Indogermanistik als Legitimationswerkzeug der im 19. Jahrhundert aufkommenden Nationalstaaten


Einleitung

Der Titel Indogermanistik als Legitimationswerkzeug der im 19. Jahrhundert aufkommenden Nationalstaaten ist eine politisch motivierte Stellungsnahme von mir zur Wissenschaftsgeschichte des Faches. Ich bin nicht der Meinung, daß die Indogermanistik bzw. ihre Vertreter damals im 19. Jh. ein Selbstverständnis gehabt hätte, daß die Indogermanistik der Legitimation eines Nationalstaates dient. Ein solches Verständnis, das sicherlich nur ein Aspekt der Betrachtung ist, war aber und ist aus nationalistischer Sicht möglich.


Wissenschaftsgeschichte

Grundsprache i.S. 'Ursprache' als Quelle von Sprachnationalismus Das Problem das darin liegt möchte ich mit einem Zitat einleiten. Umberto Eco schreibt in seinem Buch Die Suche nach der vollkommenen Sprache. (1997:115): "Der Mythos von der arischen Kultur hat, wie man weiß, sehr viel schlimmere Folgen gehabt. Gewiß wollen wir die ehrenwerten Erforscher des Indoeuropäischen nicht für die Vernichtungslager der Nazis verantwortlich machen, auch weil sie auf auf linguistischer Ebene ja recht hatten. Aber im Verlauf dieser unserer Geschichte haben wir immer auch die Nebenwirkungen zu zeigen versucht."

Es ist also 1997 ohne weiteres denkbar - und auch unter einer politischen Fragestellung auch berechtigt - , die Indogermanistik mit dem Nationalsozialismus in Verbindung zu bringen. Umberto Eco räumt mit der Formulierung "auch weil sie auf auf linguistischer Ebene ja recht hatten" bereits ein, daß ein ideologischer Mißbrauch von Termini stattgefunden hat.


Hebräisch als Ursprache vs. Nationalsprachen

Daß es zu diesem Mißbrauch gekommen ist läßt sich wissenschaftsgeschichtlich leicht nachvollziehen. In jeder Geschichte der Sprachwissenschaft lassen sich die Einzelheiten zu den jeweiligen Autoren nachschlagen, die die Hypothese einer monogenetischen Ursprache postuliert haben. Nur ein paar Stichworte: die christlichen Kirchenväter plädieren für das Hebräische als Ursprache, ebenso 1679 Athanasius Kircher in Turris Babel. In seiner 1772 erschienen Preisschrift spricht sich Herder kritisch zur Vorangstellung des Hebräischen aus und thematisiert das Problem der Sprache einer Nation. 1786 weist William Jones auf das Sanskrit hin, 1808 erscheint das Buch von Friedrich Schlegel Zur Sprache und Weisheit der Indier. D.h. um 1800, also in der Entstehungszeit der Indogermanistik, bewegt sich die sprachwissenschaftliche Diskussion um das Problem, inwieweit das Hebräische eine Vor- anstellung im Alter gegenüber anderen Sprachen habe und diese anderen Sprachen werden als Nationalsprachen bezeichnet.

In der Politik beginnt das Zeitalter der bürgerlichen Nationalstaaten, hinter der die Ablösung der Monarchien sthet. Parallel dazu beginnt die politische Emanzipation des Judentums. Das ideologische Interesse der bürgerlichen Elite lag in dem Bestreben, eine Definition zu finden für die eigene Identität als Mitglied einer Gruppe. Konkret soll das heißen, daß jemand, der sich am Beginn des 19. Jahrhunderts für die Schaffung eines Nationalstaates einsetzte, diesen Nationalstaat erst rechtfertigen mußte. Welche Kriterien gibt es dafür, daß jemand von sich sagen darf sie oder er sei Deutsche bzw. ein Deutscher in einem bürgerlichen Nationalstaat, der Deutschland heißt?


Sprachpatriotismus und Sprachnationalismus

Herder schreibt in den 1784-1791 verfaßten Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit Bd. 13 S. 431: "Denn jede alte Nation liebt so sehr, sich als die zuerst ent- standene zu betrachten ...", daß ihm alle möglichen Vorzüge zuschreibt. Darunter wird bei den sprachpatriotischen Äußerungen die eigene Muttersprache gelobt und ihr als Eigen- schaften hohes Alter, genealogische Reinheit und strukturelle Homongenität typischerweise zugesprochen. Gleichzeitig wird in der Diskussion im 19. Jahrhundert bei der Zuschreibung an die Sprecher die Sprache vermischt mit einer Zuschreibung einer bestimmten kulturellen, ethnischen, moralischen oder politischen Disposition. 1859 erscheint das Buch von Adolphe Pictet Les Origines indo-europeennes ou les Aryas primitifs und wirkt in Richtung 'Arier- Theorie' nach.

Im sprachlichen Nationalismus kommt zu den Punkten sprachlicher Reinheit und hohes Alter jedoch noch die behauptete Überlegenheit der eigenen Sprache bzw. dessen, was mit ihr vermischt zugeschrieben (Kultur, Rasse) wird, hinzu. Dies geschieht findet seinen Höhe- punkt in Deutschland unter den Nazis. Übrigens hatte sich bereits Bopp 1857 in der 2. Aufl. seiner Vergleichenden Grammatik kritisch zu einer möglichen Assoziation von 'indogerma- nisch' mit den Germanen (und d.h. im weiteren den Deutschen) als den besten Indogerma- nen geäußert. Im politisch-ideologischen Diskurs sind solche Äußerungen jedoch überhört worden.

Welches sind nun die Eigenschaften der von den Indogermanisten seit Grimm oder Bopp postulierten und rekonstruierten Grundsprache? Hohes Alter, genealogische Reinheit und strukturelle Homongenität. Die Suche nach der indogermanischen Grundsprache ist nationali- stisch. Es gibt zwar keinen Nationalstaat der Indogermanen, aber bezeichnender Weise nennt Jacob Grimm seine Grammatik "Deutsche Grammatik". Diese Deutsche Grammatik von Grimm ist de facto eine Grammatik der germanischen Sprachen und Grimm ist sprachpatrio- tisch bestrebt, das hohe Alter, die genealogische Reinheit und die strukturelle Homongenität der Sprache zu erweisen, von der das Neuhochdeutsche abstammt. D.h. aus dem Bestreben eine Grundsprache zu rekonstruieren läßt sich für die inhaltliche Bestimmung eines Faches Indogermanistik, aber auch historisch-vergleichende Sprachwissenschaft einer bestimmten Einzelsprache, immer eine sprachpatriotische Haltung rechtfertigen, die ideologisch miß- braucht zu einem Sprachnationalismus führt.


Fixierung auf Grundsprache: keine Inhalte

Noch ein zweiter wissenschaftgeschichtlicher Aspekt: Schlägt man in Lexika zur Sprachwis- senschaft unter dem Stichwort indogermanisch oder Indogermanistik nach, so findet man immer auch einen wissenschaftsgeschichtlichen Abriß des Faches. Ein kurzer Blick ins Internet zeigt, daß sich auf den Seiten des Faches an den Universitäten Hamburg und Würzburg ein wissenschaftsgeschichtlicher Abriß findet, also für wichtig gehalten wird. Das ist deswegen auffällig, weil der Vergleich mit anderen Fächern zeigt, daß eine solche wissenschaftsgeschichtliche Darstellung keineswegs zwingend ist.

Warum ist es von Belang, daß das Fach von Friedrich Schlegel und/oder Franz Bopp und/oder Jacob Grimm am Anfang des 19. Jahrhunderts begründet wurde? Das Problem dieser Wertschätzung der Wissenschaftsgeschichte ist, daß sie keine Inhalte für das Fach liefert. Gleichzeitig wird infolge dieser wissenschaftshistorischen Ausrichtung eine Diskus- sion über die Entwicklung des Faches, d.h. konkret der Methodik des Faches, versäumt.


Fixierung auf die Def. des 19. Jh.: keine Vorbildfunktion

Ein weiterer kurzer Blick ins Netz zeigt, daß auf den Seiten der Universitäten Bochum, dann Halle mit der sog. Erlanger Erklärung, sowie Freiburg, München und Würzburg das Fach u.a. dadurch definiert wird, daß sein Inhalt die Such nach der Indogermanische Grund- sprache sei. Ich zitiere aus der Netzseite des Instituts in München, wo als Punkt 2 - Punkt 1 ist eine Auflistung der indogermanischen Sprachen - sich folgendes findet: "Ziel der Indogermanischen Sprachwissenschaft ist es, diese Sprache, von der keine direkten Zeugnis- se mehr existieren, aus ihren Nachfahren zu rekonstruieren und so den Werdegang der Tochtersprachen besser zu verstehen."


Schluß

Es in meinen Augen falsch, wenn sich die Indogermanistik, die Rekonstruktion einer Grundsprache als ihr erklärtes primäres Ziel setzt. Es ist falsch, weil es ein politisch motiviertes (ein sprachpatriotisches oder sprachnationalistisches), aber kein wissenschaftli- ches Ziel ist, wenn ich das mal zugespitzt formulieren darf. Es ist in meinen Augen genauso falsch, nämlich politisch falsch, sich die Erforschung einer Kultur des Indogermanischen als Ziel zu setzen. Ich denke hier z.B. an das 1997 erschienene Buch von Mallory Encyclopedia of Indo-European culture.

Die Konsequenz aus diesen wissenschaftsgeschichtlichen Betrachtungen ist in meinen Augen eine Definition von Historisch-vergleichender Sprachwissenschaft, die sich auf die modell- hafte Ausarbeitung einer solchen Disziplin konzentriert. Jemand der oder die historisch- vergleichende Sprachwissenschaft betreibt muß daher in der Lage sein, sich mit allen anderen Vertretern der Sprachwissenschaft grundsätzlich fachlich auseinander setzen zu können, d.h. er oder sie muß die aktuellen Entwicklungen anderer Teilbereiche der Sprach- wissenschaft zur Kenntnis nehmen.

Gleichzeitig sehe ich nicht, daß es irgendeine theoretische Berechtigung gibt, die indogerma- nischen Sprachen bevorzugt zum Untersuchungsgegenstand der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft zu machen. In der Praxis wird das sinnvollerweise deswegen doch so sein, weil die indogermanischen Sprachen in einer größeren zeitlichen Tiefe als z.B. das Baskische bezeugt sind, und zweitens weil wir in Europa leben und mit Einzelphilologien zusammenarbeiten, die sich wohl zu 90% mit indogermanischen Sprachen beschäftigen.

Als letzter Punkt noch ein Wort zum Inhalt einer Historisch-vergleichende Sprachwissen- schaft im 21. Jahrhundert: Neben dem theoretischen Modellcharakter wird es aufgrund der universitätspolitischen Entwicklungen wohl gleichzeitig sinnvoll sein, sich als Sprachwissen- schaft der kleinen und toten Sprachen zu präsentieren. Neben der theoretischen Seite sollte die philologisch begründete historisch-vergleichende Sprachwissenschaft sehr wohl ihren Platz behaupten.


Literatur:



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