Jost Gippert
29
I-29
Verbum dicendi + Infinitiv im Indoiranischen
0.1. Von der Saṃhitā-Prosa an begegnet uns in den ved. Texten
eine syntaktische Fügung, die aus einem finiten V(erbum) dic(endi)
und einem Inf(initiv) besteht, und die gemeinhin mit dt. "etwas zu
tun befehlen" wiedergegeben wird. Ein häufig zitiertes Beispiel ist
ŚB 2,1,4,16
tásmād yátrāgníṃ manthiṣyánt syā́t tád áśvam ā́netavaí
brūyāt "deshalb soll er (der Adhvaryu) (dann), wenn er ein Feuer
anzuzünden beabsichtigt, ein Pferd zu bringen (`sagen'=) befehlen".
0.2. Daß die Konstruktion tatsächlich zur Darstellung einer
Befehlssituation dient, zeigt die Kāṇva-Parallele der angeführten
Stelle (ŚBK 1,1,4,15):
tásmād brūyād agníṃ manthiṣyánn áśvam
ā́nayéti. Hier ist anstelle des Infinitivs
ā́netavaí eine finite
Imperativform in wörtlicher Rede verwendet: "Deshalb soll er,
wenn er sich anschickt, ein Feuer zu entzünden, sagen: `Bringe ein
Pferd herbei!'" Auf gleiche Weise stehen sich auch ŚB 2,3,1,16 und
ŚBK 1,3,1,9 gegenüber:
tásmād ... udastokám ā́ścotayitavaí brūyāc
... "deshalb soll er ... einen Wassertropfen hineinzuträufeln
befehlen" und
tásmād ... udastokám áścotayéty evá brūyāc ...
"deshalb soll er ... sagen: `Träufle einen Wassertropfen hinein!"'
0.3. Im folgenden soll die ved. Konstruktion "V.dic. + Inf."
erstmalig umfassend in synchroner und diachroner Sicht beleuchtet
werden; Ziel der Untersuchung ist letztlich, zu weitergehenden
Aufschlüssen über die Infinitivsyntax der altidg. Sprachen und der
Grundsprache selbst zu gelangen.
1. Vorkommen und Erscheinungsformen der ved. Konstruktion
1.1. Die Konstruktion ist innerhalb des ved. Textmaterials in ca.
60 unterschiedlichen Sätzen (sämtlich Prosa) belegbar
1. Die
ältesten Belege gehören der MS an (3 Belege, davon einer auch in
KS)
2, während die große Masse den Brāhmaṇas zu entnehmen ist
(vor allem ŚB
3 und JB, seltener KB und TB; kein Beleg in AB).
Nach den Brāhmaṇas ist der Satztyp offenbar bald obsolet
geworden; nur das JUB (1 Beleg) und das VādhS bringen noch
neue Beispiele
4.
1.0.3. Bei den beteiligten V.dic. handelt es sich hauptsächlich um
zwei Formen: dies ist zunächst das in den bereits genannten
Beispielen erscheinende
brūyāt (3.Sg.Opt. von
brū- "er soll sagen
= befehlen")
5, dann die Form
āha (3.Sg.Perf. in präsentischer
Funktion
6, "er sagt = befiehlt"), die z.B. in den Belegstellen aus
MS und KS enthalten ist; so MS 1,4,10 (58,3 f.) ≈ KS 32,7 (25,18
f.)
pū́rvaṃ cāgním áparam ca páristarītavā́ (KS
°staritavā)
āha
"das vordere Feuer und das hintere befiehlt er (der Yajamāna) zu
umstreuen"
7.
1.0.4. Andere Formen von V.dic. sind demgegenüber nur äußerst
spärlich vertreten. So begegnet uns einmaliges
brūmo
(1.Pl.Präs.Ind.Akt., "wir sagen = befehlen") an der problematischen
Stelle ŚBK 4,1,2,10:
tád áhataṃ syād íty āhus tád ubháyaṃ
níṣpeṣṭavaí brūmo yád evā̀syāmedhyā́ kṛṇátti vā váyati vā tád
evā̀syaitád adbhír médhyaṃ kurvanty ... Offenbar bildet der
brūmo-Satz noch einen Teil der voraufgegangenen wörtlichen Rede,
obwohl hinter
brūmo íti fehlt
8; zu übersetzen wäre: "`Das (Kleid)
soll neu
9 sein', sagen sie, `das befehlen wir auf beide Weisen
(beiden Seiten)
10 (waschend) auszuschlagen'. Welches (Teil) von
diesem (Kleid) (nämlich) eine unreine (Frau) gesponnen oder
gewebt hat, das [Teil) machen sie so mit Wasser rein ...". Die
ŚBM-Parallele (3,1,2,19) liefert die wörtliche Rede nicht und hat
statt dessen
brūyāt + Inf.:
tád vā́ áhataṃ syāt │ ayā́tayāmátāyai tád
vaí níṣpeṣṭavaí brūyād yád evā̀syā́trāmedhyā́ ... "das (Kleid) soll
fürwahr neu sein, zum Zwecke der unverbrauchten Kraft. Das soll
er auszuschlagen befehlen. Welches ..."
1.0.5. Zwei andere finite Formen von
brū- präsentiert das JB an
der vieldiskutierten Stelle 3,221 (
Caland Ausw. § 201). Hier
erscheint zunächst der Satz
taṃ jātaṃ parāstāvabravīj (so die Hss.),
der überzeugend erst von K.
Hoffmann geklärt wurde
11:
Zugrunde liegt
*táṃ jātáṃ párāstavā́ abravīt "er befahl (
abravīt
3.Sg.Impf.Akt. von
brū-), diesen (Knaben), sobald er geboren war,
auszusetzen". Der gleiche Inhalt wird an der gegebenen Stelle kurz
darauf in wörtlicher Rede wiederaufgenommen, wobei sich hinter
dem hss. überlieferten
yaṃ vaí kumāraṃ parāstāvabravīj ayam vai
sa jīvatītī offenbar eine 2.Sg.Impf.
*(párāstavā́) ábravīr verbirgt
12:
"`Den du als Knaben auszusetzen befohlen hast, der lebt (in
Wirklichkeit noch)'".
1.0.6. Eine letzte Form von
brū- + Inf. liefert das VādhS mit
dem zweimaligen
bravasi (2.Sg.Präs.Konj.Akt.; AO 6, S. 191):
sa
trīn vatīn ānetavaí bravasi kumārān avibhyo 'dhyū(r)ṇāṃs tān
purastād rājñaḥ prasraṣṭavai bravasi teṣāṃ yo harikeśo bhavitā so
'ham bhavitāsmīti hainam uvāca jātavedāḥ. Dies bedeutet
ungefähr
13: "`Als dieser (nämlich als Opferpriester) sollst du (ein
R̥ṣi) drei Vatis herbeizuführen befehlen, die männlich und mit
Schafwolle bedeckt sind; diese sollst du vor dem König loszulassen
befehlen. Derjenige von diesen (Vatis), der gelbhaarig sein wird,
der werde ich sein,' sagte der Jātavedas (Agni)".
1.0.7. In der Erzählung, der die soeben behandelte Stelle
entnommen ist, wird wenige Zeilen später der Vollzug der im Konj.
gehaltenen Aufforderung mitgeteilt. Dabei ist das Perf.
uvāca
verwendet:
sa trīn vatīn ānetavā uvāca kumārān ... tān purastād
rājñaḥ prasraṣṭavā uvāca "er befahl, drei männliche ... Vatis
herbeizuführen; diese befahl er, vor dem König loszulassen".
Die gleiche Verbindung von
uvāca + Inf. in einer Erzählung
begegnet uns bereits einmal im ŚB (4,1,5,4)
14:
sá gopālā́ṃś
cāvipālā́ṃś ca sáṃhvayitavā́ uvāca "Dieser (Śaryāta) befahl,
Kuhhirten und Schafhirten zusammenzurufen"
15.
1.0.8. In der Konstruktion mit Inf. treffen wir also genau drei
V.dic. an:
āh-, brū- und vac-. Dies ist kein Zufall: Daß
brū- und
vac- in der ved. Prosa ein Suppletivparadigma bilden (Präs.
bravīmi, Aor.
avocam, Perf.
uvāca), ist bereits hinlänglich
bekannt
16. In dieses Suppletivparadigma sind weiter offenbar aber
auch die Formen
āha (3.Sg.),
āhatuḥ (3.Du.) und
āhuḥ (3.Pl.)
eingedrungen, wobei sie die entsprechenden 3. Pss. des aktiven
Präsensindikativs von
brū- verdrängt haben. Tatsächlich sind die
letztgenannten Formen von
brū- — bei ansonsten vollständigem
Präsensparadigma — in der Prosa nicht mehr zu belegen
17. Es
handelt sich also strenggenommen um eine Konstruktion: die des
einen Verbs
brū-/āh-/vac- (in der Sonderbedeutung "befehlen")
mit Inf.
1.1. Wie aus den bisher zitierten Beispielen ersichtlich ist, ist an
der Konstruktion auch nur eine der ved. Inf.-Kategorien beteiligt:
die auf
-tavaí18. Die einzige Ausnahme bildet die Verbindung
anuvā́ca āha, die in ŚB 3,8,3,14 in folgendem Kontext erscheint:
átha manótāyai havíṣo 'nuvā́ca āha │ tád yán manótāyai havíṣo
'nuvā́ca ā́ha ... tásmān manótāyai havíṣo 'nuvā́ca āha. Daß hier,
wie an den Stellen mit
-tavaí-Infinitiven, eine Befehlssituation
gemeint ist, zeigt wiederum die Kāṇva-Parallele (4,8,3,9):
áthāha
manótāyai havíṣo 'vadīyámānasyā́nubrūhī́ti sá yán manótāyā
anuvā́ca ā́ha .. Die gleiche Variante mit
āha + Impv. +
íty bietet
auch AB 2,10,1 ff.:
manotāyai haviṣo 'vadīyamānasyānubrūhīty
āhādhvaryus ... kasmād āgneyīr eva manotāyai haviṣo 'vadīyamānasyānvāha ... Die Bedeutung der Ausgangsstelle kann also wie
folgt umrissen werden: "Nun befiehlt er (der Adhvaryu), (den
Einladungsvers) der (zu verteilenden) Opfergabe
19 für (Agni, die)
Manotā(-Gottheit)
20 zu rezitieren. Daß er ... befiehlt (, hat
folgenden Grund): .. Deshalb befiehlt er ..."
Wenn sich die Fügung
anuvā́ca āha aber den Konstruktionen mit
V.dic. und
-tavaí-Infinitiven völlig analog verhält, so erhebt sich die
Frage, welche Form sich tatsächlich hinter
anuvā́ca verbirgt.
Denkbar sind unter den gegebenen Sandhibedingungen
°vā́caḥ
(Gen.-Abl. eines Wurzel-Infinitivs)
21 und
°vā́ce (dativ.
Wurzelinf.)
22. Um diese Frage zu klären, bedarf es zunächst einer
syntaktischen Deutung der ved. Konstruktion "V.dic. + Inf." selbst;
diese muß vom Normalfall, mit
-tavaí-Inf., ausgehen.
2. Syntaktische Deutung der ved. Konstruktion
2.1. Um das syntaktische Verhältnis zwischen dem V.dic. und
dem Inf. in der gegebenen Fügung zu beleuchten, muß man sich
zunächst die anderen Funktionen vor Augen halten, die den
-tavaí-Formen im ved. Aind. zukommen. Zwei Grundfunktionen treten
dabei zutage: zum einen die
finale Funktion, die einer
Zweckangabe; hier steht der Inf. neben einem Vollverb wie in RV
1,57,6c (= AV 20,15,6c)
ávāsṛjo nívṛtáḥ sártavā́ apáḥ "Du ließest
die eingeschlossenen Wasser frei, zu fließen". Die andere Funktion
ist die eines "prädikativen" Infinitivs
23; als Beispiel hierfür mag
dienen MS 1,10,10 (150,6f.) ≈ KS 36,5 (72,2f.)
tásmāt pitā́
nā́ticaritavā́ ... "Deshalb (ist) der Vater nicht zu hintergehen". Zu
beachten ist dabei, daß die
-tavaí-Infinitive in prädikativer Funktion
"passivische"
24 Geltung haben: das Satzsubjekt ist Patiens der Inf.-Handlung ("deshalb darf der Vater nicht hintergangen
werden").
2.1.1. Für beide Funktionen, die finale und die prädikative, kann
man davon ausgehen, daß die Formen auf
-tavaí zunächst als
Varianten der älteren Formen auf
-tave aufgekommen sind
25 und
diese dann (vor allem in der prädikativen Stellung) verdrängt
haben
26. So verwenden RV und AV in prädikativer Funktion noch
fast ausschließlich
27 die
-tave-Infinitive; vgl. z.B. RV 8,78,5ab
nákīm índro níkartave ná śakráḥ páriśaktave "lndra ist nicht
niederzumachen, der Starke ist nicht zu überwältigen". Auch die
-tave-Infinitive verhalten sich dabei passivisch
28.
2.0.3. Die Konstruktion mit V.dic. kann grundsätzlich auf beide
Funktionen der (
-tave/)
-tavaí-Infinitive zurückgeführt werden. So ist
in dem zuerst angeführten Beispielssatz (oben 0.1.)
áśvam ā́netavaí
brūyāt der Inf. zunächst
final interpretierbar: "er soll sprechen,
damit ein Pferd herbeigeholt werde". Ein entsprechendes finales
Syntagma findet sich z.B. in RV 6,60,12
tā́ no vā́javatīr íṣa āśū́n
pipṛtam árvataḥ índram agníṃ ca vóḷhave "Gebt uns in Fülle
wertvolle Speisen, rasche Rosse, um Indra und Agni zu fahren"
(
Geldner).
Eine
finale Deutung scheint z.B.
Eggeling seiner Übersetzung
von ŚB 1,4,2,16 zugrundegelegt zu haben:
ā́vaha devā́n
yájamānāyéti │ tád asmaí yajñā́ya devā́n ā́voḍhavā́ āha ... "`Bring
hither the gods for the sacrificer!' this he says
in order that he
(Agni) may bring the gods to this sacrifice" (Hvhbg. J.G.)
29.
2.0.2.1. Gegen die finale Interpretation sprechen jedoch folgende
Argumente: In der Konstruktion mit V.dic. erscheint
durchweg30
ein
Akk.-Objekt, das mit dem Patiens der Inf.-Handlung identisch
ist; im letztgen. Beispiel
devā́n (ā́vodhavaí) "die Götter (herbeifahren)". In der zum Vergleich herangezogenen Finalkonstruktion
hingegen wird ein Patiens des Infinitivs in der überwiegenden Zahl
der Fälle im
Dativ genannt
31. So z.B. in RV 8,96,5ab:
ā́ yád
vájram bāhvór indra dhátse madacyútam áhaye hántavā́ u "Wenn
du, Indra, die Keule in die Arme nimmst, die rauscherregte, um
den Drachen zu erschlagen" (
Geldner, Hvhbg. J.G.). So auch, mit
-tavaí-Inf., an der Prosastelle AB 2,35
32:
vajram eva tat praharati
dviṣate bhrātṛvyāya vadhaṃ yo 'sya stṛtyas tasmai startavai "verily
thus he hurls a thunderbolt at the foe who hates him, as a weapon
to lay low
whom he has to lay low" (
Keith, Hvhbg. J.G.).
2.0.2.2. Ein weiterer gewichtiger Unterschied besteht darin, daß
bei der Finalkonstruktion die übergeordnete und die Inf.-Handlung
in der Regel
denselben Agens haben, wie in den beiden letztgen.
Beispielen ("du", Indra / "er", der Hotṛ). Wenn sich der Agens des
Prädikatsverbs und der des Infinitivs unterscheiden, muß letzterer
immerhin im Satzkontext genannt sein wie z.B. in RV 5,31,4cd:
brahmā́ṇa índram maháyanto arkaír ávardhayann áhaye hántavā́ u
"Die Brahmāṇen stärkten Indra, indem sie ihn mit Lobgesängen
verherrlichten, um den Drachen zu erlegen = damit
er den Drachen
erlegte".
Bei der Konstruktion mit V.dic. ist Agensidentität natürlich in
keinem Fall zu erwarten (
devā́n ā́voḍhavā āha bedeutet
nicht "er
spricht, um die Götter herbeizufahren = damit er
selbst die Götter
herbeifahre"), da die Fügung eben einen Befehl wiedergibt und
somit gerade einen Agens
wechsel impliziert
33 ("er spricht, damit
jemand anderer, nämlich Agni, die Götter herbeifahre").
Dabei ist die
Nennung des zweiten Agens aber offenbar geradezu ausgeschlossen (denkbar wäre immerhin
brū- + Dativ-Agens
+ Akk.-Patiens + Inf. "
jemandem `sagen' = befehlen, damit er die
Götter hole"); zumindest ist eine solche Nennung nicht belegbar.
Dieser Unterschied zur finalen Konstruktion ist zu augenfällig, als
daß er auf Zufall beruhen könnte.
2.0.2.3. Hinzuweisen ist letztlich auf Fälle wie TB 3,2, 5,9, wo
neben
āha sowohl ein
-tavaí-Inf. als auch ein dat.
Verbalnomen
(auf
-tyai) erscheint
34:
uccaíḥ samā́hantavā́ āha víjityai "Er
befiehlt, laut (die Opferinstrumente, evtl. -trommeln, cf. TB 1,3,6,2)
zu schlagen,
um zu siegen". Auch hieraus kann man schließen, daß
die
-tavaí-Infinitive neben
āha (etc.) nicht final sind, daß vielmehr
eine evtl. Finalität des gesamten Befehlsaktes durch andere
Kategorien von Verbalableitungen bezeichnet werden kann. Vgl.
auch den an derselben TB-Stelle erscheinenden Satz
vayáṃ ...
jeṣméty āha bhrā́trvyābhibhūtyai "`Wir möchten ... siegen
35', sagt
er
zur Nebenbuhlerüberwindung," d.h. "um die Nebenbuhler zu
überwinden". Es zeigt sich, daß zur Bezeichnung von
Zweckangaben in der ved. Prosa generell eher dat. Verbalnomina
verwendet werden
36; so gerade auch neben V.dic.
2.0.4. Bessere Anknüpfungsmöglichkeiten ergeben sich demgegenüber mit der "prädikativen" Inf.-Konstruktion. Dabei ist
zunächst zu vermerken, daß alle drei in Frage kommenden V.dic.,
āh-, brū- und vac-, bereits im RV eine Rektion mit
doppeltem
Akk. kennen, wobei ihre Bedeutung als "jdn. nennen als", "jdn. als
... bezeichnen" bestimmt werden kann
37. Als Beispiele seien
angeführt: a) RV 10,107,6a
tám evá ṛ́ṣíṃ tám u brahmā́ṇam āhur
... "Den nennen sie den (eigentlichen) R̥ṣi, den den Brahmānen ..."
(
Geldner); b) RV 8,33,17
índraś cid ghá tád abravīt striyā́
aśāsyám mánaḥ │ utó áha krátuṃ raghúm "Auch Indra hat ja den
Geist der Frau als unbelehrbar und (ihren) Verstand als (zu) leicht
bezeichnet"; c) RV 3,54,19
devā́nāṃ dūtáḥ purudhá prásūtó 'nāgān
no vocatu sarvátātā "Der Bote der Götter, der oftmals beauftragt
wird, soll uns in vollem Maße als schuldlos melden" (
Geldner).
Diese Rektion ist auch nachr̥gved. erhalten geblieben; vgl. z.B. VS
8,43
38 devébhyo mā sukṛ́taṃ brūtāt "tell thou the gods of me as a
doer of goods" (
Eggeling). Zwischen den beiden Akkusativen
besteht dabei ein
prädikatives Verhältnis: "ich bin ein
Rechthandelnder" etc.
2.0.5. Ein entsprechendes prädikatives Verhältnis kann nun auch
in der Fügung "V.dic. + Akk. + Inf."
eingebettet gesehen werden:
áśvam ā́netavaí brūyāt "er nenne ein Pferd als herbeizuholen(des)"
> "er befehle, ein Pferd herbeizuholen". Basis eines solchen
Verhältnisses wäre ein Satz mit "prädikativem Inf.", wie
*áśvaḥ ..
ā́netavaí "ein Pferd (
ist) herbeizuholen". Dieses Verhältnis hätte
allerdings (wie in der zugrundeliegenden Konstruktion) keinen
formalen Niederschlag im Sinne einer
Kongruenz gefunden. Vergleichbar sind in dieser Hinsicht Sätze wie RV 1,164,22c
tásyéd
āhuḥ píppalaṃ svādv ágre "Sie nennen die süße Beere als an
dessen (des Baumes) Spitze (befindlich)"; auch hier haben wir kein
kongruierendes Prädikativum (zweiter Akk.) vor uns, sondern einen
Adverbialausdruck, der — wie ein "prädikativer Inf." — als
inkongruenter Prädikationsbestandteil eines zugrundeliegenden
Kopulasatzes aufzufassen ist ("die Beere
ist an der Baumspitze" ≈
"das Pferd
ist herbeizuholen")
39.
2.0.5.1. Gegen die "prädikative" Analyse spricht nicht, daß in der
Konstruktion mit V.dic.
einmal auch der Inf. eines
intr. Verbs
vorkommt.
Nicht gemeint sind damit Fälle, wo ein Akk.-Objekt aus
dem Kontext zu ergänzen ist, der Inf. also lediglich intr.
gebraucht
ist; so z.B. in MS 1,4,6 (54,7 f.)
40 yád anvāhāryàm anvāhárati tān
evá téna prīṇāti │ dakṣiṇataḥsádbhyaḥ párihartavā́ āha "Wenn er
den als Opferlohn dienenden (Brei)
41 heranbringt, (so deshalb,
weil) er diese (die Götter) damit zufriedenstellt. Den auf der
südlichen Seite sitzenden (Priestern) befiehlt er, (den Brei) zu
bringen". In gleicher Weise können auch "prädikative" Infinitive in
scheinbar "subjektlosen, unpersönlichen"
42 Sätzen erscheinen, die
auf Kontextellipsen beruhen; so z.B. MS 1,6,10 (102,1)
ná purā́
sū́ryasyódetor mánthitavā́ "(
Das Feuer) ist nicht vor
Sonnenaufgang zu entfachen".
Gemeint ist hier vielmehr der singuläre Fall, wo der Inf. eines
ausschließlich intr. Verbs vorliegt. Dies ist ŚB 5,3,2,6
43 áthātácya
dádhi │ vínāṭa āsícya ráthaṃ yuktvā̀bádhya dédīyitavā́ āha. Die
Bedeutung dieses Satzes erhellt erneut aus der Kāṇva-Parallele
(7,2,1,7):
átha dádhy ātácya dṛ́tāv āsícya ráthe nibádhya brūyād
eténa dedīyadhvam íti; gemeint ist also: "Nachdem er Milch sauer
geschlagen hat und sie in einen Lederbeutel gegossen hat, einen
Wagen angeschirrt und (den Beutel daran) gebunden hat, heißt er
(die Götter mit dem Wagen) losfliegen". Ebenso handelt es sich
nämlich um
Ausnahmen, wenn Infinitive intr. Verben in der
prädikativen Konstruktion erscheinen. Der früheste Fall ist in der
Saṃhitā-Prosa belegbar: MS 3,7.10 (90,10 f.) ≈ KS 24,9 (100,7) ≈
KapS 38,2
tásmāt sátānūnaptriṇe ná drógdhavaí "Deshalb darf
einem, der mit dem Tānūnaptra verbunden ist, nicht geschadet
werden"
44 ("deshalb ist einem ... nicht zu schaden"?). Ein zweiter
Fall begegnet erst im HirŚS (9,5,19):
nodīcena saṃcaritavā ity
ekeṣām "`Auf einem nach Norden gerichteten (Weg) darf man nicht
wandeln (ist nicht zu wandeln?)', so (die Lehre) einiger"
45.
Gerade daß
intr. Infinitive in beiden Konstruktionen nur
ausnahmsweise vorkommen, weist auf deren syntaktische
Zusammengehörigkeit.
2.0.5.2. Für diese Zusammengehörigkeit spricht weiter auch die
Fügung
anuvā́ca āha, die oben (1.3.) problematisiert wurde. Bis in
die Prosa hinein hat sich nämlich der bereits r̥gved. Zustand
bewahrt, wonach die
-tave/-tavaí-Infinitive in ihren Funktionen
weitgehend mit den
dativ. Wurzel-Infinitiven (auf
-e)
übereinstimmen. Dies betrifft vor allem auch die prädikative Konstruktion; vgl. z.B. RV 1,136,1f
áthainoḥ kṣatráṃ ná kútaś
canā́dhṛ́ṣe "und ihre Herrschaft ist von keiner Seite anzutasten"
(
Geldner, Hvhbg. J.G.)
46. Sieht man hinter
anuvā́ca āha nun eine
Verbindung von
dativ. Wurzelinf. (
anuvā́ce)
47 und V.dic., so läßt
sich auch für diese Formel ein zugrundeliegendes prädikatives
Verhältnis annehmen: *(
ṛ́g)
48 anuvā́ce "der Vers ist zu rezitieren".
2.0.6. Gegen eine Zurückführung der Konstruktion mit V.dic. auf
die prädikative Inf.-Konstruktion könnte eingewendet werden, daß
präd.
-tave/-tavaí/-e-Infinitive im Veda durchweg in
negierten
Sätzen erscheinen (vgl. die bisherigen Beispiele), die Belegsätze mit
V.dic. jedoch ausschließlich
positiv sind. Dies ist jedoch nur dann
von argumentativer Bedeutung, wenn der Beweis erbracht werden
kann, daß es sich jeweils um
systematische Beschränkungen
(semantischer oder syntaktischer Art), nicht aber um Überlieferungszufälle handelt. Dieser Beweis ist noch nicht geführt
49.
2.1. Die innerved. Daten machen also bereits wahrscheinlich, daß
die Konstruktion "V.dic. (+ Akk.) + Inf. (
-tavaí/-e)" auf die
"prädikative" Verwendung der beteiligten Infinitive zurückzuführen
ist. Diese Analyse wird weiter bestätigt, wenn man die Gegebenheiten der nächstverwandten Sprache, des Avest., zu Rate zieht.
3. Die iran. Parallele
3.1. Die syntaktische Verbindung eines V.dic. mit einer Inf.-Kategorie kennt auch das Avest. Das illustrativste Beispiel ist wohl
die jav. Stelle Y. 71,13:
aṣ̌auuanəm tē aṣ̌aonat āfiieiδiiāi mraomi
uruuaϑəm uruuaϑāt̰. Unter der Annahme, daß
āfiieδiiāi als
δiiāi-Inf. zu einem Präs.-Stamm auf
-iia- von
*ā-pā- "schützen" gebildet
sei, kommt
Bartholomae50 zu folgender Übersetzung "iustum
tibi a iusto curandum declaro, amicum ab amico"
51.
3.1.1. Wie bei den behandelten ved. Stellen hätten wir es auch
hier also mit einem
eingebetteten Prädikatsinf. zu tun: "lch nenne
den Freund als ... zu schützen(den)". Das übergeordnete V.dic. ist
dabei sogar mit dem der ved. Konstruktion etymologisch identisch.
Anders als im Ved. sind jedoch zwei weitere Aktantenpositionen
besetzt: Die eines
Agens zum Inf. (
aṣ̌aonat̰ / uruuaϑāt̰; "der
Aṣ̌ahafte ist
vom Aṣ̌ahaften52 zu schützen etc.") und die
desjenigen,
dem etwas "gesagt = genannt" wird (
tē, "
dir nenne ich
..."). Gleichzeitig kommt eine Übersetzung mit "befehlen" o.ä. nicht
in Frage.
3.1.2. Ein weiterer bedeutender Unterschied betrifft die beteiligte
Inf.- Kategorie. Die etymologische Entsprechung der avest
-δiiāi-Formen wären ja die ved. Infinitive auf
-dhyai, nicht die auf
-tavaí
(oder
-e). Es erhebt sich also die Frage, ob die beiden Konstruktionen überhaupt miteinander vergleichbar sind, und was für
ein Zusammenhang zwischen ihnen bestehen kann.
3.1.2.1. Um diese Frage zu klären, muß zunächst überprüft
werden, ob
āfiieiδiiāi tatsächlich, wie in
Bartholomaes Analyse,
als (eingebetteter)
prädikativer Inf. in
passivischer Geltung
anzusehen ist. Im Jav. sind
-δiiāi- Infinitive in Prädikatsstellung
nämlich belegbar, dabei kommt jedoch zumindest in einem sicheren
Fall nur eine aktivische Interpretation in Betracht. Dies ist Y. 27,1
aētat̰ dim vīspanąm mazištəm dazdiiāi ahūmca ratūmca yim ahurəm
mazdąm "Darum wollen wir ihn, den größten von allen, ihn den
Ahura Mazdāh, zu (unserm) Ahū und Ratav bestellen" (
Wolff).
Die aktivische Deutung ergibt sich dahei zwingend aus den
Objekts-Akkusativen (
dim, mazištəm etc.)
53.
Diese Schwierigkeit kann dadurch umgangen werden, daß man
den in
āfiieiδiiāi vorliegenden Präs.-Stamm als Passiv-Stamm
ansieht
54,
āfiieiδiiāi also als einen
passiven -δiiāi-Inf. auffaßt.
Auszugehen wäre dann von folgender jav. Regel:
-δiiāi-Infinitive in
Prädikatsfunktion sind nur dann
passivisch zu interpretieren, wenn
sie von einem als
passiv gekennzeichneten Stamm abgeleitet sind.
3.1.2.2. Allerdings ist diese Analyse im Falle von
āfiieiδiiāi nicht
ohne Probleme: Der von
Bartholomae zugrundegelegte
Präs.(-Passiv)-Stamm
āfiia- <
*ā-p(ə)-i̯a- wurde nämlich, wie
überhaupt die Verbindung der Wurzel
pā- mit dem Präverb
ā-,
nur
in der Form
āfiieiδiiāi selbst existieren
55. Da weiter auch das Ved.
ein
ā-pā nicht kennt, ist es angebracht, andere Analysemöglichkeiten zu überprüfen
56.
So schlug K.
Hoffmann57 eine Ableitung von
āf-iia-, Präs.-Passiv-Stamm zu
āp- "erreichen" vor: "Ich sage dir, daß ein
Ašahafter auf Seiten eines Ašahaften erreicht wird". Diese Deutung
ist zwar morphologisch überzeugend, semantisch jedoch schwer
nachvollziehbar
58. In dem Kontext, in dem der vorl. Satz
erscheint, kommt dann doch eher "schützen" in Betracht; die Stelle
lautet im Zusammenhang:
huuō aṣ̌auua zaraϑuštrō uruuaϑəm
ϑrātārəm isōit̰ aṣ̌auuanəm tē aṣ̌aonat̰ āfiieiδiiāi mraomi uruuaϑəm
uruuaϑāt̰ tat̰ zī vaŋhō huuō zī druuå̄ yə̄ druuāite vahištō huuō
aṣ̌auua yahmāi aṣ̌auua friiō. In
āfiieiδiiāi könnte also der
Bedeutungsinhalt des im Eingangssatz enthaltenen
ϑrātārəm
"Schützer" wiederaufgenommen oder paraphrasiert sein; daran
scheint jedenfalls
Bartholomae zu denken, der diesen Satz wie
folgt übersetzt: "Vom Freund soll Z(araϑuštra, der Ašahafte)
verlangen, daß er (dem Freund Schutz gewähre"
59.
3.1.2.3. Auf eine andere Möglichkeit weisen die hss. Varianten
des Wortes selbst: Neben
āfiieiδiiāi (u.ä.) erscheinen nämlich auch
Formen wie
āfriieiδiiāi60. Die Überlieferungslage gestattet nicht,
eine der beiden Varianten von vornherein auszuscheiden
61. Auch
āfriieiδiiāi ist nun als von einem passiven Präs.-Stamm abgeleitet
deutbar; zugrunde läge
*ā-frī-iia- als Passivstamm zu dem gut
bezeugten Verb
ā-frī- "begünstigen, wohlwollen". Für den
vorliegenden Satz ergäbe sich somit die Bedeutung "ich sage dir,
daß der Ašahafte vom Ašahaften zu begünstigen ist ...". Wie bei
āfiieiδiiāi ließe sich auch diese Interpretation durch den gegebenen
Kontext gut motivieren:
āfriieiδiiāi würde (in einer figura
etymologica) den Vorstellungsinhalt
vorwegnehmen, der in dem
am Ende der Stelle erscheinenden
friiō enthalten ist ("der ist ein
Ašahafter, dem ein Ašahafter lieb ist"
62)> "ich sage dir, daß der
Ašahafte vom Ašahaften zu lieben = begünstigen ist")
63.
Auch
āfriieiδiiāi ist jedoch nicht unproblematisch: auch bei
diesem Verb ist der Passivstamm sonst unbelegt (im Veda begegnet
prīyate erst ab den Upaniṣaden); außerdem stellt
āfriieiδiiāi
gegenüber
āfiieiδiiāi so etwas wie eine "forma facilior" dar, da das
Verb
āfrī- eben besonders geläufig ist
64.
3.1.3. Wie immer man sich im vorl. Fall entscheiden wird, kann
auf jeden Fall doch von einem
Passiv-Inf. ausgegangen werden.
Die oben versuchsweise für das Jav. aufgestellte Regel (3.1.2.1.)
kann im weiteren also durchaus als Argumentationsgrundlage
dienen.
Damit können die ved. und jav. Daten wie folgt miteinander
verglichen werden: In beiden Sprachen existiert eine Konstruktion
mit "prädikativem" Inf., wobei allerdings unterschiedliche
Formkategorien verwendet werden. In beiden Sprachen kann diese
Konstruktion in einen übergeordneten Satz eingebettet sein, dessen
Prädikatsverb
*mrū- in der Bedeutung "nennen als" ist. Die
entstehende Fügung hat im Ved. eine prägnante
Bedeutungsentwicklung durchgemacht, die einem dt. "etwas zu tun
befehlen" gleichkommt.
3.2. In diesen Vergleich läßt sich weiter auch das Aav.
einbeziehen: Auch hier erscheinen
-diiāi-Infinitive neben V.dic.,
wie z.B. in Y. 31,5a
tat̰ mōi vicidiiāi vaocā hiiat̰ mōi aṣ̌ā dātā
vahiiō. Auch hier ist eine Analyse mit eingebettetem (passivisch-)prädikativem Inf. möglich: "Das nenne mir als zu erkennen(des),
was ihr mir durch die Wahrhaftigkeit als besseres bestimmt habt".
Ähnlich strukturiert ist z.B. auch Y. 34,12b
srūidiiāi mazdā
frāuuaocā yā vīdāiiāt̰ aṣ̌īš rāṣ̌nąm, das wie folgt gedeutet werden
kann: "als zu hören(des), o Mazdā, verkünde (das), auf welche
Weise er (man?) die Anteile der Verkündigungen verteilen soll".
Unter der Annahme, daß
mraoī als 3.Sg.Präs.Passiv von
mrū-
"sagen" aufgefaßt werden kann
65, kommt zusätzlich noch
Y. 32,14c in Betracht, wo die gesamte Fügung ins Passiv versetzt
vorliegen würde:
hiiat̰cā gāuš jaidiiāi mraoī "und wenn die Kuh als
zu töten(de) genannt wird".
3.2.1. Auch bei diesen Beispielen ist, wie oben im Ved.,
grundsätzlich wieder eine Analyse mit
finalem Inf. möglich. So
übersetzt
Humbach: (Y. 31,5a) "Das höhere Gut nenne mir,
damit
ich es klar erkenne"; (Y. 34,12b) "Sprich, o Kundiger,
damit man
es höre ..." (Hvhbgn. J.G.). Y. 32,14c könnte wie folgt
wiedergegeben werden: "und wenn die Kuh genannt wird,
damit
(auf daß) man sie töte..."
66. Da eine finale Verwendung der
-diiāi-Infinitive im Aav. in anderen Kontexten belegbar ist
67, kann diese
Analyse nicht a priori falsifiziert werden.
3.0.2.1. Für die prädikative Interpretation spricht demgegenüber
folgende Argumentation: Zunächst ist festzuhalten, daß die in Frage
kommenden aav.
-diiāi-Infinitive
nicht morphologisch als passiv
gekennzeichnet sind. Gleichzeitig kann jedoch geltend gemacht
werden, daß im Aav.
-diiāi-Infinitive von
trans. Verben, so wie die
ved. Formen auf
-tave/-tavaí, passivisch zu interpretieren sind,
wenn sie in
Prädikatsfunktion stehen; das eindeutige Beispiel ist
Y. 45,4e
nōit̰ diβžaidiiāi vīspa.hiṣ̌as ahurō "Der alles erfassende
Ahura ist nicht zu täuschen = kann nicht getäuscht
werden".
3.0.2.2. Weiter sind die an der Konstruktion beteiligten V.dic.
nicht nur mit den entsprechenden ved. etymologisch identisch (
mrū-/brū-, vac-/vac-), sie kennen darüber hinaus auch im Av. die
Rektion mit doppeltem Akk., in der wir oben (2.3.1.) die Grundlage
für die Einbettung prädikativer Inf.Sätze im Ved. gesehen haben; so
z.B. in Y. 43,11e:
tat̰ vərəziieidiiāi hiiat̰ mōi mraotā vahištəm "Das
ist zu tun
68, was ihr mir
als das beste genannt habt". Daneben ist
letztlich auch die Einbettung adverbialer Kopulasätze belegbar wie
in Y. 43,13e:
vairiiå stōiš yā ϑβahmī xṣ̌aϑrōi vācī "(der Wunsch
nach) begehrenswertem Besitz, von dem man sagt, er sei in deiner
Macht" (
Humbach, Hvhbg. J.G.) ≈ "der als in deiner Macht
(befindlich) genannt = bezeichnet wird"
69.
3.0.3. Es liegt also nahe, die avest. Beispiele in Analogie zu den
ved. prädikativ zu interpretieren, da die jeweiligen Satzmuster der
beiden Sprachen damit auf eine gemeinsame, ursprachliche
(urindoiran.) Grundlage bezogen werden können: die Möglichkeit,
Kopulasätze den V.dic.
*mrū-/vac-(/ādh-)70 durch Einbettung
unterzuordnen. Dabei kann letztlich wahrscheinlich gemacht
werden, daß die urindoiran. Grundsprache auch bereits die
Einbettung prädikativer
Inf.-Sätze kannte.
3.0.3.1. Zunächst sei noch einmal festgehalten, daß die
Konstruktion "V.dic. + Akk. + Inf." in allen drei Sprachzuständen
(Aav., Jav., ved. Prosa) ein
passivisches Verhältnis zwischen dem
beteiligten Objekts-Akk. und dem Inf. beinhaltet. Die verwendeten
Inf.-Formen sind dann jeweils eben diejenigen, die in den drei
Sprachen in Prädikatsstellung
passivische Geltung haben (aav.
-diiāi, jav.
*-iiaδiiāi, ved.
-tavaí/-e).
3.0.3.2. Wie ich in MSS 43 zu erweisen versucht habe, dürfte
nun bereits im Urindoiran. die passivische Prädikatsfunktion bei den
*-dhi̯āi̯-Infinitiven gelegen haben; dieser Zustand wäre im Aav.
erhalten geblieben, während sich die syntaktischen Gegebenheiten
zum Ved. hin verlagert hätten: hier können prädikativ zu
interpretierende
-dhyai-Formen durchweg als
aktivisch gelten (eine
ähnliche Veränderung mußte auch für das Jav. angenommen
werden). Das Ved. hätte jedoch eine "Restitution" durchgeführt,
indem die passivische Prädikatsfunktion auf andere Inf.-Kategorien
übertragen wurde; dies sind die Formen auf
-tave (später
-tavaí)
bzw.
-e. (Entsprechend den Feststellungen oben unter 3.1.2.1. hätte
auch das Jav. "restituiert": für die passivische Prädikatsfunktion
wurde eine morphologische Variante der
-δiiāi-Infinitive
herausgebildet, die selbst als
passiv markiert war.)
3.0.3.3. Unter der Annahme, daß dieselben "Restitutionen" auch
in der
eingebetteten prädikativen Konstruktion (neben V.dic.)
durchgeführt worden seien, können die jeweiligen Satztypen der
drei Einzelsprachen als Realisationen eines bereits urindoiran.
Musters angesehen werden, das nur im Aav. in seiner
ursprünglichen Form erhalten geblieben wäre
71.
Diese Hypothese wird evtl. durch eine externe Evidenz gestützt,
auf die ich im folgenden noch kurz eingehen will; der
Argumentationsgang kann allerdings nur mehr umrissen werden.
4. Die umbr. -fi-Infinitive
4.1. In MSS 43 habe ich die These problematisiert, wonach die
indoiran.
*-dhi̯āi̯-Formen als Infinitive des Mediopassivs zu gelten
hätten; diese These war zuletzt von H.
Rix forciert worden, der
diese Formen mit den sicher mediopassiven
-fi-Infinitiven des
Umbr. zu identifizieren vorschlug (beide < uridg.
*-dhi̯ōi̯)
72.
Demgegenüber kam meine Untersuchung zu dem Ergebnis, daß für
die urindoiran.
*-dhi̯āi̯-Formen eine Zugehörigkeit zum "Mediopassiv" nicht nachweisbar sei, daß diese Infinitive vielmehr nur in
einer syntaktischen Funktion, nämlich als Prädikatsinfinitive,
passivische Konstruktion gehabt haben dürften (sofern von einem
trans. Verb gebildet).
4.2. Zu beachten ist nun, in welchen syntaktischen Umgebungen
die umbr.
-fi-Infinitive stehen können. Dies ist a) die Stellung
neben Verben des "Wollens":
panta muta ... pepurkurent herifi
(Vb3,
Rix S. 322; Bedeutung nach
Rix etwa "in welcher Höhe sie
gefordert haben, daß die Buße angemessen sei"); b) neben
(unpersönlichen) Ausdrücken des "Angemessenseins":
persei mersei
esu ... pihafei (VIa28;
Rix 323: "wenn es in Ordnung ist, daß ...
Reinigung geschieht"); evtl. noch c) neben Verba sentiendi:
... pir
pureto cehefi dia (VIa20), falls dies bedeutet "gesehen wird, daß
Feuer vom Feuer genommen wird" (so nach
Rix 326 mit Anm.48).
Dazu dürfte, in Analogie nach den anderen Inf.-Kategorien des
Umbr., auch die Stellung neben V.dic. gekommen sein (cf.
Rix
320).
Fremd sind den umbr.
-fi-Infinitiven (wie den altital. Infinitiven
überhaupt) die finale und die Prädikatsfunktion, die beide für die
indoiran.
*-dhi̯āi̯-Formen als primär zu gelten haben.
4.3. Nun lassen sich die belegten Funktionen der
-fi-Formen aber
sämtlich auf die (eingebettete)
Prädikatsfunktion zurückführen. So
zunächst bei den Verben des "Wollens"; im gegebenen Beispiel: "in
welcher Höhe sie die Buße als (in angemessener Weise zu
wünschen ≈) festzusetzen gefordert haben", d.h. "in welcher Höhe
sie gefordert haben, daß die Buße festzusetzen sei". So auch bei
den Verba sentiendi: "man sieht das Feuer als vom Feuer zu
nehmen(des)", d.h. "man sieht, daß Feuer vom Feuer zu nehmen ist
≈ genommen werden soll (oder wird)"
73.
Die Verwendung nach Ausdrücken des "Angemessenseins" ist
zunächst ableitbar aus einer Verwendung nach V.dic.: "man erkennt
(die Burg) als ... zu reinigende an" ≈ "es wird (die Burg) als ... zu
reinigende anerkannt" ≈ "es ist in Ordnung, daß (die Burg) . .
gereinigt wird". Daß Infinitive neben V.dic. prädikativ
interpretierbar sind, erweisen nicht zuletzt die behandelten indoiran.
Konstruktionen als typologische Parallele.
4.4. Diese Parallele eröffnet weiter aber auch die Möglichkeit,
den passiven Charakter der
-fi-Infinitive mit der passivischen
Verwendung der indoiran.
*-dhi̯āi̯-Formen in prädikativer Funktion
etymologisch zu vereinbaren.
Dazu müßte man voraussetzen, daß bereits die zu rekonstruierenden
uridg. Infinitive auf
*-dhi̯āi̯ die prädikative Funktion
gekannt hätten, und zwar ebenfalls bereits mit
passivischer Geltung
(bei trans. Verben). Zum Umbr. hin hätte sich nur die
eingebettete
Variante dieser Funktion erhalten; daraus hätte die morphologische
Zuordnung der
-fi-Formen zum
Passiv resultiert.
Dieser Ansatz bedarf natürlich noch einer eingehenden
Überprüfung, die sich auf die altital. Inf.-Syntax insgesamt
erstrecken muß.
5. Exkurs : Zur spätved. Umgestaltung der Konstruktion
5.1. In der spätved. Sprachschicht der Sūtras ist die Konstruktion
"V.dic. + Akk. + Inf." nicht mehr lebendig: Außer im VādhS fallen
als Belegstellen nur mehr Zitate aus der älteren Prosa an.
Syntaktisch unverändert sind diese dabei generell nur ins KātyŚS
übernommen (aus ŚBM)
74, während die übrigen Sūtratexte das
Satzmuster umgestaltet haben. So wird die angeführte Stelle
MS 1,4,6
dakṣiṇataḥsádbhyaḥ párihartavā́ āha "(den Brei) befiehlt
er, den auf der südlichen Seite sitzenden (Priestern) zu bringen"
(oben 2.3.2.1.) wie folgt wiedergegeben: ĀpŚS 3,4,1 = BhārŚS
3,4,1 = HirŚS 2,3,40 ≈ VaikhŚS 7,3
dakṣiṇasadbhya upahartavā iti
saṃpreṣyati75; etwas ausführlicher HirŚS 6,3,7
dakṣiṇasadbhya
upahartavā ity ucyamāne dakṣiṇata etety ṛtvijaḥ saṃpreṣyati. Die
Umgestaltung kann also zunächst so umrissen werden: der Inhalt
des Befehls, der in der Ausgangskonstruktion als "eingebetteter
Prädikativsatz" einer Art oratio obliqua gleichkam, ist durch eine
Art oratio recta ersetzt, die durch die Partikel
íti angezeigt wird;
das V.dic. kann dabei erscheinen (
íti ucyamāne ... saṃpreṣyati
"indem ... gesagt wird, schickt er ..." ≈ indem er ... sagt, schickt er
..."), ist jedoch nicht erforderlich (und fehlt daher meist), denn
... íti
saṃpreṣyati bedeutet allein bereits "er schickt ...
mit den Worten
..."
76.
5.2. Die Frage ist nun, welche syntaktische Struktur die "wörtl.
Rede" dabei hat. Es wäre ja denkbar, daß diese exakt den
Prädikativsatz enthielte, den wir in der Konstruktion mit V.dic.
eingebettet gesehen haben ("er nennt den Brei als zu bringenden" >
"er sagt: `der Brei ist zu bringen'"); dies würde bedeuten, daß der
Patiens der Inf.-Handlung im Nom. stehen müßte. Beispiele wie das
vorliegende (mit elliptischer Auslassung des Patiens, cf. oben
2.3.2.1.) geben hierüber natürlich keinen Aufschluß. Die belegbaren
eindeutigen Fälle zeigen den Patiens jedoch im
Akk. So ĀpŚS
6,31,1
śyāmākān uddhartavā iti saṃpreṣyati als Wiedergabe von
KB 4,12
... śyāmákān uddhartavá āha " .. he gives orders to pluck
millet" (
Keith)
77. Die Sprache der Sūtras hat die eingebettete
Konstruktion also
nicht wieder auf die zugrundeliegenden Prädikativsätze zurückgeführt, sondern das unter das V.dic.
untergeordnete Syntagma "Akk. + Inf." zu einer "abhängigen wörtl.
Rede" umgedeutet, die einer Aufforderung mit "iussivem Inf."
nahekommt (
śyāmākān uddhartavā iti saṃpreṣyati "er schickt (ihn,
sagend): `Hirse pflücken!"'). Dies erweisen letztlich auch
Belegstellen, für die kein Ausgangszitat nachweisbar ist; so z.B.
HirŚS 4,4,59 ≈ BhārŚS 7,17,6
klomānaṃ plīhānaṃ purītataṃ
medaḥ samavadhātavā iti saṃpreṣyati "Lunge, Milz, Perikardium
und Fett (des Opfertiers) (schickt er ≈) läßt er beiseite legen"
78.
5.3. Kein Inf. in "abhängiger wörtl. Rede" ist
āśaktavaí an der
problematischen Stelle HirŚS 7,2,83
adhvaryav āśaktavā iti
yajamānaḥ pṛcchaty ... (≈ BhārŚS 10,18,7
pṛcchati yajamāno
'dhvaryum adhvaryav āśaktavā79 iti). Dies könnte zunächst als
eine
Bitte (
pṛcchati) des Y(ajamāna) an den A(dhvaryu) aufgefaßt
werden: "A., (den Soma herbeizubringen) helfen!" Zieht man
jedoch den weiteren Kontext zu Rate, so ergibt sich eine andere
Deutung; die Texte fahren nämlich fort:
āśakāmety adhvaryuḥ ││
katham āśakateti yajamānaḥ ││80. Es liegt offenbar eine
Wechselrede vor
81, die mit einer
Frage (
pṛcchati) des Y. beginnt:
adhvaryav, āśaktavā iti? — āśakāma iti! — katham āśakata_iti?
Sinnvoll wird diese Wechselrede jedoch erst, wenn die Ausgangsfrage wie die
katham-Frage eine Form der 2.Pl. (Aor.) enthält
82;
diese müßte der
Pluti unterliegen, da es sich um eine
Entscheidungsfrage handelt
83:
adhvaryav, *āśakatā(3) iti? —
āśakāma_iti! — katham āśakata_iti? "A., habt ihr (den Soma
herbeizubringen) vermocht? — (Ja,) wir haben (ihn herbeizubringen)
vermocht! — Wie habt ihr (ihn herbeizubringen) vermocht?"
84
Unter dieser Annahme erscheint es angebracht, den in beiden
Texten vorliegenden Inf. auf eine (bereits in der gemeinsamen
Quelle der Texte vorhandene) Fehlschreibung zurückzuführen, bei
der für
-ka- -kta- und für
-tā- -vā- eingetreten wäre:
*āśakatā iti85
>
āśaktavā iti86. Der Inf.
āśaktavai ist somit aus dem
Formenbestand des Veda zu streichen.
Anmerkungen: