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Dies ist eine Internet-Sonderausgabe des Buches
"Iranica Armeno-Iberica.
Studien zu den iranischen Lehnwörtern im Armenischen und Georgischen [Bd. 1]"
von Jost Gippert (1990).
Sie sollte nicht zitiert werden. Zitate sind der Originalausgabe, veröffentlicht als
"Österreichische Akademie der Wissenschaften,
philosophisch-historische Klasse,
Sitzungsbericht, 606. Band" /
"Veröffentlichungen der Kommission für Iranistik, Nr. 26",
Wien 1993,
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This is a special internet edition of the book
"Iranica Armeno-Iberica.
Studien zu den iranischen Lehnwörtern im Armenischen und Georgischen [Bd. 1]"
by Jost Gippert (1990).
It should not be quoted as such. For quotations, please refer to the original edition, published as
"Österreichische Akademie der Wissenschaften,
philosophisch-historische Klasse,
Sitzungsbericht, 606. Band" /
"Veröffentlichungen der Kommission für Iranistik, Nr. 26",
Wien 1993.



Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved:
Jost Gippert, Frankfurt 2002.

Jost Gippert



Iranica

Armeno-Iberica



Studien zu den
iranischen Lehnwörtern
im Armenischen und Georgischen






remaḳ-:

1. Einmal etwa "Herde, Trift" getriebener Kamele (aklem-ta-) als Übersetzung von gr. ἀγέλη in der älteren Redaktion der AT-Übersetzung (Jes. 60,6 IO {2.}); die Mcxeta- und die Bakar-Bibel verwenden an derselben Stelle das Wort ḳolṭ-, das als Entsprechung von gr. ἀγέλη regelmäßig auch in der NT-Übersetzung zu notieren ist (z.B. Mt. 8,30 DEC {10.}). Auch im AT ist ἀγέλη einmal durch ḳolṭ- vertreten, und zwar sowohl in der Ošḳi- wie in der Mcxeta-Hs. (Hohel. 1,6 {11.}); hier schert die Bakar-Bibel aus, die statt dessen das Wort arve- gebraucht. Auch arve- ist seinerseits noch dreimal für das Hohelied zu verzeichnen, und zwar in allen verfügbaren Redaktionen (4,1 OM {12.}; 4,2 ≈ 6,5 OM {12b}); als Variante dieses Wortes ist darüber hinaus möglicherweise das in Spr.Sal. 27,23 {13.} in der Ošḳi-Bibel erscheinende arvez- aufzufassen (so nach Gigineišvili, Sol.Ig. [Mrav. 2], 60; die Passage fehlt in der Mcxeta-Bibel). Als Entsprechung von gr. ἀγέλη ist weiter, wiederum mit einem Beleg im Hohenlied (6,4 {12a}), das Wort sa-mc̣q̇s-o- zu notieren, das ansonsten regelmäßig gr. ποίμνιον übersetzt (z.B. 3.Kön. 20,27 M {14.} sowie Spr.Sal. 27,23 {13.} neben arvez- = ἀγέλη). Diese Vielfalt ist durch einen äußeren Einfluß nicht zu begründen, da sowohl die armen. Bibel mit eramak als auch die syr. Bibel mit ܓܙ�ܪܴܐ gzārā (bzw., im NT, ܒܰܩܪܴܐ baqrā) an den genannten Stellen durchweg dieselbe Wortwahl zeigen. Einen Sonderfall stellt noch 1.Kön. 17,34 M {15.} dar, wo anstelle des gr. πρόβατον ἐκ τῆς ἀγέλης die Wendung ḳravi anu tu vaci erscheint, die wörtlich übersetzt etwa soviel wie "Lamm oder Bock" bedeuten müßte; auch damit steht die georg. Bibel allein, da sowohl das arm. očՙxar 'i hōtē als auch das syr. ܐܡـܼـܪܐ ܡـܼـܢ ܓܙܪܐ emrā men gzārā der gr. Syntax folgen. In das ungleichmäßige Gesamtbild fügen sich zusätzlich einige AT-Stellen ein, wo georg. remaḳ- überzählig erscheint:
2. Ohne erkennbaren Bezug zu einer griech. (oder armen., syr. oder hebr.) Entsprechung tritt remaḳ- in Hiob 1,14 {1.}, Ri. 6,5 {3.} und 1.Kön. 27,9 {4.} in der Mcxeta-Bibel auf, wobei der erstere Beleg auch schon die Ošḳi-Bibel betrifft; hier ist remaḳ- in der Fügung remaḳi igi virta mat qdalta enthalten, die gemäß der unter 1. beschriebenen Verwendung soviel wie "die Herde der weiblichen Esel" bedeuten müßte, was im Kontext ohne weiteres akzeptabel bliebe. Einen ganz ähnlichen Fall scheint auch die armen. Bibel zu enthalten, wo in Jud. 2,8 (≈ 2,17 LXX {16.}) anstelle der griech. αἶγες von eramak-kՙ aycicՙ gesprochen wird, was im Sinne von "Herden von Ziegen" ebenfalls nicht weit von den "Ziegen" des griech. Textes abweicht; die georg. Bibel hat hier einfaches txa- "Ziege".
Etwas anders verhalten sich die beiden anderen Belege. In 1.Kön. 27,9 {4.} könnte man zwar noch sinnvoll mit einer Bedeutung "Herde" operieren, indem man das Wort in der Fügung remaḳ-eb-sa aklem-ta da vir-ta als den beiden Gen.Pl. "der Kamele und Esel" übergeordnet auffaßt, doch wäre in diesem Fall eine Kongruenz mit den nachstehenden Attributen zu erwarten (*aklem-ta-sa da vir-ta-sa). Auch in Ri. 6,5 {3.} steht remaḳ(-eb-i) neben dem Wort für "Kamel", aklem-, jedoch läßt sich hier überhaupt kein syntaktischer Bezug zwischen beiden herstellen, da aklem-eb-is-a im Gen. (Koll.) auf das Prädikat ara arn ricxw ≈ οὐκ ἦν ἀριϑμός zu beziehen ist, während remaḳ-eb-i als Nom. (Koll.) in den Vergleichssatz mit vitarca mḳal-ni ≈ καϑώς ἀκρίς einzuordnen wäre.
Diese Belege ließen sich nun am leichtesten erklären, wenn die Formen von remaḳ- ursprünglich als Glossen gedient hätten und erst sekundär in den Text geraten wären. Das würde voraussetzen, daß das Wort mit aklem- "Kamel" oder aber vir- "Esel" synonym gewesen wäre, was nach dem bisherigen nicht ohne weiteres anzunehmen ist. Allerdings könnte eine solche Identifikation für die "Kamele" aus Jes. 60,6 {2.} und für die "Esel" aus Hiob 1,14 {1.} bezogen worden sein, wo remaḳ- als übergeordnetes Wort neben aklem- bzw. vir- steht; hier müßte remaḳ- als Synonym der beiden Tiernamen aufgefaßt worden sein.
Für eine solche Auffassung gibt es einen ernstzunehmenden Zeugen, nämlich das Lexikon Sulxan-Saba Orbelianis, nach dem das Wort remaḳ- "nicht zugerittene weibliche Pferde" bezeichnet (uqedi č̣aḳi cxen(n)i). Diese Definition deckt sich zwar nicht genau mit den genannten Belegen, dürfte bei Saba aber dennoch auf Hiob 1,14 {1.} beruhen; das erweist sich daran, daß dem Eintrag zumindest in einem Hs.-Zweig (A = A 1473; A 75) die Stellenangabe iob = (Buch) Hiob beigefügt ist. Mit der Definition uqedi cxen(n)i ist bei Saba daneben noch ein zweites Wort versehen, das aufgrund der Beleglage und aufgrund lautlicher Parallelen (s. dazu weiter s.v. danaḳ- / dana-) als jüngere Variante von remaḳ- aufgefaßt werden kann und in einigen Hss. des Lexikons folgerichtig mit remaḳ-i vereinigt erscheint, nämlich


rema-:

Auch rema- soll nach Saba also ein "nicht zugerittenes Pferd" bezeichnen. Auch diese Bedeutungsangabe steht in Einklang mit einem Beleg aus der AT-Übersetzung, nämlich 3.Kön. 10,26 {7.}, wo die Bakar-Bibel durch qrdal-ni rema-ni die gr. ϑήλειαι ἵπποι wiedergibt; die von Saba selbst redigierte Mcxeta-Hs. spricht wie die Ošḳi-Bibel statt dessen von qdal-i me-zu-eb-i, was soviel wie "gebärfähige Stuten" bedeuten dürfte (mit me-zu-e- zu zu-eb-a- "gebären"1). Sabas Definition für rema- und remaḳ- (rema da remaḳi C; rema, remaḳi D) scheint sich also zu bestätigen.

Allerdings verfährt Saba bei den hier in Frage stehenden Termini durchaus nicht konsequent. Mit seiner Definition für remaḳ- und rema- sind zunächst die Ausführungen unter dem Stichwort cxeni "Pferd" zu vergleichen, wo Saba die folgenden Begriffe aufzählt: "männl. Pferd" (mamal-): axṭa; "weibl. Pferd" (dedal-): qrdali und č̣aḳi; "ihre Kinder" (švilta matta): ḳicvi bzw., in "säkularer" Form ("msoplioni") ḳvic-i; "männl. ḳicvi": ura; "weibl.": pašaṭi; "verschnittenes" (gamoq̇vereul-): ṭaič̣i; "Reitpferd" (aġsaǯdomel-): saqedari; "rassiges und edles" Pferd (gvarian- da ḳetil-): hune und ǯinibi, i.e. ("romel ars") markapa; "kleinwüchsiges" (asaḳmcire-): gerge. Bei "Eseln und Halbeseln, d.i. das Maultier" (virta da ḳerʒovirta, romel ars ǯori), spricht Saba ebenfalls von "Hengst- und Stutenschaft" (axṭa da qrdloba bzw. axṭa-č̣aḳoba itkmis), ihre "Fohlen" (ḳicvta) heißen muṭruki, ein "Reitesel" (aġsaǯdomelsa virsa) ḳarauli. Nur geringe Abweichungen von dieser Liste finden sich in dem Hss.-Zweig CD, nach dem zunächst ura ein "ungezähmtes Fohlen" ist (umc̣q̇ssa ḳicvsa), während das "Hengstfohlen" (ḳicvsa axṭasa) ulaq̇i heißt; außerdem ist gerge hier ein Überbegriff für "kleinwüchsige Pferde, Kamele, Elefanten und alle ihnen ähnlichen Tiere" (asaḳmciresa cxensa, aklemsa da ṗilosa da q̇ovelsa mistanata otxperqta).
In dieser Liste taucht nun auch rema- auf, und zwar als Bezeichnung eines umc̣q̇s- cxen-, d.h. eines "ungehüteten" oder "wilden Pferdes". Ähnlich, wenn auch in etwas weiterem Rahmen, ist rema dann noch einmal unter dem eigenen Lemma umc̣q̇si gefaßt, das einen "Überbegriff über alle (Arten von) ungezähmten" Wesen darstellt (zogadi saxeli ars q̇ovelta gauc̣vrtelta): Hiernach werden durch rema generell "nicht domestizierte, wilde Tiere" (umc̣q̇sta ṗiruṭq̇utatws) benannt. Eine solche Bedeutung weicht natürlich erheblich von der einer "gebärfähigen Stute" ab.
Wieder in eine andere Richtung weist ein letzter Eintrag in Sabas Lemma cxeni "Pferd", der ebenfalls wieder einhellig überliefert ist; es handelt sich um die Kategorie eines saremaesa ḳuraṭsa, für das die Bezeichnung aǯilġa gebraucht werde. Die grobe Richtung, in der die Bedeutung der Glosse zu suchen ist, wird durch das eigene Lemma aǯilġa angegeben, das umgekehrt durch cxenis ḳuraṭi definiert ist. Da ḳuraṭ- bei Saba selbst als Variante des Wortes ḳuraḳ- bestimmt und dieses wiederum als mcire ḳuro, i.e. "kleiner Stier" erklärt ist, ergibt sich für cxenis ḳuraṭ- eine Bedeutung wie "kleiner (junger?) Pferdebulle", womit etwa ein "Zuchthengst" gemeint sein dürfte. Fraglich bleibt dabei jedoch die Bedeutung des Wortes saremae-, das als adjektiv. Attribut zu ḳuraṭ- gehören muß und als Ableitung von rema- mit dem Circumfix sa--e- aufzufassen ist. Unter Berücksichtigung der gegebenen Wortbildung würde sich im Zusammenhang mit der Definition von rema- eine Interpretation im Sinne von "zum Weibchen gehörig" oder "für das Weibchen geeignet" ergeben. Denkbar ist jedoch auch eine andere Lösung, die für rema- von einer Bedeutung "Herde" ausgehen würde, wie sie oben für das älter bezeugte remaḳ- herausgearbeitet werden konnte; sa-rema-e- würde dann so etwas wie "zur Herde gehörig" meinen.
Daß Saba auch eine solche Bedeutung bekannt gewesen sein muß, geht aus seinen Ausführungen zu dem Lemma ǯogi hervor, wo er die georg. Bezeichnungen für die "Herden" verschiedener Tierarten auflistet; im einzelnen führt er an: Herden des "Pferds" (cxenisa): rema; des "Rinds" (zroxisa): mroc̣le, im "weltlichen" (säkularen) Sprachgebrauch (msoplioni) auch naxiri; der "Schafe" (cxovarta): samc̣q̇so; "Schafe und Ziegen" (cxovarta da txata): arve; "Schweine" (ġorta): ḳolṭi; "Jagdwild" (nadirta): para; "Wildtiere" (mqecta): xro; "Vögel" (prinvelta): gundi. Aus den hss. Varianten des Lexikons gehen noch folgende Informationen hervor: ǯogi (als der Überbegriff) selbst wird "besonders für Pferde" gebraucht (saḳutar cxenta ars: B), para gilt für "Hirsche" (iremta), "Gemsen" (arčvta), "Steinböcke" (ǯiqvta), "Wildschafe" (arnta), "Wildziegen" (kurciḳta / garetxata CqD) und "dergleichen" (egevitarta), und eine Herde "junger Schafe und Ziegen" wird nicht ǯogi, sondern č̣ambar- genannt (mciredta cxovarta da txata č̣ambarsa uc̣oden da ara ǯogsa: CD). Die beiden letztgenannten Hss. führen letztlich genauer aus, daß rema eine Herde "nicht zugerittener Pferde" sei (rema ars ǯogi uqedta cxenta), womit sich wieder ein Anschluß an die Definition ergibt, die rema und remaḳi als eigenen Lemmata beigegeben ist.
Nun läßt sich auch für rema- eine Bedeutung "Herde" durch Belege erhärten. Es handelt sich zunächst um eine Stelle aus den "Lehren" Basilius des Großen, wo dieser von ἵππων ἀγέλαι, βουκόλια, ποίμνια und συϕόρβια spricht. Die georg. Version, die auf den Athoniten Eptwme zurückgeht, übersetzt dies durch rema-eb-i cxen-ta-y, naxir-eb-i zroxa-ta-y, sa-mc̣q̇so-eb-i cxovar-ta-y und ḳolṭ-eb-i ġor-ta-y, was sich genau mit den Angaben Sabas über die Bezeichnungen der "Tierherden" deckt (Sc̣. 99,11-14 {8.}): die Pferde (cxen-) bilden ein rema-, die Kühe (zroxa-) ein naxir-, die Schafe (cxovar-) ein samc̣q̇so- und die Schweine (ġor-) ein ḳolṭ-. Die gegebene Stelle mag also sogar die Quelle gewesen sein, aus der Saba seine Herdenbezeichnungen geschöpft hat.
Für eine Bedeutung "Herde" lassen sich darüber hinaus aber auch zwei "klassische" Textbelege beanspruchen, nämlich aus dem Vepxisṭq̇aosani. Dies betrifft zunächst den Vers 54b {6.}, wo als Objekte des "Herausführens" durch den "Stallmeister" nacheinander die Wörter rema, ǯogi und cxeni auftreten. Auch wenn rema- hier als Bezeichnung einer bestimmten Art von Pferd gebraucht sein könnte, läßt sich die Aufeinanderfolge doch am leichtesten im Sinne einer "absteigenden Linie" von einer größeren "Herde" (rema-) über eine kleinere "Herde", vielleicht ein "Gespann" (ǯogi2) bis zum einzelnen "Pferd" (cxeni) deuten. Im gleichen Sinne läßt sich auch Vers 1532c {9.} interpretieren, wo allerdings nicht rema- selbst erscheint, sondern ein Verbum

rem-eb-a-:
Daß sich hinter dem überlieferten aremare, das alle vier Verse der problematischen Strophe 1532 im Reim beschließt, im gegebenen Vers c tatsächlich die Form eines Verbums rem-eb-a- verbirgt (cf. auch Šaniʒes Simponia, 274 mit dem Eintrag remeba), wird lediglich durch den Kontext nahegelegt, der eine parallele Struktur zwischen dem ersten und dem zweiten Halbvers anzunehmen gestattet; aremare wäre dabei wie die vorausgehende Verbalform da-a-ǯog-a als 3.Sg.Aor. aufzufassen, wobei das auslautende -re als Partikel der Bedeutung "etwas, ein wenig" interpretiert werden müßte. Das vorausgehende da-a-ǯog-a würde gleichzeitig die Grundlage dafür abgeben, daß die Verbalform a-rem-a auf rema- zu beziehen ist, denn es enthält wieder das semantisch nahestehende ǯog-. Als Bedeutung der beiden Verben scheint etwa "zur Herde zusammentreiben" in Betracht zu kommen, was allerdings im gegebenen Kontext mit den Objekten gišer- "schwarze Tusche"3 und c̣amc̣am- "Wimper" nicht ganz leicht zu vereinbaren ist; hinzu kommt, daß das letztere unerwarteter Weise im Gen. steht (c̣amc̣m-is-a-)4.
Daß gegen Saba die Bedeutung "Herde" nicht nur für rema-, sondern auch das ältere remaḳ- als Ausgangsbedeutung angenommen werden kann, erweist sich ebenfalls an einer Ableitung, nämlich

me-remaḳ-e-:
Diese Bildung ist einmal in der georg. Version des Physiologus bezeugt (180,24 {5.}), wo sie im Nom. (me-remaḳ-ē me-remaḳ-e-y) in Kongruenz mit dem vorausgehenden ḳaṭaban-i einem griech. ἀγελάρχης bzw. arm. eramakapan gegenübersteht; gemeint ist die Position eines "Herdenführers", die der männliche Wildesel innerhalb seiner Herde einnimmt. Da ḳaṭaban- offenbar ein Substantiv der Bedeutung "Hausherr, Anführer" darstellt (s. dazu weiter s.v.), könnte me-remaḳ-e- am leichtesten als ein dieses charakterisierendes Adjektiv "zur Herde gehörig" aufgefaßt werden. Verständlich bleibt me-remaḳ-e- jedoch auch als ein Substantiv "Hirte", was der Normalverwendung des Circumfixes me--e- gerecht würde, das gemeinhin Berufsbezeichnungen bildet; vgl. z.B. die bei Šaniʒe, Sapuʒvl. 135, 169. angeführten Beispiele, unter den me-ġor-e- als "Schweinehirt" einer solchen Auffassung am nächsten käme. Die Verbindung von ḳaṭaban-i und me-remaḳ-e-y hätte dann als Apposition zu gelten.
Unabhängig von der Beurteilung der syntaktischen Struktur läßt der Beleg wieder einen eindeutigen Bezug zu gr. ἀγέλη erkennen, der für das zugrundeliegende remaḳ- die Ausgangsbedeutung "Herde" sichert. Gleichzeitig deutet der Beleg an, wie remaḳ- und seine jüngere Variante rema- zu Bezeichnungen für weibliche Herdentiere umgedeutet werden konnten. Aus dem Physiologus-Traktat geht nämlich eindeutig hervor, daß die "Herde" der Wildesel nur aus den weiblichen Tieren besteht, gegenüber denen das Männchen eben die Rolle eines "Hirten" spielt. In der syr. Version der Legende ist sogar eindeutig von einer ܪܡܟܐ ܕܢـܵـܩܒܛܐ ramḵā dəneqbāṯā, i.e. einer "grex feminarum" die Rede.

Ausgehend von dem Beleg im Physiologus wurde remaḳ- schon bei Marr, Fiziol. 75 (mit Anm. 2) als georg. "Äquivalent" von arm. eramak bestimmt und mit diesem gemeinsam auf ein "iran." rmh zurückgeführt; die im Physiologus erscheinende Ableitung meremaḳe- bezeichne eine "Person, die sich mit der Herde befasse, also einen Hirten" (лицо, занимающееся .. стадомъ, табуномъ, слѣдовательно, пастухъ: 76) und entspreche damit dem arm. eramakapan "Hirte" (стадопасъ). Mit remaḳ- identifizierte Marr weiter das bei Rustaveli vorkommende rema-, das durch den "Verlust des Auslautskonsonanten k" (с потерею исходнаго согласнаго k) entstanden sei und ebenfalls "Herde" (стадо, табунъ) bedeute; keinesfalls (oтнюдь не) richtig seien die Bedeutungsangaben "Eselin" (ослица) bei Čubinašvili und "nicht zugerittenes Pferd" (нeвыѣзжeннaя кoбылa) bei Saba (= uqedi cxeni).
Auch wenn die letztere Auffassung aufgrund der obigen Ausführungen relativiert werden muß, wird Marrs Beurteilung hier doch weitgehend bestätigt. Das betrifft auch die etymologische Verknüpfung mit arm. eramak und dessen weitere Herleitung aus dem Iranischen. Marr befindet sich hier in Übereinstimmung mit Hübschmann, der das arm. eramak- zusammen mit dem in der Bibelübersetzung nicht bezeugten eram "Schar, Schwarm, Herde" mit npers. rama und ram "Schar, Herde" und weiter mit mpers. ramak "id." identifiziert hatte, wobei er mit hebr. רַמָּכִֽים rammāḵīm (Esth. 8,10 {18.}) und syr. ܪܱܡܟـܼـܳܐ ramḵā auch semit. Entlehnungen des miran. Wortes anführen konnte5.
Die etymologische Identifikation mit arm. eramak wird dann auch bei Androniḳašvili, Narḳv. 365 vertreten, die wie Hübschmann von einem mpers. ramak "Herde" ausgeht. Im Gegensatz zu Marr versucht die Autorin erstmalig auch, die dabei anzunehmende Vertretung eines miran. -a- oder -ā- durch georg. -e- (gegenüber normalem -a-) zu rechtfertigen, indem sie remaḳ- in eine Gruppe von Wörtern einreiht, für die sie dieselbe Vertretung in Anspruch nimmt (ib. 184 f.). Allerdings reicht die einfache Konstatierung einer vom Normalen abweichenden Wiedergabe natürlich nicht aus, um die Lautung eines Einzelfalls zu begründen. Hinzu kommt, daß von den bei Androniḳašvili angeführten Parallelen die meisten mit Sicherheit anders zu beurteilen sind.
Es handelt sich zunächst um das Wort ḳerṗ- "Götzenbild", das die Autorin auf ein mpers. *karp zurückführt, dessen Ausgangsform jedoch vielmehr in Übereinstimmung mit avest. kəhrpa- und der inzwischen zur Verfügung stehenden Turfangraphie kyrb als ein schwundstufiges *kṛpa- anzusetzen ist; dieses kann sich mit MacKenzie, Transcr. [BSOAS 30], 24 mit Anm. 25 auch im Miran. selbst zu kerb entwickelt haben (ggüb. kirb bei MacKenzie, Dict. 51). Auszuscheiden ist dann die Gleichsetzung von pesu- "Wurzel, Saum" mit mpers. pas "nach", die die Autorin über ein tertium comparationis "Ende" ("ბოლო") zu rechtfertigen versucht; gegen diese Gleichsetzung spricht nicht nur die divergierende Semantik, sondern auch die Vertretung des anlautenden p- durch die Aspirata, die erst in npers. Zeit zu erwarten wäre, sowie der unerklärte -u-Stamm des georg. Wortes. Abzulehnen ist weiter die Zurückführung von georg. c̣med-, c̣mend-a- "reinigen" auf mpers. spand "heilig", die allein schon mit der Vertretung von *sp- durch c̣m- völlig den Boden sonstiger Entsprechungsregeln verlassen würde. Georg. c̣med- "reinigen" (mit Wurzelpräsens) ist vielmehr als eine autochthone Bildung aufzufassen, die ihrerseits das durch Ablaut gekennzeichnete Adjektiv c̣mida- "heilig" neben sich hat, wozu die Bedeutungsentwicklung von "rein" zu "heilig" bei arm. sowrb < *ḱubh-ro- "glänzend" (aind. śubhrá-) zu vergleichen ist; die verführerische Lautung mit innerem -nd- ist graphisch erst ab dem 10. Jh. zu belegen (cf. Sarǯvelaʒe, Šesavali 133 f.) und als eine sekundäre innergeorg. Entwicklung aufzufassen (vgl. dazu die Variante varšamang- neben varšamag-, s.d.). Anders zu beurteilen ist darüber hinaus das Adjektiv č̣ešmariṭ- "wahr", dessen miran. Vorform Androniḳašvili im Gefolge von Marr, Rez. Tomson [ZVO 5], 318 als *čašmdit "mit den Augen gesehen" ansetzt: Hier ist wiederum das armen. Äquivalent čšmarit zu berücksichtigen, das mit der Lautung [čəšmarit] auf eine miran. Variante *čišm(a)δīt weist6. Sollte das georg. Wort selbst aus dem Armenischen stammen, wie Marr (l.c.) annahm, müßte sein -e- das armen. [ə] vertreten, während es bei einer direkten Herkunft aus dem Mitteliranischen als Reflex eines -e- aufzufassen wäre, das als Reflex des in avest. čašma- vorliegenden *-a- nach den bei MacKenzie, Transcr. [BSOAS 30], 25 gegebenen Beispielen durch den folgenden Sibilanten hervorgerufen worden sein könnte (bei dem "vorarmen." *čišm(a)δīt hätte dieselbe Tendenz, möglicherweise verstärkt durch den vorangehenden Palatal, bis zum -i- geführt). Eine andere Erklärung verlangt ferner das Appellativum sṗays-ṗeṭ- "Heerführer", dessen -e- auf ein miran. -e- zurückzuführen ist, das selbst durch das ursprüngliche -i- der Folgesilbe bedingt gewesen sein dürfte (als eine Art "Umlaut", vgl. MacKenzie, l.c.; s. dazu weiter unter ṗeṭ-). Als völlig unwahrscheinlich ist weiter die Herleitung von brʒen- "weise" aus einem miran. *frazān anzusehen (belegt ist offenbar nur mpers. frazānag, cf. MacKenzie, Dict. 33 mit der Bedeutungsangabe "wise, intelligent"): Wenn man die Anlautsvertretung von *fra- durch georg. br- akzeptiert, die von Androniḳašvili ansonsten nur noch für das Verbum brʒan- "befehlen" beansprucht wird, das sie aus einem mit *frazān "weise" zu verbindenden miran. *fra-zān- "anweisen" herleitet (ib. 294 f.), könnte brʒen- statt dessen auf ein ursprüngliches *fra-zan(i)i̯a- zurückgehen, dessen miran. Fortsetzer eine -i-Epenthese reflektieren würde (*frazēn < *frazain-), wie sie sich deutlich in npers. farzīn "The queen at chess; learned" (Steingass, Dict. s.v.) manifestiert hat. Argumentativ nicht verwendbar sind letztlich die beiden PNN Nerse und Deroḳ: der erstere ist primär mit arm. Nersēh in Einklang zu bringen und setzt wie dieses nicht ein mpers. Narsēh, sondern wieder eine (mit avest. nairiiō.saŋha- in Y. 17,11 u.ö. übereinstimmende) "umgelautete" Form *ner- voraus; und die Etymologie des Namens Deroḳ-, den Androniḳašvili mit dem iran. Wort für den "Baum", dārūg verknüpft (dārū bei Nyberg, Manual 2, 58; vgl. aber mpers.T dārūg <d՚rwg> bei Boyce, Word-List 34), bleibt trotz Justi, Namenbuch 82 f. unsicher.
So verbleiben für eine Vertretung von miran. -a- oder -ā- durch georg. -e- als ernstzunehmende Zeugen neben remaḳ- lediglich anderʒ-, das aufgrund seiner Bedeutung "Testament" nicht mit arm. handerj "Gewand", sondern mit armen., mpers. und npers. andarz "Vermächtnis" zu identifizieren ist, sowie der PN Goderʒ-, der im selben Verhältnis zu dem bei Tacitus erscheinenden Parthernamen Gotarzes steht und sich dabei mit der bei Hübschmann, AG 505 zitierten griech. Schreibung Γωτέρζης deckt (neben Γωτάρζ-; cf. jetzt Alram, NPIIN [IPNb IV], 127). Wenn man nicht auch in diesen beiden Fällen ein ursprünglich schwundstufiges *-ṛ- ansetzen will (> *-er- / *-ar-), muß man hierfür von einer lautlichen Sonderentwicklung ausgehen, bei der ein -a- vor folgendem tautosyllabischem -r- zu -e- wurde, und die nicht allein durch die genannten griech. Varianten des Namens als eine inneriran. Entwicklung greifbar wird.
Es fragt sich nun, ob das in remaḳ- erscheinende -e- gegenüber arm. eramak ebenfalls auf den Einfluß des danebenstehenden -r- zurückgeführt werden kann. Allerdings liegt hier natürlich nicht dieselbe Lautkonstellation vor wie bei anderʒ- und Goderʒ-, so daß die Erklärung unsicher bleibt. Eine alternative Erklärung könnte von einem Einfluß des Wortes für den "Hirsch", irem- ausgehen, dessen -e- solange als authentisch gelten muß, wie das Wort keine Etymologie gefunden hat, die etwas anderes anzunehmen zwingt. Will man die Identifizierung von georg. remaḳ- mit miran. ramak "Herde" aufrechterhalten, so muß das georg. Wort auf jeden Fall eine unabhängige Entlehnung aus dem Mitteliranischen darstellen, da es sich gegenüber arm. eramak nicht nur durch das inlautende -e-, sondern auch durch das Fehlen des prothetischen Vokals unterscheidet.
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