung des letzteren in Jer. 35,4 motivieren helfen kann. Für georg. dalič̣- bleibt festzuhalten, daß seine Verwendung an der gegebenen Stelle innerhalb der Überlieferung als außergewöhnlich gelten kann.
2. In der überwiegenden Zahl der Belege aus der Übersetzungsliteratur tritt dalič̣- in einer vom bisherigen relativ weit abweichenden Verwendung auf, wobei als Bedeutung etwa "Gerichtssitz, -hof" angegeben werden kann. Soweit griech. Paralleltexte vorhanden sind, verwenden diese teils δικαστήριον (Ath.Alex. Vita Ant.G 43,29-31 {9.}; Vita Xarit. [M.Cx.] 129,25-26 {10.}), teils κριτήριον oder ϕροντιστήριον (Mart. Hadr.Anat. 213,1-7 {8.}). Gleichmäßiger ist hier die Wiedergabe in armen. Textzeugen, für die fast überall das Wort atean zu notieren ist (z.B. Aphr. Gelübde 305,21 {2.}; Mart. Philekt. 149,36 u.ö. {6.-7.}); auch das einmalige tełi datastanin, wtl. "Ort des Gerichts" (Mart. Hadr.Anat. 213,1-7 {8.}), weicht in der Bedeutung nicht nennenswert ab. Auf dieser Basis läßt sich auch ein scheinbarer Sonderfall klären:
3. Mit der unerwarteten Gleichsetzung von georg. dalič̣- mit arm. awetaran "Evangelium" fällt eine Passage innerhalb des Igeltraktats im "Physiologus" auf (183,8-13 {3.}: -sa); in den zahlreichen Varianten des griech. Textes ist an dieser Stelle übereinstimmend von einem βῆμα τοῦ Xριστοῦ die Rede. Da in einer jüngeren Vs. des armen. Textes (Ap) nach Marr, Fiziol. 89 anstelle von awetaran Kՙristosi, i.e. "Evangelium Christi", die "kryptische Lesart" ("иcкaжeннoe чтeниe") s(owr)b andēn Kՙ(ristos)i auftritt1, konjizierte Marr (ib.) fragend ein am gr. Text orientiertes s(owr)b *bēmn Kՙ(ristosi). Tatsächlich dürfte es sich jedoch bei awetaran und andēn um Verschreibungen für atenin handeln (als falsche Auflösungen einer Abbreviatur <atn> ?). Dies ergibt sich zwingend aus 2.Kor. 5,10 {3b}, das mit der Formel atean Kՙristosi ≈ griech. βῆμα τοῦ Xριστοῦ offensichtlich die Vorlage für den "Thron Christi" der Physiologusstelle gebildet hat2. Da sämtliche georg. Fassungen des Korintherbriefs den "Thron" nicht durch dalič̣-, sondern durch saq̇dar- benennen, zeigt sich deutlich, daß der Physiologus im Georgischen außerhalb des Traditionsstrangs der Bibelübersetzung steht; gleichzeitig ergibt sich ein erneuter Hinweis auf die Abhängigkeit der georg. von der armen. Version des Textes, insofern georg. dalič̣- nach dem bisherigen als Normalentsprechung von arm. atean aufgefaßt werden kann.
4. Eine Bedeutung "Gerichtssitz" kommt dem georg. dalič̣- auch in zwei Belegen aus autochthonen Texten zu. Es handelt sich zum einen um das Martyrium Ḳonsṭanṭi des Kaxers (170,12-15 {4.}), wo es um ein Tribunal vor einem weltlichen Herrscher geht, zum anderen um eine Stelle aus der Vita des hl. Gobron (179,34 ff. {5.}), wo der Vergleich zwischen einem weltlichen und dem Jüngsten Gericht gezogen wird.

"Gerichtssitz, Tribunal" kann also ohne weiteres als die Primärbedeutung von georg. dalič̣- angesetzt werden. Das Wort konkurriert dabei zunächst mit uraḳṗaraḳ-, dessen armen. Äquivalent in dieser Bedeutung normalerweise ebenfalls atean ist, während das letztere armen. Wort in der Form aṭian- selbst nur ausnahmsweise als Fremdwort in georg. Texte eindringen konnte (s. dazu weiter s.vv.).
Georg. dalič̣- unterscheidet sich in seiner Verwendung damit durchaus von arm. dahlič, für das eine solche Konnotation bisher nicht als prominent herausgearbeitet werden konnte. Dennoch wurden beide Wörter schon früh etymologisch miteinander identifiziert, nämlich von N. Marr, der, auch ohne über einen textualen Hintergrund zu verfügen, das georg. Wort aus einer mit arm. dahlič "зaлъ" identischen Vorform *dahlič̣- herleitete (Ipp.Tolk. LXIII); Marrs Ansicht wurde weiter von Th. Kluge (Gr.arm.LWW 113) propagiert. Zur gleichen Zeit schlug H. Hübschmann für arm. dahlič eine iran. Etymologie vor, die das Wort mit npers. dahlīz, mpers. dāhlīz und weiter mit apers. duu̯arϑi- verband (AG 133, 160.).
Lautliche Einwände können gegen eine Identifikation von georg. dalič̣- und arm. dahlič nicht vorgebracht werden, da die einzige Divergenz, das Fehlen des inlautenden -h- im Georgischen, innerhalb einer Konsonantengruppe kein Kriterium darstellt. Nachdem für die Gleichsetzung mit Jer. 35,4 {1.} jetzt auch eine textuale Grundlage gefunden wurde, hat die Identifikation sogar weiter an Wahrscheinlichkeit gewonnen. Zu fragen bleibt jedoch, ob sich die o.a. Bedeutungsdivergenz mit der vorgeschlagenen iran. Etymologie verträgt, und ob das Wort, eine solche Etymologie vorausgesetzt, tatsächlich über das Armenische ins Georgische gelangt sein muß, wie es N. Marr suggerierte.
Die genannten iran. Formen, die allgemein als Weiterbildungen von *du̯ar- "Tür, Tor" aufgefaßt werden, sind primär etwa im Sinne von "Halle, Vorhof" verwendet; dies gilt z.B. für den Beleg von mpers. dāhlīz in Šāyast-nē šāyast 2,10 {35.}, wo ausdrücklich von einem Gebäudeteil die Rede ist, der nicht zum Hausinneren gehört. Die iran. Verwendung deckt sich darin mit der an der genannten Jeremias-Stelle vorliegenden Bedeutung von arm. dahlič und georg. dalič̣-, die folglich auch im Georgischen die ursprüngliche gewesen sein müßte. Die Verwendung im Sinne von "Gerichtssitz" müßte dann auf einer innergeorg. Sonderentwicklung beruhen, wofür etwa auf dt. "Hof" = "Gericht" verwiesen werden könnte. Es erheben sich jedoch Zweifel, ob für eine solche Sonderentwicklung innerhalb historischer Zeit der durch die Belege gegebene zeitliche Rahmen ausreicht; für die Vermutung, daß die betreffende Jeremiasstelle besonders früh ins Georgische übersetzt worden sei, gibt es zumindest keine Anzeichen (in den Xanmeṭi-Fragmenten aus Jeremias ist die Passage nicht enthalten).
Wahrscheinlicher ist deshalb die Annahme, daß dalič̣- im Georgischen eine unabhängige Entlehnung aus dem Iranischen darstellt. Die Bedeutungsentwicklung in Richtung auf "Gerichtshof" könnte dann schon abgeschlossen gewesen sein, als mit der Übersetzung der Jeremiasstelle noch einmal die ältere, in arm. dahlič beibehaltene Semantik greifen konnte.
Für die inneriran. Analyse von apers. duu̯arϑi- und seinen mittel- und neuiran. Fortsetzern kann georg. dalič̣- nichts Neues beitragen. Hier bleibt die bereits bei Meillet, Mots empr. [MSL 17], 246 ausgeführte Beobachtung bestehen, wonach das Wort in der vorliegenden Form die südwestiran. Lautung aufweist, die durch die Entwicklung -hl- < -rϑ- (über -rh- ?) ausreichend charakterisiert ist.
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