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Dies ist eine Internet-Sonderausgabe des Buches
"Iranica Armeno-Iberica.
Studien zu den iranischen Lehnwörtern im Armenischen und Georgischen [Bd. 1]"
von Jost Gippert (1990).
Sie sollte nicht zitiert werden. Zitate sind der Originalausgabe, veröffentlicht als
"Österreichische Akademie der Wissenschaften,
philosophisch-historische Klasse,
Sitzungsbericht, 606. Band" /
"Veröffentlichungen der Kommission für Iranistik, Nr. 26",
Wien 1993,
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This is a special internet edition of the book
"Iranica Armeno-Iberica.
Studien zu den iranischen Lehnwörtern im Armenischen und Georgischen [Bd. 1]"
by Jost Gippert (1990).
It should not be quoted as such. For quotations, please refer to the original edition, published as
"Österreichische Akademie der Wissenschaften,
philosophisch-historische Klasse,
Sitzungsbericht, 606. Band" /
"Veröffentlichungen der Kommission für Iranistik, Nr. 26",
Wien 1993.



Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved:
Jost Gippert, Frankfurt 2002.

Jost Gippert



Iranica

Armeno-Iberica



Studien zu den
iranischen Lehnwörtern
im Armenischen und Georgischen






ḳaṭaban-:

1. In einem singulären Beleg in der Abhandlung über den "Wildesel" (ḳanǯar-) im "Physiologus" (180,24 {1.}) offenbar soviel wie "(Herden-)Führer, Leittier"; ḳaṭaban- tritt dabei zusammen mit dem hapax legomenon me-remaḳ-e- auf, das als Ableitung von remaḳ- "Herde" (s.d.) wörtlich etwa durch "der mit der Herde zu tun hat" wiedergegeben werden kann. Die Bedeutung des gesamten Syntagmas ergibt sich aus den flankierenden Versionen des Textes, v.a. der armen. Version, die mit eramakapan, wtl. "Herdenschützer", ein genau gleichbedeutendes Kompositum bietet, das noch zudem in seinem Vorderglied mit dem in me-remaḳ-e- verbauten georg. Wort für die "Herde" identisch ist. Besonders nahe kommt dem georg. Wortlaut der der syr. Version (Land 50, 8-18), nach der der männliche Wildesel die Rolle eines ܪܝܫܳܐ rēšā ("Kopf"), ܪܱܒـ݁ـܴܐ rabā ("Fürst") und ܡܕܰܒـ݁ـܪܴܢܳܐ məḏabrānā ("dux") in der ܪܱܡܟـܼـܳܐ ramḵā ("Herde", s. remaḳ-) innehat. Eine entsprechende Bildung hat auch die zuerst bei Pitra, Spicilegium abgedruckte griech. Variante des Texts (XI.: 346,18-23), die von einem ἀγελάρχης spricht, sowie die kslav. Übersetzung bei Karneev (214,1-4) mit stadu pastuxŭ, i.e. "Herdenhirte"; weiter ab steht der bei Lauchert, 239,11-240,5 abgedruckte griech. Text, nach dem der ἄρρην auch einfach als πατήρ aufzufassen ist. Daß die durch die georg. Fügung ḳaṭaban- meremaḳe- wiedergegebene Eigenschaft eines "Herdenführers" im Physiologus tatsächlich intendiert ist, läßt sich durch den Kontext ohne weiteres motivieren und steht auch in Einklang mit der Erstbezeugung der Legende, die in Aristoteles' Περὶ ϑαυμασιῶν ἀκουσμάτων (10.) enthalten ist; hier heißt es ausdrücklich, ἐν Συρίᾳ τῶν ἀγρίων ὄνων ἕνα ἀϕηγεῖσϑαι τῆς ἀγέλης.
2. In zwei Teiltexten der georgischen Chronik Kartlis Cxovreba, der Maṭiane Kartlisay und der Chronik des Sumbat Davitisʒe, ist ḳaṭaban- Bezeichnung eines hohen Beamten im Dienste des byzantinischen Kaisers Basilius II., der den Sohn des georg. Königs Giorgi I., Bagraṭ (IV.), im Kindesalter als Geisel nach Konstantinopel verschleppte und durch eben jenen ḳ. wieder nach Hause bringen ließ (Maṭ.Kartl. 289,4-7 {2.}; Sumb.Dav. 385,5-13 {2a}: -i, -man, -sa, -isa). Als flankierende Quellen erwähnen zwar der byzantinische Autor Johannes Skylitzes und der armen. Historiograph Aristakēs Lastivertcՙi (11. Jh.) die Geiselnahme Bagrats bzw. seine Freilassung kurz vor Basilius' Tod, die hier in Frage stehende Begleitperson wird jedoch weder namentlich noch auch nur durch einen Titel angeführt (Skyl. 367,63 {2c}; Arist.Last. 4.-5. {2b}). Im Verein mit den Gegebenheiten im Physiologus läßt sich immerhin annehmen, daß ḳaṭaban- auch hier als Bezeichnung eines Mannes in "gehobener Position" im Sinne eines "Anführers" aufzufassen ist. Die genaue Funktion des in der georg. Chronik genannten ḳaṭaban- hängt jedoch ebenso von der etymologischen Beurteilung ab wie die Bedeutung des Wortes im folgenden Beleg:
3. ḳaṭaban- erscheint einmal im Vepxisṭq̇aosani (478d {3:}: -i), wobei es mit ban-i "Dach" (s.d.), ḳaba-ni "Kleider" und na-ban-i "gebadet" reimt. In der Rustavelologie wird dem Wort hier allgemein eine Bedeutung "LügeFalschheit" zuerkannt (Wardrop, Man 74, Anm. 5: "falsehood"; Abulaʒe, Vepx. 260: "სიცრუვე, ტყუვილი"). Diese Auffassung läßt sich mit dem gegebenen Kontext durchaus vereinbaren, falls ḳaṭabani hier tatsächlich einen Gegensatz zu martlad ars "es ist wahr" bildet; sie geht offenbar auf Sulxan-Saba Orbeliani zurück, der sich bei ḳaṭabani in seinem Lexikon für die Bedeutungsangabe "trügerisch, lügnerisch" ("maṭq̇uari, saṭq̇uari": ZA mit Verweis auf das "Vepxis-ṭq̇.") oder auch "Lüge oder lügnerisch" ("ṭq̇u(v)ili tu / gina saṭq̇uari": BCD) entschied. Daß Saba seine Entscheidung nicht aus eigener Kenntnis schöpfen konnte, zeigt allerdings die Behandlung des Wortes in dem Handschriftenzweig E, der die früheste autographische Niederschrift des Lexikons repräsentiert (cf. die Ausgabe in Txzul. 4/1, 10). Hier äußert sich Saba noch vorsichtiger: "Über ḳaṭaban- gab es ein großes Wortgefecht, und im Buch (in der Literatur? in der [hl.] Schrift?) habe ich es auch nicht klar gefunden. Es gibt viele Bücher, in denen das Substantiv überhaupt nicht zu finden ist. Der Präfekt der Mtiuler sagte uns, so nennen die Bergbewohner die `Lüge'. Dem kommt auch das `Vepxis-ṭq̇aosani' nahe: `Meine Zuschauer wunderten sich, es ist wahr, nicht ḳ.'. Aber in `Kartlis Cxovreba' steht geschrieben, daß der Kaiser den König Bagraṭ durch einen ḳ. begleiten ließ. Daß er ihn womöglich durch einen Lügner begleiten ließ, würde ich nicht aus Überzeugung niederschreiben; sucht auch ihr (weiter)!" (ḳaṭabanze didi cileba iq̇o da c̣ignši garčevit vercad vnaxe. mravali c̣ignia, romelta arc saxeli masmodes. mtiult mouravman mogvitxra, mtis ḳacni ṭq̇uils uc̣odeno. amas "vepxis-ṭq̇aosanic" mihgavs: "čemni mč̣vreṭelni ḳvirobden, martal ars ar ḳaṭabani." magram "kartlis cxorebaši" sc̣eria, ḳeisarman bagraṭ mepes ḳaṭabani gamoaṭanao. egeba maṭq̇uari gamoaṭanao, dasaǯereblad ar damic̣eria, tkvenc iʒiet.) Saba sah also selbst bereits das Problem, daß das ḳaṭaban-i im Vepxisṭq̇aosani bei einem Bedeutungsansatz "trügerisch, Lüge" von dem ḳaṭaban- in der georg. Chronik getrennt werden müßte.
Nun wurde Sabas Bedeutungsansatz "Lüge", für den er sich offensichtlich primär auf die Angaben eines mtiulischen Informanten stützte, inzwischen durch etymologische Erwägungen zu stützen versucht, und zwar zunächst durch D. Čubinašvili, der ḳaṭabani in seinem Wörterbuch (Kart.-rus. 597) schlichtweg als "arabisch" apostrophierte ("arab."); seine Herleitung wurde von den genannten Bearbeitern des Vepxisṭq̇aosani übernommen, die das Wort für den Plural eines sonst nicht bezeugten Stammes *ḳaṭaba- erklärten (Wardrop, Man, l.c.; Abulaʒe, Vepx., l.c.: hiernach wäre der Plural "ლექსისთვის", i.e. "wegen der Versgestalt" eingetreten). Eine arab. Herleitung birgt allerdings mehrere Probleme. Für das Etymon können die Verfechter einer solchen Herleitung, von denen sich keiner explizit äußert, allenfalls an eine Form der Wurzel kaḏaba gedacht haben, die tatsächlich soviel wie "lügen" bedeutet. Es ist jedoch kaum wahrscheinlich, daß das in dieser Wz. enthaltene [-δ-] durch ein georg. [-ṭ-] substitutiert worden wäre; zumindest gibt es für eine solche Substitution m.W. keine Parallele. Da arab. Fremdworte ihren Weg ins Georgische normalerweise über persische oder türkische Vermittlung genommen haben, wäre statt dessen vielmehr eine Substitution durch -z- zu erwarten, wie sie in den npers. Vertretern kazzāb "Lügner", kuzzāb "Lüge", kizb "id.", kazib "trügerisch" etc. (s. z.B. Steingass, Dict. 1019) vorliegt. Außerdem fragt sich, welche arab. Stammform einer georg. Entlehnung *ḳaṭaba- zugrunde liegen soll; eine direkte Übernahme des arab. I. Stammes, die der georg. Stammansatz *ḳaṭaba- suggeriert, ist mit Sicherheit auszuschließen, und eine Erweiterung der in arab. kaḏḏāb "lügnerisch" vorliegenden Bildung (Typ faՙՙāl, cf. z.B. Brockelmann, Arab.Gramm., § 55 a) um ein georg. -a-Suffix wäre schwer zu motivieren. Die von Čubinašvili postulierte Herleitung aus dem Arabischen kann also nicht bestätigt werden.
Will man den Bedeutungsansatz "trügerisch, lügenhaft" dennoch aufrechterhalten, so ergibt sich eventuell eine Anschlußmöglichkeit an armen. Wortmaterial. Zu denken wäre zunächst an das Substantiv katak, das seit Faustos in der Bedeutung "Spiel, Spott, Hohn" belegbar ist. Von diesem katak aus ist das im armen. Festkalender bezeugte Kompositum katakabanowtՙiwn "Lustspiel" gebildet (cf. Ven.Wb. s.v.). Obwohl das die Bildeweise nicht unbedingt voraussetzt, könnte im Altarmenischen daneben auch ein Wort *katakaban existiert haben, das als ein Tatpuruṣa-Kompositum "Scherzwort" (mit HG -ban "Wort") aufzufassen wäre1 und mit dem georg. ḳaṭaban- zusammenhängen könnte; für den hier interessierenden Beleg aus dem Vepxisṭq̇aosani ergäbe sich dann eine Bedeutung "Scherz". Um die lautlichen Differenzen zu beseitigen, könnte man am ehesten annehmen, daß die Mittelsilbe einer haplologischen Vereinfachung zum Opfer gefallen ist. Eine andere Lösung ergibt sich im Zusammenhang mit der internen Etymologie von arm. katak: Dieses Wort ist zunächst mit Sicherheit auf ein iran. *kātak zurückzuführen, wie bereits Benveniste, Ét.Iran. [TAPS 1945], 73 feststellte (nicht haltbar sind die Verknüpfungen mit der aind. Wz. gaḍ- bei Ačar̄yan, AEW 2, 536). Während Benveniste eine genaue Entsprechung des Wortes nur in sogd. <k՚t՚k> wiederfand, liegt mit dem im 7. Buch des Dēnkart bezeugten <k՚tk> /kādag/ "Spiel, fröhliches Treiben" (Nyberg, Man. 1, 52,20 = DkM 620,17 {11.}; zuvor bereits Bailey, Ir.-Ind. 3 [BSOAS 13], 3961 nach Zaehner) auch ein mpers. Gegenstück vor. Zu dieser Bildung hat es auch einmal eine Variante ohne -k-Suffix gegeben, wie das sogd. Kompositum buddh. <k՚tsγ՚rδ> "mimicry" und man. <q՚ṭsxndyṭṭ> "practical jokes" (Gershevitch, Grammar 52, § 344 bzw. Sogd.Compp. [TAPS 1944], 145 nach Henning, BBB 84, 716.) zeigt: Wenn es sich hier nicht um eine defektive Schreibung des VGs handelt — für ein *kātak-saxand wäre *<k՚tysxnd-> oder, in historischer Schreibung, *<k՚tksxnd-> zu erwarten wie in man. <z՚ṭyβrc> bzw. <z՚t՚kβrctyh> "Mutterleib", cf. Gershevitch, Compp. 137 f. mit Verweis auf Henning, BBB 73 — setzt dieses Kompositum eine Nebenform *kāt- voraus, die ihrerseits in einem armen. Kompositum *kataban verbaut gewesen sein könnte, das dann sekundär unter dem Einfluß des Simplex katak zu *katakaban verdeutlicht worden wäre.
Dabei gilt weiter festzuhalten, daß das armen. *kata(ka)ban als ein hybrides Kompositum aufzufassen ist, insofern sein HG -ban "Wort, Rede" nicht aus dem Iran. stammt. Denkbar bleibt, daß es ein ursprüngliches rein-iran. Kompositum ersetzt hat, dessen HG das auch in arm. patasxani (und georg. ṗasux-) "Antwort" enthaltene miran. Wort für die "Rede", sax�an, gewesen wäre; anzusetzen wäre dann ein miran. *kāt(ak)-sax�an. Mit den genannten sogd. Komposita, die im HG Ableitungen des nur spärlich belegten Verbums *(ə)sxand- "verhöhnen" enthalten (so Henning, BBB 84, 716.; Gershevitch, Compp. 145: "to ridicule"), kann diese Form lautlich auf keinen Fall identifiziert werden2; jedoch könnte ein dem sogd. k՚tsγ՚rδ bzw. q՚ṭsxnd- entsprechendes miran. Etymon bei der Übernahme ins Armenische umgedeutet und das HG irrig mit *sax�an gleichgesetzt worden sein.
Auch ohne die letztere Annahme scheint der Ansatz eines armen. hybriden Kompositums *kataban, das als Vorlage für das georg. ḳaṭaban- im Vepxisṭq̇aosani gedient hätte, genügend begründbar zu sein. Somit ergibt sich für dieses eine Interpretation als "Scherz" oder "Schauspiel" — also ein "Betrügen" mit positivem Vorzeichen. Gleichzeitig wird die bereits von Saba erkannte Notwendigkeit, ḳaṭaban- bei Rustaveli von dem gleichlautenden Wort in der georg. Chronik zu trennen, bestätigt, da die Verwendung des Wortes in letzterem Text auch mit der hier entwickelten Bedeutung nicht vereinbar ist. Eine Behandlung des "historiographischen" ḳaṭaban- muß vielmehr im Zusammenhang mit dem Beleg im Physiologus erfolgen, der Saba offenbar nicht bekannt war.
Marr, Fiziol. 76 (und danach Kluge, Gr.arm.LWW [WZKM 30], 114) identifizierte das im Text des Physiologus erscheinende georg. ḳaṭaban- seinerseits mit einem armen. Äquivalent, nämlich dem Titel katapan, den Hübschmann, AG 355, 177. (nach dem Ven.Wb.) aus zwei relativ späten armen. Originaltexten (Vardan, Patmowtՙiwn {8.}; Sam. Erēcՙ {9.}) in der Bedeutung "Präfect" belegt, und der nach demselben Autor in der Form katepan in einem modernen Dialekt (Ayrarat) "die volksthümliche Bezeichnung des Aufsehers der Weinberge" sei. Anders als Hübschmann (l.c.; zuvor bereits Iranica [ZDMG 38], 432 nach Mordtmann) führte Marr das armen. Wort jedoch nicht auf gr. κατεπάνω "Präfekt" zurück, das z.B. bei Konstantinus Porphyrogennetus (27/70 u.ö.) bezeugt ist, und auf das mlat. catapanus und dessen spätere, volksetymologisch umgestaltete Nebenform capitaneus zurückgehen (cf. dazu ausführlich Jannaris, Κατεπάνω [Byz.Zs. 10], 204 ff.). Marr setzte vielmehr ein pers. *kadbān "Haushüter, Dorfhüter" ("хранитель дома, хранитель села") an, dessen Vorderglied das etwa auch in pers. كديور (kadiwar) "Hausherr, Dorfältester, Gärtner" ("глaвa (oтeцъ) дoмa, cтapшинa сeлa, caдoвникъ") oder كدخدا (kadxudā) "Hausherr" enthaltene pers. kad, kada "Haus, Dorf" sei, während er in -bān offensichtlich das häufige Kompositalendglied der Bedeutung "Hüter" sah, das z.B. auch in dem im armen. Physiologustext an der gegebenen Stelle erscheinenden eramakapan vorliegt (s. dazu z.B. Horn, Np.Etym. 41, 176.; Hübschmann, AG 221, 505. bzw. 513 ad Nr. 461.). Eine kompositale Verbindung von kad- und -bān im Iranischen selbst konnte Marr jedoch nicht nachweisen.
Die von Marr propagierte iran. Etymologie war zu ihrer Zeit allerdings selbst nicht völlig neu. Der Hinweis auf ein pers. kad (mit der Bedeutungsangabe "kołmn", i.e. "Seite, Gegend") sowie das Kompositum kadxudā findet sich bereits im Ven.Wb. s.v., und die gleiche Zusammenstellung wurde anfänglich auch von Hübschmann favorisiert (Armen. II [ZDMG 35], 664), der das Vorderglied fragend mit npers. kada < *kat-ak verband.
Nun wird die Identifikation von georg. ḳaṭaban- mit arm. katapan durch die Divergenz im Konsonantismus nicht ausgeschlossen: Die anzunehmende Ersetzung eines arm. -p- durch ein georg. -b- ist im Rahmen vergleichbarer Substitutionen bei anderen Wörtern zu sehen, die wie ḳaṭaban- erstmalig in aus der Provinz Ṭao-Ḳlarǯeti stammenden Hss. bezeugt sind oder eine sonstige Affinität zu diesem Gebiet besitzen; s. dazu weiter unter *ḳušṭaban- sowie osṭigan-. Im gegebenen Fall kann die Verstimmhaftung wegen der in *ḳaṭaṗan- vorliegenden Folge dreier glottalisierter Tenues zusätzlich als Dissimilationserscheinung begründet werden.
Einer neuerlichen Diskussion bedarf jedoch die Frage, ob für arm. katapan und georg. ḳaṭaban- die griech. oder die iran. Herkunft vorzuziehen ist. Diese Frage ist zunächst im Zusammenhang mit dem Beleg in der georg. Chronik von Bedeutung, da die Gleichsetzung des Titels mit griech. κατεπάνω die Annahme suggeriert, daß der an der gegebenen Stelle genannte ḳaṭaban- tatsächlich ein Träger des byzantinischen Titels gewesen ist. In diesem Sinne ist wohl auch der Eintrag im Lexikon zu S. Q̣auxčišvilis Edition der Kartlis Cxovreba zu interpretieren (K.Cx. 1, 442), wo ḳaṭaban- griech. κατεπάνω gleichgesetzt wird. Für eine solche Annahme spricht zunächst die Tatsache, daß die Bezeugung des Titels in byzantin. Quellen sich gerade für den Zeitraum zu häufen beginnt, in den die Episode um den georg. König Bagraṭ IV. fällt, nämlich das frühe 11. Jh; das zeigt die ausführliche Belegsammlung, die A.N. Jannaris vorgelegt hat (o.c.). Während der Titel nach Jannaris v.a. "was .. given to those governors or high-commissioners whom the Greek Emperors in Constantinople deputed to govern, in their name, certain Italian provinces" (o.c., 204), ist für die hier aufgeworfene Frage ein Beleg aus dem Geschichtswerk des Johannes Skylitzes von besonderer Bedeutung, wo ein κατεπάνω ᾽Ιβηρίας namens ᾽Ιασίτης erwähnt wird (402,6-11 {2f}); da dieser gerade als Gegenspieler des georg. Königs Bagrat IV. (Παγκράτιος) auftritt, scheint einer Identifikation mit dem in Kartlis Cxovreba genannten ḳaṭaban- nichts im Wege zu stehen. Zu bedenken ist allerdings, daß dem ḳaṭaban- als Herrschaftsgebiet in der georg. Chronik nicht Iberien = Georgien, sondern vielmehr "der Osten" (aġmosavlet-) untersteht; ein κατεπάνω τῆς ᾽Ανατολῆς o.ä. ist in byzantin. Quellen aber offenbar unbekannt.
Größere Probleme wirft eine Gleichsetzung des byzant. Titels mit dem ḳaṭaban- des Physiologus auf. In seiner ältesten Fassung ist dieser Text im Šaṭberd-Codex enthalten, dessen Entstehungszeit mit großer Wahrscheinlichkeit in die 70er Jahre des 10. Jhs. fällt (cf. M. Šaniʒe in Gigineišvili/Giunašvili, 7 bzw. 11 f.). Dabei kann die Niederschrift im Šaṭberd-Codex durchaus die primäre sein, da der Physiologus anders als die meisten übrigen Texte des Codex in dem Schwestermanuskript Jer. 44 nicht enthalten ist (für das Stemma cf. die Edition, 34 bzw. 36). Somit ergibt sich zunächst die zweite Hälfte des 10. Jhs. als terminus ante quem für das Zustandekommen der Übersetzung; eine Zeit, in der der byzant. Titel durchaus bereits geläufig gewesen sein mag. Andererseits stellt sich die Frage, ob das Wort zu dieser Zeit von einem georg. Übersetzer bereits selbständig eingearbeitet worden sein kann, oder ob sein Vorkommen im georg. Physiologus nicht vielmehr voraussetzt, daß die anzunehmende — von den erhaltenen Versionen abweichende — armen. Vorlage des Textes das Äquivalent katapan gehabt hat3. Mit der Annahme einer armen. Vorlage, die selbst das Wort katapan enthalten hätte, würde sich aber der terminus ante quem für eine Übernahme des Wortes aus dem Griechischen in eine Zeit verlagern, in der das Wort in griech. Quellen selbst noch gar nicht bezeugt ist, nämlich das 9. Jh. oder früher4. Außerdem müßte das Wort dem armen. Übersetzer so geläufig gewesen sein, daß er es unabhängig vom Wortlaut seiner eigenen Vorlage eingesetzt hätte, da sich in den zahlreichen griech. Textzeugen keine Spur von einer Verwendung des Wortes κατεπάνω zeigt, wie überhaupt die Bedeutungssphäre des griech. κατεπάνω kaum zu dem im Physiologus gegebenen Kontext paßt. Um die Herleitung des arm. katapan sowie des georg. ḳaṭaban- — zumindest mit seinem Beleg im Physiologus — aus dem griech. κατεπάνω zu verifizieren, würde es also des Nachweises einer älteren und weniger auf die Verwaltungssprache beschränkten Verwendung dieses Wortes bedürfen.
Alle diese Schwierigkeiten würden sich relativ leicht lösen, wenn für arm. katapan doch die von Marr propagierte iran. Etymologie zutreffen und dieses auch dem georg. ḳaṭaban- (im Physiologus) zugrundeliegen würde. Problematisch bliebe bei dieser Annahme natürlich, daß das vorausgesetzte Etymon im Iranischen selbst nicht belegt ist. Von der Bildeweise her vergleichbar bleibt aber immerhin der bekannte Titel "Satrap", der ebenfalls das Element *-pān in Komposition mit einem Herrschaftsbereich als VG hat, weiter auch das Kompositum kadag-x�adā, das z.B. in der Paikuli-Inschrift in mpers. und parth. Form bezeugt ist (Herzfeld, Paikuli z.B. 96,13: <ktkxwt՚y> bzw. 102,6: <ktkxwtwy>) und im VG ebenfalls das Wort für das "Haus" als Herrschaftsbereich enthält.
Die iran. Herleitung für das Wort ḳaṭaban- im Physiologus würde die Konsequenz nach sich ziehen, daß damit insgesamt drei völlig gleichlautende Wörter des Altgeorgischen mit unterschiedlicher Bedeutung und Etymologie vorliegen würden. Es bleibt deshalb zu erwägen, ob nicht wenigstens zwischen den Belegen in der "Chronik" und dem Physiologus eine Brücke geschlagen werden kann, zumal sich diese ja insofern nahestehen, als dem ḳaṭaban- in beiden Fällen die Rolle eines "Anführers" zukommen dürfte. Eine solche Brücke könnte darin bestehen, daß das byzant.-griech. κατεπάνω selbst mit dem durch arm. katapan repräsentierten iran. *katakpān in Verbindung stehen könnte. Die allgemein anerkannte, ausführlich von A. Jannaris begründete innergriech. Etymologie des Wortes geht davon aus, daß zunächst das bereits klass. belegte ὁ ἐπὶ + Gen., das gleichbedeutend mit ἐπιστάτης "superintendant" gebraucht werden konnte, durch ὁ ἐπάνω + Gen. ersetzt wurde und dieses weiter durch κατ- verstärkt wurde; Jannaris verweist auf die entsprechende "Verstärkung" von ὄπισϑεν zu κατόπισϑεν (o.c., 205). Auch ohne daß diese Herleitung falsifiziert zu werden brauchte5, könnte das byzant. κατεπάνω aber auch — zumindest in bestimmten Fällen — auf der volksetymologischen Umdeutung eines vorgegebenen Fremdterminus beruhen, z.B. da, wo einem κατεπάνω Gebiete in östlichen Provinzen unterstanden. Unter den von Jannaris beigebrachten Belegen würde das — abgesehen von dem bereits behandelten κατεπάνω ᾽Ιβηρίας — z.B. Joh.Skyl. 494,23 (κατεπάνω τῆς κάτω Μηδίας) oder Attal. 17,2 (ὁ τῆς μεγάλης ᾽Αντιοχείας κατεπάνω) betreffen. Im letzteren Fall ist besonders die zusätzliche Angabe zu berücksichtigen, wonach der genannte κατεπάνω namens Χατούριος aus Armenien stammte (κατεπάνω, Χατούριος ἐπονομαζόμενος, ἐξ ᾽Αρμενίων .. ἕλκων τὸ γένος), was die Annahme gestattet, daß der griech. κατεπάνω hier speziell einen armen. katapan reflektiert. Im gleichen Sinne spricht auch das in der Chronik Michaels des Syrers erwähnte ܩܛܐܒܢ qaṭābān (575a4 = XV,1 u.ö.), das als Fremdwort ausdrücklich einen armenischen Fürsten (in Melitene) bezeichnet (cf. bereits Brockelmann, Lex. 657 s.v.). Der armen. Titel katapan kann so indirekt für eine relativ frühe Zeit gesichert werden und erweist sich damit als von griech. κατεπάνω unabhängig. Das gleiche kann dann auch für sein georg. Äquivalent ḳaṭaban- gelten.
Ein letzter Teilaspekt der hier vorgeschlagenen Lösung ergibt sich im Zusammenhang mit der bereits oben problematisierten Bezeichnung eines ḳaṭaban- "des Ostens". Diese Bezeichnung erinnert an einen anderen Titel, der zur fraglichen Zeit in byzant. Quellen geläufig war, nämlich den eines δομέστικος τῆς ᾽Ανατολῆς. Auch wenn dieser Titel aus einem ursprünglichen δομέστικος τῶν σχολῶν τῆς ᾽Ανατολῆς verkürzt sein dürfte (cf. dazu Guilland/Laurent, Domest. [Échos d'Orient 37], 53 ff., besd. 59), könnte er doch zu dem georg. ḳaṭaban- aġmosavletisa- in Beziehung bestehen, indem dieses sein Äquivalent darstellt. Im Hinblick auf die von Marr vorgeschlagene iran. Etymologie, die von *katak "Haus" ausgeht, ergibt sich die Möglichkeit, daß das georg. ḳaṭaban- die ursprüngliche Bedeutung "Hausherr" noch gehabt hat und als Lehnübersetzung für das griech. δομέστικος eingesetzt wurde6.
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