Mittelbayrische Zeitung, 18./19.11.2000


"Ein Fach in seiner Blüte getötet!"

Studenten der Neurolinguistik fürchten um einen erfolgreichen Abschluß


Regensburg (mli). Zum Ende des Wintersemesters 2001 soll der Magisterstudiengang Sprachwissenschaft in ein Studium der Medienwissenschaften umgewidmet werden. Rund 200 Studenten sehen sich nun mit einem ungewissen Ende ihres Studiums konfrontiert.


Obwohl der Studiengang der Allgemeinen Sprachwissenschaft seit Jahren steigende Studentenzahlen und mit 28,6 Prozent eine überdurchschnittlich hohe Zahl an ausländischen Studenten aufweist, soll er durch das "zeitgemäßere" Studium der Medienwissenschaften ersetzt werden. So entschied zumindest der Fachbereichsrat der Fakultät Vier bei seiner Sitzung am 18. Oktober. Die endgültige Entscheidung über die Zukunft des Studienganges liegt aber in den Händen des Senats, dessen Entscheidung in den nächsten zwei Monaten ansteht.

Eine überzeugende Begründung für die Umwidmung des Magisterstudiengangs scheint es bisher nicht zu geben. "Wir wollen mal was anderes, was gerade modern ist", lautet die Erklärung, die zwei Studentinnen auf Anfrage erhielten. Erst zum Sommersemester 2000 hatte der Studiengang durch die Einführung der Neurolinguistik einen neuen Schwerpunkt erhalten. In ganz Bayern existiert mit dieser Schwerpunktbesetzung kein vergleichbares Studium. Aus diesem Grund ist es für die Studierenden auch nicht möglich, in eine andere Universität zu wechseln. Neurolinguistik wird zwar neben Regensburg auch in Bielefeld und Potsdam angeboten, Quereinsteiger werden hier jedoch nicht angenommen.

Darüber, wie das neue Studium der Medienwissenschaften aussehen soll, ist bis jetzt noch nichts bekannt. "Wir können nicht verstehen, warum man ein Fach durch ein anderes ersetzt, das noch nicht einmal ein Konzept vorlegen kann", ärgern sich die Studentinnen. Kein Verständnis haben die beiden auch für Rektur Helmut Altner, der sie trotz eines vorher vereinbarten Termins nicht empfangen wollte.

Auch Professor Herbert Brekle, Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Sprachwissenschaft, erhielt über die Konzeption des geplanten Studiums "keine zufriedenstellenden Auskünfte". In seinen Augen wird durch die Umwidmung "ein Fach in seiner Blüte getötet".

Die Regensburger Universität würde sich durch die Einführung des Medienstudiums in die Reihe von 26 anderen Hochschulen in Deutschland einreihen, die eine solche Ausbildungsmöglichkeit bereits anbieten. Nach Ansicht des Professors könne sich ein Land wie Bayern den vollkommenen Verzicht auf ein Studienfach, das sich mit der Entwicklung von Sprache beschäftigt, nicht leisten. Bis vor kurzem konnte er noch damit rechnen, daß das Fach, das er bereits seit 31 Jahren unterrichtet, weitergeführt wird. Seine Pensionierung Ende 2001 löste die Diskussion über eine Veränderung des Lehrstuhls aus. Daß man etwas "zeitgemäßeres" an die Stelle der Sprachwissenschaften setzen möchte, ist für ihn nicht nachzuvollziehen, da sich die Allgemeine Sprachwissenschaft vor allem durch ihr wissenschaftliches und innovatives Potential und ihre Nähe zur Berufspraxis auszeichnet. "Ich erhalte regelmäßig Anfragen von Kliniken, ob bei mir nicht Studenten fertig werden. Vor allem im Bereich der Sprachtherapie besteht schon seit längerer Zeit große Nachfrage", so Brekle.

Der Bedarf an klinischen Linguisten wird sich laut Angaben von Krankenhäusern und Rehabilitationszentren in Zukunft weiter erhöhen. Die Absolventen sind aber nicht auf eine Tätigkeit in der Klinik beschränkt. Linguisten können unter anderem auch in PR-Abteilungen, Verlagen oder in Presse- oder Forschungsbereichen arbeiten.

Sollte der Senat im Dezember nicht in seinem Sinne entscheiden, brauchen die Studenten laut Professor Brekle nicht um ihren Abschluß zu fürchten: "Es wird sich mit Sicherheit eine Übergangslösung finden". Die personelle Veränderung wird für die Studenten aber natürlich einen großen Einschnitt bedeuten. Er selbst wird sie auch nach dem Wintersemester 2001 weiterhin betreuen.




Mittelbayrische Zeitung, 23.11.2000, S. RE6


Profil durch Medienwissenschaften

Institut für Medien, Information und Kultur soll an Uni installiert werden


Von Harald Raab, MZ

Regensburg. Gut ein Drittel der 15000 Studierenden der Regensburger Universität wird in der späteren beruflichen Praxis informations- und medienwissenschaftliche Qualifikationen benötigen, gestützt durch eine entsprechende Praxis-Ausbildung.

In Wissenschaft, Lehre und Praktika sich auf diese Situation einzustellen, its Hintergrund der größten Umorientierung, die zurzeit im Bereich der Geisteswissenschaften an der Regensburger Universität im Gang ist.

Das große Ziel ist die Schaffung eines Instituts für Medien, Information und Kultur. Die zusätzlichen Studienangebote erweitern die Möglichkeiten der modularisierten Studiengänge um Medien- und Informationskompetenz, ohne die selbst ein Lehrer heute nicht mehr sinnvoll im Schulunterricht eingesetzt werden kann.

Es sind vor allem jüngere Professoren wie der Romanist Jochen Mecke, der Germanist Georg Braungart, der Amerikanist Udo Hebel, der Informationswissenschaftler Rainer Hammwöhner und andere, die über Fachgrenzen hinaus planen. Kulturwissenschaften in all ihren Zweigen zu vernetzen ist das Ziel. Es geht um ein flexibles Lehrangebot für junge Menschen, die später einmal ebenso vielseitig im Beruf agieren müssen.

Der Ansatz dabei ist in der deutschen Universitätslandschaft ziemlich neu: kulturwissenschaftlich Ausgebildete sollen in der Anwendung von Medien und Informatik so qualifiziert sein, dass die Inhaltskompetenz und -priorität bei Arbeitsprozessen erhalten bleibt und nicht von technisch-organisatorischer Seite dominiert wird.

Der Informationswissenschaftler Hammwöhner: "Es ist wichtig, dass Geisteswissenschaftler auch in Informatik gut ausgebildet sind, um ihre Inhalte qualifiziert transportieren zu können. An anderen Universitäten geht man den umgekehrten Weg, Informatiker auch mit geisteswissenschaftlicher Materie vertraut zu machen. Ich glaube, dass unser Ansatz für die Sache der bessere ist. Medieninformatik vermittelt eine breite Kompetenz im Beruf."

"Wir betreiben hier kein privates Hobby und auch nicht Fachegoismus", weist Prof. Mecke Vorbehalte derer zurück, die am liebsten alte Strukturen perpetuieren wollen.

Der Amerikanist Hebel: "Ohne medienwissenschaftliche Elemente geht in den Kulturwissenschaften heute gar nichts mehr. Wir haben diesbezüglich einen großen Nachholbedarf, wenn wir die jungen Leute auf ihre späteren beruflichen Einsatzsähigkeiten vorbereiten wollen. Ob in Germanistik oder Jura, ob in Wirtschaft oder Romanistik, Amerikanistik, Anglistik, Medienkompetenz gehört unbedingt dazu."

Der Germanist Braungart warnt davor, diesen Zug zu verpassen: Sowohl im Bereich der Lehrenden als auch in dem der Studierenden gingen der Universität Regensburg gute Leute verloren, wenn hier Medienwissenschaften nicht angeboten werden. Schon jetzt gibt es 40 Veranstaltungen mit medienwissenschaftlichem Bezug in der Philosophischen Fakultät IV - Sprach- und Literaturwissenschaften.

Prof. Mecke: "In Verbindung mit der Modularisierung der Ausbildung können wir es uns leisten, auch mehr Praxis-Elemente einzuführen, ohne dass darunter die wissenschaftlich-theoretische Ausbildung leiden muss. Beides gehört unabdingbar zusammen."

"Es geht um eine inhaltliche Neuorientierung mit Ausstrahlung auf die ganze Universität", urteilt Prof. Hebel. "Wenn wir das versäumen, droht später einmal in den Kulturwissenschaften Provizialität. Jetzt haben wir die Chance, das zu verhindern."

Die Neubestimmung des Profils der gesamten Fakultät wird sicher von der Universitätsleitung mit Interesse und Wohlwollen beobachtet. Das Problem dabei ist freilich, dass Profilbildung von Bayerns Universitäten zwar mit Nachdruck gefordert wird, sie aber den Staat nichts kosten soll. Die einzige Lösung ist: vorhandene Kapazitäten umzuschichten. Im Klartext: Es konnte ohne Umwidmung freier Lehrstühle in der Fakultät nicht gehen. Zur Vollendung des Institutsprojekts setzt man auf die Einwerbung zusätzlicher Kapazitäten. Eine Möglichkeit wäre, eine Stiftungsprofessur einzurichten.

Das Konzept für das Institut für Medien, Information und Kultur ist aus Machbarkeitsüberlegungen deshalb auch als Stufenprogramm vorgesehen. Am Ende soll es fünf Lehrstühle geben. Der für Informationswissenschaften mit Prof. Dr. Rainer Hammwöhner besetzt. Das Berufungsverfahren für den Lehrstuhl für vergleichende Kulturwissenschaften läuft bereits. Als Kernfach und Novum innerhalb der Fakultät ist ein Lehrstuhl für Medienwissenschaften vorgesehen. Nach Fakultätsbeschluss soll dafür der Lehrstuhl für Allgemeine Sprachwissenschaften umgewidmet werden. Der derzeitige Lehrstuhlinhaber geht im nächsten Jahr in den Ruhestand. Die Chancen stehen gut, dass der Senat der Universität dieser Umwidmung zustimmt und im Jahr 2002 der medienwissenschaftliche Lehrstuhl seine Arbeit aufnehmen kann.

Um die Forschungs- und Lehrpalette abzurunden, sind dann noch ein Lehrstuhl für Medieninformatik als Bindeglied zwischen Medienwissenschaft und Informationswissenschaft und ein Lehrstuhl für Medienästhetik geplant.

Die Initiatoren des Konzepts argumentieren weiter: Aufgrund des beschleunigten Wandels der Medienentwicklung biete ein derartiges Institut eine ganze Reihe neuer Forschungsgebiete, auf denen wesentliche Innovationen zu erwarten seien. Außerdem sei bereits jetzt das Interesse der Studierenden an medienbezogenen Lehrveranstaltungen groß. Das Fach Informationswissenschaften allein hat in diesem Wintersemester 120 Anfänger zu verzeichnen.