Die Ostkaukasischen oder Naxisch-Dagestanischen Sprachen in genetischer Hinsicht bilden eine geschlossene Gruppe. Insgesamt lassen sich die Ostkaukasischen Sprachen aber in mehrere Untergruppen einteilen, die jeweils Sprachen mit einem besonders hohen Grad verwandtschaftlicher Affinität umfassen. Außer der Nachischen spricht man dabei von der avaro-ando-cezischen, der lakisch-darginischen, einer lezgischen sowie einer xinalugischen Gruppe, wobei die letztere nur durch eine einzige Einzelsprache vertreten ist.
Um Avaren als ethnische Gruppe (Ethnos) und entsprechend die Sprache der Avaren zu bezeichnen, werden folgende verschiedene Namen seitens der benachbarten Völker verwendet:
Selbstbezeichnung | xəunderil mac̣̄ə | |
Lak | jaru-ču, jaru maz | |
Dargi | ḳaraqan / vgl. q̣araq | |
Artschi | jartannuv | |
Andi | x ͂indal heḳa | |
Dido | maɷarulav | |
Tschetschen | ǯɷaj | |
Kumyk | taul |
Unter der gesamten Vielfalt der OKS gibt es nur eine, die über eine alte schriftliche Tradition verfügt, nämlich das Udische. Die anderen Ostkaukasischen Sprachen werden viel später verschriftet, wobei keine Originalschrift dafür verwendet wurde. Im Zusammenhang mit der Ausbreitung des Christentums in das Tschetschenisch-Inguschische Gebiet und nach Dagestan erlangte die georgische Schriftsprache hier in der Zeit des 12.-15. Jhs. eine gewisse Bedeutung (bis heute sind in Dagestan ungefähr 50 georgische Inschriften gefunden worden). Ab dem 11. Jh. begann sich im Zusammenhang mit der einsetzenden Islamisierung daneben auch die arabische Schrift auszubreiten, die im Laufe der Zeit auch im nicht-religiösen Bereich Eingang fand. Dennoch blieb der Umfang literatischer Zeugnisse in Arabischer Schrift, über die die OKS (Avarisch, Lakisch, Darginisch) verfügen und die ins 15.-16. Jh. zurückreichen, insgesamt eher beschränkt.
Keine praktische Anwendung fanden die Alphabete, die für eine Reihe der OKS in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts durch Peter USLAR geschaffen wurden.
Heutzutage haben das Tschetschenische, Inguschische, Avarische, Lakische, Darginische, Lezgische und Tabasaranische den Status von Schriftsprachen erlangt. Ihre Verschriftung wurde im 20. Jh. zunächst auf der Grundlage der arabischen Schrift durchgeführt, für die ab 1928 eine lateinschriftliche Graphie eintrat. In den Jahren 1936-1938 wurde die Schreibung dann auf die Kyrillica umgestellt, die es Sprechern der OKS (Ostkaukasischen Sprachen) erlaubte, sowohl in ihrer eigenen Sprache, als auch im Russischen schriftkundig zu sein.
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Die ältesten arabischen Inschriften in Dagestan stammen aus dem 10. Jh. (Rutul-Bezirk). Die meisten Inschriften finden sich auf Grabsteinen oder auch an den Wänden von Moscheen , d.h. bei den ältesten Inschriften unterscheidet man zwischen Grabinschriften (Epytaphe) und Bauinschriften. |
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Die ältesten avarischen Inschriften stammen aus dem 14. Jh., die aber in georgischer Schrift (Nusxa-Xucuri) ausgeführt worden sind. Die Inschrift ist in zwei Sprachen (Georgisch und Avarisch) wiedergegeben (Bilingue).
Die avarische Schriftsprache wurde auf der Grundlage des sog.
bol mac̣̄ (avar. "Gemeinschaftssprache") gebildet, die auch schon einige Zeit zuvor den Avaren und einer Reihe benachbarter kleinerer Völkerschaften als lingua franka gedient hatte.Vergleich:
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt durchleben alle neugeschaffenen nachisch-dagestanischen Schriftsprachen eine Etappe intensiver Entwicklung. Ihre Anwendungsbereiche erstrecken sich auf die Presse, Radio, Fernsehen und Theater.
In den 60er Jahren des 19. Jhs. hat Peter USLAR ein auf Kyrillica basiertes Alphabet erstellt, das außer den für das Russische verwendeten Graphemen auch lateinische und georgische (წ und ჭ) Grapheme beinhaltete. Dieses Alphabet ( ṭocəebesəeb xəunderil mac̣əalʻul žuz
Erstes avarisches Alphabet) wurde 1889 als Anhang zum von USLAR verfassten und herausgegebenen Buch mit dem Titel"Avarische Sprache" gedruckt. Noch früh (1865) aber ist das erste avarische Alphabet in Georgien, in Tbilissi erschienen und um dieses Alphabet ins Leben zu rufen, wurde sogar die erste avarische Schule gegründet. Als Lehrer in dieser Schule wurde Eidemir Tschirkeel eingeladen, der als Coautor des von USLAR herausgegebenen Alphabets bekannt ist.Das heutzutage verwendete avarische Alphabet, das auf der Kyrillica basiert, besteht aus 46 Buchstaben, obwohl der Chundzachische Dialekt, der als Grundlage für das Avarische dient, 49 Phoneme hat.
N. | |||
Die Betonung im Avarischen fällt bei zweisilbigen Wörtern auf die erste Silbe, kann aber auch auf die zweite Silbe fallen:
Vgl.:
kˈeto - Katze
ġˈedo - Krähe
ɕˈazo - Schnee
rˈoso - Dorf
aber
emˈen - Vater
ebˈel - Mutter
beṭˈer - Kopf
xәanžˈar - Dolch
xonˈo - Ei
hobˈo - Mühle
h7elˈeko - Hahn
baḳˈarize - sammeln
ḳoč̣ˈene - vergessen
Es ist aber im Avarischen auch eine dynamische Betonung vorhanden:
Vgl.:
xәanžˈar - Dolch vs. xәonžrˈol - Dolch (gen.) vs. xәunžrˈul - Dolche (pl.)
gamˈač̣ - Stein vs. ganč̣ˈica - Stein (erg.) vs. ganč̣ˈal - Steine (pl.)
cer - Fuchs vs. carˈacәa - Fuchs (erg.) vs. cˈurdul - Fuchse (pl.)
Im Avarischen können alle Vokale synkopiert werden: a, e, i, o und u:
kaġˈat (abs.) vs. kaġtˈil (gen.)- Papier, Brief
karaṭ (abs.) vs. karṭˈil (gen.) - Loch
megˈež (abs.) vs. magžˈil (gen.) - Bart
borˈox~ (abs.) vs. borx~ˈil (gen.) - Schlange
burˈuṭ (abs.) vs. burṭˈil (gen.) - Lamm
Vrg.: leˈmag (abs.) vs. leˈmagul (gen.) vs. leˈmagal (pl.) - Schaf
Diachronisch gesehen wurden die unbetonten Vokale im Avarischen apokopiert, worauf der Vergleich des Avarischen mit verwandten Sprachen hindeutet:
Avar | Botlich | Bagval | Karat | Godober | Achvach | Tindi | Andi | Übersetzung |
vas | vaša | vaša | vaša | - | vaša | - | vošo | Sohn |
raḳ | raḳva | raḳva | raḳva | raḳva | raḳva | raḳva | roḳvo | Herz |
bac̣ | bac̣a | bac̣a | bac̣a | - | bač̣a | bac̣a | boc̣o | Wolf |
moc̣ә | puc̣әu | - | boc̣ |
pucәu | boc̣әo | bocәu | - | Monat, Mond |
ġež | - | - | - | - | ġaža | - | ġažu | Hand |
dun | deni | - | - | - | dene | - | - | ich |
Die Spur des apokopierten Vokals ist bei dem vorausgehenden Vokal zu erkennen:
Vgl.: oc < oco < uco (Andi unso) Stier
ruq̣ < ruq̣u < raq̣u (Andi haq̣u, Botlich hanq̣u)
ɕunḳә < ɕunḳәu < ɕinḳәu (Andi hinḳәu).
Das Avarische kennt die regressive und volle Assimilation, wobei der betonte Vokal (außer a) die unbetonten Vokale beeinflußt:
xәanžar (abs.) vs. xәonžr-ol (gen.) Dolch;
raḳ (abs.) vs. reḳ-el (gen.) Herz;
ṭaġur (abs.) vs. ṭoġr-ol (gen.) Mütze;
Die Südlichen Dialekte des Avarischen sind dadurch gekennzeichnet, dass hier die Assimilation der Vokale intensiver ist, als in den Norddialekten und selbst in der Schriftsprache:
Vgl.:
Avar. paṭˈimat | vs. | Tschar. piṭˈimat | Eigenname Phatman |
Avar. anc̣ˈila co | vs. | Tschar. inc̣ˈila co | Elf |
Avar. kah7ˈilab | vs. | Tschar. kih7ˈilab | Blau |
Avar. malˈi | vs. | Antsuch milˈi | Leiter |
Avar. maṭˈu | vs. | Antsuch muṭˈu | Spiegel |
Avar. magžˈit | vs. | Tschoch migžˈit | Mosche |
Avar. ražˈi | vs. | Tschoch rižˈi | Knoblauch |
Vgl.:
kˈeto - Katze |
Im Avarischen sind einige Diphthonge anzutreffen. A. Schiefner schrieb: "In ächt awarischen Wörtern kommen am häufigsten die Diphthonge au, eu und ai, ei vor und zwar in Endungen zur Bezeichnung des männlichen und weiblichen Geschlechts; sonst gehören ai und au meinst Fremdwörtern an, z. B. ḥaiwan lebendes Wesen, beiraġ Fahne... Häufuger haben wir die Diphthonge, deren erstes Element u ist, das aber in seiner Aussprache dem w sehr nahe kommt; z. B. kuas Wolle, querq Frosch, kui Rauch..." (Versuch über das Awarische, 1862).
Die Diphthonge vs. labialisierte Konsonanten?
Die pharyngale stimmhaftes ɕ und stimmloses h7 sind in allen avarischen Dialekten anzutreffen (vgl. in anderen dagestanische Sprachen und abchasisch-adygeische Sprachen):
ɕin Ohr |
h7inč̣ə Vogel |
Im Avarischen ist nur ein palataler stimmloser Spirant x˜ anzutreffen, der im Unterschied zu anderen verwandten Sprachen (wie z.B. Lezgisch, Tabassaranisch) keinen stimmhaften Korrelaten (ġ˜) hat. Außerdem gibt es im Avarischen keine Korrelation zwischen x˜ vs. x˜ə. Nach seinen akustisch-physiologischen Eigenschaften ist x˜ mehr zu den intensiven Konsonanten zu rechnen.
x˜ag Topf |
Im Avarischen wird l weich ausgesprochen, wenn ihm die palatalen Vokale e oder i vorausgehen:
šamil Schamil |
Laryngales ʼ kommt im Avarischen nur im Anlaut vor; P. USLAR bezeugt nur ein einziges Beispiel, wo es im Inlaut steht: bilʼize Verlieren.
Das Literarische Avarische kennt kein P̣. Nur im Antsuchischen kommt es vor und auch hier scheint dieses abruptive Phonem sekundär zu sein. Vgl.:
č̣aṗaṭ (Antsuch) vs. č̣abaṭ (Avar) |
Die stimmhaften Affrikaten ǯ und ʒ sind in Avarischen nicht vorhanden. In den entlehnten Wörtern wird ǯ durch ž ersetzt. Nur im Antsuchischen sind mehrere Wörter mit diesem Phonem anzutreffen:
ǯul Besen |
ʒ ist auch in den anderen verwandten Sprachen nicht vorhanden. Dieses Phonem ist nur für die Kartvelsprachen und die westkaukasischen Sprachen charakteristisch.
Es gibt fünf Laterale in Avarischen: vier kennt das literarische Avarische und die nördlichen Dialekte, der fünfte Lateral ist nur in den südlichen Dialekten, wie z.B. Hidur-Dialekt vorhanden.
lʻabgo Drei |