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Dies ist eine Internet-Sonderausgabe des Aufsatzes
„Zur Metrik der Gathas“
von Jost Gippert (1986).
Sie sollte nicht zitiert werden. Zitate sind der
Originalausgabe in
„Die Sprache“ 32, 1986, 257-275
zu entnehmen.

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This is a special internet edition of the article
„Zur Metrik der Gathas“ [„Gathic metrics“]
by Jost Gippert (1986).
It should not be quoted as such. For quotations, please refer to the original edition in
„Die Sprache“ 32, 1986, pp. 257-275.




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Jost Gippert, Frankfurt 1999-2001





Zur Metrik der Gathas



0.1. Die Gathas des Zarathustra unterscheiden sich von den übrigen Teilen des avest. Textcorpus bekanntlich nicht nur in sprachlicher Hinsicht, sondern auch durch die spezifischen metr(ischen) Formen, in denen sie abgefaßt sind1.
Auf der metr. Gestalt beruht offenbar die Anordnung in Gruppen (= „Gāthās“), in der uns die einzelnen Lieder überliefert sind; nach heutigem Konsens gelten die folgenden Grundschemata2:

      1: Gāϑa ahunavaiti (Y.28-34; im folgenden GA):
            11/11/11/22/16 Strophen à 3 Verse à 7+9 Silben;
      2. Gāϑa uštavaiti (Y. 43-46; GU):
            16/20/11/19 Strophen à 5 Verse à 4+7 Silben:
      3. Gāϑa spəṇtā.mainiiuš (Y. 47-50; GSM):
            6/12/12/11 Strophen à 4 Verse à 4+7 Silben;
      4. Gāϑa vohu.xšaϑra (Y.51; GVX):
            22 Strophen à 3 Verse à 7+7 Siiben;
      5. Gāϑa vahištōištiš (Y.53; GVI):
            9 Strophen à 4 Verse, je 2 x 7+5 / 7+7+5 Silben.

Diese Grundschemata treten allerdings nicht in jedem Fall eindeutig zutage; oft ist man gezwungen, die erwartete Silbenzahl durch Zerdehnungen von Langvokalen o.ä. herzustellen. Obwohl die theoretischen Grundlagen für dieses Verfahren heute durch die Erkenntnisse der Sprachvergleichung weitgehend gesichert sind3, bleibt letztlich fraglich, wie exakt die Schemata als metr. Plan bei der Abfassung der Texte bestanden haben. Als stabilste können noch die Verstypen von 4 + 7 und 7 + 7 Silben gelten, während v.a. die zweiten Halbverse der GA ein stärkeres Schwanken zeigen (von 8 bis 10 Silben)4.

0.2. Die enge sprachliche Affinität des Avest. zum ved. Altind. legte es nahe, auch in den Metren der beiden Sprachen nach verwandten Zügen zu suchen. Dabei fiel der Blick naturgemäß schon bald auf die elfsilb. Verse der GU und GSM, denen sich einer der charakteristischsten ved. Verstypen, die ebenfalls elfsilb. Zeile der Triṣṭubhstrophe, gegenüberstellte; als übereinstimmend wurde nicht nur die Silbenzahl erkannt, die sich in der GSM sogar auf die gesamte Strophe erstreckte, sondern als zweites Formelement auch noch die interne Zweispaltung des Verses durch eine Zäsur, die im Avest. generell, im Ved. sehr häufig hinter der vierten Silbe auftritt5.
Diese Übereinstimmung wurde dann umgekehrt sogar wieder argumentativ für die interne Chronologisierung verschiedener ved. Versformen verwendet: Eben weil im Avesta die Zäsur generell nach der 4. Silbe erscheint, sei unter den Abarten der ved. Elfsilbler der mit der entsprechenden Zäsur der ältere; ferner sei die zwölfsilb. Jagatīzeile, die sich vom Triṣṭubhvers nur durch die um eine Silbe verlängerte Kadenz auszeichnet, als sekundär anzusehen6.
0.3. Gleichzeitig wurde aber auch ein gewichtiger Unterschied zwischen der avest. und der ved. Metrik festgestellt: Der ved. Vers ist durch ein quantitierendes Schema charakterisiert, das zwar nicht stringent angewandt erscheint, v.a. in der Verskadenz jedoch eindeutige Präferenzen zeigt; das Grundschema der Triṣṭubhzeile (mit Zäsur nach der 4.Silbe) wird gemeinhin wie folgt angegeben7: ×–∪–∣∪∪––∪–×∣. Demgegenüber widersetzte sich das Metrum der Gathas bisher jeglichem Bemühen, ein quantitierendes System zu entdecken; das betrifft v.a. auch die Versausgänge8. Diese Divergenz wurde unter Beibehaltung der historischen Identifikation teilweise so gedeutet, daß das Avest. die quantitative Grundstruktur eines im Ved. erhaltenen uridg. Metrums aufgegeben habe9; teilweise wurde umgekehrt angenommen, daß ein durch die avest. Metrik repräsentierter rein silbenzählender Versbau der ursprüngliche sei, aus dem sich der quantitierende des Ved. erst entwickelt habe10.
0.4. Völlig ablehnend trat der Identifikation des gath. und ved. Elfsilblers erst J. Kuryłowicz entgegen11. Seine Hauptthese ist, daß es rein silbenzählende Metren nicht gibt12; das avest. Metrum sei vielmehr akzentuierend, und soweit die Silbenanzahl der Verse konstant sei, könne dies nur als eine sekundäre, redundante Begleiterscheinung angesehen werden13. Da der Unterschied zwischen dem avest. und dem ved. Versbau damit geradezu systemhaft sei, schließe sich eine historische Vergleichung einzelner Versformen a priori aus14. Da K(uryłowicz)s Ausführungen auf einem wohldurchdachten theoretischen Konzept von Metrik beruhen15, verdienen sie es, hier kurz nachvollzogen zu werden.


0.4.1. K.s Ausgangspunkt ist die Neutralisation auslautender Kurz- und Langvokale, die sich für ihn hinter der konstanten Langschreibung beider im Gath. verbirgt. Diese Neutralisation deute darauf hin, daß das Gath. wie auch das Altpers. bereits einen fixen Wortakzent entwickelt habe, den „freien“ Akzent des Indoiran. also aufgegeben habe16; dabei sei der Akzent generell auf die Paenultima gefallen. Für das Metrum sei dies dadurch entscheidend, daß somit jede Verseinheit, die auf ein mehrsilbiges Wort geendet habe, automatisch eine feste Kadenz erhalten habe, was ein notwendiges Element metrischer Strukturen sei: man vgl. Wortstrukturen des Typs ×́×, ××́×, ×××́× etc.17. Das gleiche gelte aber auch für Versenden, in denen einsilbige Wörter stehen, da diese mit dem vorhergehenden Wort eine Akzenteinheit eingingen, wobei der Akzent ebenfalls auf die vorletzte Silbe trete; so z. B. ×́× × > ××́ ×18.
0.4.2. Da in mehr als dreisilbigen Wörtern ein Nebenakzent auf die viertletzte Silbe falle, der den Versiktus übernehmen kann, ergebe sich weiter, daß der häufigste Teilvers der Gathas immer genau drei Ikten trage; ferner enthielten auch der viersilb. Verseingang der GU und GSM sowie die fünfsilb. Teilverse der GVI stets die gleiche Anzahl von Ikten, nämlich zwei. Während bei diesen Verseinheiten also konstante Iktenzahl und Isosyllabizität zusammenträfen, zeige sich der Primat der ersteren und damit der akzentuierende Charakter des gath. Metrums überhaupt an den nicht isosyllabischen zweiten Teilversen der GA: K. geht von 8-, 9- oder 10silbigen Einheiten aus, deren metr. Äquivalenz nur durch die konstante Anzahl von (wiederum drei) Ikten gegeben sei.
0.4.3. Dabei ist zu bedenken, daß die kleineren gath. Versteile den 8- bis 10silb. bei Zugrundelegung der K.schen Annahmen nicht nur durch ihre Isosyllabizität gegenüberstehen, sondern auch aufgrund eines inneren Gleichgewichts: Drei ist nicht nur die Höchstzahl der möglichen Ikten, die auf sieben Silben fallen können19, sondern gleichzeitig auch die Mindestzahl, und entsprechendes gilt für die zwei Ikten der 4- und 5silb. Einheiten; demgegenüber stellt drei für die möglichen Ikten in einem 8silb. Stück nur die Mindestmenge dar (vgl. z.B. ×́× ××́× ××́×), nicht aber die Höchstmenge (vgl. z.B. ×́× ×́× ×́× ×́×).
Deshalb muß K. für die zweiten Versteile der GA eine Sonderbehandlung annehmen: im Gegensatz zn den „gleichgewichtigen“ Einheiten träten hier Akzente auf, die keinen Iktus tragen; dies betreffe v.a. Nebenakzente längerer Wortformen, aber auch die ursprünglichen Hauptakzente gewisser Wortkategorien, die am Eingang des Teilverses proklitisch würden („Anakruse“)20.
0.5. Selbst wenn man K.s Prämissen und seine synchrone Deutung des gath. Versbaus als zutreffend unterstellt, erhebt sich die Frage, ob die Unterschiede zwischen dem avest. und dem ved. metrischen System tatsächlich so gravierend sind, daß eine Vergleichung gegebener metrischer Formen wie z.B. der jeweiligen elfsilbigen Verse von vornherein sinnlos ist. Es wäre ja in Analogie zum allgemeinen Sprachwandel immerhin denkbar, daß neue metrische Strukturen ihr Dasein einer Reanalyse ererbter Strukturen verdanken. In unserem Falle könnte das bedeuten, daß (voravest.) iran. Traditoren zu einem Zeitpunkt, als ihre Sprache den freien Akzent des Urindoiran. aufgegeben hatte, überlieferte metrische Formen, die nach einem quantitierenden Prinzip gedichtet worden waren, als Verse mit akzentuierendem Schema aufgefaßt hätten; z.B. hätte die Kadenz einer „ved.“ Triṣṭubhzeile, deren Charakteristikum die Länge in der vorletzten Silbe ist, als eine Kadenz mit betonter vorletzter Silbe uminterpretiert werden können. Bei einem solchen histor. Ablauf wäre nun zu erwarten, daß sich durch die formelhafte Übernahme und Wiederverwendung ererbten Materials auch in solchen poetischen Produkten, die nach dem abgeleiteten, „neuen“ akzentuierenden Schema geschaffen wurden, Reminiszenzen an das „alte“ quantitierende Systern aufspüren lassen müßten. Von dieser Erwartung gehen die folgenden Überlegungen aus21.

1. Oben (0.3.) wurde für den ved. Triṣṭubhvers das Grundschema ×–∪–∣∪∪––∪–×∥ angesetzt; die häufigste Variante dieses Grundschemas hat eine Zäsur nach der fünften Silbe: ×–∪–×∣∪∪–∪–×∥. Beide Schemata kennen zahlreiche Untervarianten, wobei v.a. die sog. „Synkope“ im Eingangsteil zu nennen ist: Wenn die 2. Silbe kurz ist, ist die 3. lang22. Das auffälligste Charakteristikum des gesamten Verses ist das Mittelstück nach der Zäsur, das in der überwiegenden Zahl der Fälle23 zwei aufeinanderfolgende Kürzen enthält und das wie eine „künstliche“ Unterbrechung der ansonsten „iambischen“ Versstruktur anmutet24.

1.1. Versucht man nun, innerhalb der elfsilbigen Verse der Gathas solche zu finden, die bei einer Übertragung der ved. Verhältnisse dem Grundschema der Triṣṭubhzeile auch nur annähernd gerecht würden, so lassen sich tatsächlich kaum 20 Fälle anführen; bei einer Gesamtzahl von 493 in Frage kommenden Versen eine verschwindend geringe Menge. Nennenswert wäre z.B. Y.45,11a:

yastā daēuuə̄ṇg aparō maṣ̌iiąscā25.


1.2. Nun gibt es es allerdings die Theorie, daß die „Unterbrechung“ des „iamb. Rhythmus“ durch die beiden Kürzen eine erst sekundäre Erscheinung innerhalb der aind. Metrik sei, der eben eine durchgehende iamb. Struktur mit regelmäßiger Abfolge von Längen und Kürzen vorausgegangen wäre. Gegen diese Annahme sprechen aber die folgenden Erwägungen.

1.2.1. Unter der Voraussetzung eines rein iamb. Versaufbaus hätte es gewisse Wortformen gegeben, für die aufgrund ihrer inneren Struktur im Vers kein a priori geeigneter Platz vorhanden gewesen wäre; z.B. solche Formen, die eben zwei aufeinanderfolgende Kurzsilben enthielten: Man denke an einen s-Stamm wie tápas- mit den Kasusformen tápasas oder tápase. Greift man sich nun beliebige Wortformen dieser Struktur heraus und überprüft, an welcher Stelle sie im RV in Triṣṭubhversen erscheinen, so treten mit großer Regelmäßigkeit nur solche Belege zutage, wo sie das Mittelstück bilden; das gleiche gilt für zwölfsilb. Verse. Nach dem o. Gesagten sollte man jedoch auch eine nennenswerte Zahl anderer Belege erwarten, z.B. im Eingangsteil mit „Synkope“. Folgende Aufstellungen sollen den Befund veranschaulichen26:


-s-Stämme:

 vácas-:  T(5)  T(6) T(x)  J(5)  J(6)  J(x)  G
 vácasas:  1  4    1  2    
 vácase:  2  1          
 vácasā:  5  2      1    1
 vácasi:  1            


Vgl. demgegenüber z.B.:

 vácas:      5    8    17
 vácāṃsi:      8    3    1



 mánas-:  T(5)  T(6) T(x)  J(5)  J(6)  J(x)  G
 mánasas:  4  8    1  2    3
 mánasā:  18  14    7  6    6
 mánasi:  1            


Vgl. demgegenüber z.B.:

 mánāṃsi:      2        3


 námas-:  T(5)  T(6) T(x)  J(5)  J(6)  J(x)  G
 námasas:  2    1        
 námasā:  23  36  1  2  13    8
 námase:      1        
 námasi:    1          



-ū-Stamm:

 tanū́-:27  T(5)  T(6) T(x)  J(5)  J(6)  J(x)  G
 tanvàs:  16  5  2  3  4    1
 tanvā̀:  11  11          1
 tanvàm:  13  13  3        4
 tanvè:  3  9  1        3
 tanvì:    2    1      


Vgl. demgegenüber z.B.:

 tanū́ṣu:      6      5  5



-u-Stamm:

 krátu-:  T(5)  T(6) T(x)  J(5)  J(6)  J(x)  G
 krátavas:    2    3      
 krátubhis:  3  4  1  1      1
 krátave:  1            


Vgl. demgegenüber z.B.:

 krátvā:  2  1  19      15  20



Die beh. Formen begegnen also nur 9× nicht in der Stellung in M; dabei handelt es sich in sechs Fällen nicht um Ausnahmen, da M hier durch eine andere Form derselben Struktur vertreten ist wie z.B. ávasā in 1,152,7b (mit námasā in T(1)) oder kṛṇuṣe in 1,123,11b (mit tanvàm in T(3))28. Nur scheinbare Ausnahmen sind auch die Belege von tanvàs in 10,51,2b T(3) bzw. 4c T(4), wo die Form offensichtlich trotz des Svarita zweisilbig zu lesen ist29. Einzige echte Ausnahme bleibt der fin. Dativ námase in 8,25,7c J(8). — Besonders interessant sind in diesem Zusammenhang Formen mit sandhifähigem Anlaut; vgl. z.B.

 ávas-:  T(5)  T(6) T(x)  J(5)  J(6)  J(x)  G
 ávasas:  1  2    2      2
 ávase:  21  19    5  17  5  27
 ávasā:  6  18    3  7  1  8
 ávasi:              2


Vgl. demgegenüber z.B.:

 ávas:  1  2  9  2  5  3  20
 ávāṃsi:      2        2



-a-Stamm:

 ásura-:  T(5)  T(6) T(x)  J(5)  J(6)  J(x)  G
 ásuras:  2  8    3  4    1
 ásura:  5  3    1  1    
 ásuram:    2      1    
 ásurā:  23  36  1  2  13    8
 ásurais:  1            
 ásurasya:  1  7    1  9  1  



Hier ist M sogar in allen 8 „Ausnahmefällen“ durch andere Wörter repräsentiert, die zwei Kürzen zeigen wie z.B. jaṭhárād in 3,29,14d (mit ásurasya in J(2)); auffällig ist dabei die häufige Verwendung von ávase in der Kadenz von J, die jeweils durch einen Sandhi wie ihā́vase (1,35,1 b) ermöglicht wird30. Insgesamt ist jedoch zu konstatieren, daß die Wortformen, die mit zwei aufeinanderfolgenden Kurzsilben beginnen, auch dann die Position M in T (und J) bevorzugen, wenn sie durch vokalischen Anlaut geeignet wären, unter Sandhi eine andere Stellung einzunehmen31.
1.2.2. Aufschlußreich sind weiter Wortformen, bei denen die etymologische Herleitung eine zweisilbige Messung geschriebener Langvokale erwarten läßt. Ein solcher Fall ist z.B. vā́ta- „Wind“ (< uridg. *h2wéh1n̥to-), das bei zweisilbiger Lesung ebenfalls mit zwei Kurzsilben anlauten würde. Das Wort erscheint im RV in folgenden Verspositionen:


   T(5)  T(6) T(x)  J(5)  J(6)  J(x)  G
 vā́tas:  4  4  16    1  4  8
 vā́tasya:  3  2  10      2  7
 vā́tam:  1    2      2  1
 vā́tāya:      2        
 vā́tas:      2      1  6
 vā́tais:      1        
 vā́tā      1        
 vā́tān:32      3        1



In M begegnet das Wort also 15×; dabei ist der Vers 10× unterzählig, was eine Lesung vaata- nahelegt33. Umgekehrt ist unter den Elf- und Zwölfsilblern, wo vā́ta- nicht in M steht, nur einer, der ebenfalls einer Unterzähligkeit verdächtig wäre, nämlich 10,158,1b; das ist einer von 46 Belegen34! Auffällig ist weiter, daß in den fünf Versen, wo vā́ta- in M nicht dreisilbig zu lesen ist, das Wort jeweils mit der Partikel iva verbunden erscheint wie z.B. in 1,79,1b vā́ta iva. Es drängt sich der Verdacht auf, daß diese Kombination an den betr. Stellen35 das gleichbedeutende vā́to ná ersetzt hat, das die zu erwartende Lesung mit zwei Kurzsilben ermöglichen würde36.
Daß somit gerade die als archaisch erkannte Form die Position M bevorzugt, weist m.E. eindeutig darauf hin, daß das durch zwei Kürzen eingeleitete Mittelstück eher alt als jung ist.
1.3. Wenn es sich also wahrscheinlich machen läßt, daß die Folge zweier Kurzsilben (als Charakteristikum des Mittelstücks) ein integraler Bestandteil bereits der ältesten Schicht des aind. Metrums gewesen ist, so wird die Frage aufgeworfen, ob sich evtl. auch in den gath. Versen eine Sonderbehandlung von Wortformen zeigt, die diese Struktur aufweisen. Für die hierzu durchzuführende Untersuchung gilt es natürlich, sich auf Formen zu beschränken, deren Silbenstruktur eindeutig ist. Um einem zirkulären Verfahren vorzubeugen, müssen also zunächst alle Formen ausgeklammert werden, bei denen zwei anlautende Kurzsilben nur deshalb angenommen werden, um die Vollständigkeit eines Verses zu erreichen, oder deren Messung aus anderen Gründen nicht sicher ist. Das betrifft v.a. gewisse Konjunktivformen wie z.B. dāitī = /daati/37; weiter dann Nominalformen wie hizuuā, das in 31,3c dreisilbig, in 45,1e jedoch zweisilbig zu lesen wäre38. Entsprechendes muß ferner für gewisse Ableitungssuffixe gelten wie z.B. das Gerundivsuffix -iia-, das wie in zəuuīm (31,4a) ≈ aind. hávya- meist eine zweisilbige Messung zuläßt, zumindest in einem Fall (aojiiaēšū, 46,12b) jedoch nicht39. Ausgeklammert bleiben außerdem Wortformen mit -š- < urindoiran. -ćš- (wie z.B. tataša ≈ aind. tatakṣa) sowie mit -s- < -ść- (jasatā ≈ aind. gacchata), da denkbar wäre, daß sich die ursprüngliche Konsonantengruppe hier noch durch eine Positionslänge manifestiert; die gleiche Problematik betrifft letztlich Formen, bei denen Vokalquantitäten nicht eindeutig sind40. Es werden also ausschließlich solche Wortformen einbezogen, deren Struktur durch die Erkenntnisse der vergleichenden Grammatik gesichert erscheint; daß dabei oft v.a. die ved. Verhältnisse die Richtschnur bilden, ist methodisch gerechtfertigt, da die Untersuchung ja ausdrücklich auf eine Konfrontation mit ved. Material abzielt. Da der hier zur Verfügung stehende Raum begrenzt ist, beschränken wir die Untersuchung auf dreisilbige Wortformen.
Nach dem o. Gesagten fallen folgende Wortformen des Typs ∪∪× an41:
ahurā, -əm, -ō; aiiaŋhā; aŋhaiti; aparəm; apə̄məm, -ē, -ā; auuaŋhō, -ā, -ē; aurunā; baraitī, barətū; bauuaitī; caraitī; dadaitī; ə̄mauuat̰; fracinas; fraidiuuā; hacaitē; huš.haxā; -iiamaitē; jam-, jimaitī; jə̄naiiō; kərədušā42; manaŋhō, -ā; mrauuaitī; nəmaŋhō, -ā; pourušū; sauuaiiō; sauuaŋhō; srauuaŋhā, -ahī; š́auuaitē; tanuiiē; təmaŋhō; təuuīšī, -īm; vacaŋhā; vaŋhaouuē; vātāī; vīdušē, -ō; vīcinaot̰; vīcirō; vīciϑəm, -ōi; xratauuō; xšaiiehī, -aϑā; yazaitē.
1.3.1. Überprüft man nun, in welchen Positionen diese Formen in gath. Versen erscheinen, so tritt ein verblüffendes Ergebnis zutage: Von den insges. 305 Belegen43 betreffen immerhin 195, das sind ca. 65%, das Ende eines siebensilbigen Halbverses. Innerhalb der „isosyllabischen“ Verstypen von 4+7 Silben (GU und GSM) ist das Verhältnis sogar noch eindeutiger: von 134 Belegen sind 110, i.e. ca. 83% in dieser Position vorzufinden. Eine Präferenz für die Endposition zeigt sich ferner bei den Belegen in den (eher nicht isosyllabischen) zweiten Halbversen der GA: 43 solchen Fällen stehen nur 23 mit anderer Anordnung gegenüber. Eine nennenswerte Kumulation ergibt sich ansonsten nur noch für die Anfangsposition der Siebensilbler: hier sind 27 Belege zu notieren. Tabellarisch kann die Auswertung wie folgt wiedergegeben werden44:

   1. HV  2. HV  (3.HV in GVI)
 Verstyp  Anf.  sstg.  Ende  Anf.  sstg.  Ende  Anf.  Ende
 7-9  3  3  62  2  21  43    
                 
 4-7  3    4  14  3  110    
                 
 7-7  4    13  5  1  5    
                 
 7-5            1    
                 
 7-7-5      3  1    2  1  1


1.3.2. Bevor aus diesem Befund Rückschlüsse gezogen werden können, ist es natürlich notwendig, die Gegenprobe zu machen, ob nicht evtl. alle dreisilbigen Wortformen die Endposition von S in gleichem Maße bevorzugen; eine besonders starke Repräsentierung dreisilbiger Wörter in dieser Position geht nämlich bereits aus den Aufstellungen von J. Kuryłowicz hervor45, wonach 503 von 895, also weit über 50% der S-Verse auf Wörter von drei Silben enden.
Wir überprüfen also zunächst die Wortformen des Typs ∪–×; nach einem entsprechenden Auswahlverfahren wie oben werden folgende Formen einbezogen46:
acištō, -ā, -əm; aguštā; ahūmbis; aiienī; anaēšō, -əm; auuāmī; bauuaiṇtī; cīcīϑβā; daibišəṇtī; daibitānā47; dadāitī, -əṇtē, daidītā; əuuīduuå; ə̄nāxštā; əuuistī; fradaxštā; frasastīm; frāuuaocā; frauuarətā48; frauuaxšiiā; fšuiieṇtē, -aṇtəm; haciṇtē, -aiṇtē; hanəṇtē; hazaošō, -əm; hucistōiš, -īm; hudābiiō; hudāṇuš, -āuš; humązdrā; huzə̄ṇtuš(ə); jamaētē; magahiiā; mairištō; manaoϑrīš; marəṇtō, -ī; mazištəm; miϑahiiā; nadəṇtō; nidātəm; pourubiiō; rapaṇtō; razištā; səuuīštō, -āi; spə̄ništō, -ā; spitāmō, -ā, -əm, -ī; uruuąnō, -āne, -əm; vahištō, -ē, -ā, -əm , -āt̰; vīcidiiāi; vijə̄miiāt̰; xšaiiaṇtō; xšnəuuīšā; zazəṇtī.
Wie zu erwarten war, zeigt sich auch bei diesen Formen eine Präferenz für die Endstellung in S, die jedoch bei weitem nicht so ausgeprägt ist wie bei dem Typ ∪∪×: Von 145 Belegen gehören hierher 58, also ca. 40%; bei den elfsilbigen Versen ist das Verhältnis 57:28, also ca. 50%. Weniger stark repräsentiert ist auch die Endposition in A, wo nur noch 8 gegenüber 31 sonstigen Belegen in A begegnen. Demgegenüber fällt auf, daß immerhin 14× die Endposition von V besetzt ist (Silben 2-4)49. Tabellarisch:

   1. HV  2. HV  (3.HV in GVI)
 Verstyp  Anf.  sstg.  Ende  Anf.  sstg.  Ende  Anf.  Ende
 7-9  5  5  25  8  23  8    
                 
 4-7      14  10  5  28    
                 
 7-7      3  6        
                 
 7-5  1          1    
                 
 7-7-5      1  1    1    


1.3.3. Ein ähnliches Resultat erbringt die Überprüfung folgender Wortformen des Typs –∪×:
aēnaŋhō, -ē; airiiamā; ākərətiš; aṇgraiiā; aojaŋhā; astaiiō; astuuaitō, -ē; auruuatō; bāxšaiti; caxrāiiō; cašmainī; cinuuatō; cixšnušō, -ā; cōiϑaitē; daibišuuatō; darəsatā; dāraiiat̰, -iiō; drəguuatō, -āitē, -ātā; duuaēšaŋhā; dužazōbå; ərəž.jiiōi; frasrūtā; hauruuātā, -atō; hə̄ṇkərətā; huuō.guuā; huxratuš; mārədaiti; marəxšaitē; maniietē; mə̄hmaidī; mīždauuąn; nərəfšaitī; p(a)ouruiiō, -ē, -āiš, -ruuīm; rādaŋhō, -ā; raēxənaŋhō; råŋhaiiən; rātaiiō; šaocaiiat̰; ϑβaxšaŋhā; uruuādaŋhā; usə̄mahī; uxšiieitī; vaēnāŋhē, -ahī; vaocaŋhē; varədaitī; varəmaidī48; vaš́iietē; vāvərəzōi; vazdaŋhā; vəṇŋhaitī; vīduuanōi; xraodaitī; xsmāuuatō, -sū; zastaiiō; zastauuat̰.
Es handelt sich um 136 Belege, von denen 67, also ca. 49% in die Endposition von S fallen; bei den elfsilb. Versen ist das Verhältnis 70:40, also ca. 57%. Die Stellung im Ausgang von A ist stark unterrepräsentiert; hier stehen nur 5 von 31 Belegen. Tabellarisch:

   1. HV  2. HV  (3.HV in GVI)
 Verstyp  Anf.  sstg.  Ende  Anf.  sstg.  Ende  Anf.  Ende
 7-9  1  3  19  2  24  5    
                 
 4-7  2    2  20  6  40    
                 
 7-7    1  7  1  1  1    
                 
 7-5                
                 
 7-7-5          1      


1.3.4. Zuletzt50 ist hier die Struktur des Typs ––× zu untersuchen. Folgende Wortformen kommen in Betracht:
aduuānəm; aduuaēšō; ahmākə̄ṇg; ahuuāhū; aniiaϑā; aojištō; aojōṇghuuat̰; arəϑahiiā; asrūdūm; ašruštā, -ōiš; astuuaṇtəm; aṣ̌ahiiā; aṣ̌auuā, aṣ̌āunō, -ē51; āiiaptā; ābūštiš; ādištiš; aēšəm.mahiiā; āzūtōiš; baodaṇtō; bə̄ṇduuahiiā; carəkarəϑrā; dahmahiiā; darəgahiiā; dātārəm; dāϑaēibiiō; dəbənaotā52; diβžaidiiāi; drəguuaṇtō, -təm, -uuōdəbiiō,-bīš; dūtåŋhō; duš.sastiš; dušx�arəϑəm; dušə.xšaϑrā, -ə̄ṇg; fərasrūidiiāi; frajiiāitiš; gaēϑāhū; haoząϑβāt̰; huxšaϑrā, -āi; kāmahiiā; mainiiaṇtā; marətaēibiiō, -aēšū; marətānō; maraxtārō; mazdāϑā; mąϑrānō, -ē; mərəždikā; nasiiantō; nazdištąm; pišiieiṇtī: rafəδrahiiā; raocə̄bīš; rādəṇtī; saošiiaṇtō; sāstārō: sə̄ṇghahiiā, -åŋhō; -āni; spəṇtahiiā; ϑrāiiōidiiāi; ufiiānī; ustānāiš; vaēdōdūm, -ištō; vahmahiiā; vaxəδrahiiā; vāzištō; vərəziieidiiāi; vīspåŋhō, -ōibiiō; xraoždištə̄ṇg; xšaϑrahiiā; xšmākahiiā; yaojaṇtē; yasnahiiā; yūšmaibiiā; yūšmākāi,-əm; zarazdāitiš; -dištō; zastōibiiå.
Bei diesen Wortformen kommt der Endposition in S offenbar keine besondere Bedeutung mehr zu: von insges. 148 Belegen sind nur 35, d.h. ca. 24% hier zu finden, und auch bei den elfsilb. Versen beträgt die Relation nur mehr 68 : 20, d.h. 30%. Man vgl. die dem gegenüberstehenden 10 Belege in den Silhen 2-4 von V. Tabellarisch:

   1. HV  2. HV  (3.HV in GVI)
 Verstyp  Anf.  sstg.  Ende  Anf.  sstg.  Ende  Anf.  Ende
 7-9  4  11  10  8  18  12    
                 
 4-7  5    10  17  16  20    
                 
 7-7    1  2  5  1      
                 
 7-5      2      1    
                 
 7-7-5  4      1        


1.4. Die hier mitgeteilten Beobachtungen können kaum zufällig sein. Selbst wenn man das Auswahlverfahren der Wortformen — das, wohlgemerkt, ja nicht auf den gegebenen Belegen, sondern vielmehr auf der Sicherheit ihrer strukturellen Analyse beruhte — als arbiträr ansieht, kann man die aufgezeigte Tendenz wohl doch nicht verkennen: die „leichtestmöglichen“ dreisilb. Wörter (∪∪×) bevorzugen in den gath. Versen den Ausgang der 7(+n)silbigen Versteile, je „schwerer“ die Wortformen werden (bis hin zum Typ ––×), desto mehr rücken sie von dieser Position ab.
Gegen dieses Ergebnis könnte der Einwand erhoben werden, daß unter den Formen der Struktur ∪∪× gerade zwei Wörter zu finden sind, die zu den häufigstbelegten in den Gathas zählen, nämlich ahura- und manah-, so daß z.B. die häufige Verwendung best. Formeln die Existenz metr. Strukturen vortäuschen könnte. Dazu ist zunächst zu sagen, daß sich auch bei diesen Wörtern die dreisilb. Formen durchaus im Rahmen des Üblichen verhalten. So beträgt die Relation der Gesamtbelege zu denen in Endposition S bei Formen von ahura-:
      ahurō: 35:30; ahurā: 59:55; ahurəm: 8:453;
bei manah-:
      manaŋhō: 55:26; manaŋhā: 66:46.
Dabei fällt besonders im Falle des Vokativs ahurā auf, mit welcher Konstanz er im Ausgang des Siebensilblers anzutreffen ist; es ist ja zu bedenken, daß die Form in der GA somit beständig in der Versmitte erscheint, während sie in GU und GSM ebenso regelmäßig das Versende einnimmt.
1.4.1. Diese Feststellung wirft ein interessantes Licht auf die oft behandelte Frage nach der authentischen Reihenfolge der Namensglieder mazdā- und ahura- im Gath.54: Sämtliche Belege mit der „unüblichen“, umgekehrten Reihenfolge ahura- mazdā- treten in der GA auf! Man braucht nach den hier gemachten Beobachtungen wohl kaum mehr an eine textuell bedingte „contrastive word order“55 zu denken, sondern kann einfach davon ausgehen, daß die Stellung metrische Gründe hat, insofern für die Form ahurā aufgrund ihrer Silbenstruktur die Position im Vers präjudiziert war. Daß die Reihenfolge mazdā- ahura- die häufigstbezeugte ist, kann umgekehrt darauf zurückzuführen sein, daß in der gesamten Masse der elfsilbigen Verse das Wort ahura- primär für die Endposition geeignet war, und daß eine zwei- oder dreisilb. Form von mazdā- leichter Platz in den Silben 1-8 eines Elfsilblers finden konnte als in den Silben 1-4 eines GA-Verses.
1.4.2. Interessant ist ferner, die Belege zu untersuchen, wo ahura- nicht die Endposition S einnimmt. Hier fällt zunächst Y.43,16a ins Auge, einer von zwei Fällen, wo der Vok. ahurā im viersilb. Eingang eines Eifsilblers auftritt: at̰ ahurā. Da die betr. Strophe die letzte des Lieds ist, drängt sich die Vermutung auf, daß hier ein beabsichtigter Verstoß gegen das Metrum vorliegt, der im Sinne einer stilistischen Variation eingesetzt wurde. Dazu paßt, daß auch die einzige Strophe der GA, in der ahurā innerhalb des siebensilb. Versteils nicht in der Endposition erscheint, die letzte Strophe eines Liedes ist, nämlich Y. 29,11 (c). — Bemerkenswert sind weiter die Ausnahmebelege des Nom. ahurō: Diese Form begegnet innerhalb der Elfsilbler nur einmal im Eingang von S, nämlich in Y. 48,6d. Dieselbe Strophe weist nun noch zwei weitere Besonderheiten auf: sie enthält mit təuuīšīm in Vers b auch einen von nur vier Belegen für Wörter der Struktur ∪∪× in der Stellung 2-4 des Elfsilblers, und mit manaŋhō (ebenfalls in b) ist hier sogar der einzige Fall zu notieren, wo eine entsprechende Wortform die Silben 2-4 im siebensilb. zweiten Teil dieses Verstyps einnimmt. Offenbar liegt dieser Strophe — wie auch den flankierenden 48,5 und 7 — ein grundsätzlich anderes metr. Schema zugrunde; bezeichnenderweise besteht gerade hier mehrfach die Notwendigkeit, den Eingangsteil fünfsilbig zu messen56.
2. Welche Schlußfolgerungen ergeben sich nun aus der Tatsache, daß Wortformen mit der Silbenstruktur ∪∪× in den gath. Versen offenbar eine best. Stellung bevorzugen, nämlich die Endposition der in allen Verstypen vertretenen siebensilbigen Halbverse? Diese Erscheinung ist weder mit der Annahme eines rein silbenzählenden Metrums vereinbar, noch läßt sie sich aus dem von Kuryłowicz angenommenen akzentuierenden Versbau heraus motivieren, nach dem ja bei allen dreisilb. Wörtern der Akzent auf die gleiche, nämlich vorletzte Silbe fallen sollte57.
Die einzig mögliche Deutung scheint nach dem oben (0.5.) Gesagten eben die zu sein, daß in der Neigung einer quantitativ definierten Wortstruktur zu einer bestimmten metrischen Position noch die Reminiszenz an eine ererbte, aber als Regel bereits aufgegebene metrische Struktur durchschimmert. Bezogen auf das Gath. würde das bedeuten, daß der durch diese Präferenz charakterisierte siebensilbige Halbvers einen Vorläufer gehabt haben müßte, dessen Struktur im Sinne einer quantitierenden Metrik definiert gewesen wäre und als dessen (eines) Merkmal ein Ausgang der Form ∪∪× anzunehmen wäre; schematisch: ∣××××∪∪×∣.
2.1. Akzeptiert man diese Lösung, so erhebt sich die Frage nach dem gegenseitigen Verhältnis der einzelnen gath. Verstypen, die ja alle mindestens einen siebensilbigen Teilvers enthalten. Dabei ist zunächst auf eine Besonderheit des in der GVX verwendeten Schemas (7-7) hinzuweisen: Nach den o. angeführten Tabellen begegnen hier die Wortformen der Struktur ∪∪× nämlich überdurchschnittlich häufig in der Anfangsstellung eines der Halbverse; während das Verhältnis von Anfangs- zu Endstellung in den Siebensilblern der GU und GSM (4-7) 14:110, also rund 1:8 beträgt, liegt es hier bei 9:18 = 1:2. Auch wenn man sich der Problematik bewußt ist, daß die GVX für eine statistische Auswertung eine vergleichsweise geringe Masse bietet, muß man das Ergebnis doch als signifikant werten; z.B. ist gerade auch einer von zwei Belegen des Vok. ahurā in der Anfangsposition des 7silb. Halbverses in Y. 51 zu finden58. Die Folgerung liegt nahe, daß in diesem Verstyp nicht einfach zwei der ererbten Siebensilbler zu einer Einheit verschmolzen sind, sondern daß sich hier zwei ursprünglich „spiegelbildlich“ angeordnete Verse gegenüberstehen; schematisch:

∣ × × × × ∪ ∪ × ∣ ∪ ∪ × × × × × ∣ (oder umgekehrt).

2.2. Für die Verstypen der GA (überwiegend 7-9) sowie der GU und der GSM (4-7) ist zunächst noch einmal festzuhalten, daß sich auch hier die siebensilb. Halbverse weitgehend gleich verhalten, obwohl sie im einen Fall den Vers einleiten, im anderen Fall beschließen; es spricht also nichts dagegen, beide auf eine Verskontamination zurückzuführen, die auf demselben „Urtyp“ des Siebensilblers aufbaut59. Hinzuweisen ist aber gleichzeitig auf den strukturellen Unterschied, der den jeweiligen anderen Versbestandteil betrifft: für den zweiten Halbvers der GA-Strophen läßt sich auch unter größten Anstrengungen wohl keine feste Silbenanzahl ermitteln, und bei Annahme eines akzentuierenden Aufbaus ergibt sich nicht a priori eine gleiche Menge von Ikten (s. dazu oben unter 0.4.3.); hier herrscht also weder die Isosyllabizität noch das „innere Gleichgewicht“, das die übrigen gath. Versschemata auszeichnet. Man könnte deshslb schließen, daß dieser Halbvers anders als der mit ihm verbundene Siebensilbler nicht aus einem ererbten quantitierenden Schema hervorgegangen ist, sondern einen erst neugeschaffenen Typus vertritt. Dagegen spricht jedoch, daß sich auch hier Anzeichen für eine ererbte quantitierende Struktur finden lassen: Auch hier neigen die „leichteren“ Wortformen eher zur Endposition, die „schwereren“ weniger60. Es wäre also denkbar, daß der Vers der GA aus einer Kombination des Siebensilblers „mit sich selbst“ hervorgegangen ist, wobei sich die höhere Silbenanzahl des zweiten Teilverses durchaus als eine „Anakruse“ im Sinne Kuryłowiczs erklären ließe.
2.3. Eine andere Sicht verlangt der elfsilbige Vers der GU und GSM, von dem ja unsere Betrachtungen ausgegangen waren. Dieser Vers stellt sich mit großer Regelmäßigkeit als die Kombination des Siebensilblers mit einem viersilbigen Eingangselement dar, dessen innere Struktur unter Annahme einer akzentuierenden Metrik durch genau zwei Ikten charakterisiert wäre. Mit der ved. Triṣṭubhzeile kann dieser Vers nun kaum mehr im Sinne der alten Theorie identifiziert werden, die von einer übereinstimmenden Lage der Zäsur ausgegangen war, da sich die ved. Kadenz (–×) und der hier vorgeschlagene ursprüngliche Ausgang des gath. Verses (∪∪×) nicht vermitteln lassen. Statt dessen erscheint es zielführend, den gath. Siebensilbler mit dem Verband von Eingang und Mittelstück des Triṣṭubhverses zusammenzustellen, d.h. mit dessen ersten sieben Silben (Schema ×–∪–∪∪× in der Abart mit früher Zäsur). Dies würde bedeuten, daß ein schon urindoiran. siebensilbiges Versstück mit einer entsprechenden Struktur existiert hätte, das im Ved. mit einer zusätzlichen Kadenz versehen worden wäre, im Gath. jedoch mit einem vorangestellten Eingang.
2.3.1. Eine solche Annahme hätte natürlich weitreichende Konsequenzen für die interne Chronologisierung der ved. Metrik, v.a. insofern sie voraussetzen würde, daß die Zäsur ursprünglich nach der siebten Silbe bestanden hätte, während die im RV synchron vorhandene Zäsur nach der vierten oder fünften Silbe eine generelle Neuerung darstellen müßte61. Andrerseits würde sich so das Verhältnis zwischen dem Triṣṭubh- und dem Jagatīvers klären, deren Struktur ja gerade nur in der Kadenz unterschiedlich ist. Die diesbezüglichen Probleme bedürfen nach wie vor einer umfassenden Untersuchung.
2.3.2. Verlockend wäre es letztlich, den Vergleich zwischen dem ved. und dem gath. Elfsilbler, wie hier vorgetragen, nicht auf das siebensilbige Grundelement zu beschränken, sondern auch noch auf das jeweilige viersilbige „Ergänzungselement“ auszudehnen: versuchsweise sei vorgeschlagen, die ved. „Kadenz“ wäre im Gath. durch eine Umstrukturierung, die auf dem Prinzip des Enjambements beruhen könnte, an den Versanfang gerückt. Daß diese Möglichkeit generell besteht, geht ja schon daraus hervor, daß der Siebensilbler der Gathas als erster und als zweiter Halbvers aufzutreten geeignet war. Den für eine Identifikation der ved. Kadenz mit dem Eingang der gath. Elfsilbler notwendigen Beweis, daß die innere quantitative Struktur beider gleich ist, kann ich nicht erbringen62. Auch gewinnt man bei „enjambischer“ Lesung der betr. gath. Verspartien keine signifikant hohe Zahl von Versen, die sich dem Schema des ved. Elfsilblers annähern würden: einem Beispiel wie 44,12ab (...) ərəš mōi vaocā ahurā / kā aṣ̌auuā (...) gesellen sich allenfalls 50 ähnlich gelagerte zu63. Eine sekundäre Evidenz läßt sich aber evtl. aus einem anderen Umstand gewinnen: Das Av. und das Ved. haben bekanntlich gemeinsam die archaische Kategorie der Infinitive auf *-dhyāi bewahrt. Im RV sind solche Formen insges. 72× bezeugt, im Gath. 26×. Dabei fällt zunächst im RV auf, daß sie eindeutig eine bestimmte Position im Vers bevorzugen: 66× sind sie in Triṣṭubhversen belegt, und zwar alle 66× in der Kadenz64. Demgegenüber ergibt sich in den Gathas folgender Befund: 17× treten -diiāi-Formen in den Elfsilblern auf65, und davon immerhin 13× im viersilb. Eingang der Verse. Nicht immer legt die syntaktische Funktion dabei, soweit sie sicher erkennbar ist, den Anschluß der -diiāi-Phrase an den vorhergehenden siebensilb. Halbvers nahe. Bemerkenswert ist jedoch die häufige eindeutige Satzgrenze nach dem Infinitiv; man vgl. z.B. Y.49,6b-c66:
      yā və̄ xratə̄uš

/xšmākahiiā ā manaŋhā // ərəš vīcidiiāi /

yaϑā ī šrāuuaiiaēmā.


3. Zusammenfassung:
Entgegen bisheriger Ansicht zeigen die gath. Verse doch Überreste eines quantitierenden Metrums, und zwar in der bevorzugten Position von Wörtern der Struktur ∪∪× am Ende der siebensilbigen Halbverse, die allen überlieferten Verstypen gemeinsam sind. Damit entfällt die früher vorgeschlagene Identifikation des gath. Elfsilblers (Schema 4-7) mit der ved. Triṣṭubhzeile mit „früher Zäsur“ (ebenfalls 4-7). Statt dessen wird die Möglichkeit nahegelegt, daß der siebensilb. gath. Versteil mit dem Eingang des ved. Elfsilblers verwandt ist, was für diesen eine ursprüngliche Zäsur nach der siebten Silbe voraussetzt; ein Schema ∣ × × × × ∪ ∪ × ∣ wäre somit die urindoiran. „Keimzelle“ sowohl aller gath. Metren als auch der ved. Triṣṭubhfamilie.

Jost Gippert





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Copyright Jost Gippert, Frankfurt a/M 12. 8.2001. No parts of this document may be republished in any form without prior permission by the copyright holder.