SAARBRÜCKEN. Wenn es um die Zukunft der Gesellschaftswissenschaften geht, dann sind
sich der grüne saarländische Landtagsabgeordnete Andreas Pollak und die auf Bundesebene
agierende sozialdemokratische Bildungsexpertin Edelgard Bulmahn, vom SPD-Kanzlerkandidaten
Gerhard Schröder für höhere Aufgaben ins "Team" der künftig Regierungsfähigen gerückt,
einig. "Geographie, Politikwissenschaß und Soziologie leisten schon heute wichtige
Beiträge für die europaische Integration", heißt das bei Pollak mit verengtem Blick
auf die (Binnen) Grenzen im Saar-Lor-Lux-Raum und die "Universitas Saraviensis"
(Universität des Saarlandes) in Saarbrücken.
Schröders Frau für ein Zukunftsministenum betonte noch bei einem Wissenschaftsforum
in Saarbrücken Ende Mai die herausgehobene Bedeutung der Gesellschaftswissenschaften
für die Sozialdemokratie insgesamt. Die nämlich lieferten steuerungsrelevante Informationen
für die sinnvolle Konzeption von Interventionsprogrammen, habe sie, erinnern sich
Teilnehmer, gesagt und damit breite Zustimmung geernet. Da verfügte sie aber selbst
noch nicht über steuerungsrelevante Informationen für die künftige Universitätspolitik
des Landes.
Doch Kongresse oder Foren mit designierten Wissenschaftsministerinnen sind
das eine, knallharte Sparzwänge und Schwerpunktsetzungen im wohlverstandenen Landesinteresse
im Lafontaine-Staat das andere.
Sentimentalitäten kann man sich bei den Strukturbrüchen in der Montanregion,
die eigentlich schon keine mehr ist, aber immer noch eine sein will, nicht leisten.
Deshalb stehen bei der "Umstrukturierung" der Universität, die bei gleichem Mitteleinsatz
- im Finanzplan für die nachsten fünf Jahre sind 263 Millionen Mark jährlich vorgesehen
- in den für das Land nutzbaren Bereichen Naturwissenschaft, Technik und Wirtschaft
gestärkt werden soll, die Soziologie zusammen mit der Politologie auf der Streichliste.
Das Saarland, das schon seit Jahrzehnten an einem ständigen strukturellen Wandlungsprozeß
laboriert, glaubt auf die sozialwissenschaftliche Begleitung der Phänomene an der
eigenen Universität gänzlich verzichten zu können.
Jeder Umsteuerungsprozeß - so auch die Neukonzeption der Saarland-Uni im
Rahmen der Hochschulentwicklung Saarland-Trier-Westpfalz - braucht gutachterliche
Begleitung. Das erleichtert zum einen die Verweise aus dem politischen Raum auf
die fundierten Erkenntnisse der Expderten und ermöglicht der Politik zum anderen
so rigoros klingende Ansätze ebenso rigoros zurückzuweisen, um das durchzusetzen,
was man sowieso erreichen wollte. So geschah es auch mit der Expertise der Sachverständigenkommission
(Simon-Kommission) zur Hochschulentwicklung in Deutsch-Südwest. Was dort zur Stärkung
des naturwissenschaftlich-technischen Profils aufgeführt war, das traf sich mit
den (schon immer so ähnlich) geäußerten
Schwerpunktsetzungen der sozialdemokratischen Saar-Politiker, die die Universität
zu einer Innovationsschmiede machen wollen.
Daß die Gutachter allerdings die Lehramtsstudiengänge streichen wollten,
das traf den Nerv des Selbstverständnisses des kleinsten Flächenstaates der Republik.
Nicht wegen der Lehrer, da herrschen bei regierenden Sozialdemokraten im Saarland
die gleichen Vorurteile wie bei regierenden Sozialdemokraten in Niedersachsen, sondern
wegen der Überlebensängste des Landes. Hätte ein Verzicht auf eigene Lehreraussbildung,
die besser in Rheinland-Pfalz durchgeführt werden konnte, wie die Experten herausfanden,
nicht auch einen Verzicht auf föderale Anspruche der Bildungspolitik bedeutet und
somit Selbstauflösungstendenzen für das Land in sich getragen? Außerdem fachte die
vorgeschlagene flächendeckende Streichung der Lehrerausbildung den breiten Widerstand
der Studenten an. So rang sich die SPD, die sich plakativ zur "Saarlandpartei" verkürzt,
den Verzicht auf den vorgeschlagenen Verzicht ab.
Eine beeindruckende Streichliste gibt es dennoch. Politik- und Sozialwissenschaften
verschwinden aus dem Studienverzeichnis, die Volkswirtschaft ist überflüssig im
neuen praxisorientierten, auf Effektivität ausgerichtetem Konzept, in Geographie
werden keine Studenten mehr eingeschrieben. Auf Orientalistik, Slavistik, indogermanische
Sprachwissenschaften und Kunsterziehung als Nischenangebote wird man ohne große
Proteste verzichten. Lediglich bei der Streichung der katholischen und evangelischen
Theologie wird es ein Feilschen geben. Schließlich gelten rechtskräftige Verträge
mit beiden Kirchen. Doch man ist schon bei Verrechnungsmöglichkeiten: Warum nicht
einen höheren Staatsbeitrag zu den kirchlichen Kindergärten gegen einen Wegfall
des Theologiestudiums aufrechnen?
3500 Studienplätze werden nach Ansicht der Studentenvertretung in den nachsten
zehn Jahren an der Saar-Uni mit zur Zeit rund 20000 Studierenden verschwinden, um
das naturwissenschaftlich-technische Profil zu schärfen. Mit dem Simon-Gutachten
erhielt Bildungsminister Henner Wittling (SPD) schlechte Noten für die Gesamt-Situation
an der Uni. Hierarchisierung, Segmentierung, Stagnation und Unterausstattung wurden
der Uni - die SPD bestimmt an der Saar seit 1985 die Wissenschaftspolitik - bescheinigt.
Nur der Begriff Überalterung fehlte. Da im nächsten Jahrzehnt rund die Hälfte aller
Professoren ausscheiden wird, sieht Wittling nun da die unwiederbringliche Chance
des Handelns und Streichens. Allein, die Kooperation mit Rheinland-Pfalz, von einem
"Großcampus Südwest" war schon einmal die Rede, bleibt irgendwo auf der Strecke.
Zwar soll eine Hochschulregionalkonferenz ohne Entscheidungsbefugnis eingerichtet
werden, doch sonst gibt es keine konkreten Kooperationsansätze. Das Saarland baut
zuallererst die eigene Universität um. Von einem regionalen Hochschulverbund - das
Stichwort taucht in einem Papier der Saar-SPD auf - ist man noch meilenweit entfernt.
Der Weg zum neuen mathematisch-technischen Profil der Universität Saarbrücken
ist nach dem eindeutigen Kabinettsvotum für Wittlings Konzept eröffnet. Praxisbezogen
und europaorientiert sollen Rechtswissenschaßen und Betriebswirtschaft ausgerichtet
sein, und auch die verbleibende Lehrerausbildung soll einen
stärkeren Praxisbezug erhalten. Die Soziologen - "die haben uns mit Vollgas gegen
die Wand fahren lassen", sagt der noch weit von allen Pensionsgrenzen entfernte
Soziologie-Professor Reinhard Stockmann - sind geschockt. Die Fachschaft beginnt
gerade darüber nachzudenken, wie sie die Notwendigkeit, Gesellschaftswissenschaften
zu erhalten, auch der Saar-Gesellschaft und der SPD-dominierten Politik nahebringen
kann. Doch kaum einer macht sich Hoffnung, daß Soziologie und Politologie noch für
die Saar-Uni zu retten sind, obwohl das Wissenschaftsministerium zwei Jahre lang
Dampf gemacht hatte, einen Diplom-Studiengang Sozialwissenschaften zu entwickeln.
Die Aktions-Gnadenfrist konnte schon am 6. Juli verstrichen sein. Dann geht es intern
um die Festsetzung der neuen Zulassungszahlen für das Fach. Und der Ausstieg aus
den Gesellschaftswissenschaßen dürfte mit null neuen Studenten beginnen. Das sozialdemokratisch
regierte Saarland wäre dann das einzige Bundesland, in dem Soziologie künftig kein
Fach mehr ist.
Wie hatte doch beim Empfang der Mitglieder der Hochschulrektoren-Konferenz
zwei Tage vor dem Kabinettsbeschluß über die Streichpläne an der Saar-Universität,
ausgerechnet die für Wirtschaft und Finanzen zuständige Ministerin Christiane Krajewski
(SPD), die den abwesenden Ministerpräsidenten und SPD-Bundesvorsitzenden Oskar Lafontaine
vertreten mußte, erklärt: "Ziel der saarländischen Landesregierung ist es, die Hochschulen
im Saarland weiter zu entwickeln und zu fördern und zu einer tragfähigen Basis für
die strukturpolitisch bedeutende Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Wirtschaft
und Gesellschaft im Interesse der Entwicklung des Landes und seiner Region weiter
auszubauen".
Bei einem Kleinen Parteitag der SPD, der das Uni-Konzept absegnete, versuchte
Krajewski vergeblich, sich die Uni als Einsparpotential für den Landeshaushalt zu
erhalten. Die SPD beschloß eine "Umstrukturierung ohne Reduzierung" der Aufwendungen
des Landes für die Hochschulen. Die Finanzministerin und Lafontaine-Stellvertreterin
wollte die Uni jedoch nur "von überproportionalen Mittelreduzierungen ausnehmen"
und scheiterte (vorerst) damit.