Achtung!
Dies ist eine Internet-Sonderausgabe des Buches
"Iranica Armeno-Iberica.
Studien zu den iranischen Lehnwörtern im Armenischen und Georgischen [Bd. 1]"
von Jost Gippert (1990).
Sie sollte nicht zitiert werden. Zitate sind der Originalausgabe, veröffentlicht als
"Österreichische Akademie der Wissenschaften,
philosophisch-historische Klasse,
Sitzungsbericht, 606. Band" /
"Veröffentlichungen der Kommission für Iranistik, Nr. 26",
Wien 1993,
zu entnehmen.
Attention!
This is a special internet edition of the book
"Iranica Armeno-Iberica.
Studien zu den iranischen Lehnwörtern im Armenischen und Georgischen [Bd. 1]"
by Jost Gippert (1990).
It should not be quoted as such. For quotations, please refer to the original edition,
published as
"Österreichische Akademie der Wissenschaften,
philosophisch-historische Klasse,
Sitzungsbericht, 606. Band" /
"Veröffentlichungen der Kommission für Iranistik, Nr. 26",
Wien 1993.
Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved:
Jost Gippert, Frankfurt 2002.
Jost Gippert
Iranica
Armeno-Iberica
Studien zu den
iranischen Lehnwörtern
im Armenischen und Georgischen
uṭevan-:
1. Das Wort ist als Bezeichnung des Längenmaßes einer "Stadie" mehrfach in der NT-Übersetzung nachzuweisen, wobei mit Lk. 24,13 {2.} und
Jo. 6,19 {3.} zwei Xanmeṭi-Belege anfallen (LX / X); uṭevan- steht dabei
durchweg im endungslosen Kasus neben einem Zahlwort o.ä. Innerhalb der
vier Evangelien ist es allerdings nur in Mt. 14,24 {1.} in allen Redaktionen
einhellig überliefert, während ansonsten die Adiši-Hs. ausschert, die in der
gleichen Bedeutung das Wort asṗarez- verwendet; diese Eigenart ist als
deutliches Zeichen eines armen. Einflusses zu werten, da die armen. Bibel
hier wie an den übrigen Stellen das mit asṗarez- zu identifizierende asparēs
gebraucht (s. dazu weiter unter asṗarez-). Demgegenüber ist uṭevan- als
Äquivalent von gr. στάδιον, wo dieses das Längenmaß meint, auch außerhalb der vier Evangelien bevorzugt. Dies gilt zunächst für die Johannes-Apokalypse, deren georg. Übersetzung auf den Athoniten Eptwme zurückgeht (21,16 {15.}: -sa; 14,20 {20.}: -it); es gilt darüber hinaus aber auch
für zahlreiche hagiographische Texte wie z.B. die durch Kyrill von Skythopolis verfaßten Viten des hl. Saba (z.B. M.Cx. 64,15-16 {7.}), des Johannes Hesychastes (M.Cx. 276,10 {9.}) oder des hl. Cyriax (429,2
{10.}), ferner etwa für die Vita des Athoniten Giorgi (114,15 {12.}), die
als ein georg. Originaltext zu gelten hat. Etwas weiter ab stellt sich ein
Beleg in der georg. Version der "Lehren" Basilius des Großen (Bas.Caes.
Sc̣. 208,3 {16.}: -sa), wo uṭevan- offenbar gr. σταϑμός übersetzt. Daß auch
hier eine bestimmte Wegstrecke gemeint ist, zeigt sich im unmittelbar
voraufgehenden Kontext, wo dasselbe σταϑμός als Abschnitt des Lebenslaufs durch georg. milion- wiedergegeben ist, das durch Mt. 5,41 {21.}
als Entlehnung von gr. μίλιον "Meile" zu erkennen ist; der Übersetzer der
"Lehren" (wiederum der Athosmönch Eptwme) scheint seinen Text hier
absichtlich etwas freier gestaltet zu haben. Im gleichen Zusammenhang ist
außerdem noch der Beleg in der Vita der hl. Martha zu stellen (25,2
{11.}), wo die Entfernung eines Landguts (χωρίον / agaraḳ-) namens
Τιβερινός von dem Kloster, zu dem es gehört, durch drei σημεῖα bzw.
uṭevan bestimmt ist. Da nicht bekannt ist, ob die georg. Version direkt aus
dem Griechischen übersetzt ist, muß offenbleiben, ob uṭevan- somit als
unmittelbare Entsprechung von σημεῖον angesehen werden kann oder nicht.
2. Auch im Physiologus tritt uṭevan- einmal an der Stelle von gr.
στάδιον als Längenmaß auf, und zwar in dem Traktat über den `Sägefisch'
(177,14 {5.}). Anders als bei den neutestamentlichen Texten erscheint hier
in der armen. Version jedoch nicht asparēs, sondern das mit georg. uṭevan-
nahezu identische vtawan, das seinerseits mehrfach in der AT-Übersetzung
bezeugt ist. Die meisten Belege entfallen dabei auf das 2. Makkabäerbuch,
wo ebenfalls wieder das Längenmaß gemeint ist; diese Belege können für
einen Vergleich mit dem Georgischen aber nicht herangezogen werden, da
der Text in einer georg. Version nicht vorliegt. Übrig bleibt lediglich Gen.
21,16 {23.}, wo arm. vtawan das gr. τόξου βολή wiedergibt; die Gleichsetzung wird dadurch verständlich, daß der "Bogenschuß" hier im übertragenen Sinne ebenfalls wieder als Entfernungsangabe gemeint ist. Obwohl
sich die georg. Version an dieser Stelle in allen Redaktionen durch Fügungen wie isr-is saṭq̇orcebel-, wtl. "Schuß des Pfeils" (O), oder mšwld-is
saṭq̇orcel-, i.e. "Schuß des Bogens" (C) an den griech. Text anlehnt, ist
auch die Verwendung von uṭevan- im selben Sinne nachweisbar. Ein
solcher Fall dürfte zunächst in dem Bericht von der Zerstörung Jerusalems
durch die Perser vorliegen, wo im georg. Text die Entfernung eines
Teiches namens Mamila von dem "Turm Davids" mit zwei uṭevan- angegeben wird (Exp.Jerus. IX,6: 24,14 {6.}). Diese Stelle ist allein schon deshalb
bemerkenswert, weil sie für den "Teich" das Wort birka- enthält, das
als Reflex von arab. birka "id." einen deutlichen Hinweis auf eine (mittelbare oder unmittelbare) arab. Übersetzungsvorlage abgibt. Im Hinblick auf
die Entfernungsangabe stimmt der georg. Text zwar mit keiner der verfügbaren arab. Versionen überein, die die Lage des Teiches zumeist sowohl
von der Stadt Jerusalem als auch vom Davidsturm aus definieren, wobei die
Entfernung von letzterem meist als eine "halbe Meile" (nisf mīl) bestimmt ist. Das georg. "zwei uṭevan" kann aber ohne weiteres mit der
Entfernung von der "Stadt Jerusalem" identifiziert werden, die im arab.
Text in allen Versionen außer C mit den dualischen Formen ramyatain
nuššāb (A / V) oder ġalwatain (so in B für علوتين <ՙlwtyn> zu lesen, vgl.
غلوه <ġlwh> in C) angegeben ist, womit eben "zwei Schüsse des Pfeils"
gemeint sind1.
3. Ein Zusammenhang mit der Terminologie des Bogenschießens zeigt
sich bei uṭevan- auch an seiner Verwendung in der klass. Sprache. Dabei
verhält sich das Wort im Visramiani allerdings teilweise anders als bei den
bisherigen Beispielen, insofern es hier wie ein Adjektiv auftritt, das auf
isar- "Pfeil" bezogen ist. Dies gilt zunächst für Visr. 239,2 {14.}, wo dem
georg. uṭevan-i isar-i im pers. Text einfaches tīr "Pfeil" entspricht; der
gleichen Wendung steht in 61,27-28 {13.} pers. tīr-i nāgāh, i.e. "unerwarteter, plötzlicher Pfeil" gegenüber, was auf eine Identifikation von uṭevan-
mit nāgāh schließen lassen könnte. Besser mit dem sonstigen Gebrauch
stimmt jedoch das pers. Äquivalent von uṭevn-isa isr-isa-ebr in 199,32-34
{18.} überein, wo von "einem Pfeil mit dem Weg eines Schusses" (tīr-ē ka
būd-aš rāh-i partāb) die Rede ist: Das hier erscheinende partāb, dessen
Bedeutung etwa bei Steingass, Dict. 240a mit "an arrow that flies far; a
leap, spring, throw; ..; shooting, casting, hurling, lancing" angegeben
wird, dürfte das eigentliche Muster für die Verwendung von uṭevan- neben
isar- abgegeben haben; man vgl. auch die Bedeutungsangabe "дальность
полёта (стрелы, пули и т.п)", die Aslanov für partāb als pers. Lehnwort im Pashtō verzeichnet (Afg.-ru.sl. 164 a). Nicht mit einer Textstelle zu
stützen ist demgegenüber die Behauptung Marrs (Vopr.vepx. 214),
uṭevani "entspreche (im Visr.) einem parrān, i.e. `fliegend', des pers.
Originals" ("соответствует parrān (летучии) перс. оригинала"). —
Auch im Visramiani ist uṭevan- darüber hinaus in seiner Normalverwendung als Entfernungsangabe zu belegen, nämlich in 290,26 {19.}, wo
uṭevn-is-a-gan neben dem Komparativ upro šors, d.h. "weiter als" zum
Vergleich mit einem Lanzenwurf dient; auch hier kann man wieder von
einer Ausgangsbedeutung "Bogenschuß" ausgehen. Dasselbe gilt letztlich
noch für den einzigen Beleg im Vepxisṭq̇aosani (445c {17.}: -sa), wo das
Wort neben dem Verbum c̣a-v-s-c̣vd-i "ich gelangte vorwärts, brachte
hinter mich" (zu c̣a-c̣vd-om-a-) eine zurückgelegte Strecke bezeichnet, und
wo der Kontext mit der Beschreibung des Vorrückens bei einer Schlacht
durchaus mit der Bedeutungssphäre des "Bogenschießens" vereinbar ist.
Auf der Grundlage des Belegs im Physiologus wurde georg. uṭevan-
bereits von N. Marr mit arm. vtawan identifiziert, und zwar als Entlehnung desselben (Fiziol. XXVII). Für die lautliche Divergenz im Anlaut
der beiden Wörter ging Marr von dem gleichgelagerten Verhältnis zwischen georg. unas- "Schaden" und arm. vnas "id." aus, wobei er das georg.
Wort auf ein älteres *vunas- zurückführte, das die armen. Lautung [vənas]
repräsentiere (Ipp. LXVII s.v. unas-2); unbehandelt blieb hingegen das
Verhältnis der inlautenden Vokale -a- und -e- in vtawan und uṭevan-. Die
Marrsche Auffassung wurde dann von Th. Kluge übernommen, der mit
dem Hinweis auf eine in "Wb." erscheinende armen. Wortvariante
vtevan offenbar das Dilemma im Vokalismus beseitigen wollte (Gr.arm.LWW [WZKM 30], 115). Dabei wird sich der Autor auf den Eintrag im
Ven.Wb. bezogen haben, das s.v. vtawan die Varianten vtavan, vtewan und
vtevan verzeichnet und letztere aus der Hagiographie belegt (Vrkՙ. hcՙ. =
Varkՙ harcՙ).
Eine ganz andere Auffassung wurde bei Peeters, Hist.mon. [An.Boll.
36-37], 83 Anm. 3 ad cap. 8 vertreten, der georg. uṭevan- anläßlich des
Belegs in der Vita des Athoniten Giorgi "ex armenio awtՙean, mansio"
herleitete. Während Peeters im gleichen Kontext (ib. Anm. 2) mit der
Zurückführung von georg. eguṭer- auf gr. εὐκτήριον das richtige getroffen
haben dürfte3, hat sein Vorschlag zu uṭevan- angesichts der hier aufgezeigten Beleglage sowie der Bedeutungsdifferenz keine Aussicht auf Bestand
(s. zu awtՙewan weiter unter van-).
Ein bedeutender Fortschritt im Hinblick auf eine Beurteilung der beiden
Wörter wurde hingegen wieder durch H.S. Nyberg erzielt, der arm. vtawan
(und seine Variante vtewan) mit dem in der parth. Version der Hājjīābād-Inschrift erscheinenden <wt՚wny> vitāvanē gleichsetzte (Hājj.-Ins. [Fs.
Christensen], 66); dieses bedeute ähnlich wie das in der mpers. Version
der Inschrift gegenüberstehende Äquivalent <tgl՚hy> tigrāhy soviel wie
"skott-räckvidd, skottavstånd", i.e. "Schußreichweite, Schußabstand" (entsprechend auch Manual II, 217 "range of an arrow") und decke sich somit
mit der Verwendung des armen. Wortes in Gen. 21,16 {23.}. Gleichzeitig
verwies Nyberg auf die Glosse ננתננכּננ נננאתנ im 25. Abschnitt des Frahang-ī
pahlavīk (Ed. Junker 64,4 ≈ Ed. Nyberg 26,3), die er fragend als vitāvan:
vindak-vitav auflöste (ebenso, in umgekehrter Reihenfolge, S. 55:
XXV.,19.); als Bedeutung des Eintrags, dessen Lesung Junker noch als
"uncertain" abtat, setzte Nyberg ebenfalls "shooting range" an.
Nybergs Deutung des parth. <wt՚wny> wurde bei MacKenzie, Shooting
[BSOAS 41], 504 mit der Korrektur akzeptiert, daß das auslautende -y
ebenso wie in zahlreichen anderen parth. Wörtern als "silent" aufzufassen
sei; einen Ansatz vitāvan hatte zuvor auch Klíma, Hājj.-Ins. [Arch.Or.
36], 21 f. postuliert4. Bestritten wird bei MacKenzie (ib. mit Anm. 4)
jedoch Nybergs Interpretation der Frahang-Glosse, da das Explicatum
vindak-vitav unhaltbar sei und die Glosse in ihrer Umgebung nicht motiviert
werden könne ("inexplicably lodged in the middle of a list of conjunctions,
adverbs, adjectives, etc.").
Der letztere Einwand ist allerdings nicht ganz stichhaltig, da dem Eintrag
im FiP zwei Termini folgen, die Entfernungsangaben bezeichnen, nämlich
<՚LYK: dwr>, i.e. dūr "weit, fern" und <LHYK: dgr>, i.e. dēr "lang" (so
nach Junker; bei Nyberg sind die beiden Explicantia vertauscht, obwohl
die Lesarten nur für das erstere wechseln, für das zweite jedoch ausschließlich <dgr> bzw. <dyr> bezeugt ist). Unter der Annahme, daß das miran.
*vitāvan selbst wie auch arm. vtawan einen "Bogenschuß" als Entfernungsangabe meinen konnte, bleibt Nybergs Vorschlag also erwägenswert.
Eher berechtigt ist demgegenüber MacKenzies Einwand gegen die
Lesung vindak-vitāv für das Glossatum im Frahang-Eintrag: Daß in vindak
eine Ableitung von einem Präsensstamm vind- zu vistan "schießen" vorliegt,
werde durch die Graphie wh- ≈ vih- < vid- in man.mpers. Texten widerlegt
(so auch ib. 502; cf. jetzt z.B. das Fragment M 819 mit 3. Pl. whynd bei
Sundermann, Kosmog.T., 44 [804] bzw. die Fragmente M 211 /500g/2203/2205/3840 mit 3.Pl. whyyn(d) ib., 51 [998], wozu bereits
Henning, Astr.Chap. [JRAS 1942], 234, Anm. 5), und eine Wortform wie
vitav hätte <w(y)twb̍> geschrieben werden müssen. Diesem Einwand folgend wurde auch in Nybergs postum herausgegebener Bearbeitung des
Frahang die Lesung vindak-vitav als "unlikely reading" eingestuft (Frahang
103; die Notiz dürfte vom Herausgeber, B. Utas eingefügt worden sein).
Ungeachtet der Probleme rund um die Frahang-Glosse bleibt für die
Herleitung von arm. vtawan das parth. vitāvan der Šāpuhr-Inschrift aus
Hājjiābād als Grundlage bestehen. Durch die weitere Einbeziehung von
georg. uṭevan- und dessen hier ausgearbeitetem Verwendungsgebiet kann
Nybergs Gleichsetzung nun noch zusätzlich gestützt werden, wobei sich
für das georg. Wort prinzipiell zwei Möglichkeiten auftun: Entweder, es ist
entsprechend dem Postulat Marrs aus seinem armen. Pendant entlehnt,
oder es handelt sich um eine unmittelbare Übernahme aus dem Iranischen.
Im Sinne von Marr kann diese Frage nicht durch die Beleglage entschieden werden, da mit der Stelle aus dem Physiologus lediglich ein einziger
Beleg vorliegt, wo beide Wörter übereinstimmend gebraucht werden, dieser
jedoch gegenüber den neutestamentlichen Belegen, v.a. solchen aus Xanmeṭi-Hss., als weitaus jünger einzustufen ist. Größere Bedeutung kommt
deshalb lautlichen Argumenten zu. Die Gleichsetzung von arm. vtawan und
dem parth. vitāvan setzt zunächst voraus, daß das anlautende *vi- in der
armen. Form die reguläre Vokalreduktion erlitten hat, bei der ein vortoniges -i- "synkopiert" wurde. Eine vergleichbare Synkope kennt das
Georgische nur in solchen Silben, die unmittelbar vor bestimmten Flexionsendungen oder Ableitungssuffixen stehen. Dabei fallen -a- und -e- ersatzlos,
während -o- zu -u- oder -v- "reduziert" wird; eine Synkopierung von -u-
und -i- ist hingegen nur in Ausnahmefällen anzunehmen5. Bei uṭevan- ist
eine Synkope folgerichtig in der stammauslautenden Silbe zu beobachten,
und zwar in den jüngeren (klassischen) Belegen (die Form uṭevan-it in
Ap.Jo. 14,20 {20.} zeigt, daß die Synkope bei uṭevan- eine spätere Erscheinung darstellt und auf Analogie beruhen dürfte). Das anlautende u-
hingegen kann im Verhältnis zu dem parth. *vi- nicht als Resultat einer
Synkope aufgefaßt werden; zumindest bliebe eine solche "Reduktion" in
autochthonem Wortmaterial ohne Parallele. Demgegenüber würde der
Vorschlag Marrs, in dem u- das Produkt einer Substitution des armen.
[və-] durch vu- mit folgender Dissimilation von *vu- zu u- zu sehen, eine
brauchbare Erklärungsbasis abgeben, da dieselbe Entwicklung auch in
anderen Fällen zu beobachten ist wie z.B. bei dem bereits von Marr selbst
behandelten unas- "Schaden", das über arm. vnas = [vənas] aus mpers.
vinās "id." hergeleitet werden kann6.
Während die Annahme einer Entlehnung über das Armenische die lautliche Gestalt von georg. uṭevan- im Falle des anlautenden u- also durchaus
erhellen kann, bleibt die Herkunft des -e-Vokalismus auf dem Hintergrund
des parth. vitāvan weiterhin dunkel. Diese Frage ist insofern mit der
inneriran. Etymologie des parth. Wortes verknüpft, als georg. uṭevan- und
arm. vtewan auf eine einmal existente iran. Wortvariante weisen könnten,
die sich von dem vitāvan der Hājjiāpūr-Inschrift gerade im Vokalismus der
Mittelsilbe unterschieden hätte. Bisher ist für vitāvan jedoch keine Etymologie vorgeschlagen worden, die eine solche Variante motivieren könnte. Das
betrifft v.a. den bei Bailey, Arya II [BSOAS 23], 33 durchgeführten
Ansatz einer iran. Verbalwurzel tau- / tu-, die außer in dem von vitāvan
vorausgesetzten *u̯i-tāu̯ana- v.a. in den osset. Verben æftāun "put, throw
over", itāun "spread, scatter, sow" u.a. vorliege. Obwohl Bailey das arm.
vteuan (neben vtauan sowie "möglicherweise" vtauak "undergarment" und
vtauat "veil") ausdrücklich in seine Zusammenstellung einbezieht, ist auf
der Basis eines Ansatzes *u̯i-tāu̯ana- keine Rechtfertigung für das -e- zu
gewinnen. Zusätzlich problematisiert wird das Nebeneinander von arm.
vtawan und vtewan dadurch, daß Bailey selbst zuvor in Anal.Indsc. [JRAS
1953], 116 Anm. 1 eine dritte Vertretung von miran. -āu̯an- im Armenischen postuliert hatte, nämlich die durch -awn- in paštawn "service", das
er aus einem miran. *parištāvan- herleitete7.
Nun ist die von Bailey propagierte Wurzeletymologie natürlich keineswegs als sicher einzustufen. Insbesondere kann sie nicht die spezifische
Verwendung im Bereich des Bogenschießens erklären, die das parth.
vitāvan ja ebenso deutlich zeigt wie seine präsumptiven armen. und georg.
Fortsetzer. Zu erwägen wäre unter diesem Gesichtspunkt eher eine Verbindung mit dem npers. partāb, das sich in Vīs u Rāmīn als Äquivalent des
georg. uṭevan- gewinnen ließ, und das neben sich auch eine Variante
partāw kennt (cf. z.B. Steingass, Dict. 240a). Da dieses Wort aber
seinerseits dunkel ist8, ergibt sich hieraus für die angesprochene Problematik
kein Fingerzeig9.
Da die parth. Form andererseits keinen Anlaß gibt, einen anderen Vokalismus in der Mittelsilbe anzunehmen als ein -ā-, bleibt die Möglichkeit zu
überprüfen, ob der -e-Vokalismus als innerarmen. Neuerung erklärt werden
kann. Eine solche Erklärung könnte von der oben behandelten Deutung
Peeters' ausgehen, der georg. uṭevan- versuchsweise mit arm. awtՙewan
"mansio" in Verbindung gebracht hatte. Auch wenn eine solche Verknüpfung aus den genannten Gründen ausscheidet, weist Peeters' Annahme
doch auf die Möglichkeit, daß arm. vtawan durch eine volksetymologische
Verknüpfung mit awtՙewan zu vtewan umgebildet worden sein könnte;
dabei wäre die Vorstellung von einer etappenweisen Reise, die auf awtՙewan als Bezeichnung eines Gasthauses ohne weiteres anwendbar war, auf
die kleinere Etappeneinheit einer "Stadie" übertragen worden.
Auch innerhalb des Georgischen könnte der -e-Vokalismus durch eine
volksetymologische Verknüpfung motiviert werden. Dabei wäre uṭevan- auf
das Verb ṭev- bezogen worden, das soviel wie "lassen" bedeutet; man vgl.
z.B. die Formen u-ṭev-a ≈ gr. ἀϕῆκεν in Weish.Sal. 10,14 O {24.} oder da-u-ṭev-a ≈ gr. ἐγκαταλέλοιπεν in Ez. 8,12 O {25.}. Die lautliche Nähe zu
dem Verbum ist so eng, daß O. Wardrop sogar einen etymologischen Zusammenhang von uṭevan- und -ṭev-a- vermutete (Visram. 47 Anm. 1).
Dennoch muß eine solche Verknüpfung scheitern, da sie keine Erklärungsmöglichkeit für das arm. vtewan abgibt, es sei denn, man wollte eine
Rückentlehnung aus dem Georgischen annehmen, wofür es sonst keinerlei
Indizien gibt.
Als Resultat der hier vorgetragenen Überlegungen ist also festzuhalten,
daß das parth. vitāvan zunächst in der Form v(ə)tawan ins Armenische
entlehnt wurde, hier eine Variante v(ə)tewan neben sich entwickelte und erst
in dieser Form als *vuṭevan- ins Georgische weiterentlehnt wurde. Die
Grundbedeutung ist etwa mit "Bogenschuß" anzusetzen, was sowohl dem
parthischen als auch den armen. und georg. Belegen gerecht wird.
>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>
Achtung: Dieser Text ist mit Unicode / UTF8 kodiert.
Um die in ihm erscheinenden Sonderzeichen auf
Bildschirm und Drucker sichtbar zu machen, muß ein Font installiert sein, der
Unicode abdeckt
wie z.B. der TITUS-Font
Titus Cyberbit Unicode. |
Attention: This text is encoded using Unicode / UTF8.
The special characters as contained in it
can only be displayed and printed by installing
a font that covers Unicode
such as the TITUS font
Titus Cyberbit Unicode. |
Copyright Jost Gippert, Frankfurt a/M 7. 1.2003.
No parts of this document may be republished in any form
without prior permission by the copyright holder.