Achtung!
Dies ist eine Internet-Sonderausgabe des Buches
"Iranica Armeno-Iberica.
Studien zu den iranischen Lehnwörtern im Armenischen und Georgischen [Bd. 1]"
von Jost Gippert (1990).
Sie sollte nicht zitiert werden. Zitate sind der Originalausgabe, veröffentlicht als
"Österreichische Akademie der Wissenschaften,
philosophisch-historische Klasse,
Sitzungsbericht, 606. Band" /
"Veröffentlichungen der Kommission für Iranistik, Nr. 26",
Wien 1993,
zu entnehmen.

Attention!
This is a special internet edition of the book
"Iranica Armeno-Iberica.
Studien zu den iranischen Lehnwörtern im Armenischen und Georgischen [Bd. 1]"
by Jost Gippert (1990).
It should not be quoted as such. For quotations, please refer to the original edition, published as
"Österreichische Akademie der Wissenschaften,
philosophisch-historische Klasse,
Sitzungsbericht, 606. Band" /
"Veröffentlichungen der Kommission für Iranistik, Nr. 26",
Wien 1993.



Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved:
Jost Gippert, Frankfurt 2002.

Jost Gippert



Iranica

Armeno-Iberica



Studien zu den
iranischen Lehnwörtern
im Armenischen und Georgischen






ǯadago-:

1. Einmal in der Apostelgeschichte (24,1 ABS {2.}) Übersetzung von griech. ϱήτωρ. Daß der so bezeichnete Tertyllos eine besondere Art von "Redner", nämlich ein "Ankläger" gewesen ist, ergibt sich aus dem unmittelbaren Kontext, wonach seine Funktion im κατηγορεύειν, i.e. "Verhören" bestand; genau das gibt auch die georg. Version mit dem Verb še-smen-a- wieder. Im armen. Text wird das griech. ϱήτωρ, das innerhalb der Bibel nur hier auftritt, durch čartaraxōs übersetzt, was wörtlich soviel wie "geschickt redend" bedeutet1; die Tätigkeit wird hier durch ambastan linel, wtl. "anklagen", bezeichnet.
2. Einen "Ankläger" meint georg. ǯadago- offenbar auch in dem bisher einzigen bekannten Beleg aus einem hagiographischen Text, nämlich dem Martyrium der hll. Eubulus und Malcamon, das von P. Peeters herausgegeben wurde (96,4 {1.}: -man). Daß das Wort auch hier als Gerichtsterminus gebraucht ist, geht aus dem Kontext hervor, wo mit dalič̣- das im Georgischen üblicherweise gebrauchte Wort für die "Gerichtsstätte" erscheint (s.d.). Da die betreffende Person, ein gewisser Marianus, in der Legende nur an der gegebenen Stelle auftritt, und da für das Martyrium bisher weder die Vorlage noch auch nur eine Parallelversion bekannt sind, ist die Bedeutungsbestimmung aber etwas weniger sicher; es könnte letztlich auch ein "Verteidiger" gemeint sein. Für "accusator" entscheidet sich auch Peeters (Ed., 96, Anm.2), der gleichzeitig den unbegründeten Bedeutungsansatz "sorcier"2 bei Blake, Fou-Lin [J.As. 202], 85 zurückweist. — Auf eine eher "neutrale" Bedeutung im Sinne von "ein Plädoyer halten" weist demgegenüber der Beleg für das abgeleitete Verbum

ǯadag-ob-a:
Diese Weiterbildung, die als statisches Verb wörtlich soviel wie "ǯadago- sein" bedeutet, begegnet einmal in dem Martyrium des hl. Phokas (Sak.c̣. 2, 37,15-21 {3.}: -d); das daneben in der Variante der Hs. G = Sin. 62 erscheinende ǯadag-eb-a-d, das als eine transitive Bildung aufzufassen wäre, ist als Ableitung von einem -o-stämmigen Nomen nicht regulär (zu erwarten wäre *ǯadago-eb-a-d) und dürfte am ehesten dem Reimanklang an kadag-eb-a- "verkündigen, prophezeien" zu verdanken sein. Daß ǯadag-ob-a- an der vorliegenden Stelle keinen konkreten Bezug zu gerichtlichen Gegebenheiten hat, sondern allgemeiner aufzufassen ist, zeigt sich an der griech. und der armen. Version des Textes, die ein Wort für "philosophieren" verwenden (ϕιλοσοϕεῖν / pՙilosopՙayel).

Aufgrund der lautlichen Ähnlichkeit wurde georg. ǯadago- von P. Peeters ohne Bedenken mit arm. ǰatagov identifiziert ("liquido agnoscitur armenium ǰatagov"), das "intellegitur modo συνήγορος, modo κατήγορος", und das "rursus pahlavicum verbum est" (l.c.); Peeters verwies dabei auf Hübschmann, AG 232, 549., wo das armen. Wort mit der Bedeutungsangabe "Vertheidiger, Fürsprecher, Anwalt, Beschützer, Gönner" aus Faustos von Byzanz nachgewiesen und aus dem mpers. ǰāta(k)gōb- "Vermittler, Fürsprecher, Anwalt, Beschützer" hergleitet wurde (zuvor bereits Armeniaca [ZDMG 46], 324 f.). Der Zusammenstellung der drei Termini soll hier im Prinzip nicht widersprochen werden, sie bedarf aber einiger zusätzlicher Bemerkungen.
Zunächst fällt eine Unstimmigkeit ins Auge, die darin besteht, daß georg. ǯadago- gegenüber der für arm. ǰatagov angesetzten Grundbedeutung eines "Fürsprechers" oder "Anwalts" die im Gerichtswesen genau entgegengesetzte Funktion bezeichnet zu haben scheint, nämlich die eines "Anklägers". Eine solche Bedeutungsdivergenz ist natürlich nicht unüberbrückbar: Um die beiden Termini etymologisch miteinander zu identifizieren, müßte man davon ausgehen, daß sich beide von demselben übergeordneten Ausgangsbegriff zu zwei verschiedenen konkreten Polen hin geneigt hätten; die beiden entsprechenden Entwicklungen wären z.B. bei dt. "Anwalt" zu beobachten, das sich sowohl in "Rechtsanwalt" = "Fürsprecher" als auch in "Staatsanwalt" = "Ankläger" manifestiert hat. Nun ist auch für arm. ǰatagov offenbar nicht nur die "verteidigende", sondern auch die "anklagende" Funktion belegbar; als Sonderverwendung wird sie z.B. im Ven.Wb. s.v. mit der Bedeutungsangabe κατήγορος, accusator notiert. Für das mpers. ǰāta(k)gōb- bzw. sein Pāzend-Pendant ǰada(n)gō ist hingegen eine "anklägerische" Konnotation bisher nicht ins Feld geführt worden (vgl. z.B. die Bedeutungsangabe "advocate, intercessor" bei MacKenzie, Dict. 46 s.v. ǰādag-gō(w)).
Setzt man die Richtigkeit der vorgeschlagenen etymologischen Verknüpfung voraus, so ist die Bedeutungspolarisation v.a. für die Frage nach den Entlehnungswegen von Belang; gleichzeitig ergeben sich aber auch Schlußfolgerungen auf den etymologischen Hintergrund der mpers. Etymons selbst. Denkbar sind prinzipiell folgende zwei Entlehnungswege:
a) Sowohl das georg. als auch das armen. Wort entstammen direkt einer miran. Quelle; deren Bedeutung müßte dann notgedrungen noch neutral die eines "Anwalts" gewesen sein. Die Bedeutung des mpers. ǰāta(k)gōb wäre in diesem Fall ebenfalls erst sekundär eingeengt worden.
b) Das georg. Wort ist über das Armenische entlehnt worden; dabei hätte sich von den beiden für das Armenische belegbaren Verwendungen die schwächer bezeugte durchgesetzt.
Die semantische Argumentation für die eine oder andere Möglichkeit beruht wegen der schwachen Bezeugung des georg. ǯadago- natürlich auf unzureichender Materialbasis. Hinzu kommt jedoch ein lautliches Argument, das bisher nicht berücksichtigt wurde. Der zwischen georg. ǯadago- und arm. ǰatagov bestehende Artikulationsunterschied des inlautenden Dentals kann nämlich bei einer Übernahme aus dem Armenischen ins Georgische nicht ohne weiteres erklärt werden. Da im Georgischen keinerlei Varianten existieren, die auf die frühere Existenz eines dem arm. -t- entsprechenden -ṭ- weisen, könnte der Entlehnungsweg b) nur dann aufrechterhalten bleiben, wenn das Wort in die Kategorie der unter osṭigan- und ḳaṭaban- behandelten Termini fällt, deren Entlehnung für die Zeit der armen.-georg. Kontakte in der Provinz Ṭao-Ḳlarǯeti anzunehmen ist; diese Annahme ist v.a. angesichts des Belegs aus der Apostelgeschichte nicht sehr wahrscheinlich.
Umgekehrt ließe sich georg. ǯadago- als Entlehnung aus dem sasanidischen Mittelpersischen lautlich ohne weiteres rechtfertigen; die Bedeutungsdivergenz wäre dann nach a) zu beurteilen. Dies würde wiederum für arm. ǰatagov besagen, daß es zu einer früheren Zeit aus dem Iranischen entlehnt worden sein müßte, als der inlautende Dental noch nicht sonorisiert worden war. Hier ergeben sich allerdings insofern Probleme, als mpers. ǰāta(k)gōb vermutlich bereits selbst ein eindeutiges Kennzeichen sasanid.-mpers. Lautung zeigt, nämlich das anlautende ǰ-: Wenn das Wort der communis opinio zufolge auf ein älteres Kompositum *yātak-gōb zurückzuführen ist, das den iran. Rechsterminus *yātak- enthält (cf. Hübschmann l.c. nach Darmesteter), muß hier der Lautwandel i̯- > ǰ- vorliegen; diese Affrizierung gilt jedoch allgemein als sasanid.-mpers. Lautwandel. Es erhebt sich also die Frage, ob die — für das Sasanid.-Mittelpersische typische — Sonorisierung inlautender stimmloser Plosive später angesetzt werden kann als die Affrizierung eines anlautenden i̯- zu ǰ-, und ob in dem Intervall zwischen diesen beiden Lautwandeln Zeit genug für die Entlehnung des arm. ǰatagov war. Ohne daß diese Frage hier eindeutig beantwortet werden kann, ist immerhin auf arm. zatik hinzuweisen, das möglicherweise auf ein derselben Sprachstufe angehörendes frühsasanid.-mpers. *zatik- < *ǰatik- zurückzuführen ist; hier wäre ebenfalls der inlautende stimmlose Plosiv beibehalten, leichzeitig aber mit dem Wandel des anlautenden *ǰ- (über *ž-) zu z- ein typisch sasanidisch-mpers. Lautwandel vollzogen (s. dazu weiter Verf., Chr.Term. [DSS 18]).
Akzeptiert man diese lautlichen Bedingungen, so bliebe die Folgerung festzuhalten, daß das mpers. ǰāta(k)gōb semantisch ursprünglich nicht im Sinne eines "Fürsprechers" festgelegt gewesen sein kann, sondern beide Aspekte eines vor Gericht auftretenden "Anwalts" innegehabt haben muß. Von Bedeutung ist diese Folgerung für den etymologischen Hintergrund des mpers. Wortes. Bisher wurde dieses allgemein so analysiert, daß das präsumptive Vorderglied *yātak- mit dem gleichlautenden miran. Wort der Bedeutung "Erbe, Anteil" zu verbinden sei; der *yāta(k)-gōb sei ursprünglich ein "Antheil-(zu)sprecher" (so Hübschmann, o.cc.) gewesen. Es fragt sich jedoch, ob für das VG hier nicht eine andere Bedeutung anzusetzen ist, die sich auch sonst bei dem iran. Wortstamm *i̯āt- zeigt. Zu denken ist an das z.B. in N. 42 bezeugte avest. yāta-, das ib. eine bestimmte Art von Vergehen bezeichnet (cf. Bthl. Wb. 1283: 2yāta-), und dessen mpers. Entsprechung z.B. in der PÜ zur Stelle ebenfalls yāt lautete. Ein *yāta(k)-gōb könnte, von diesem yāt ausgehend, der "Vergehenssprecher" gewesen sein, i.e. derjenige, der "über ein Vergehen, eine Schuld zu reden" hatte; dies wäre eine durchaus neutrale Bezeichnung für die beiden "advocati" vor Gericht gewesen3.
Auf jeden Fall spricht georg. ǯadago- gegen den zuletzt bei Nyberg, Manual 2, 225 vertretenen Ansatz eines mpers. yātangō(k) mit VG yātan- < *i̯ātana-, den der Autor mit der Pāzendgraphie ǰādangō begründete. Der entscheidende Punkt dieses Ansatzes, nämlich die inlautende Konsonantengruppe -ng-, die nur durch die Pāzendgraphie bezeugt ist, läßt sich durch die außeriran. Gegebenheiten in keiner Weise bestätigen. Mit seiner eindeutigen Bezeugung eines intervokalischen -g- spricht die georg. Wortform gerade als Vertreter der jüngeren, sasanid. Lautform gegen eine Authentizität der Pāzendgraphie mit ihrer Nasalgruppe -ng-. Hier ist es wiederum Hübschmann, der die richtige Einschätzung abgab, als er lapidar konstatierte, daß "pāz. jādagō .. (für jādangō zu lesen)" sei (AG l.c.)4.


Achtung: Dieser Text ist mit Unicode / UTF8 kodiert. Um die in ihm erscheinenden Sonderzeichen auf Bildschirm und Drucker sichtbar zu machen, muß ein Font installiert sein, der Unicode abdeckt wie z.B. der TITUS-Font Titus Cyberbit Unicode. Attention: This text is encoded using Unicode / UTF8. The special characters as contained in it can only be displayed and printed by installing a font that covers Unicode such as the TITUS font Titus Cyberbit Unicode.



Copyright Jost Gippert, Frankfurt a/M 7. 1.2003. No parts of this document may be republished in any form without prior permission by the copyright holder.