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Dies ist eine Internet-Sonderausgabe des Aufsatzes
“Verbum dicendi + Infinitiv im Indoiranischen”
von Jost Gippert (1984).
Sie sollte nicht zitiert werden. Zitate sind der
Originalausgabe in
“Münchener Studien zur Sprachwissenschaft” 44, 1985
(= Festgabe für Karl Hoffmann, Teil I), 29-57
zu entnehmen.

Attention!
This is a special internet edition of the article
“Verbum dicendi + Infinitiv im Indoiranischen”
[“Verbum dicendi + Infinitive in Indo-Iranian”]
by Jost Gippert (1984).
It should not be quoted as such. For quotations, please refer to the
original edition in
“Münchener Studien zur Sprachwissenschaft” 32, 1986
(= Festgabe für Karl Hoffmann, Teil I), pp. 29-57.




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Jost Gippert, Frankfurt 1999-2001

Jost Gippert

29

I-29

Verbum dicendi + Infinitiv im Indoiranischen


0.1. Von der Saṃhitā-Prosa an begegnet uns in den ved. Texten eine syntaktische Fügung, die aus einem finiten V(erbum) dic(endi) und einem Inf(initiv) besteht, und die gemeinhin mit dt. "etwas zu tun befehlen" wiedergegeben wird. Ein häufig zitiertes Beispiel ist ŚB 2,1,4,16 tásmād yátrāgníṃ manthiṣyánt syā́t tád áśvam ā́netavaí brūyāt "deshalb soll er (der Adhvaryu) (dann), wenn er ein Feuer anzuzünden beabsichtigt, ein Pferd zu bringen (`sagen'=) befehlen".
0.2. Daß die Konstruktion tatsächlich zur Darstellung einer Befehlssituation dient, zeigt die Kāṇva-Parallele der angeführten Stelle (ŚBK 1,1,4,15): tásmād brūyād agníṃ manthiṣyánn áśvam ā́nayéti. Hier ist anstelle des Infinitivs ā́netavaí eine finite Imperativform in wörtlicher Rede verwendet: "Deshalb soll er, wenn er sich anschickt, ein Feuer zu entzünden, sagen: `Bringe ein Pferd herbei!'" Auf gleiche Weise stehen sich auch ŚB 2,3,1,16 und ŚBK 1,3,1,9 gegenüber: tásmād ... udastokám ā́ścotayitavaí brūyāc ... "deshalb soll er ... einen Wassertropfen hineinzuträufeln befehlen" und tásmād ... udastokám áścotayéty evá brūyāc ... "deshalb soll er ... sagen: `Träufle einen Wassertropfen hinein!"'
0.3. Im folgenden soll die ved. Konstruktion "V.dic. + Inf." erstmalig umfassend in synchroner und diachroner Sicht beleuchtet werden; Ziel der Untersuchung ist letztlich, zu weitergehenden Aufschlüssen über die Infinitivsyntax der altidg. Sprachen und der Grundsprache selbst zu gelangen.

1. Vorkommen und Erscheinungsformen der ved. Konstruktion

1.1. Die Konstruktion ist innerhalb des ved. Textmaterials in ca. 60 unterschiedlichen Sätzen (sämtlich Prosa) belegbar1. Die ältesten Belege gehören der MS an (3 Belege, davon einer auch in KS)2, während die große Masse den Brāhmaṇas zu entnehmen ist (vor allem ŚB3 und JB, seltener KB und TB; kein Beleg in AB). Nach den Brāhmaṇas ist der Satztyp offenbar bald obsolet geworden; nur das JUB (1 Beleg) und das VādhS bringen noch neue Beispiele4.
1.0.3. Bei den beteiligten V.dic. handelt es sich hauptsächlich um zwei Formen: dies ist zunächst das in den bereits genannten Beispielen erscheinende brūyāt (3.Sg.Opt. von brū- "er soll sagen = befehlen")5, dann die Form āha (3.Sg.Perf. in präsentischer Funktion6, "er sagt = befiehlt"), die z.B. in den Belegstellen aus MS und KS enthalten ist; so MS 1,4,10 (58,3 f.) ≈ KS 32,7 (25,18 f.) pū́rvaṃ cāgním áparam ca páristarītavā́ (KS °staritavā) āha "das vordere Feuer und das hintere befiehlt er (der Yajamāna) zu umstreuen"7.
1.0.4. Andere Formen von V.dic. sind demgegenüber nur äußerst spärlich vertreten. So begegnet uns einmaliges brūmo (1.Pl.Präs.Ind.Akt., "wir sagen = befehlen") an der problematischen Stelle ŚBK 4,1,2,10: tád áhataṃ syād íty āhus tád ubháyaṃ níṣpeṣṭavaí brūmo yád evā̀syāmedhyā́ kṛṇátti vā váyati vā tád evā̀syaitád adbhír médhyaṃ kurvanty ... Offenbar bildet der brūmo-Satz noch einen Teil der voraufgegangenen wörtlichen Rede, obwohl hinter brūmo íti fehlt8; zu übersetzen wäre: "`Das (Kleid) soll neu9 sein', sagen sie, `das befehlen wir auf beide Weisen (beiden Seiten)10 (waschend) auszuschlagen'. Welches (Teil) von diesem (Kleid) (nämlich) eine unreine (Frau) gesponnen oder gewebt hat, das [Teil) machen sie so mit Wasser rein ...". Die ŚBM-Parallele (3,1,2,19) liefert die wörtliche Rede nicht und hat statt dessen brūyāt + Inf.: tád vā́ áhataṃ syāt │ ayā́tayāmátāyai tád vaí níṣpeṣṭavaí brūyād yád evā̀syā́trāmedhyā́ ... "das (Kleid) soll fürwahr neu sein, zum Zwecke der unverbrauchten Kraft. Das soll er auszuschlagen befehlen. Welches ..."
1.0.5. Zwei andere finite Formen von brū- präsentiert das JB an der vieldiskutierten Stelle 3,221 (Caland Ausw. § 201). Hier erscheint zunächst der Satz taṃ jātaṃ parāstāvabravīj (so die Hss.), der überzeugend erst von K. Hoffmann geklärt wurde11: Zugrunde liegt *táṃ jātáṃ párāstavā́ abravīt "er befahl (abravīt 3.Sg.Impf.Akt. von brū-), diesen (Knaben), sobald er geboren war, auszusetzen". Der gleiche Inhalt wird an der gegebenen Stelle kurz darauf in wörtlicher Rede wiederaufgenommen, wobei sich hinter dem hss. überlieferten yaṃ vaí kumāraṃ parāstāvabravīj ayam vai sa jīvatītī offenbar eine 2.Sg.Impf. *(párāstavā́) ábravīr verbirgt12: "`Den du als Knaben auszusetzen befohlen hast, der lebt (in Wirklichkeit noch)'".
1.0.6. Eine letzte Form von brū- + Inf. liefert das VādhS mit dem zweimaligen bravasi (2.Sg.Präs.Konj.Akt.; AO 6, S. 191): sa trīn vatīn ānetavaí bravasi kumārān avibhyo 'dhyū(r)ṇāṃs tān purastād rājñaḥ prasraṣṭavai bravasi teṣāṃ yo harikeśo bhavitā so 'ham bhavitāsmīti hainam uvāca jātavedāḥ. Dies bedeutet ungefähr13: "`Als dieser (nämlich als Opferpriester) sollst du (ein R̥ṣi) drei Vatis herbeizuführen befehlen, die männlich und mit Schafwolle bedeckt sind; diese sollst du vor dem König loszulassen befehlen. Derjenige von diesen (Vatis), der gelbhaarig sein wird, der werde ich sein,' sagte der Jātavedas (Agni)".
1.0.7. In der Erzählung, der die soeben behandelte Stelle entnommen ist, wird wenige Zeilen später der Vollzug der im Konj. gehaltenen Aufforderung mitgeteilt. Dabei ist das Perf. uvāca verwendet: sa trīn vatīn ānetavā uvāca kumārān ... tān purastād rājñaḥ prasraṣṭavā uvāca "er befahl, drei männliche ... Vatis herbeizuführen; diese befahl er, vor dem König loszulassen".
Die gleiche Verbindung von uvāca + Inf. in einer Erzählung begegnet uns bereits einmal im ŚB (4,1,5,4)14: sá gopālā́ṃś cāvipālā́ṃś ca sáṃhvayitavā́ uvāca "Dieser (Śaryāta) befahl, Kuhhirten und Schafhirten zusammenzurufen"15.
1.0.8. In der Konstruktion mit Inf. treffen wir also genau drei V.dic. an: āh-, brū- und vac-. Dies ist kein Zufall: Daß brū- und vac- in der ved. Prosa ein Suppletivparadigma bilden (Präs. bravīmi, Aor. avocam, Perf. uvāca), ist bereits hinlänglich bekannt16. In dieses Suppletivparadigma sind weiter offenbar aber auch die Formen āha (3.Sg.), āhatuḥ (3.Du.) und āhuḥ (3.Pl.) eingedrungen, wobei sie die entsprechenden 3. Pss. des aktiven Präsensindikativs von brū- verdrängt haben. Tatsächlich sind die letztgenannten Formen von brū- — bei ansonsten vollständigem Präsensparadigma — in der Prosa nicht mehr zu belegen17. Es handelt sich also strenggenommen um eine Konstruktion: die des einen Verbs brū-/āh-/vac- (in der Sonderbedeutung "befehlen") mit Inf.

1.1. Wie aus den bisher zitierten Beispielen ersichtlich ist, ist an der Konstruktion auch nur eine der ved. Inf.-Kategorien beteiligt: die auf -tavaí18. Die einzige Ausnahme bildet die Verbindung anuvā́ca āha, die in ŚB 3,8,3,14 in folgendem Kontext erscheint: átha manótāyai havíṣo 'nuvā́ca āha │ tád yán manótāyai havíṣo 'nuvā́ca ā́ha ... tásmān manótāyai havíṣo 'nuvā́ca āha. Daß hier, wie an den Stellen mit -tavaí-Infinitiven, eine Befehlssituation gemeint ist, zeigt wiederum die Kāṇva-Parallele (4,8,3,9): áthāha manótāyai havíṣo 'vadīyámānasyā́nubrūhī́ti sá yán manótāyā anuvā́ca ā́ha .. Die gleiche Variante mit āha + Impv. + íty bietet auch AB 2,10,1 ff.: manotāyai haviṣo 'vadīyamānasyānubrūhīty āhādhvaryus ... kasmād āgneyīr eva manotāyai haviṣo 'vadīyamānasyānvāha ... Die Bedeutung der Ausgangsstelle kann also wie folgt umrissen werden: "Nun befiehlt er (der Adhvaryu), (den Einladungsvers) der (zu verteilenden) Opfergabe19 für (Agni, die) Manotā(-Gottheit)20 zu rezitieren. Daß er ... befiehlt (, hat folgenden Grund): .. Deshalb befiehlt er ..."
Wenn sich die Fügung anuvā́ca āha aber den Konstruktionen mit V.dic. und -tavaí-Infinitiven völlig analog verhält, so erhebt sich die Frage, welche Form sich tatsächlich hinter anuvā́ca verbirgt. Denkbar sind unter den gegebenen Sandhibedingungen °vā́caḥ (Gen.-Abl. eines Wurzel-Infinitivs)21 und °vā́ce (dativ. Wurzelinf.)22. Um diese Frage zu klären, bedarf es zunächst einer syntaktischen Deutung der ved. Konstruktion "V.dic. + Inf." selbst; diese muß vom Normalfall, mit -tavaí-Inf., ausgehen.

2. Syntaktische Deutung der ved. Konstruktion

2.1. Um das syntaktische Verhältnis zwischen dem V.dic. und dem Inf. in der gegebenen Fügung zu beleuchten, muß man sich zunächst die anderen Funktionen vor Augen halten, die den -tavaí-Formen im ved. Aind. zukommen. Zwei Grundfunktionen treten dabei zutage: zum einen die finale Funktion, die einer Zweckangabe; hier steht der Inf. neben einem Vollverb wie in RV 1,57,6c (= AV 20,15,6c) ávāsṛjo nívṛtáḥ sártavā́ apáḥ "Du ließest die eingeschlossenen Wasser frei, zu fließen". Die andere Funktion ist die eines "prädikativen" Infinitivs23; als Beispiel hierfür mag dienen MS 1,10,10 (150,6f.) ≈ KS 36,5 (72,2f.) tásmāt pitā́ nā́ticaritavā́ ... "Deshalb (ist) der Vater nicht zu hintergehen". Zu beachten ist dabei, daß die -tavaí-Infinitive in prädikativer Funktion "passivische"24 Geltung haben: das Satzsubjekt ist Patiens der Inf.-Handlung ("deshalb darf der Vater nicht hintergangen werden").
2.1.1. Für beide Funktionen, die finale und die prädikative, kann man davon ausgehen, daß die Formen auf -tavaí zunächst als Varianten der älteren Formen auf -tave aufgekommen sind25 und diese dann (vor allem in der prädikativen Stellung) verdrängt haben26. So verwenden RV und AV in prädikativer Funktion noch fast ausschließlich27 die -tave-Infinitive; vgl. z.B. RV 8,78,5ab nákīm índro níkartave ná śakráḥ páriśaktave "lndra ist nicht niederzumachen, der Starke ist nicht zu überwältigen". Auch die -tave-Infinitive verhalten sich dabei passivisch28.

2.0.3. Die Konstruktion mit V.dic. kann grundsätzlich auf beide Funktionen der (-tave/)-tavaí-Infinitive zurückgeführt werden. So ist in dem zuerst angeführten Beispielssatz (oben 0.1.) áśvam ā́netavaí brūyāt der Inf. zunächst final interpretierbar: "er soll sprechen, damit ein Pferd herbeigeholt werde". Ein entsprechendes finales Syntagma findet sich z.B. in RV 6,60,12 tā́ no vā́javatīr íṣa āśū́n pipṛtam árvataḥ índram agníṃ ca vóḷhave "Gebt uns in Fülle wertvolle Speisen, rasche Rosse, um Indra und Agni zu fahren" (Geldner).
Eine finale Deutung scheint z.B. Eggeling seiner Übersetzung von ŚB 1,4,2,16 zugrundegelegt zu haben: ā́vaha devā́n yájamānāyéti │ tád asmaí yajñā́ya devā́n ā́voḍhavā́ āha ... "`Bring hither the gods for the sacrificer!' this he says in order that he (Agni) may bring the gods to this sacrifice" (Hvhbg. J.G.)29.

2.0.2.1. Gegen die finale Interpretation sprechen jedoch folgende Argumente: In der Konstruktion mit V.dic. erscheint durchweg30 ein Akk.-Objekt, das mit dem Patiens der Inf.-Handlung identisch ist; im letztgen. Beispiel devā́n (ā́vodhavaí) "die Götter (herbeifahren)". In der zum Vergleich herangezogenen Finalkonstruktion hingegen wird ein Patiens des Infinitivs in der überwiegenden Zahl der Fälle im Dativ genannt31. So z.B. in RV 8,96,5ab: ā́ yád vájram bāhvór indra dhátse madacyútam áhaye hántavā́ u "Wenn du, Indra, die Keule in die Arme nimmst, die rauscherregte, um den Drachen zu erschlagen" (Geldner, Hvhbg. J.G.). So auch, mit -tavaí-Inf., an der Prosastelle AB 2,3532: vajram eva tat praharati dviṣate bhrātṛvyāya vadhaṃ yo 'sya stṛtyas tasmai startavai "verily thus he hurls a thunderbolt at the foe who hates him, as a weapon to lay low whom he has to lay low" (Keith, Hvhbg. J.G.).
2.0.2.2. Ein weiterer gewichtiger Unterschied besteht darin, daß bei der Finalkonstruktion die übergeordnete und die Inf.-Handlung in der Regel denselben Agens haben, wie in den beiden letztgen. Beispielen ("du", Indra / "er", der Hotṛ). Wenn sich der Agens des Prädikatsverbs und der des Infinitivs unterscheiden, muß letzterer immerhin im Satzkontext genannt sein wie z.B. in RV 5,31,4cd: brahmā́ṇa índram maháyanto arkaír ávardhayann áhaye hántavā́ u "Die Brahmāṇen stärkten Indra, indem sie ihn mit Lobgesängen verherrlichten, um den Drachen zu erlegen = damit er den Drachen erlegte".
Bei der Konstruktion mit V.dic. ist Agensidentität natürlich in keinem Fall zu erwarten (devā́n ā́voḍhavā āha bedeutet nicht "er spricht, um die Götter herbeizufahren = damit er selbst die Götter herbeifahre"), da die Fügung eben einen Befehl wiedergibt und somit gerade einen Agenswechsel impliziert33 ("er spricht, damit jemand anderer, nämlich Agni, die Götter herbeifahre").
Dabei ist die Nennung des zweiten Agens aber offenbar geradezu ausgeschlossen (denkbar wäre immerhin brū- + Dativ-Agens + Akk.-Patiens + Inf. "jemandem `sagen' = befehlen, damit er die Götter hole"); zumindest ist eine solche Nennung nicht belegbar. Dieser Unterschied zur finalen Konstruktion ist zu augenfällig, als daß er auf Zufall beruhen könnte.

2.0.2.3. Hinzuweisen ist letztlich auf Fälle wie TB 3,2, 5,9, wo neben āha sowohl ein -tavaí-Inf. als auch ein dat. Verbalnomen (auf -tyai) erscheint34: uccaíḥ samā́hantavā́ āha víjityai "Er befiehlt, laut (die Opferinstrumente, evtl. -trommeln, cf. TB 1,3,6,2) zu schlagen, um zu siegen". Auch hieraus kann man schließen, daß die -tavaí-Infinitive neben āha (etc.) nicht final sind, daß vielmehr eine evtl. Finalität des gesamten Befehlsaktes durch andere Kategorien von Verbalableitungen bezeichnet werden kann. Vgl. auch den an derselben TB-Stelle erscheinenden Satz vayáṃ ... jeṣméty āha bhrā́trvyābhibhūtyai "`Wir möchten ... siegen35', sagt er zur Nebenbuhlerüberwindung," d.h. "um die Nebenbuhler zu überwinden". Es zeigt sich, daß zur Bezeichnung von Zweckangaben in der ved. Prosa generell eher dat. Verbalnomina verwendet werden36; so gerade auch neben V.dic.

2.0.4. Bessere Anknüpfungsmöglichkeiten ergeben sich demgegenüber mit der "prädikativen" Inf.-Konstruktion. Dabei ist zunächst zu vermerken, daß alle drei in Frage kommenden V.dic., āh-, brū- und vac-, bereits im RV eine Rektion mit doppeltem Akk. kennen, wobei ihre Bedeutung als "jdn. nennen als", "jdn. als ... bezeichnen" bestimmt werden kann37. Als Beispiele seien angeführt: a) RV 10,107,6a tám evá ṛ́ṣíṃ tám u brahmā́ṇam āhur ... "Den nennen sie den (eigentlichen) R̥ṣi, den den Brahmānen ..." (Geldner); b) RV 8,33,17 índraś cid ghá tád abravīt striyā́ aśāsyám mánaḥ │ utó áha krátuṃ raghúm "Auch Indra hat ja den Geist der Frau als unbelehrbar und (ihren) Verstand als (zu) leicht bezeichnet"; c) RV 3,54,19 devā́nāṃ dūtáḥ purudhá prásūtó 'nāgān no vocatu sarvátātā "Der Bote der Götter, der oftmals beauftragt wird, soll uns in vollem Maße als schuldlos melden" ( Geldner). Diese Rektion ist auch nachr̥gved. erhalten geblieben; vgl. z.B. VS 8,4338 devébhyo mā sukṛ́taṃ brūtāt "tell thou the gods of me as a doer of goods" (Eggeling). Zwischen den beiden Akkusativen besteht dabei ein prädikatives Verhältnis: "ich bin ein Rechthandelnder" etc.
2.0.5. Ein entsprechendes prädikatives Verhältnis kann nun auch in der Fügung "V.dic. + Akk. + Inf." eingebettet gesehen werden: áśvam ā́netavaí brūyāt "er nenne ein Pferd als herbeizuholen(des)" > "er befehle, ein Pferd herbeizuholen". Basis eines solchen Verhältnisses wäre ein Satz mit "prädikativem Inf.", wie *áśvaḥ .. ā́netavaí "ein Pferd (ist) herbeizuholen". Dieses Verhältnis hätte allerdings (wie in der zugrundeliegenden Konstruktion) keinen formalen Niederschlag im Sinne einer Kongruenz gefunden. Vergleichbar sind in dieser Hinsicht Sätze wie RV 1,164,22c tásyéd āhuḥ píppalaṃ svādv ágre "Sie nennen die süße Beere als an dessen (des Baumes) Spitze (befindlich)"; auch hier haben wir kein kongruierendes Prädikativum (zweiter Akk.) vor uns, sondern einen Adverbialausdruck, der — wie ein "prädikativer Inf." — als inkongruenter Prädikationsbestandteil eines zugrundeliegenden Kopulasatzes aufzufassen ist ("die Beere ist an der Baumspitze" ≈ "das Pferd ist herbeizuholen")39.

2.0.5.1. Gegen die "prädikative" Analyse spricht nicht, daß in der Konstruktion mit V.dic. einmal auch der Inf. eines intr. Verbs vorkommt. Nicht gemeint sind damit Fälle, wo ein Akk.-Objekt aus dem Kontext zu ergänzen ist, der Inf. also lediglich intr. gebraucht ist; so z.B. in MS 1,4,6 (54,7 f.)40 yád anvāhāryàm anvāhárati tān evá téna prīṇāti │ dakṣiṇataḥsádbhyaḥ párihartavā́ āha "Wenn er den als Opferlohn dienenden (Brei)41 heranbringt, (so deshalb, weil) er diese (die Götter) damit zufriedenstellt. Den auf der südlichen Seite sitzenden (Priestern) befiehlt er, (den Brei) zu bringen". In gleicher Weise können auch "prädikative" Infinitive in scheinbar "subjektlosen, unpersönlichen"42 Sätzen erscheinen, die auf Kontextellipsen beruhen; so z.B. MS 1,6,10 (102,1) ná purā́ sū́ryasyódetor mánthitavā́ "(Das Feuer) ist nicht vor Sonnenaufgang zu entfachen".
Gemeint ist hier vielmehr der singuläre Fall, wo der Inf. eines ausschließlich intr. Verbs vorliegt. Dies ist ŚB 5,3,2,643 áthātácya dádhi │ vínāṭa āsícya ráthaṃ yuktvā̀bádhya dédīyitavā́ āha. Die Bedeutung dieses Satzes erhellt erneut aus der Kāṇva-Parallele (7,2,1,7): átha dádhy ātácya dṛ́tāv āsícya ráthe nibádhya brūyād eténa dedīyadhvam íti; gemeint ist also: "Nachdem er Milch sauer geschlagen hat und sie in einen Lederbeutel gegossen hat, einen Wagen angeschirrt und (den Beutel daran) gebunden hat, heißt er (die Götter mit dem Wagen) losfliegen". Ebenso handelt es sich nämlich um Ausnahmen, wenn Infinitive intr. Verben in der prädikativen Konstruktion erscheinen. Der früheste Fall ist in der Saṃhitā-Prosa belegbar: MS 3,7.10 (90,10 f.) ≈ KS 24,9 (100,7) ≈ KapS 38,2 tásmāt sátānūnaptriṇe ná drógdhavaí "Deshalb darf einem, der mit dem Tānūnaptra verbunden ist, nicht geschadet werden"44 ("deshalb ist einem ... nicht zu schaden"?). Ein zweiter Fall begegnet erst im HirŚS (9,5,19): nodīcena saṃcaritavā ity ekeṣām "`Auf einem nach Norden gerichteten (Weg) darf man nicht wandeln (ist nicht zu wandeln?)', so (die Lehre) einiger"45.
Gerade daß intr. Infinitive in beiden Konstruktionen nur ausnahmsweise vorkommen, weist auf deren syntaktische Zusammengehörigkeit.

2.0.5.2. Für diese Zusammengehörigkeit spricht weiter auch die Fügung anuvā́ca āha, die oben (1.3.) problematisiert wurde. Bis in die Prosa hinein hat sich nämlich der bereits r̥gved. Zustand bewahrt, wonach die -tave/-tavaí-Infinitive in ihren Funktionen weitgehend mit den dativ. Wurzel-Infinitiven (auf -e) übereinstimmen. Dies betrifft vor allem auch die prädikative Konstruktion; vgl. z.B. RV 1,136,1f áthainoḥ kṣatráṃ ná kútaś canā́dhṛ́ṣe "und ihre Herrschaft ist von keiner Seite anzutasten" (Geldner, Hvhbg. J.G.)46. Sieht man hinter anuvā́ca āha nun eine Verbindung von dativ. Wurzelinf. (anuvā́ce)47 und V.dic., so läßt sich auch für diese Formel ein zugrundeliegendes prädikatives Verhältnis annehmen: *(ṛ́g)48 anuvā́ce "der Vers ist zu rezitieren".
2.0.6. Gegen eine Zurückführung der Konstruktion mit V.dic. auf die prädikative Inf.-Konstruktion könnte eingewendet werden, daß präd. -tave/-tavaí/-e-Infinitive im Veda durchweg in negierten Sätzen erscheinen (vgl. die bisherigen Beispiele), die Belegsätze mit V.dic. jedoch ausschließlich positiv sind. Dies ist jedoch nur dann von argumentativer Bedeutung, wenn der Beweis erbracht werden kann, daß es sich jeweils um systematische Beschränkungen (semantischer oder syntaktischer Art), nicht aber um Überlieferungszufälle handelt. Dieser Beweis ist noch nicht geführt49.
2.1. Die innerved. Daten machen also bereits wahrscheinlich, daß die Konstruktion "V.dic. (+ Akk.) + Inf. (-tavaí/-e)" auf die "prädikative" Verwendung der beteiligten Infinitive zurückzuführen ist. Diese Analyse wird weiter bestätigt, wenn man die Gegebenheiten der nächstverwandten Sprache, des Avest., zu Rate zieht.

3. Die iran. Parallele


3.1. Die syntaktische Verbindung eines V.dic. mit einer Inf.-Kategorie kennt auch das Avest. Das illustrativste Beispiel ist wohl die jav. Stelle Y. 71,13: aṣ̌auuanəm tē aṣ̌aonat āfiieiδiiāi mraomi uruuaϑəm uruuaϑāt̰. Unter der Annahme, daß āfiieδiiāi als δiiāi-Inf. zu einem Präs.-Stamm auf -iia- von *ā-pā- "schützen" gebildet sei, kommt Bartholomae50 zu folgender Übersetzung "iustum tibi a iusto curandum declaro, amicum ab amico"51.
3.1.1. Wie bei den behandelten ved. Stellen hätten wir es auch hier also mit einem eingebetteten Prädikatsinf. zu tun: "lch nenne den Freund als ... zu schützen(den)". Das übergeordnete V.dic. ist dabei sogar mit dem der ved. Konstruktion etymologisch identisch.
Anders als im Ved. sind jedoch zwei weitere Aktantenpositionen besetzt: Die eines Agens zum Inf. (aṣ̌aonat̰ / uruuaϑāt̰; "der Aṣ̌ahafte ist vom Aṣ̌ahaften52 zu schützen etc.") und die desjenigen, dem etwas "gesagt = genannt" wird (, "dir nenne ich ..."). Gleichzeitig kommt eine Übersetzung mit "befehlen" o.ä. nicht in Frage.
3.1.2. Ein weiterer bedeutender Unterschied betrifft die beteiligte Inf.- Kategorie. Die etymologische Entsprechung der avest -δiiāi-Formen wären ja die ved. Infinitive auf -dhyai, nicht die auf -tavaí (oder -e). Es erhebt sich also die Frage, ob die beiden Konstruktionen überhaupt miteinander vergleichbar sind, und was für ein Zusammenhang zwischen ihnen bestehen kann.

3.1.2.1. Um diese Frage zu klären, muß zunächst überprüft werden, ob āfiieiδiiāi tatsächlich, wie in Bartholomaes Analyse, als (eingebetteter) prädikativer Inf. in passivischer Geltung anzusehen ist. Im Jav. sind -δiiāi- Infinitive in Prädikatsstellung nämlich belegbar, dabei kommt jedoch zumindest in einem sicheren Fall nur eine aktivische Interpretation in Betracht. Dies ist Y. 27,1 aētat̰ dim vīspanąm mazištəm dazdiiāi ahūmca ratūmca yim ahurəm mazdąm "Darum wollen wir ihn, den größten von allen, ihn den Ahura Mazdāh, zu (unserm) Ahū und Ratav bestellen" (Wolff). Die aktivische Deutung ergibt sich dahei zwingend aus den Objekts-Akkusativen (dim, mazištəm etc.)53.
Diese Schwierigkeit kann dadurch umgangen werden, daß man den in āfiieiδiiāi vorliegenden Präs.-Stamm als Passiv-Stamm ansieht54, āfiieiδiiāi also als einen passiven -δiiāi-Inf. auffaßt. Auszugehen wäre dann von folgender jav. Regel: -δiiāi-Infinitive in Prädikatsfunktion sind nur dann passivisch zu interpretieren, wenn sie von einem als passiv gekennzeichneten Stamm abgeleitet sind.
3.1.2.2. Allerdings ist diese Analyse im Falle von āfiieiδiiāi nicht ohne Probleme: Der von Bartholomae zugrundegelegte Präs.(-Passiv)-Stamm āfiia- < *ā-p(ə)-i̯a- wurde nämlich, wie überhaupt die Verbindung der Wurzel pā- mit dem Präverb ā-, nur in der Form āfiieiδiiāi selbst existieren55. Da weiter auch das Ved. ein ā-pā nicht kennt, ist es angebracht, andere Analysemöglichkeiten zu überprüfen56.
So schlug K. Hoffmann57 eine Ableitung von āf-iia-, Präs.-Passiv-Stamm zu āp- "erreichen" vor: "Ich sage dir, daß ein Ašahafter auf Seiten eines Ašahaften erreicht wird". Diese Deutung ist zwar morphologisch überzeugend, semantisch jedoch schwer nachvollziehbar58. In dem Kontext, in dem der vorl. Satz erscheint, kommt dann doch eher "schützen" in Betracht; die Stelle lautet im Zusammenhang: huuō aṣ̌auua zaraϑuštrō uruuaϑəm ϑrātārəm isōit̰ aṣ̌auuanəm tē aṣ̌aonat̰ āfiieiδiiāi mraomi uruuaϑəm uruuaϑāt̰ tat̰ zī vaŋhō huuō zī druuå̄ yə̄ druuāite vahištō huuō aṣ̌auua yahmāi aṣ̌auua friiō. In āfiieiδiiāi könnte also der Bedeutungsinhalt des im Eingangssatz enthaltenen ϑrātārəm "Schützer" wiederaufgenommen oder paraphrasiert sein; daran scheint jedenfalls Bartholomae zu denken, der diesen Satz wie folgt übersetzt: "Vom Freund soll Z(araϑuštra, der Ašahafte) verlangen, daß er (dem Freund Schutz gewähre"59.
3.1.2.3. Auf eine andere Möglichkeit weisen die hss. Varianten des Wortes selbst: Neben āfiieiδiiāi (u.ä.) erscheinen nämlich auch Formen wie āfriieiδiiāi60. Die Überlieferungslage gestattet nicht, eine der beiden Varianten von vornherein auszuscheiden61. Auch āfriieiδiiāi ist nun als von einem passiven Präs.-Stamm abgeleitet deutbar; zugrunde läge *ā-frī-iia- als Passivstamm zu dem gut bezeugten Verb ā-frī- "begünstigen, wohlwollen". Für den vorliegenden Satz ergäbe sich somit die Bedeutung "ich sage dir, daß der Ašahafte vom Ašahaften zu begünstigen ist ...". Wie bei āfiieiδiiāi ließe sich auch diese Interpretation durch den gegebenen Kontext gut motivieren: āfriieiδiiāi würde (in einer figura etymologica) den Vorstellungsinhalt vorwegnehmen, der in dem am Ende der Stelle erscheinenden friiō enthalten ist ("der ist ein Ašahafter, dem ein Ašahafter lieb ist"62)> "ich sage dir, daß der Ašahafte vom Ašahaften zu lieben = begünstigen ist")63.
Auch āfriieiδiiāi ist jedoch nicht unproblematisch: auch bei diesem Verb ist der Passivstamm sonst unbelegt (im Veda begegnet prīyate erst ab den Upaniṣaden); außerdem stellt āfriieiδiiāi gegenüber āfiieiδiiāi so etwas wie eine "forma facilior" dar, da das Verb āfrī- eben besonders geläufig ist64.

3.1.3. Wie immer man sich im vorl. Fall entscheiden wird, kann auf jeden Fall doch von einem Passiv-Inf. ausgegangen werden. Die oben versuchsweise für das Jav. aufgestellte Regel (3.1.2.1.) kann im weiteren also durchaus als Argumentationsgrundlage dienen.
Damit können die ved. und jav. Daten wie folgt miteinander verglichen werden: In beiden Sprachen existiert eine Konstruktion mit "prädikativem" Inf., wobei allerdings unterschiedliche Formkategorien verwendet werden. In beiden Sprachen kann diese Konstruktion in einen übergeordneten Satz eingebettet sein, dessen Prädikatsverb *mrū- in der Bedeutung "nennen als" ist. Die entstehende Fügung hat im Ved. eine prägnante Bedeutungsentwicklung durchgemacht, die einem dt. "etwas zu tun befehlen" gleichkommt.
3.2. In diesen Vergleich läßt sich weiter auch das Aav. einbeziehen: Auch hier erscheinen -diiāi-Infinitive neben V.dic., wie z.B. in Y. 31,5a tat̰ mōi vicidiiāi vaocā hiiat̰ mōi aṣ̌ā dātā vahiiō. Auch hier ist eine Analyse mit eingebettetem (passivisch-)prädikativem Inf. möglich: "Das nenne mir als zu erkennen(des), was ihr mir durch die Wahrhaftigkeit als besseres bestimmt habt". Ähnlich strukturiert ist z.B. auch Y. 34,12b srūidiiāi mazdā frāuuaocā yā vīdāiiāt̰ aṣ̌īš rāṣ̌nąm, das wie folgt gedeutet werden kann: "als zu hören(des), o Mazdā, verkünde (das), auf welche Weise er (man?) die Anteile der Verkündigungen verteilen soll". Unter der Annahme, daß mraoī als 3.Sg.Präs.Passiv von mrū- "sagen" aufgefaßt werden kann65, kommt zusätzlich noch Y. 32,14c in Betracht, wo die gesamte Fügung ins Passiv versetzt vorliegen würde: hiiat̰cā gāuš jaidiiāi mraoī "und wenn die Kuh als zu töten(de) genannt wird".

3.2.1. Auch bei diesen Beispielen ist, wie oben im Ved., grundsätzlich wieder eine Analyse mit finalem Inf. möglich. So übersetzt Humbach: (Y. 31,5a) "Das höhere Gut nenne mir, damit ich es klar erkenne"; (Y. 34,12b) "Sprich, o Kundiger, damit man es höre ..." (Hvhbgn. J.G.). Y. 32,14c könnte wie folgt wiedergegeben werden: "und wenn die Kuh genannt wird, damit (auf daß) man sie töte..."66. Da eine finale Verwendung der -diiāi-Infinitive im Aav. in anderen Kontexten belegbar ist67, kann diese Analyse nicht a priori falsifiziert werden.
3.0.2.1. Für die prädikative Interpretation spricht demgegenüber folgende Argumentation: Zunächst ist festzuhalten, daß die in Frage kommenden aav. -diiāi-Infinitive nicht morphologisch als passiv gekennzeichnet sind. Gleichzeitig kann jedoch geltend gemacht werden, daß im Aav. -diiāi-Infinitive von trans. Verben, so wie die ved. Formen auf -tave/-tavaí, passivisch zu interpretieren sind, wenn sie in Prädikatsfunktion stehen; das eindeutige Beispiel ist Y. 45,4e nōit̰ diβžaidiiāi vīspa.hiṣ̌as ahurō "Der alles erfassende Ahura ist nicht zu täuschen = kann nicht getäuscht werden".
3.0.2.2. Weiter sind die an der Konstruktion beteiligten V.dic. nicht nur mit den entsprechenden ved. etymologisch identisch (mrū-/brū-, vac-/vac-), sie kennen darüber hinaus auch im Av. die Rektion mit doppeltem Akk., in der wir oben (2.3.1.) die Grundlage für die Einbettung prädikativer Inf.Sätze im Ved. gesehen haben; so z.B. in Y. 43,11e: tat̰ vərəziieidiiāi hiiat̰ mōi mraotā vahištəm "Das ist zu tun68, was ihr mir als das beste genannt habt". Daneben ist letztlich auch die Einbettung adverbialer Kopulasätze belegbar wie in Y. 43,13e: vairiiå stōiš yā ϑβahmī xṣ̌aϑrōi vācī "(der Wunsch nach) begehrenswertem Besitz, von dem man sagt, er sei in deiner Macht" (Humbach, Hvhbg. J.G.) ≈ "der als in deiner Macht (befindlich) genannt = bezeichnet wird"69.

3.0.3. Es liegt also nahe, die avest. Beispiele in Analogie zu den ved. prädikativ zu interpretieren, da die jeweiligen Satzmuster der beiden Sprachen damit auf eine gemeinsame, ursprachliche (urindoiran.) Grundlage bezogen werden können: die Möglichkeit, Kopulasätze den V.dic. *mrū-/vac-(/ādh-)70 durch Einbettung unterzuordnen. Dabei kann letztlich wahrscheinlich gemacht werden, daß die urindoiran. Grundsprache auch bereits die Einbettung prädikativer Inf.-Sätze kannte.

3.0.3.1. Zunächst sei noch einmal festgehalten, daß die Konstruktion "V.dic. + Akk. + Inf." in allen drei Sprachzuständen (Aav., Jav., ved. Prosa) ein passivisches Verhältnis zwischen dem beteiligten Objekts-Akk. und dem Inf. beinhaltet. Die verwendeten Inf.-Formen sind dann jeweils eben diejenigen, die in den drei Sprachen in Prädikatsstellung passivische Geltung haben (aav. -diiāi, jav. *-iiaδiiāi, ved. -tavaí/-e).
3.0.3.2. Wie ich in MSS 43 zu erweisen versucht habe, dürfte nun bereits im Urindoiran. die passivische Prädikatsfunktion bei den *-dhi̯āi̯-Infinitiven gelegen haben; dieser Zustand wäre im Aav. erhalten geblieben, während sich die syntaktischen Gegebenheiten zum Ved. hin verlagert hätten: hier können prädikativ zu interpretierende -dhyai-Formen durchweg als aktivisch gelten (eine ähnliche Veränderung mußte auch für das Jav. angenommen werden). Das Ved. hätte jedoch eine "Restitution" durchgeführt, indem die passivische Prädikatsfunktion auf andere Inf.-Kategorien übertragen wurde; dies sind die Formen auf -tave (später -tavaí) bzw. -e. (Entsprechend den Feststellungen oben unter 3.1.2.1. hätte auch das Jav. "restituiert": für die passivische Prädikatsfunktion wurde eine morphologische Variante der -δiiāi-Infinitive herausgebildet, die selbst als passiv markiert war.)
3.0.3.3. Unter der Annahme, daß dieselben "Restitutionen" auch in der eingebetteten prädikativen Konstruktion (neben V.dic.) durchgeführt worden seien, können die jeweiligen Satztypen der drei Einzelsprachen als Realisationen eines bereits urindoiran. Musters angesehen werden, das nur im Aav. in seiner ursprünglichen Form erhalten geblieben wäre71.
Diese Hypothese wird evtl. durch eine externe Evidenz gestützt, auf die ich im folgenden noch kurz eingehen will; der Argumentationsgang kann allerdings nur mehr umrissen werden.

4. Die umbr. -fi-Infinitive


4.1. In MSS 43 habe ich die These problematisiert, wonach die indoiran. *-dhi̯āi̯-Formen als Infinitive des Mediopassivs zu gelten hätten; diese These war zuletzt von H. Rix forciert worden, der diese Formen mit den sicher mediopassiven -fi-Infinitiven des Umbr. zu identifizieren vorschlug (beide < uridg. *-dhi̯ōi̯)72. Demgegenüber kam meine Untersuchung zu dem Ergebnis, daß für die urindoiran. *-dhi̯āi̯-Formen eine Zugehörigkeit zum "Mediopassiv" nicht nachweisbar sei, daß diese Infinitive vielmehr nur in einer syntaktischen Funktion, nämlich als Prädikatsinfinitive, passivische Konstruktion gehabt haben dürften (sofern von einem trans. Verb gebildet).
4.2. Zu beachten ist nun, in welchen syntaktischen Umgebungen die umbr. -fi-Infinitive stehen können. Dies ist a) die Stellung neben Verben des "Wollens": panta muta ... pepurkurent herifi (Vb3, Rix S. 322; Bedeutung nach Rix etwa "in welcher Höhe sie gefordert haben, daß die Buße angemessen sei"); b) neben (unpersönlichen) Ausdrücken des "Angemessenseins": persei mersei esu ... pihafei (VIa28; Rix 323: "wenn es in Ordnung ist, daß ... Reinigung geschieht"); evtl. noch c) neben Verba sentiendi: ... pir pureto cehefi dia (VIa20), falls dies bedeutet "gesehen wird, daß Feuer vom Feuer genommen wird" (so nach Rix 326 mit Anm.48). Dazu dürfte, in Analogie nach den anderen Inf.-Kategorien des Umbr., auch die Stellung neben V.dic. gekommen sein (cf. Rix 320).
Fremd sind den umbr. -fi-Infinitiven (wie den altital. Infinitiven überhaupt) die finale und die Prädikatsfunktion, die beide für die indoiran. *-dhi̯āi̯-Formen als primär zu gelten haben.
4.3. Nun lassen sich die belegten Funktionen der -fi-Formen aber sämtlich auf die (eingebettete) Prädikatsfunktion zurückführen. So zunächst bei den Verben des "Wollens"; im gegebenen Beispiel: "in welcher Höhe sie die Buße als (in angemessener Weise zu wünschen ≈) festzusetzen gefordert haben", d.h. "in welcher Höhe sie gefordert haben, daß die Buße festzusetzen sei". So auch bei den Verba sentiendi: "man sieht das Feuer als vom Feuer zu nehmen(des)", d.h. "man sieht, daß Feuer vom Feuer zu nehmen ist ≈ genommen werden soll (oder wird)"73.
Die Verwendung nach Ausdrücken des "Angemessenseins" ist zunächst ableitbar aus einer Verwendung nach V.dic.: "man erkennt (die Burg) als ... zu reinigende an" ≈ "es wird (die Burg) als ... zu reinigende anerkannt" ≈ "es ist in Ordnung, daß (die Burg) . . gereinigt wird". Daß Infinitive neben V.dic. prädikativ interpretierbar sind, erweisen nicht zuletzt die behandelten indoiran. Konstruktionen als typologische Parallele.
4.4. Diese Parallele eröffnet weiter aber auch die Möglichkeit, den passiven Charakter der -fi-Infinitive mit der passivischen Verwendung der indoiran. *-dhi̯āi̯-Formen in prädikativer Funktion etymologisch zu vereinbaren.
Dazu müßte man voraussetzen, daß bereits die zu rekonstruierenden uridg. Infinitive auf *-dhi̯āi̯ die prädikative Funktion gekannt hätten, und zwar ebenfalls bereits mit passivischer Geltung (bei trans. Verben). Zum Umbr. hin hätte sich nur die eingebettete Variante dieser Funktion erhalten; daraus hätte die morphologische Zuordnung der -fi-Formen zum Passiv resultiert.
Dieser Ansatz bedarf natürlich noch einer eingehenden Überprüfung, die sich auf die altital. Inf.-Syntax insgesamt erstrecken muß.


5. Exkurs : Zur spätved. Umgestaltung der Konstruktion


5.1. In der spätved. Sprachschicht der Sūtras ist die Konstruktion "V.dic. + Akk. + Inf." nicht mehr lebendig: Außer im VādhS fallen als Belegstellen nur mehr Zitate aus der älteren Prosa an. Syntaktisch unverändert sind diese dabei generell nur ins KātyŚS übernommen (aus ŚBM)74, während die übrigen Sūtratexte das Satzmuster umgestaltet haben. So wird die angeführte Stelle MS 1,4,6 dakṣiṇataḥsádbhyaḥ párihartavā́ āha "(den Brei) befiehlt er, den auf der südlichen Seite sitzenden (Priestern) zu bringen" (oben 2.3.2.1.) wie folgt wiedergegeben: ĀpŚS 3,4,1 = BhārŚS 3,4,1 = HirŚS 2,3,40 ≈ VaikhŚS 7,3 dakṣiṇasadbhya upahartavā iti saṃpreṣyati75; etwas ausführlicher HirŚS 6,3,7 dakṣiṇasadbhya upahartavā ity ucyamāne dakṣiṇata etety ṛtvijaḥ saṃpreṣyati. Die Umgestaltung kann also zunächst so umrissen werden: der Inhalt des Befehls, der in der Ausgangskonstruktion als "eingebetteter Prädikativsatz" einer Art oratio obliqua gleichkam, ist durch eine Art oratio recta ersetzt, die durch die Partikel íti angezeigt wird; das V.dic. kann dabei erscheinen (íti ucyamāne ... saṃpreṣyati "indem ... gesagt wird, schickt er ..." ≈ indem er ... sagt, schickt er ..."), ist jedoch nicht erforderlich (und fehlt daher meist), denn ... íti saṃpreṣyati bedeutet allein bereits "er schickt ... mit den Worten ..."76.
5.2. Die Frage ist nun, welche syntaktische Struktur die "wörtl. Rede" dabei hat. Es wäre ja denkbar, daß diese exakt den Prädikativsatz enthielte, den wir in der Konstruktion mit V.dic. eingebettet gesehen haben ("er nennt den Brei als zu bringenden" > "er sagt: `der Brei ist zu bringen'"); dies würde bedeuten, daß der Patiens der Inf.-Handlung im Nom. stehen müßte. Beispiele wie das vorliegende (mit elliptischer Auslassung des Patiens, cf. oben 2.3.2.1.) geben hierüber natürlich keinen Aufschluß. Die belegbaren eindeutigen Fälle zeigen den Patiens jedoch im Akk. So ĀpŚS 6,31,1 śyāmākān uddhartavā iti saṃpreṣyati als Wiedergabe von KB 4,12 ... śyāmákān uddhartavá āha " .. he gives orders to pluck millet" (Keith)77. Die Sprache der Sūtras hat die eingebettete Konstruktion also nicht wieder auf die zugrundeliegenden Prädikativsätze zurückgeführt, sondern das unter das V.dic. untergeordnete Syntagma "Akk. + Inf." zu einer "abhängigen wörtl. Rede" umgedeutet, die einer Aufforderung mit "iussivem Inf." nahekommt (śyāmākān uddhartavā iti saṃpreṣyati "er schickt (ihn, sagend): `Hirse pflücken!"'). Dies erweisen letztlich auch Belegstellen, für die kein Ausgangszitat nachweisbar ist; so z.B. HirŚS 4,4,59 ≈ BhārŚS 7,17,6 klomānaṃ plīhānaṃ purītataṃ medaḥ samavadhātavā iti saṃpreṣyati "Lunge, Milz, Perikardium und Fett (des Opfertiers) (schickt er ≈) läßt er beiseite legen"78.
5.3. Kein Inf. in "abhängiger wörtl. Rede" ist āśaktavaí an der problematischen Stelle HirŚS 7,2,83 adhvaryav āśaktavā iti yajamānaḥ pṛcchaty ... (≈ BhārŚS 10,18,7 pṛcchati yajamāno 'dhvaryum adhvaryav āśaktavā79 iti). Dies könnte zunächst als eine Bitte (pṛcchati) des Y(ajamāna) an den A(dhvaryu) aufgefaßt werden: "A., (den Soma herbeizubringen) helfen!" Zieht man jedoch den weiteren Kontext zu Rate, so ergibt sich eine andere Deutung; die Texte fahren nämlich fort: āśakāmety adhvaryuḥ ││ katham āśakateti yajamānaḥ ││80. Es liegt offenbar eine Wechselrede vor81, die mit einer Frage (pṛcchati) des Y. beginnt: adhvaryav, āśaktavā iti? — āśakāma iti! — katham āśakata_iti? Sinnvoll wird diese Wechselrede jedoch erst, wenn die Ausgangsfrage wie die katham-Frage eine Form der 2.Pl. (Aor.) enthält82; diese müßte der Pluti unterliegen, da es sich um eine Entscheidungsfrage handelt83: adhvaryav, *āśakatā(3) iti? — āśakāma_iti! — katham āśakata_iti? "A., habt ihr (den Soma herbeizubringen) vermocht? — (Ja,) wir haben (ihn herbeizubringen) vermocht! — Wie habt ihr (ihn herbeizubringen) vermocht?"84
Unter dieser Annahme erscheint es angebracht, den in beiden Texten vorliegenden Inf. auf eine (bereits in der gemeinsamen Quelle der Texte vorhandene) Fehlschreibung zurückzuführen, bei der für -ka- -kta- und für -tā- -vā- eingetreten wäre: *āśakatā iti85 > āśaktavā iti86. Der Inf. āśaktavai ist somit aus dem Formenbestand des Veda zu streichen.

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Copyright Jost Gippert, Frankfurt a/M 12. 8.2001. No parts of this document may be republished in any form without prior permission by the copyright holder.