Frankfurter Rundschau, Nr. 138, 18.Juni 1998


Der schrittweise Abschied von der Universität


Von Michael Grabenströer


SAARBRÜCKEN. Wenn es um die Zukunft der Gesellschaftswissenschaften geht, dann sind sich der grüne saarländische Landtagsabgeordnete Andreas Pollak und die auf Bundesebene agierende sozialdemokratische Bildungsexpertin Edelgard Bulmahn, vom SPD-Kanzlerkandidaten Gerhard Schröder für höhere Aufgaben ins "Team" der künftig Regierungsfähigen gerückt, einig. "Geographie, Politikwissenschaß und Soziologie leisten schon heute wichtige Beiträge für die europaische Integration", heißt das bei Pollak mit verengtem Blick auf die (Binnen) Grenzen im Saar-Lor-Lux-Raum und die "Universitas Saraviensis" (Universität des Saarlandes) in Saarbrücken.

Schröders Frau für ein Zukunftsministenum betonte noch bei einem Wissenschaftsforum in Saarbrücken Ende Mai die herausgehobene Bedeutung der Gesellschaftswissenschaften für die Sozialdemokratie insgesamt. Die nämlich lieferten steuerungsrelevante Informationen für die sinnvolle Konzeption von Interventionsprogrammen, habe sie, erinnern sich Teilnehmer, gesagt und damit breite Zustimmung geernet. Da verfügte sie aber selbst noch nicht über steuerungsrelevante Informationen für die künftige Universitätspolitik des Landes.

Doch Kongresse oder Foren mit designierten Wissenschaftsministerinnen sind das eine, knallharte Sparzwänge und Schwerpunktsetzungen im wohlverstandenen Landesinteresse im Lafontaine-Staat das andere.

Sentimentalitäten kann man sich bei den Strukturbrüchen in der Montanregion, die eigentlich schon keine mehr ist, aber immer noch eine sein will, nicht leisten. Deshalb stehen bei der "Umstrukturierung" der Universität, die bei gleichem Mitteleinsatz - im Finanzplan für die nachsten fünf Jahre sind 263 Millionen Mark jährlich vorgesehen - in den für das Land nutzbaren Bereichen Naturwissenschaft, Technik und Wirtschaft gestärkt werden soll, die Soziologie zusammen mit der Politologie auf der Streichliste. Das Saarland, das schon seit Jahrzehnten an einem ständigen strukturellen Wandlungsprozeß laboriert, glaubt auf die sozialwissenschaftliche Begleitung der Phänomene an der eigenen Universität gänzlich verzichten zu können.

Jeder Umsteuerungsprozeß - so auch die Neukonzeption der Saarland-Uni im Rahmen der Hochschulentwicklung Saarland-Trier-Westpfalz - braucht gutachterliche Begleitung. Das erleichtert zum einen die Verweise aus dem politischen Raum auf die fundierten Erkenntnisse der Expderten und ermöglicht der Politik zum anderen so rigoros klingende Ansätze ebenso rigoros zurückzuweisen, um das durchzusetzen, was man sowieso erreichen wollte. So geschah es auch mit der Expertise der Sachverständigenkommission (Simon-Kommission) zur Hochschulentwicklung in Deutsch-Südwest. Was dort zur Stärkung des naturwissenschaftlich-technischen Profils aufgeführt war, das traf sich mit den (schon immer so ähnlich) geäußerten Schwerpunktsetzungen der sozialdemokratischen Saar-Politiker, die die Universität zu einer Innovationsschmiede machen wollen.

Daß die Gutachter allerdings die Lehramtsstudiengänge streichen wollten, das traf den Nerv des Selbstverständnisses des kleinsten Flächenstaates der Republik. Nicht wegen der Lehrer, da herrschen bei regierenden Sozialdemokraten im Saarland die gleichen Vorurteile wie bei regierenden Sozialdemokraten in Niedersachsen, sondern wegen der Überlebensängste des Landes. Hätte ein Verzicht auf eigene Lehreraussbildung, die besser in Rheinland-Pfalz durchgeführt werden konnte, wie die Experten herausfanden, nicht auch einen Verzicht auf föderale Anspruche der Bildungspolitik bedeutet und somit Selbstauflösungstendenzen für das Land in sich getragen? Außerdem fachte die vorgeschlagene flächendeckende Streichung der Lehrerausbildung den breiten Widerstand der Studenten an. So rang sich die SPD, die sich plakativ zur "Saarlandpartei" verkürzt, den Verzicht auf den vorgeschlagenen Verzicht ab.

Eine beeindruckende Streichliste gibt es dennoch. Politik- und Sozialwissenschaften verschwinden aus dem Studienverzeichnis, die Volkswirtschaft ist überflüssig im neuen praxisorientierten, auf Effektivität ausgerichtetem Konzept, in Geographie werden keine Studenten mehr eingeschrieben. Auf Orientalistik, Slavistik, indogermanische Sprachwissenschaften und Kunsterziehung als Nischenangebote wird man ohne große Proteste verzichten. Lediglich bei der Streichung der katholischen und evangelischen Theologie wird es ein Feilschen geben. Schließlich gelten rechtskräftige Verträge mit beiden Kirchen. Doch man ist schon bei Verrechnungsmöglichkeiten: Warum nicht einen höheren Staatsbeitrag zu den kirchlichen Kindergärten gegen einen Wegfall des Theologiestudiums aufrechnen?

3500 Studienplätze werden nach Ansicht der Studentenvertretung in den nachsten zehn Jahren an der Saar-Uni mit zur Zeit rund 20000 Studierenden verschwinden, um das naturwissenschaftlich-technische Profil zu schärfen. Mit dem Simon-Gutachten erhielt Bildungsminister Henner Wittling (SPD) schlechte Noten für die Gesamt-Situation an der Uni. Hierarchisierung, Segmentierung, Stagnation und Unterausstattung wurden der Uni - die SPD bestimmt an der Saar seit 1985 die Wissenschaftspolitik - bescheinigt. Nur der Begriff Überalterung fehlte. Da im nächsten Jahrzehnt rund die Hälfte aller Professoren ausscheiden wird, sieht Wittling nun da die unwiederbringliche Chance des Handelns und Streichens. Allein, die Kooperation mit Rheinland-Pfalz, von einem "Großcampus Südwest" war schon einmal die Rede, bleibt irgendwo auf der Strecke.

Zwar soll eine Hochschulregionalkonferenz ohne Entscheidungsbefugnis eingerichtet werden, doch sonst gibt es keine konkreten Kooperationsansätze. Das Saarland baut zuallererst die eigene Universität um. Von einem regionalen Hochschulverbund - das Stichwort taucht in einem Papier der Saar-SPD auf - ist man noch meilenweit entfernt.

Der Weg zum neuen mathematisch-technischen Profil der Universität Saarbrücken ist nach dem eindeutigen Kabinettsvotum für Wittlings Konzept eröffnet. Praxisbezogen und europaorientiert sollen Rechtswissenschaßen und Betriebswirtschaft ausgerichtet sein, und auch die verbleibende Lehrerausbildung soll einen stärkeren Praxisbezug erhalten. Die Soziologen - "die haben uns mit Vollgas gegen die Wand fahren lassen", sagt der noch weit von allen Pensionsgrenzen entfernte Soziologie-Professor Reinhard Stockmann - sind geschockt. Die Fachschaft beginnt gerade darüber nachzudenken, wie sie die Notwendigkeit, Gesellschaftswissenschaften zu erhalten, auch der Saar-Gesellschaft und der SPD-dominierten Politik nahebringen kann. Doch kaum einer macht sich Hoffnung, daß Soziologie und Politologie noch für die Saar-Uni zu retten sind, obwohl das Wissenschaftsministerium zwei Jahre lang Dampf gemacht hatte, einen Diplom-Studiengang Sozialwissenschaften zu entwickeln. Die Aktions-Gnadenfrist konnte schon am 6. Juli verstrichen sein. Dann geht es intern um die Festsetzung der neuen Zulassungszahlen für das Fach. Und der Ausstieg aus den Gesellschaftswissenschaßen dürfte mit null neuen Studenten beginnen. Das sozialdemokratisch regierte Saarland wäre dann das einzige Bundesland, in dem Soziologie künftig kein Fach mehr ist.

Wie hatte doch beim Empfang der Mitglieder der Hochschulrektoren-Konferenz zwei Tage vor dem Kabinettsbeschluß über die Streichpläne an der Saar-Universität, ausgerechnet die für Wirtschaft und Finanzen zuständige Ministerin Christiane Krajewski (SPD), die den abwesenden Ministerpräsidenten und SPD-Bundesvorsitzenden Oskar Lafontaine vertreten mußte, erklärt: "Ziel der saarländischen Landesregierung ist es, die Hochschulen im Saarland weiter zu entwickeln und zu fördern und zu einer tragfähigen Basis für die strukturpolitisch bedeutende Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft im Interesse der Entwicklung des Landes und seiner Region weiter auszubauen".

Bei einem Kleinen Parteitag der SPD, der das Uni-Konzept absegnete, versuchte Krajewski vergeblich, sich die Uni als Einsparpotential für den Landeshaushalt zu erhalten. Die SPD beschloß eine "Umstrukturierung ohne Reduzierung" der Aufwendungen des Landes für die Hochschulen. Die Finanzministerin und Lafontaine-Stellvertreterin wollte die Uni jedoch nur "von überproportionalen Mittelreduzierungen ausnehmen" und scheiterte (vorerst) damit.



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