Der Jubilar ist einer der wenigen Linguisten des deutschsprachigen Raumes,
die die von Friedrich Müller (1868: 151) ausgesprochene Anregung aufgegriffen haben, den Bau des georgischen Verbums als einen “schwierigen,
aber für die Sprachwissenschaft äusserst wichtigen Punkt zum Objecte ihrer
speciellen Studien zu machen”, und die Fachwelt verdankt ihm eine Fülle
bedeutender Erkenntnisse, durch die das georgische Verbalsystem viel von
seinem (in den Worten Müllers) “so spröden” Erscheinungsbild verloren
hat. Im folgenden soll, als eine kleine Gegengabe, ein Element behandelt
werden, das in der Diskussion um die morphologischen und syntaktischen
Komponenten des georgischen Verbums bisher nur wenig Aufmerksamkeit
erfahren hat, nämlich das Element
-q̇e.
1
Eine erste Untersuchung, die explizit dem georgischen
-q̇e gewidmet
war, wurde von Hugo Schuchardt vorgelegt (1896b: 278-280). Schuchardt
setzt sich darin kritisch mit der in der georgischen Grammatikertradition der
damaligen Zeit vorherrschenden Meinung auseinander, wonach “das
-qe der
älteren georgischen Schriftsprache” mit der Partikel
ḳi identisch sei und wie
diese etwa soviel wie affirmatives “ja, allerdings” bedeute. Kronzeuge
dieser Auffassung war für Schuchardt David Čubinašvili (“Tšubinow”), der
-q̇e mit einer entsprechenden Bedeutungsangabe in seinen Wörterbüchern
(1840; 1887 / 1984: 1374) wie auch seiner russisch geschriebenen Grammatik von 1855 aufführt; Čubinašvili steht dabei in einem gewissen Widerspruch zu M.-F. Brosset, indem er
-q̇e “als litterarische Nebenform von
ki”
auffaßt, während der französische Autor (1837: 219-224) die “particule
d'affirmation” gerade “als vulgäre Nebenform des ...
ki” ansah (Schuchardt
1896b: 278). Nur am Rande erwähnt Schuchardt, daß die Gleichstellung der
beiden Partikeln auch im georgischen Wörterbuch von (Sulxan-)Saba Orbeliani vorzufinden ist, wonach
q̇e “dem
ḳi ähnlich ist und schön”.
2
Tatsächlich dürfte die Einschätzung Sabas, des ersten georgischen Lexikographen überhaupt, für das Aufkommen der von Čubinašvili und Brosset
propagierten Auffassung eine nicht unerhebliche Bedeutung gehabt haben,
auch wenn die erste gedruckte Ausgabe seines Wörterbuchs (1884) erst
später erschien als die Werke der beiden jüngeren Autoren; denn es gibt,
worauf ich an anderem Orte verschiedentlich hingewiesen habe (Gippert
1993: 69 Anm. 5; 172 Anm. 3 u.a.), deutliche Indizien dafür, daß Čubinašvili Material unmittelbar aus Sabas Lexikon geschöpft hat, und eine Verbindung zwischen Brosset und Čubinašvili bestand mit Sicherheit schon seit
dem Erscheinen von dessen erstem Wörterbuch (1840), zu dem Brosset das
Vorwort verfaßte.
3 Weniger klar ist demgegenüber die Position des Grammatikers Zurab Šanšovani, der
q̇e in seiner 1737 verfaßten und 1881 von A.
Cagareli publizierten Grammatik unter dem Stichwort
šemḳurelisatws in
einer Reihe mit
ac̣ uḳuē, sadame, ertbamad, maša, kuē und
aba erfaßt,
4
womit es grammatisch als Konjunktion eingeordnet sein dürfte:
šemḳvreli
meint wörtlich etwa “(ver)bindend”. Auch wenn Schuchardt sicher recht
hat, daß diese “Gesellschaft” von Elementen “eine zu bunte (ist) als dass sie
uns die besondere Bedeutung des
qe erraten liesse”, geht aus Šanšovanis
Ausführungen doch hervor, daß er die betreffenden Wörter wohl als “affirmativ” aufgefaßt hat: er nennt sie
saǯerovno, was etwa “zum richtigen
gehörig” bedeutet, und sie werden nach ihm
daǯerebit, i.e. “mit oder zur
Überzeugung” eingesetzt.
5 Es sei noch erwähnt, daß
-q̇e offenbar weder in
der 1789 erschienenen “Kartuli ġrammaṭiḳa” von Gaioz Rekṭori noch in der
1882 publizierten Grammatik von Dimiṭri Q̣ipiani erfaßt ist.
6
Trotz der weitgehend übereinstimmenden Behandlung von
-q̇e bei den
genannten Autoren erhoben sich für Schuchardt Zweifel, ob dieses die ihm
zugeschriebene affirmative Funktion “wirklich besessen hat” oder sie “nur
einem alten Missverständniss verdankt” (1896b: 279). Aufgrund der Ausführungen in der Grammatik des Katholikos Anṭoni (I.) aus dem Jahre 1767
(Anṭoni 1885: 171a § 259) sowie anhand von literarischen Belegen glaubte
Schuchardt statt dessen eine andere Funktion von
-q̇e als primär festhalten
zu können, nämlich diejenige eines Pluralzeichens des Dativs der 3. Person
am Verbum wie z.B. in der bei Anṭoni erfaßten Form
davic̣q̇ebiesq̇e “sie
haben ihn vergessen” (§ 100; Anṭoni 1885: 99 / 1998: 102). Daß
-q̇e in
dieser Funktion auch Anṭonis eigenem Sprachstil angehörte, zeigen Sätze
wie
essaxeduē akusq̇e brunuay tanḳidebultaca amista “eine derartige
Flexion
ist auch den damit zusammenhängenden (Bildungen)
zueigen”,
7
wo zwischen dem pluralischen Dativobjekt,
tanḳidebulta “den zusammenhängenden”, und
-q̇e ein klarer Kongruenzbezug zu erkennen ist. Bemerkenswerterweise konnte Schuchardt die “Pluralitätsfunktion” aber nicht nur
an auf Anṭoni zurückgehenden Belegen illustrieren, sondern gerade auch an
solchen, die Čubinašvili in seinem Wörterbuch anführt. Besonders wichtig
ist dabei ein Beleg aus dem Visramiani, da er
-q̇e in einschlägiger Funktion
bereits für das georgische Mittelalter nachweist:
da hkonda-q̇e xvašiadi
moabadisi didebulta da iṭq̇odes “und
die Adligen (
didebulta) teilten (wtl.
`
hatten') Moabads Geheimnis (
xvašiadi) und sagten”.
8 Auch hier ist eine
klare Kongruenz zwischen dem pluralischen
didebulta und
-q̇e gegeben,
wozu mit
h- noch das Objektspräfix der dritten Person tritt.
Schuchardts Annahme, wonach
-q̇e zur Kennzeichnung von Pluralität
beim Verbum dient, deckt sich nicht nur mit der Einschätzung Anṭonis I.
(explizit § 259,7: 1885, 171a), sondern auch mit derjenigen späterer Autoren. So hielt Arnold Čikobava in einer Akademieschrift von 1941 fest, daß
“in einigen georg. Dialekten (dem ratschischen, ingiloischen, fereidanischen, imeretischen) .. eine Partikel
-q̇e/-ḳe in Gebrauch ist, die auf ein
Objekt im Dativ Plural verweist” (Čikobava 1941: 564; vgl. auch Ḳiziria
1985: 107); auf den ingiloischen Dialekt hatte auch Schuchardt bereits
aufmerksam gemacht (1896b: 280 mit Verweis auf Schuchardt 1896a: 86).
Ganz entsprechend enthält das von Čikobava redigierte achtbändige “Erklärende Wörterbuch” in Band VII ein eigenes Stichwort
-q̇e1, das als
nac̣ilaḳi, i.e. Partikel, klassifiziert ist und als dessen erste Verwendung
angegeben wird, daß es “in einigen Dialekten der georg. Sprache an das
Verb tritt und die Pluralität eines im Dativ oder Nominativ stehenden Objekts bezeichnet” (Čikobava 1962: 519). Ein ganz entsprechender Eintrag
findet sich dann auch im Georgisch-deutschen Wörterbuch Kita Tschenkelis
(1974: 1671 s.v.
-q̇e1); danach ist
-q̇e primär eine “in manchen Dialekten an
die Verbform gesetzte Partikel, die auf die Pluralität des dir. od. indir. Obj.
hinweist”. Ein kleiner, wenn auch nicht unerheblicher Unterschied zwischen den beiden Wörterbucheinträgen besteht jedoch darin, daß bei
Tschenkeli zur Illustration nur die Verbform “
stxovaq̇e =
stxova mat = er
bat sie /
pl/” angegeben wird, während das Erklärende Wörterbuch neben
demselben
stxovaq̇e (in dem Satz
stxovaq̇e q̇urʒeni “er bat sie um eine
Weintraube”) auch noch die Verbalform
c̣agiq̇vanq̇e belegt, die einem
normalsprachigen
c̣agiq̇vant tkven “ich werde euch hinbringen” entspricht
(in dem Satz
me c̣agiq̇vanq̇e dedasa da mamastan “ich werde euch zu Vater
und Mutter bringen”). In letzterem Beispiel ist es nicht eine 3., sondern eine
2. Person, deren Pluralität durch
-q̇e markiert ist, womit der von Schuchardt
umrissene Geltungsbereich bereits überschritten wäre.
Neu sind gegenüber der von Schuchardt eruierten Funktion dann auch
die weiteren Verwendungen, die das Erklärende und – nun wieder in Übereinstimmung damit – das Wörterbuch Tschenkelis für
-q̇e verzeichnen. Danach gleicht dieses “bisweilen in seiner Bedeutung der Partikel
xolme”,
9
die durch “jeweils” übersetzbar ist und in Verbindung mit Verbalformen
Iterativität oder Habitualität bezeichnet; Tschenkelis Beispiel ist die Imperfektform
davdiodiq̇e, die durch “
davdiodi xolme = ich ging jeweils, ich
pflegte zu gehen” paraphrasiert ist. Ein pluralisches Objekt der 2. oder 3.
Person ist dabei ebensowenig impliziert wie bei dem im Erklärenden Wörterbuch zitierten
gavvardebodiq̇e “ich pflegte hinauszustürzen”. Daneben
führen beide Wörterbücher noch ein Lemma
-q̇e2 an, welches als dialektale
Entsprechung der schriftsprachlichen Postposition
-ḳen “hin zu, in Richtung
auf” gelte;
10 nach dem Erklärenden Wörterbuch kann
-q̇e als Postposition
im fereidanischen Dialekt sogar noch das Gegenteil von
-ḳen, nämlich “heraus aus” (entsprechend normalsprachigem
-gan, -idan) bezeichnen.
11
Lassen wir die beiden letztgenannten Verwendungen beiseite, die von
Schuchardts Material klar dadurch abgegrenzt sind, daß
-q̇e hier mit Nomina
verbunden ist, so werfen die obigen Betrachtungen doch einige Fragen auf,
die einer genaueren Untersuchung bedürfen. Dies betrifft zum einen das
gegenseitige Verhältnis zwischen den einzelnen Funktionen, die
-q̇e als zum
Verb tretende Partikel innehaben kann. Es ist ja a priori nicht ausgeschlossen, daß die Funktion der Iterativität oder Habitualität, die im Prinzip eine
“verbale Pluralität” im Sinne einer mehrfach ausgeübten Handlung meint,
durch gleiche Kennzeichen markiert werden kann wie die Pluralität eines
Aktanten, speziell eines Objekts – je nach Art des durch das Verbum ausgedrückten Sachverhalts können mehrere objektische Aktanten sogar eine
Iterativität der Handlung implizieren oder voraussetzen (“Objektsdistributivität” im Sinne von Dressler 1968: 70). Es wäre also denkbar, daß eine der
beiden Funktionen historisch aus der anderen hervorgegangen sein könnte.
Zum anderen wäre zu hinterfragen, ob die Markierung von Pluralität
durch
-q̇e möglicherweise mit einem besonderen Nachdruck verknüpft ist,
womit sich eine Verbindung der seit Saba behaupteten (und von Schuchardt
angezweifelten) “affirmativen” Funktion mit derjenigen eines Pluralitätszeichens herstellen ließe. Die Beantwortung dieser Frage hängt natürlich
davon ab, ob sich der Gebrauch der Partikel als Pluralzeichen in den betr.
Dialekten als regelmäßig und obligatorisch erweisen läßt oder nicht. Vorab
sei darauf hingewiesen, daß bei Anṭoni I., der in seiner Grammatik wiederholt
-q̇e bei pluralischem Objekt der 3. Person verwendet, einschlägige
Beispiele auch ohne das Pluralzeichen auftreten wie z.B. in dem Satz
egsaxeduē akus brunuay hrtultaca amista “eine entsprechende Deklination
haben auch dessen
Zusammensetzungen” (§ 3: 1998, 19), dessen Struktur
derjenigen des oben zitierten Satzes
essaxeduē akusq̇e brunuay tanḳidebultaca amista “eine derartige Flexion
haben auch die damit
zusammenhängenden (Bildungen)” bis auf das fehlende
-q̇e genau entspricht. Die Setzung
von
-q̇e ist bei Anṭoni, die Zuverlässigkeit der Edition vorausgesetzt, zunächst also als fakultativ zu bestimmen, wobei man unwillkürlich an das
Verhalten des Suffixes
-t als Pluralkennzeichen der 3. Person in der heutigen
georg. Schriftsprache erinnert wird. Die für dieses Zeichen geltenden Regeln sind durchaus nicht unumstritten; es herrscht aber weitgehend Einigkeit, daß es als Kennzeichen der Pluralität einer 3. Person üblicherweise nur
dann an eine Verbalform antritt, wenn die betr. Person, obwohl im Dativ im
Satz erscheinend, gewissermaßen die Subjektsposition einnimmt, also bei
sog. “inversiven” oder “indirekten” Formen,
12 wobei die Zuweisung der
Subjektsrolle möglicherweise zusätzlich durch eine “Belebtheitshierarchie”
gesteuert ist.
13 Tatsächlich weist das Auftreten von
-q̇e neben Verbalformen wie
akus (heute
akvs/akvt) “sie haben”,
hkonda (/
hkondat) “sie hatten” oder Perfektformen wie
davic̣q̇ebies (
davic̣q̇ebia) “sie haben (ihn, sie,
es) vergessen”, die sämtlich als “inversiv” gelten können (quasi “ihnen ist,
war zueigen”, “(bei) ihnen ist in Vergessenheit geraten”), auf eine vergleichbare Regularität hin. Nicht zuletzt verzeichnet auch Anṭoni I. (in
anderem Zusammenhang) einen Beispielsatz mit der Form
akust (≈ heute
akvt), bei der als Besitzer ein pluralisches indirektes Objekt der 3. Person
(“sie haben ≈ ihnen ist zueigen”) durch
-t markiert ist:
mecnierta eretiḳosta
c̣esad akust zuaobay c̣il simdablisa da simšwdisa, xolo ḳetilmsaxurta c̣es
simšwde da simdable gonebisa “die
Häretiker unter den Gelehrten
haben
zur Gewohnheit die Überheblichkeit anstelle der Demut und der Friedfertigkeit; die Gewohnheit der Gottesfürchtigen jedoch ist Friedfertigkeit und
Demut des Geistes” (§ 130: 1998, 116).
Sollte sich also eine Äquivalenz zwischen (dialektalem)
-q̇e und (normalsprachigem)
-t nachweisen lassen, wäre letztlich die Frage nach der
grammatischen Bestimmung von
-q̇e neu zu stellen. Daß dieses in den
Wörterbüchern seit Saba als eigenes Stichwort erfaßt ist, stimmt prinzipiell
mit seiner Einordnung als Konjunktion (so bei Šanšovani, s.o. S. ) oder
Adposition (
tandebuli bei Anṭoni I., s.o. Anm. ) bei den älteren Grammatikern überein. Für
-t würde jedoch wohl niemand eine entsprechende
Analyse erwägen; es kann statt dessen ohne weiteres als ein suffixales, in
den Verbkörper integriertes Zeichen gelten. Es bleibt also zu klären, ob die
Behandlung von
-q̇e als eigenständiger Wortform (Partikel) bei stringenter
linguistischer Betrachtung gerechtfertigt ist.
Nicht alle diese Fragen können im gegebenen Rahmen einer Klärung
zugeführt werden. Das betrifft insbesondere diejenige nach dem Gebrauch
von
-q̇e in den heutigen Dialekten, die intensive Feldforschung voraussetzen
würde. Im folgenden seien jedoch einige Beobachtungen mitgeteilt, die sich
auf die historische Entwicklung des Elements beziehen.
Das bereits zitierte Beispiel aus dem Visramiani ist bei weitem nicht
das einzige, das den Gebrauch von
-q̇e in älterer Zeit illustrieren kann. Zwar
gibt es innerhalb dieses Textes offenbar keinen weiteren Beleg für
-q̇e,
14
doch vermerkte bereits Saba mit der Notiz “5,27
esaia” eine Textstelle aus
dem Alten Testament, die
-q̇e enthalte. Tatsächlich erscheint in der sog.
Mcxeta-Bibel (Dočanašvili 1981-1986) an der gegebenen Stelle (Jes. 5,27)
die Form
šiis-q̇e, die entsprechend griech. πεινάσουσιν “sie werden hungern” bedeutet und bei der
-q̇e ganz im Sinne Schuchardts als Pluralitätszeichen einer 3. Person aufgefaßt werden kann, wobei das betr. Verb als
“inversiv” zu gelten hat (
mšia quasi “mir ist Hunger”). Weitere sechs
Beispiele aus der georg. AT-Übersetzung erbringt das Wörterbuch Ilia Abulaʒes (1974), und zwar aus den Büchern Deuteronomium und Josua; in allen
Fällen ist wieder eine Objektspluralität gegeben, wobei sowohl zweite als
auch dritte Personen betroffen sind, und die jeweiligen Verben sind als
inversiv auffaßbar:
nu gešinin-q̇e “fürchtet euch nicht” Deut. 1,21 und
šeešina-q̇e “sie fürchteten sich” Jos. 10,2 (
mešiniš quasi “mir ist Furcht”);
gesma-q̇e “ihr habt gehört” Deut. 4,32 und
esma-q̇e Jos. 9,16 “sie haben
gehört” (
mesmis quasi “mir ist hörbar”);
giq̇uars-q̇e “ihr liebt ihn” Deut.
13,4 (
miq̇uars quasi “mir ist lieb”);
ʒal-gic-q̇e “ihr könnt” Jos. 7,13 (
ʒal-mic quasi “mir ist Kraft”). Die durch
-q̇e angedeutete Pluralität erweist sich
dabei durchweg unmittelbar durch den Kontext und wird zugleich durch
einen Blick auf die griech. Wortformen der Septuaginta gestützt (μὴ ϕοβεῖσϑε Deut. 1,21; ἐϕοβήϑησαν Jos. 10,2; δυνήσεσϑε Jos. 7,13; ἤϰουσαν Jos.
9,16); lediglich im Falle von
gesma-q̇e in Deut. 4,32 versagt dieses Zeugnis
(ἤϰουσται “es ist gehört”; Luther “(ob) gehört sei”). Hier kommt jedoch
ein innergeorg. Textvergleich zum Tragen: Gegenüber der Gelati-Bibel, der
das Zitat bei Abulaʒe entnommen ist, haben die anderen verfügbaren altgeorg. AT-Versionen
15 ein explizites
tkuen gesma “
ihr habt gehört”.
Damit ist zugleich ein bemerkenswertes Faktum angedeutet: Es ist kein
Zufall, daß die
-q̇e-Form in der sog. Gelati-Bibel erscheint, nicht jedoch in
den anderen AT-Versionen. Tatsächlich stammen auch die übrigen fünf von
Abulaʒe beigebrachten Belege aus der Gelati-Bibel, und mit den betr. Verbformen kontrastieren in den anderen Textzeugen
-q̇e-lose Formen (
tkuen nu
gešinin Deut. 1,21 ABEKS;
giq̇uardes tkuen Deut. 13,4 ABES (13,3 S);
šeuʒlot Jos. 7,13 BDS;
šeišines Jos. 10,2 BDS;
esma Jos. 9,16 BDS).
Nur auf den ersten Blick auffällig ist dann der im Lexikon Sabas
erfaßte Beleg aus der Mcxeta-Bibel (Jes. 5,27). Es kann nämlich als sicher
gelten, daß in der von Saba selbst redigierten Bibelhandschrift aus dem 18.
Jh. der Text der Prophetenbücher des AT komplett aus der um ca. 600 Jahre
älteren Gelati-Bibel geschöpft worden ist.
16 Eine provisorische Durchsicht
dieser Bücher ergibt denn auch weitere 38 einschlägige Belege, von denen
die meisten wieder dem üblichen Muster (Objektspluralität bei Inversivität)
folgen wie z.B.
(nu) giq̇uars-q̇e “liebt (nicht)” ≈ (μὴ) ἀγαπᾶτε (Zach. 8,17)
oder
umǯobes-gičns-q̇e “euch scheint am besten” ≈ βέλτιον ὑμῖν (Jer. 26
[33],14):
mičns “mir scheint”). Einen einschlägigen Beleg dürfte dabei auch
Jer. 6,23 darstellen, wo griech. κρατήσουσιν “sie werden sich bemächtigen” durch
eṗq̇ras-q̇e, wtl. etwa “ihnen wird greifbar sein”, übersetzt ist;
man vgl. Jer. 50 [27],42, wo in fast identischem Wortlaut
akundes-q̇e “sie
werden haben” ≈ ἔχοντες steht.
Schon an einigen dieser Beispiele läßt sich nun jedoch zeigen, daß die
Verwendung von
-q̇e innerhalb des gegebenen Konstruktionsrahmens (Objektspluralität bei inversiven Verben) in der Sprache der Gelati-Bibel nicht
obligatorisch gewesen sein kann. So steht in dem bereits bei Saba erfaßten
Vers Jes. 5,27 neben
(ara) šiis-q̇e “sie werden (nicht) hungern” ein ebenso
konstruiertes, aber
-q̇e-loses
(arca) hrulis “sie werden (nicht) schlummern”
(
mrulis quasi “mir ist Schlummer”), und neben
esma-q̇e “sie hörten” erscheint in Jer. 49,23 [30,29] ein auf dasselbe Objekt bezogenes einfaches
hrcxuena “sie sind beschämt” ≈ κατῃσχύνϑη; ganz entsprechend stehen in
Ez. 12,2 neben
(ara) esmis-q̇e “sie hören (nicht)” die beiden koreferentialen
inversiven Formen
hkonan und
asxen in der Bedeutung “sie haben” ≈
ἔχουσιν, und in Ez. 44,18 wird das griech. Futur ἕξουσιν “sie werden
haben”, bezogen auf denselben Besitzer, erst durch
akunden-q̇e, dann durch
einfaches
akunden übersetzt. Ein besonders bemerkenswerter Fall ist Jes.
45,17, wo nach
(ara) hrcxuenes-q̇e “sie werden sich (nicht) schämen” ≈
(οὐϰ) αἰσχυνϑήσονται ein nahezu bedeutungsgleiches
(arcaġa) hḳdemes
“(und) sie werden (auch nicht) beschämt sein” ≈ (οὐδὲ μὴ) ἐντραπῶσιν
ohne
-q̇e folgt, das dann sogleich wieder durch
hḳdemes-q̇e und
hḳdema-q̇e
wiederaufgenommen wird. Dabei ist zu beachten, daß der Teilvers, der die
letzteren beiden Formen enthält, ein offensichtlicher Zusatz ist, der in
anderen georgischen und außergeorgischen Bibelversionen keine Entsprechung hat; zur Illustration sei die Stelle aus der Mcxeta-Bibel (S) mit den
korrelierenden Passagen der Ošḳi-Bibel (O), der Septuaginta und der armenischen Bibel kontrastiert:
rametu israeli cxovndebis uplisa mier macxovarebita sauḳunota. ara
hrcxuenes-q̇e, arcaġa hḳdemes vidre sauḳunodmde merme, rametu arġa
merme hḳdemes-q̇e, daġatu sacturisatws ḳerṗtasa hḳdema-q̇e ṗirvel.
(S) “Denn Israel wird leben durch ewige Erlösung seitens des Herrn. Sie
werden sich nicht (mehr) schämen und auch nicht mehr beschämt sein
(müssen) in Ewigkeit, denn sie werden nicht mehr beschämt sein
(müssen), auch wenn sie früher wegen der Verehrung von Götzen
beschämt waren.” – rametu israēli iqsna uplisa mier cxorebita sauḳunoyta. ara hrcxuenodis mat, arca ḳdemul iq̇vnen uḳunisamde žamta. (O)
– Ισραηλ σῴζεται ὑπὸ ϰυρίου σωτηρίαν αἰώνιον· οὐϰ αἰσχυνϑήσονται οὐδὲ μὴ ἐντραπῶσιν ἕως τοῦ αἰῶνος. – zi i(sra)ēl pՙrkelocՙ ē zpՙrkjowtՙi(wn) yawitenicՙ. mi amačՙescՙen, ew mi ews yamōtՙ licՙin minčՙew
yawiteans.
Es liegt auf der Hand, daß der (hier fett hervorgehobene) Zusatz auf eine
erläuternde Interlinearglosse zurückgeht, die nicht zum ursprünglichen Text
gehört. Sollte dies zutreffen, so ist die Stelle als ganze natürlich nicht geeignet, um Regularitäten des Sprachgebrauchs des oder der Übersetzer der
Gelati-Bibel zu eruieren, denn der Zusatz kann auch aus anderer Quelle
stammen.
17 Bestehen bleibt jedoch die Divergenz zwischen den Formen
hrcxuenes-q̇e und
hḳdemes in dem authentischen Teil des Verses, die zusammen mit den zuvor behandelten Beispielen zu der Vermutung führt, daß
das Auftreten koreferentialer
-q̇e-haltiger und
-q̇e-loser Formen in der
Sprache der Gelati-Bibel durch eine einfache Regel gesteuert ist: In ein und
demselben Satz wird doppeltes
-q̇e vermieden.
Bemerkenswert bleibt dabei, daß es nicht immer die erste der in Frage
kommenden Verbalformen ist, die das
-q̇e erhält. So bildet in Jer. 49,23
[30,29] die Form
esma-q̇e erst die zweite Prädikation (im Nebensatz),
während die
-q̇e-lose Form
hrcxuena sogar den Satz einleitet:
hrcxuena
ematsa da arpatsa, rametu sasmeneli boroṭi esma-q̇e “Es
schämten sich
Hamath und Arpad, denn
sie hörten ein böses Gerücht”. Zu beachten ist
hier aber, daß die mit
-q̇e korrelierenden Objekte, die Dativformen der
Ortsnamen
emat und
arpad, unmittelbar hinter
hrcxuena folgen, was die
Lösung suggeriert, daß die Setzung von
-q̇e überhaupt nur dann erforderlich
gewesen sein dürfte, wenn es galt, eine Ambiguität zu beseitigen. Dafür
spricht auch die Stelle Jer. 42 [49],16. Hier erscheint zunächst die Form
gešinis “ihr fürchtet euch” ohne
-q̇e, aber mit unmittelbar vorangehendem
explizitem Personalpronomen
tkuen; im folgenden finden wir dann
gakus-q̇e
“ihr habt”, das zwar ebenfalls durch das Personalpronomen “gestützt” ist,
aber von diesem durch das Objekt
siṭq̇uay “das Wort” getrennt steht:
da
iq̇os maxwli, romlisa tkuen gešinis ṗirisagan misisa, gṗovnes tkuen kueq̇anasa šina egwṗṭisasa, da siq̇mili, romlisa tkuen siṭq̇uay gakus-q̇e sivlṭolad
ṗirisagan misisa, gec̣ios tkuen uḳuana tkuensa egwṗṭes šina ... “und es soll
sein, (daß) das Schwert, vor dessen Angesicht
ihr euch fürchtet, euch
finden wird in dem Lande Ägypten, und der Hunger, vor dessen Angesicht
ihr (wohl) zu fliehen die
Absicht (wtl. das
Wort)
habt, wird euch verfolgen
in Ägypten ...”. Ähnlich erscheint
-q̇e-loses
tkuen gešinis in Jer. 42 [49],11
(im Nebensatz) neben
(nu) gešinin-q̇e und
(nu) gešinis-q̇e “fürchtet euch
(nicht)” ohne Pronomen (auf zwei Sätze entfallend):
nu gešinin-q̇e ṗirisagan mepisa babilonisa, romlisa tkuen gešinis ṗirisagan misisa; nu gešinis-q̇e, tkua upalman, rametu tkuen tana var ... “
fürchtet euch nicht vor dem
Angesicht des Königs von Babylon, vor dessen Angesicht
ihr euch fürchtet;
fürchtet euch nicht, sprach der Herr, denn ich bin bei euch ...” Dennoch war die Setzung von
-q̇e auch dann möglich, wenn das koreferentiale
Pronomen unmittelbar neben der betr. Verbalform stand, wie Jer. 26 [33],14
zeigt, wo der griech. Nebensatz ὡς βέλτιον ὑμῖν “wie es besser für euch
(ist)” durch
vitar umǯobes-gičns-q̇e tkuen “wie es
euch besser
erscheint”
übersetzt ist. Dabei bleibt zu beachten, daß die Setzung oder Nicht-Setzung
des Pronomens in der Gelati-Bibel immer an das jeweilige griech. Muster
angelehnt sein kann, so daß die Aussagekraft derartiger Beispiele nicht
überschätzt werden darf; hierzu bedarf es allerdings noch weitergehender
Untersuchungen.
18
Insgesamt ergibt sich aufgrund des vorliegenden Materials für die
Sprache der Gelati-Bibel (und der Mcxeta-Bibel, soweit sie von ihr abhängt)
folgende tentative Regel:
-q̇e erscheint als verdeutlichendes Kennzeichen
der Pluralität eines indirekten Objekts der 2. oder 3. Person bei inversiv
konstruierten Verben dann, wenn der Numerus ansonsten ambig bliebe;
Doppeltsetzung innerhalb desselben Satzes wird vermieden.
-q̇e verhält sich
damit durchaus anders als das Kennzeichen
-t, dessen Setzung bei gegebener Pluralität immer obligatorisch ist.
Von den bis jetzt zur Verfügung stehenden 45 einschlägigen Bibelversen fallen lediglich zwei aus dem Rahmen, indem das betr. Verbum hier
nicht als inversiv aufgefaßt werden kann und
-q̇e bei ihnen nicht auf ein als
Subjekt auffaßbares Dativelement verweist. Dies ist zum einen die Stelle Ez.
11,17, wo der griech. Imperativ εἰπόν “sage” durch
arku-q̇e wiedergegeben
ist. Daß
-q̇e an der gegebenen Stelle tatsächlich auf die Pluralität eines
indirekten Objekts (“sage ihnen”) hinweist, obwohl ein solches im griech.
Text nicht angedeutet ist (διὰ τοῦτο εἰπόν· ...), erweist ein Blick auf die
Ošḳi-Bibel, wo statt dessen explizites
arku mat “sage
ihnen” erscheint.
Bemerkenswert ist nun, daß gemäß der Septuaginta dieselbe Einleitungsformel auch für den vorangehenden Vers (11,16) zu erwarten wäre; hier
haben die Gelati- und die Mcxeta-Bibel jedoch einfaches
arku.
19 Die Verwendung von
-q̇e in 11,17 kann deshalb schwerlich allein auf das Prinzip
der Disambiguierung zurückgeführt werden. Wenn es sich bei dem Wechsel
zwischen
arku und
arku-q̇e nicht einfach um eine variatio sermonis handelt,
könnte hier vielmehr eine Art emphatischer Gebrauch vorliegen, der an die
von den älteren Grammatikern behauptete “affirmative” Funktion erinnert.
Der zweite Ausnahmefall ist die Stelle Hos. 4,10, wo an der Stelle von
griech. ἐπόρνευσαν “sie haben gehurt” die Form
mrušobden-q̇e erscheint.
Will man nicht annehmen, daß das ansonsten offenbar nicht bezeugte statische Verbum
-mrušob- “huren” mit
-ob-Präsensstamm (als Ableitung von
mruše- “Ehebrecher”) ein Objekt (sc. “mit ihnen”) impliziert, so bleibt nur
die Annahme, daß
-q̇e hier entsprechend der zweiten in den Wörterbüchern
erfaßten Funktion in den modernen georg. Dialekten eine gewohnheitsmäßige Handlung bezeichnet (“sie hurten immer wieder”). Gestützt wird
diese Annahme dadurch, daß das Verbum selbst, so wie auch das den gleichen Vers einleitende
sč̣amden “sie aßen”, im Imperfekt steht, das ohnehin
mit der Habitualisfunktion verknüpft ist. Die Mcxeta-Bibel steht in dieser
Hinsicht übrigens dem Text der Septuaginta entgegen, der neben dem Aorist
ἐπόρνευσαν “sie hurten” mit ϕάγονται “sie essen” eine Präsensform
aufweist; sie deckt sich hingegen mit der Ošḳi- und der Jerusalemer Bibel,
die neben
č̣amden “sie aßen” das mit
mrušobden synonyme
isiʒviden “sie
hurten” verwenden.
Daß
-q̇e ein Merkmal des Sprachgebrauchs der Gelati-Bibel ist, ohne
gleichzeitig für alle Angehörigen der Gelati-Akademie, aus der diese hervorgegangen ist, charakteristisch zu sein, wurde jüngst von D. Melikišvili
herausgestellt.
20 Einer der Texte dieser Schule, der ebenfalls zahlreiche
Beispiele für
-q̇e erbringt, ist die Übersetzung der Werke des Neoplatonikers
Ammonius.
21 Hier finden wir hauptsächlich die Form
akus-q̇e (“sie haben” ≈ griech. ἔχουσι: 14,9 / Busse 1891: 13,15; ≈ ἔχον: 25,29 / 27,26
u.ö.
22), daneben zweimaliges
hnebavs-q̇e “sie wollen” (≈ βούλονται:
47,17 / 58,12 und ≈ ἐϑέλει: 114,16 / Busse 1895: 24,11). Der letztere Beleg
ist wiederum bemerkenswert, weil der Form
hnebavs-q̇e hier einfaches
hnebavs in identischer Konstruktion vorausgeht:
tanmosaxeleta vidreme q̇ovlad
sruli ziarebay saxelisay hnebavs konebad, xolo saxelmodgamta da ganq̇opilebayca rayme hnebavsq̇e “
Homonyme wollen ganz und gar völlige
Übereinstimmung in der Form (wtl. `des Namens')
haben,
Paronyme
jedoch
wollen auch einen gewissen Unterschied” (≈ τὰ μὲν γὰρ ὁμώνυμα
παντελῆ ϰοινωνίαν ἐϑέλει ἔχειν αὐτοῦ τοῦ ὀνόματος, τὰ δὲ παρώνυμα
ϰαὶ διαϕορὰν ἐϑέλει τινὰ ἔχειν). Anders als im Falle der oben behandelten
Formen
arku-q̇e und
arku liegt hier ein deutlicher, durch
xolo “jedoch”
explizit gemachter Kontrast vor, dem möglicherweise durch
-q̇e zusätzlicher
Nachdruck verliehen wird.
Nicht ganz klar ist in der Ammonius-Übersetzung der Bezug der Form
šeemtxwos-q̇e (152,15), die in einem gegenüber der griech. Vorlage ausführlicher ausgestalteten Kontext erscheint und für die keine Entsprechung
existiert.
-q̇e scheint sich dabei auf die an der gegebenen Stelle thematisierten Gegensätze zu beziehen, könnte aber auch die sie diskutierenden Philosophen meinen:
mermeca uḳuetu iq̇vnen didi da mcire c̣inaaġmdgomeb,
šeemtxwosq̇e egretveobit mq̇is tanad mitualvay c̣inaaġmdgomtay sxuay
qel-q̇opay šeuʒlebelisa mimart zedganq̇vanebisa ʒlit “Ferner, wenn groß
und klein Gegensätze wären, so wäre es
für sie (?) angebracht, ebenso
noch eine andere Konsequenz der Gegensätze zu betrachten, (nämlich)
hinsichtlich des Führens in das Unmögliche” – Im griech. Text heißt es
lapidar: ῎Ετι δὲ εἰ ἔσται τὸ μέγα ϰαὶ τὸ μιϰρόν. ῞Ετερον ἐπιχείρημα διὰ
τῆς εἰς ἀδύνατον ἀπαγωγῆς.
Aus dem Rahmen fällt in der Ammonius-Bearbeitung lediglich die
Wortform
rad-q̇e, die einmal an der Stelle von griech. τίνα “wen” erscheint
(15,24 / Busse 1891: 14,25). Der griech. Satz εἰς πόσα μὲν οὖν ϰαὶ τίνα τὸ
ϑεωρητιϰὸν διαιρεῖται ϰαὶ τί ἔχει πέρας, ἐϰ τῶν εἰρημένων δῆλον ist
dabei nahezu wörtlich wiedergegeben:
ac̣ uḳue raodenad da radq̇e mxedvelobiti ganic̣valebis da ray akus dasasrulad, tkumultagan cxad-ars “Um
wieviel nun aber und
um was sich das zu Betrachtende unterscheidet und
was es als Grenze hat, ist aus dem Gesagten klar”. Auch wenn τίνα eigentlich “wen” bedeutet, kann
rad-q̇e doch nichts anderes enthalten als den
Adverbial des Interrogativpronomens
ra- “was” (≈ griech. τί).
-q̇e erschiene hier somit erstmalig an eine Nominalform angefügt; ein Fall, der von
Anṭoni I. kategorisch ausgeschlossen wurde (s. oben Anm. ). Welche
Funktion es dabei innehat, muß vorerst offenbleiben; es sei aber festgehalten, daß der betreffende Satz mit
ac̣ uḳue “nun aber” eingeleitet ist, das bei
Šanšovani mit
-q̇e gemeinsam in einer Gruppe von “Konjunktionen” behandelt wurde (s. oben S. ).
Schon das eingangs zitierte Beispiel aus dem Visramiani hat gezeigt,
daß sich der Gebrauch von
-q̇e in älterer Zeit nicht auf die Gelati-Schule beschränkte. Im Falle des Visramiani-Belegs fällt allerdings auf, daß dieser der
einzige in dem gesamten Werk ist und der betr. Satz zudem keine Entsprechung in der persischen Vorlage hat (s. bereits oben Anm. ). Da er andererseits offenbar ohne handschriftliche Variation überliefert ist,
23 wird man
daraus freilich nicht schließen dürfen, daß es sich um einen sekundären,
möglicherweise nicht vom Übersetzer selbst stammenden späteren Zusatz
handeln könnte. Daß
-q̇e zur Entstehungszeit des Visramiani in der Sprache
der schöngeistigen weltlichen Literatur existierte, erweist sich darüber
hinaus an einigen wenigen Belegen, die wir dem aus derselben Epoche
stammenden, einem Autor namens Čaxruxaʒe zugeschriebenen Preislied auf
die Königin Tamar entnehmen können. Diese lassen sich allerdings kaum
als Zeugen für die bisher beobachteten Gebrauchsweisen beanspruchen,
wobei zu berücksichtigen ist, daß das mit Wortspielen und dunklen Anspielungen abundierende “Tamariani” sowohl inhaltlich wie sprachlich
erhebliche Verständnisprobleme bereitet.
Relativ klar ist noch die Einordnung der beiden Formen
učns-q̇e und
čans-q̇e, die beide dem bereits oben behandelten Verbum der Bedeutung
“erscheinen” zugehören. Dabei stellt sich
učns-q̇e unmittelbar zu dem in
Jer. 26 [33],14 auftretenden
(umǯobes-)gičns-q̇e “euch scheint (am besten)”, von dem es sich lediglich durch die Objektsperson unterscheidet;
jedoch ist im gegebenen Fall keine Pluralität derselben (“ihnen scheint”)
nachweisbar, das Objekt ist vielmehr eine Einzelperson namens
sala (Strophe VII / 43, 24 der Ausgabe Lolašvili 1957):
salas salmobad / učns-q̇e
dalmobad // sxvatatvis xel-kmna / lxin-unaxevad. Auch wenn die hier gemeinte Person nicht bekannt ist,
24 läßt sich die Strophe doch etwa wie folgt
übersetzen: “Es
erscheint Sala (dat.) als Übel, als Kummer, // für andere
(als Tamar) Hand anzulegen, als freudlos.”
Die Form
čans-q̇e tritt in einer Strophe auf, die sich auf die biblische
Episode von Samson und Delila (Ri. 16) bezieht
25 (VII / 42, 18) und dabei
ganz ähnlich konstruiert ist wie die soeben behandelte:
sampson ṗalaṭad /
čans-q̇e ġalaṭad, // tavi dalitas / ganaṗarsevad. Verschiedene Elemente der
Episode treten hier deutlich zutage: Samson (
sampson) wird von Delila
(
dalita für *
dalila26) immer wieder vorgeworfen, er täusche sie (
ġalaṭi
“Verrat, Betrug”), und letztlich schert sie ihm den Kopf (
tavi) kahl (
gan-ṗars-), um seine Kraft zu brechen. Dennoch ist der Bau der Strophe unklar,
was auch für die Konstruktion von
čans-q̇e gilt; die folgende Übersetzung
bleibt deshalb tentativ: “Samson
erscheint im Palast zum Betrug (?), //
(sein) Kopf als von Delila kahlgeschoren.”
27 Entscheidend ist, daß die
Form
čans normalerweise als einaktantig-intransitiv zu gelten hat
28 (“er /
sie / es erscheint”) und so auch in der unmittelbar vorangehenden Strophe
(VII / 42, 17) begegnet, die sich auf die ebenfalls alttestamentliche Episode
von Judith und Holofernes (Jud. 12-13) bezieht:
ivditis mc̣q̇dari / ars švidgzis mcdari // rome čans šengan / ar monaḳlevad.
29 – “Der von Judith
Getötete ist einer, der sich siebenfach geirrt hat, // weil er nicht als von dir
umgebracht
erscheint.”
Möglicherweise ist die Setzung von
-q̇e im gegebenen Kontext wiederum dadurch bedingt, daß dieselbe Verbalform hier zweimal unmittelbar aufeinanderfolgt. Es bleibt noch zu berücksichtigen, daß sowohl für
čans-q̇e als
auch für
učns-q̇e anstelle von
-q̇e auch Lesarten mit
-ve “ebenfalls” existieren, die als spätere lectiones faciliores außer Acht bleiben können, eventuell
aber andeuten, wie
-q̇e im gegebenen Kontext aufzufassen ist.
30
Weichen schon die beiden bisher behandelten Belege aus dem Tamariani
von den üblichen Gebrauchsweisen ab, so gilt dies umso mehr für einen
dritten Beleg, bei dem
-q̇e nicht mit einer Verbalform, sondern mit einem
Eigennamen verbunden ist. Die Rede ist von Eprem, dem Vater von Tamars
Gatten Davit Soslan, sowie dem von diesem gezeugten Sohn Tamars, Laša
Giorgi (I / 9, 21):
romlisa ʒeman, / ubindod mzeman, // laša-q̇e gimzo /
c̣armartebulad. – “(Eprem,) dessen Sohn (Davit), (selbst) eine Sonne,
ungetrübt //
Laša für dich (Tamar) hat wie eine Sonne aufleuchten lassen,
zum Gedeihen.”
31 In seiner syntaktischen Struktur erinnert dieser Vers
stark an die beiden einzigen Belege für
-q̇e, die Rustavelis Epos Vepxisṭq̇aosani aufweist. Auch hier ist
-q̇e jeweils mit einem Nomen verbunden,
auf das unmittelbar eine Verbalform folgt. Des besseren Verständnisses
halber seien die beiden Verse hier jeweils in ihrem Strophenkontext wiedergegeben (76 bzw. 526 der Ausgabe Baramiʒe, Ḳeḳeliʒe & Šaniʒe 1957):
cxenta matta naṭerpalni mzesa šukta c̣auxmides,
mihxocdes da miisrodes, mindors sisxlta miasxmides;
ra isari daelivis, monani-q̇e moartmides.
da mxecni, matgan daḳodilni, c̣aġma biǯsa ver c̣asdgmides.
“Die Spuren ihrer Pferde verdunkelten die Strahlen der Sonne,
sie metzelten nieder und schossen um sich, übergossen die Flur mit Blut;
wenn ihnen der Pfeil ausging, legten
die Knappen nach.
Das Wild, von ihnen verwundet, wich keinen Schritt mehr zurück.”
gaxsovs, odes “hais” hzmidi, cremlni šenni velta hbandes,
mḳurnalni da dasṭakarni c̣amalsa-q̇e mogiṭandes?
mamacisa sicruesa, neṭar, sxvani ramca hgvandes!
da ratgan damtme, meca dagtmob. vinʒi upro daziandes!
“Erinnerst du dich, als du `weh' riefst, deine Tränen die Fluren benetzten,
Ärzte und Chirurgen dir
Arznei brachten?
Was denn anderes wohl könnte der Lüge eines Mannes gleichen!
Da du mich aufgabst, gebe auch ich dich auf. Wem schadet es wohl mehr?”
In beiden Fällen implizieren die beteiligten Verbalformen indirekte Objekte:
Die Knappen überreichen die Pfeile den jagenden Herren (Rosṭevan und
Avtandil), die Ärzte bringen die Arznei dem Angesprochenen (Ṭariel). Es
läge deshalb nahe, hier eine Art von Tmesis zu vermuten, bei der aufgrund
der Versstruktur das normalerweise an Verbformen antretende
-q̇e statt
dessen an das voranstehende Nomen angefügt worden wäre. Bei dieser
Annahme könnte
-q̇e jedoch nur im ersten Beleg als Kennzeichen einer
Pluralität des indirekten Objekts aufgefaßt werden,
32 da dasjenige von
mogiṭandes eben ein singularisches “dir” ist.
33 Bei der Annahme einer ursprünglichen, durch Tmesis verdunkelten Zugehörigkeit zu den Verben läßt
sich
-q̇e in beiden Fällen jedoch auch anders motivieren: Da es sich bei
beiden Verbalformen um Imperfekta handelt, könnte
-q̇e hier im Sinne der
Habitualisfunktion gedeutet werden; die genaueste deutsche Entsprechung
wäre dann “jeweils” (georg.
xolme). Sollte diese Annahme zutreffen, so
hätte dies übrigens eine bemerkenswerte Konsequenz für die Analyse von
-q̇e: Da Tmesis bei Rustaveli ansonsten typischerweise Präverbien betrifft,
niemals jedoch personenbezogene Affixe, ließe sich somit ein weiterer
Unterschied zwischen
-q̇e und dem Affix
-t etablieren.
Auch für den zuletzt behandelten Beleg aus dem Tamariani ließe sich
eine solche Tmesis annehmen, wobei
-q̇e ursprünglich zu der Verbalform
gimzo und nicht zu dem Namen
laša gehören würde. Im Gegensatz zu den
beiden Versen aus dem Vepxisṭq̇aosani kommt dabei jedoch keine Habitualisfunktion in Betracht, da
gimzo Aorist und nicht Imperfekt ist und der
durch das Verb umschriebene Sachverhalt der Zeugung eines Sohnes (“er
hat ihn dir zur Sonne gemacht”) gerade als ein einmaliger Vorgang anzusehen ist. Welche Funktion
-q̇e hier zukommt (
pluralis maiestatis, bezogen
auf die Königin?), muß also vorerst offenbleiben.
Literatur
Abulaʒe, Ilia 1974. Ʒveli kartuli enis leksiḳoni (masalebi). Tbilisi: Mecniereba.
Amaschukeli, Nelly und Natella Chuzischwili (Übers.) 1991. Wis und
Ramin. Roman einer verbotenen Liebe im alten Persien. Herausgabe,
Redaktion und Nachwort von Elke Erb. Leipzig: Reclam.
Anṭoni I. Ḳataliḳosi 1885. Kartuli grammaṭiḳa. Ṭpilisi [Erstausgabe].
— 1998. dasselbe, ed. Al. Pocxišvili, Tbilisi.
Baramiʒe, Al(eksandre), Ḳeḳeliʒe, Ḳ(orneli) und A(ḳaḳi) Šaniʒe (Hgg)
1957. Šota Rustaveli, Vepxisṭq̇aosani. Tbilisi: Saxelgami.
Boeder, Winfried 1989. “Verbal person marking, noun phrase and word
order in Georgian”, in: Marácz, László und Pieter Muysken (Hgg).
Configurationality. The Typology of Asymmetries. Dordrecht / Providence, R.I.: Foris Publications. (Studies in Generative Grammar, 34.),
159-184.
Brosset, Marie-Félicité 1837. Éléments de la langue géorgienne. Paris:
Société Asiatique.
Busse, Adolfus (Hg) 1891. Ammonius in Porphyrii isagogen sive quinque
voces. Berlin: Reimer. (Commentaria in Aristotelem Graeca, 4,3).
— 1895. Ammonius in Aristotelis categorias commentarius. Berlin: Reimer.
(Commentaria in Aristotelem Graeca, 4,4).
Cagareli, Aleksandre (Hg) 1881. Moḳle ġrammaṭiḳa kartulisa enisa, kmnuli
Zurab Šanšovanisagan 1737 c̣elsa. Sanḳt-P̣eṭerburġi: Sṭamba saimṗeraṭoro aḳademiisa mecnierebata (sic!).
Čikobava, Arnold 1941. “Marṭivi c̣inadadebis evoluciis ʒiritadi ṭendenciebi
kartulši”, Sakartvelos SSR Mecnierebata Aḳademiis Moambe 2: 562 ff.
— (Hg) 1962. Kartuli enis ganmarṭebiti leksiḳoni. Ṭomi VII: p, k, ġ, q̇, š.
Tbilisi: Sakartvelos SSR Mecnierebata Aḳademiis gamomcemloba.
Ckiṭišvili, Tinatin (Hg) 1976. Ezeḳielis c̣ignis ʒveli kartuli versiebi. Tbilisi:
Mecniereba.
Čubinašvili, Davit 1840. Gruzinsko-russko-francuzskij slovar'. Sanktpeterburg.
— 1887. Gruzino-Russkij slovar', vnov' sostavlennyj. Sanktpeterburg:
Imperatorskaja Akademija Nauk.
— 1984. Kartul-rusuli leksiḳoni. Meore gamocema, aġdgenili opseṭis c̣esit,
(Hg) Aḳaḳi Šaniʒe. Tbilisi: Sabč̣ota Sakartvelo.
Dočanašvili, Elene (Hg) 1981-1986. Mcxeturi xelnac̣eri. [1.] Moses xutc̣igneuli, iso nave, msaǯulta, ruti. 1981. [4.] Eḳlesiasṭe, sibrʒne solomonisa, keba kebata solomonisa, c̣inasc̣armeṭq̇velta c̣ignebi – esaia,
ieremia, baruki, ezekieli. 1985. [5.] Danielis, mcire c̣inasc̣armeṭq̇velta
da axali aġtkmis c̣ignebi. 1986. Tbilisi: Mecniereba.
Dressler, Wolfgang 1968. Studien zur verbalen Pluralität. Wien: ÖAdW.
(Phil.-hist. Kl., Sitzungsber., 259/1.)
Gigineišvili, Bakar et al. (Hgg) 1989-1991. C̣ignni ʒvelisa aġtkumisani. 1:
Šesakmisay, gamoslvatay. 1989. 2: Leviṭeltay, ricxutay, meorisa sǯulisay. 1990. 3: Iso navesi, msaǯultay, rutisi. 1991. Tbilisi: Mecniereba.
Gippert, Jost 1993. Iranica Armeno-Iberica. Studien zu den iranischen
Lehnwörtern im Armenischen und Georgischen. Wien: ÖAdW. (Phil.-hist. Kl., Sitzungsber., 606 / Veröffentlichungen der Kommission für
Iranistik, 26.)
Gvaxaria, Aleksandre und Magali Todua (Hgg) 1962. Visramiani. Tbilisi:
Sakartvelos SSR Mecnierebata Aḳademiis gamomcemloba.
Ḳeč̣aġmaʒe Natela und Maia Rapava (Hgg) 1983. Amonios Ermisis txzulebebi kartul mc̣erlobaši. Tbilisi: Mecniereba.
Ḳiziria, Anṭon 1985. “Obiekṭis mier zmnis šetanxmeba mravlobit ricvxši tanamedrove kartulši”, Iberiul-ḳavḳasiuri enatmecniereba 24: 100-112.
Ḳoṭinovi, Nora (Hg) 1986. Ioane Bagraṭioni, Ḳalmasobiseuli kartuli gramaṭiḳa. Tbilisi: Mecniereba.
Lolašvili, Ivane (Hg) 1957. Ʒveli kartuli mexoṭbeni. I. Čaxruxaʒe, Keba
mepisa tamarisi. Tbilisi: Sakartvelos SSR Mecnierebata Aḳademiis
gamomcemloba.
Marr, Nikolaj Jakovlevič (Hg) 1902. Drevnegruzinskie odopiscy (XII v.). I.
Pěvec Davida Stroitelja. II. Pěvec Tamary. Sankt-Peterburg: Fakul'tet
vostočnyx jazykov Imperatorskago Universiteta. (Teksty i razyskanija
po armjano-gruzinskoj filologii, 4.)
Melikišvili, Damana 2000. “K voprosu lingvo-stilističeskoj obščnosti i
individual'nosti Telavskoj literaturno-teologičeskoj školy”, Skript des
Vortrags auf dem Xth Caucasian Colloquium, München, 3.8.2000.
Müller, Friedrich 1868. Zur Conjugation des georgischen Verbums. Wien:
Kaiserliche AdW (Phil.-hist.Cl., Sitzungsber., 60. Bd., 151-164.)
Nataʒe, Nodar (Hg) 1992. Šota Rustaveli, Vepxisṭq̇aosani. me-4e ševsebuli
gamocema. Tbilisi: Ganatleba.
Niḳolaišvili, Elene (Hg) 1970. Gaioz Rekṭori, Kartuli ġrammaṭiḳa. Tbilisi:
Mecniereba.
Orbeliani, Sulxan-Saba 1884. Leksiḳoni kartuli. Ṭpilisi: Arsen Ḳalandaʒe.
— 1965-1966. Leksiḳoni kartuli, 1-2. = Txzulebani otx ṭomad, ṭomi IV/1,
IV/2. Tbilisi: Sabč̣ota Sakartvelo.
— 1966. Leksiḳoni kartuli. C̣igni 1. Tbilisi: Sabč̣ota Sakartvelo.
Q̣ipiani, Dimiṭri 1882. Axali kartuli grammaṭiḳa. Sanḳṭ-P̣eṭerburġi: Samecniero Aḳademiis sṭamba.
Schuchardt, Hugo 1896a. Über den passiven Charakter des Transitivs in
den kaukasischen Sprachen. Wien: Kaiserliche Akademie der Wissenschaften. (Phil.-hist. Cl., Sitzungsber., 133. Bd.)
— 1896b. “Georgisches -qe”. Mélanges Charles de Harlez. Recueil de
travaux d'érudition offert à Mgr. Charles de Harlez à l'occasion du
25e anniversaire de son professorat. Leyde: 278-280.
Todua, Magali und Aleksandre Gvaxaria (Hgg) 1970. Vīs va Rāmīn of
Fakhr al-dīn Gorgānī. Persian critical text. Tehran: Iranian Culture
Foundation.
Tschenkeli, Kita 1974. Georgisch-deutsches Wörterbuch. Nach dem Tode
des Verfassers fortgeführt von Yolanda Marchev unter Mitwirkung von
Lea Flury, Ruth Neukomm und Victor Nosadzé. Bd. I-III. Zürich:
Amirani.