Die Sprachlandschaft des Kaukasus ist außergewöhnlich vielfältig. Seit dem 7. Jh. v. Chr. berichteten die Griechen über die sprachliche Vielfalt im Kaukasus, dann auch die Römer und später die arabischen, persischen und europäischen Geographen des Mittelalters. Die in historischen Quellen angegebenen Zahlen bewegen sich zwischen 70 und 300 Sprachen. Mit vollem Recht kann der Kaukasus auch heutzutage als ein "Berg der Sprachen" bezeichnet werden.
Daß die udische Sprache besonders gründlich von der allgemeinen und historischen Sprachwissenschaft beachtet wurde, liegt einmal an ihren Besonderheiten in typologischer Hinsicht, aber auch daran, daß sie als "Relikt" des sog. kaukasischen "Albanischen" aus dem Mittelalter angesehen werden kann. Mit diesem Namen beziehen wir uns auf ein Volk, das in der Zeit des 4.-13. Jh. im heutigen Azerbajdzhan bis zur Grenze von Armenien und Georgien lebte. Die armenischen Quellen berichten von dem östlichangesiedelten Volk der "aluan-k", die georgische Geschichte nennt dieselben Leute "her-n-i".
Wie die armenischen historischen Quellen einmütigfeststellen, hatten die kaukasischen Albaner ihr eigenes Schrifttum. Da die Albaner mit den sog. Iberern, d.h. Georgien und den Armeniern die drei christlichen Völker des Kaukasusgebietes bildeten, ist anzunehmen, daß die Albaner vor der arabischen Invasion über die Hauptbücher der christlischen Glaubenslehre verfügten, was vor kurzem durch die Entdeckung zweier albanischer Palimpsesthandschriften auf dem Sinai bestätigt wurde. Auch die auf armenisch existierende "Geschichte der Albaner", kann aus dem Albanischen übersetzt sein.
Während der arabischen Herrschaft im Kaukasus zerfiel die albanische Kirche und wurde teils mit der armenischen, teils mit der georgischen orthodoxen Kirche vereinigt.
Albanische SchriftMit der Christianisierung haben sich in der ersten Hälfte des 1. Jahrtausends nach Chr. im Kaukasus drei Alphabete etabliert: die drei Völker der Georgier, Armenier und Albanier haben sich auf griechischer Grundlage fast gleichzeitig jeweils unterschiedliche Schriften geschaffen, das georgische, das armenische und das albanische Alphabet, wobei die albanische Schrift etwas später entstanden sein dürfte, da sie im Prinzip die Struktur des armenischen Alphabets übernommen hat; das heißt, dass in ihm die sprachspezifischen Buchstaben nicht wie im georgischen Alphabet am Ende, sondern wie auch im armenischen zwischen den 24 dem griechischen Alphabet entsprechenden Zeichen angeordnet sind Erste Hinweise auf die Existenz einer eigenenalbanischen Schrift wurde 1937 von dem georgischen Forscher I. Abuladze in einer armenischen Handschrift aus dem 15 Jh. gefunden, die neben den Alphabetlisten anderer Sprachen auch solche des Albanischen enthielt. Es existiert noch eine zweite, spätere Handschrift, die 1956 von H. Kurdian in Amerika gefunden wurde. Dieser Liste gemäß weist das Albanische insgesamt 52 Zeichen auf, und zwar in derselben Reihenfolge, wie im armenischen Alphabet. |
Zehn Jahre nach der Veröffentlichung des albanischen Alphabets wurden die epigraphischen Denkmäler von Mingetschauri (Azerbaidzan) gefunden. Es sind 7 verschiedene Fragmente , nämlich eine Sockelinschrift und 6 Inschriften auf tönernen Kerzenhaltern und Öllampen, die insgesamt etwa 200 Zeichen enthalten. Diese Inschriften können allerdings nur schwer mit Hilfe des albanischen Alphabets dechiffriert werden. Die Unterschiede werden aus dem großen zeitlichen Abstand zwischen der Entstehung der Inschrift (V-VII Jh.) und den Alphabetslisten (XVI Jh.) erklärt. |
Erst im 1975 wurden nun im Katharinen-Kloster auf dem Sinai zwei Palimpseste entdeckt, deren untere Schicht als Albanisch identifiziert werden konnte und bisher die einzigen authentischen handschriftlichen Zeugnisse der Sprache der kaukasischen "Albaner" darstellen. Die "Albaner" des Kaukasus, als deren heutige Nachkommen die Uden in Azerbajdschan angesehen werden, verfügten, wie verschiedenen Historiographen des Mittelalters zu entnehmen ist, etwa vom 6.-11. Jh. über ein eigenes Staatsgebilde sowie eine autokephale christliche Kirche. |
Von der eigenständigen Sprache und Schrift der "Albaner", über die v.a. armenische Autoren berichten, waren bisher nur wenige inschriftliche Zeugnisse bekannt. Nach der Ensduckung der Palimpsesthandschriften ist auch das Udische zu den verschriftlichen Sprachen der Kaukasus einzuordnen. Die Palimpsesthandschriften wurden im Rahmen des von VW-Stiftung geforderten Proejkts "Palimpseste kaukasischer Abstammung" an Ort und Stelle photographisch erfaßt, dann graphisch digitalisiert und somit für eine Entzifferung und Edition vorbereitet. |
Einige phonetische Besonderheiten, wie z. B. dieVielfältigkeit der Zischlaute, die Existenz zahlreicher Gutturale und Hinterzungenlaute, sowie pharyngalisierter Vokale, das Fehlen einzelner Phoneme (z.B. dz), legt es nahe, die albanische Sprache als mit den kaukasischen Sprachen verwandt zu betrachten, und sie sogar mit der udischen Sprache zu identifizieren. Auch die auf der lateinischen Schrift basierendeUdische Fibel "samji däs", die von T. Jeiranischwili zusammengestellt wurde, enthält 51 Buchstaben; das von S. Bezhanov auf der Grundlage der russischen Schrift entwickelte udische Alphabet enthält 47 Zeichen. Im Udischen fehlt merkwürdigerweise das Phonem dz. Nur in vier Lehnwörtern erscheint es: dzabri"Trichter", xadzal "Laub", mändzil "Entfernung", ghandzil "Gemüseart", wobei es aber jeweils auch Parallelformen mit z wie zabri usw. gibt. Allein Aufgrund der Ähnlichkeiten in der phonetischen Struktur des Udischen und des Albanischen läßt sich also bereits annehmen, daß die Uden als Nachfahren der Albanier gelten können, zumal auch morphologische und lexikalische Übereinstimmungen vorliegen. Sprachmaterialen des Albanischen sind allerdings nur in geringem Umfang verfügbar. Es handelt sich im wesentlichen um die albanischen Monatsnamen, die in sechs verschiedenen armenischen Handschriften, aber auch in georgischen historischen Quellen aufgeführt sind und die erste Hinweise auf den sprachlichen Charakter des Albanischen geben können. |
Die Forschungsgeschichte der Kaukasischen Sprachen währt noch nicht sehr lang. Im Vergleich zur sprachwissenschaftlichen Tradition in Europa ist die Kaukasische Sprachwissenschaft relativ jung, sie existiert erst seit etwa zwei Jahrhunderten. Das Forschungsobjekt der Kaukasologie sind die Sprachen, die im Kaukasus verbreitet sind und nicht zu den indogermanischen, semitischen oder anderen Sprachfamilien gehören.
Das Udische gehört zu den Sprachen, die in der Kaukasologie relativ früh und gut untersucht wurden. Die erste umfassende grammatische und textliche Darstellung des Udischen wurde von Anton Schiefner unter dem Titel "Versuch über die Spracheder Uden" herausgegeben (1863). Schiefners "Versuch" bildete die Grundlage für Friedrich Müller, der 1887 in seinem "Grundriß der Sprachwissenschaft" Band III, 2 das Udische behandelte. Vier Jahre später (1891) erschien in St. Petersburg ein kaukasisches Gesprächsbuch, das A. Starchevskij unter demTitel "Perevodnik s russkogo na glavnejshie kavkazskie jazyki" herausgab. Auf der Grundlage dieses Materials erschien das Werk von Richard Erckert "DieSprachen des Kaukasischen Stammes" (1895), das 545 Wörter (hauptsächlich Nomina, Pronomina, ,Numeralia, Adverbien , Adjektive, Verben) enthält, aber auch 169 Sätze in 30 verschiedenen kaukasischen Sprachen oder Dialekten. Das Udische wird im Zusammenhang mit einer Darstellung dieser Sprachen behandelt (II Kap., S.61-68). Der nächste veröffentlichte Beitrag, die "Grammatika udinskogo jazyka" (1904) des berühmten Sprachforschers Adolf Dirr, enthält eine grammatische Beschreibung, aber auch weiteres Textmaterial. Weitere Forschungsergebnisse zum Udischen verarbeitete Dirr 1928 in seiner "Einführung in die Kaukasischen Sprachen" , die die grammatischen Grundfragen aller Kaukasischen Sprachen beschreibt, darunter auch des Udischen (S.334-342).
In den westlichen Arbeiten zur Kaukasologie fand das Udische seither weniger Beachtung. Eine Ausnahme stellt die Veröffentlichung "Beiträge zur Kenntnis des Udischen auf Grund neuer Texte" (1939) von K. Bouda dar, worin die Frage der Dialektunterschiede des Udischen betrachtet . Aus den 80-er Jahren ist dieMonographieen von W. Schulze "Die Sprache der Uden in Nord-Azerbajdzan" (1982) und "The Udi Gospels" (Annotated Text, Etymological Index, Lemmatized Concordance), 2001 zu nennen.
Die planmäßige Untersuchung der udischen Sprache begann in der Sowjetunion in den dreißiger Jahren. 1931 plante man, eine udische Fibel für die erste Klasse der udischen Schulen zu schaffen, die jedoch erst drei Jahre später unter dem Titel "samji däs" in Suchumi, Georgien veröffentlicht wurde. Die von V. Panchvidze im Jahre 1949 vorgelegteDissertation zum Udischen erschien erst 1974 als Monographie unter dem Titel "Die grammatische Analyse des Udischen" (auf georgisch); diese Arbeit wurde von E. Jeiranischwili mit der Monographie "Die udische Sprache" (auf georgisch) fortgesetzt . In den letzten Jahren sind Artikel über das Udische von T. Sicharulidze und M. Kurdiani erschienen. Ferner kam 1999 ein von Heinz Fähnrich bearbeitetes udisch-deutsches Wörterverzeichnis heraus. Die Grundlage für die elektronische Verarbeitung des Udischen (bzw. die Computermodellierungund die Datenbasis für das Udische) wird von M. Tandaschwili entwickelt. Eine Neubearbeitung der udischen Evangelien ist soeben erschienen: Wolfgang Schulze, The Udi Gospels, Annotated Text, Etymological Index, Lemmatized Concordance, 2001.
Die erste umfassende Beschreibung der Sprachgeographie des Udischen und die ersten demographische Angaben sowie einige „soziolinguistische“ Bemerkungen wurden von A. Schiefner in seinem „Versuch über die Sprachen der Uden“ im Jahre 1862 veröffentlicht. Außer den zwei Dörfern Wartašen und Nij, wo die Uden kompakt wohnten, nennt derselbe Forscher noch drei weitere Dörfer, nämlich Sultan-Nucha, Dshorly und Mirsa Beglü in Bezirk von Qabala und das Dorf Jangi Kend im Bezirk von Nucha, dessen Einwohner früher udisch gesprochen haben, während sie jetzt statt dessen tatarisch sprechen, obwohl sie sämtlich zur armenisch-gregorianischen Kirche gehören. „Im Allgemeinen, - bemerkt Schiefner - gewinnt das Tatarische, nämlich der Azerbajdzanische Dialekt, von Jahr zu Jahr mehr Boden, und es lässt sich ziemlich sicher erwarten, dass das Udische in kurzer Zeit ganz verschwunden sein wird“.
Schon am Anfang des 20 Jahrhundert wohnen die Uden geschlossen nur in drei Dörfern: in Wartašen und Nij (auf dem Territorium der Azerbajdzanischen Republik) sowie in Zinobiani (im Bezirk Kvareli in Ostgeorgien), dessen Einwohner in den Jahren 1920-22 unter der Leitung von Zinobi Silikaschwili (1890-1938) aus Wartašen übergesiedelt sind.
Wartašen ist ein regionales Zentrum Azerbajdzans und befindet sich etwa 30 km südöstlich von Scheki. Die Uden umfassten fast ein Drittel der Bevölkerung von Wartašen, neben Armeniern und Taten. Inoffiziellen Quellen zufolge sind heute nur 6 bis 8 Familien im Dorf geblieben. Das Dorf Nij liegt etwa 20 km weiter südöstlich von Wartašen in Richtung Kutkaschen. Ein weiterer Teil der Uden wohnt zerstreut in naheliegenden azerbajdzanischen Städten. Das dritte, von Uden bewohnte Dorf Oktomberi, liegt in Ostgeorgien, an der linken Seite des Flusses Alazani, 14 km entfernt vom Bezirk Kvareli.
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22.09.2006
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