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Dies ist eine Internet-Sonderausgabe des Buches
"Iranica Armeno-Iberica.
Studien zu den iranischen Lehnwörtern im Armenischen und Georgischen [Bd. 1]"
von Jost Gippert (1990).
Sie sollte nicht zitiert werden. Zitate sind der Originalausgabe, veröffentlicht als
"Österreichische Akademie der Wissenschaften,
philosophisch-historische Klasse,
Sitzungsbericht, 606. Band" /
"Veröffentlichungen der Kommission für Iranistik, Nr. 26",
Wien 1993,
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This is a special internet edition of the book
"Iranica Armeno-Iberica.
Studien zu den iranischen Lehnwörtern im Armenischen und Georgischen [Bd. 1]"
by Jost Gippert (1990).
It should not be quoted as such. For quotations, please refer to the original edition, published as
"Österreichische Akademie der Wissenschaften,
philosophisch-historische Klasse,
Sitzungsbericht, 606. Band" /
"Veröffentlichungen der Kommission für Iranistik, Nr. 26",
Wien 1993.



Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved:
Jost Gippert, Frankfurt 2002.

Jost Gippert



Iranica

Armeno-Iberica



Studien zu den
iranischen Lehnwörtern
im Armenischen und Georgischen






novag-:

1. In einem vereinzelten Beleg im Physiologus (183,23-29 {1.}: -i) in Verbindung mit dem Genetiv-Attribut saxiobisa- Bezeichnung für den "Klang" oder die "Melodie" des "Gesangs" der Sirenen. Das Syntagma reflektiert offensichtlich den Wortlaut der armen. Version, die von nowag ergocՙ, wörtlich "Melodie der Lieder" spricht und damit ebenfalls eine attributive Fügung verwendet; der georg. und der armen. Text stellen sich damit z.B. dem griech. entgegen, der nur einfaches μελῳδίας hat, wie auch dem bei Land, Anecd.syr. 4 edierten syr. Text mit ܩـܵـܠܝܗܝܢ ܚـܵـܠܝܐ qālayhīn ḥəlī "dulces earum voces". Eine der armen. und georg. Bezeugung näherkommende griech. Vorform setzt allerdings der lat. Überlieferungszweig voraus, in dem von einem musicum quoddam dulcissimum melodi(a)e carmen die Rede ist. Daß die armen. Version mit ergocՙ das Attribut im Plural zeigt ("der Gesänge", zu erg "Gesang"), stellt die Abhängigkeit des georg. Wortlauts vom armen. nicht in Frage. Im gegebenen Fall kann georg. novag- sogar als unmittelbare, textgebundene Übernahme des arm. nowag gelten, wie bereits Marr, Fiziol. 84 (danach auch Kluge, Gr.arm.LWW [WZKM 30], 115) postulierte, nach dem novag-i "Melodie" im Physiologus "durch den georg. Übersetzer entsprechend dem armen. Text wiederholt" wurde ("novagi мeлoдiя пoвтopeнo гpузинcкимъ пepeвoдчикoмъ coглacнo apмянcкoму тeкcту"). Ein Zusammenhang mit der arm. Überlieferung kommt auch für die Belege von novag- in der Bibelübersetzung in Betracht, wo das Wort allerdings etwas anders aufzufassen ist:
2. novag- begegnet viermal im AT innerhalb der Bücher Nehemia und Esra Zorobabel; soweit die Textgestalt der älteren Zeugen (Ošḳi- und Jerusalemer Bibel) bekannt ist, decken sich diese dabei mit der Mcxeta-Bibel (2.Esr. 12,27 {2.}; 3.Esr. 5,57-59 {3.}: -it-a u.a.). Im armen. Text steht dem Wort in allen diesen Fällen nowagaran gegenüber, das als kompositale Weiterbildung von nowag- "Melodie" gelten kann; wie arm. nowagaran scheint georg. novag- dabei ein Musikinstrument zu bezeichnen. Eine Rekursion auf die griech. Textgestalt zur genaueren Bedeutungsbestimmung führt bei den betreffenden Büchern nicht weiter, da der armen. Text und die völlig mit ihm parallel laufende georg. Version von der Textgestalt der Septuaginta weit abweichen; dasselbe gilt auch, soweit vorhanden, für die entsprechenden Passagen der hebr. und der syr. Bibel. Für die Interpretation als Musikinstrument sprechen v.a. die drei der vier Belege, wo georg. novag- bzw. arm. nowagaran in einer engen Verbindung mit še-sxma-, wtl. etwa das "Anstimmen", bzw. erg "Gesang" auftreten (2.Esr. [= Neh. armen.] 12,27 {2.}; 31 {5.}; 3.Esr. 5,57 [= 1.Esr. 5,58 ff. armen.] {3.}); dabei ist der letztgenannte eindeutig zu beurteilen, da novag- bzw. nowagaran hier als Genetiv-Attribut zu še-sxma- bzw. erg auftreten. In den beiden eng benachbarten Belegen aus dem Nehemia-Buch stehen nowagaran und erg in der armen. Bibel hingegen im gleichen Kasus (Instr.Pl.), was der georg. Text nur im ersten Fall und nur in der Fassung der älteren Redaktion nachahmt (šesxm-ita novag-ita, Instr.Sg.); die Mcxeta-Bibel hat die Verbindung in 2.Esr. 12,27 {2.} durch da "und" gesprengt, während sie in 12,31 {5.} die genetivische Fügung šesxma- novag-ta- bietet, die wie auch in 3.Esr. 5.57 {3.} einem arm. erg nowagaranacՙ entsprechen würde. Der Grund für die Divergenzen dürfte beide Male darin bestehen, daß eine asyndetische Verbindung von šesxma- und novag- im gleichen Kasus im Georgischen nur im Sinne einer Apposition möglich war, die beiden Wörter jedoch von ihrer Bedeutung her nicht geeignet waren, eine appositionelle Verbindung einzugehen.
Hier stellt sich die Frage, ob dasselbe Prinzip auch für das Armenische gegolten hat, d.h. ob erg und nowagaran im Armenischen da, wo sie im gleichen Kasus nebeneinanderstehen, eine Apposition bilden, oder ob die Fügung hier anders zu beurteilen ist. Die Klärung dieser Frage hängt zunächst von der Ausgangsbedeutung des Kompositums nowagaran ab. Diese ist in einem bestimmten Bereich der AT-Übersetzung, der die Bücher der Könige und Chroniken umfaßt, wesentlich leichter zu bestimmen als in den Esra-Büchern, da das Wort dort regelmäßig griech. ὄργανον als Bezeichnung eines Blasinstruments (`Orgel') entspricht (z.B. 1.Chr. 15,16 {8.}); der georg. Text setzt dafür meist sṭwr- (v.a. in 1.2.Chr.) bzw. das mit diesem wurzelverwandte ne-sṭv- (2.Kön. 6,5 M {11.}), seltener auch knar- (1.Chr. 16,5 M {9.}; 1.Chr. 23,5 M {13.}; 2.Kön. 6,14 Pl {12.}) entgegen, von denen die ersten beiden als Bezeichnung eines Blasinstruments aufgrund innergeorg. Anschlußmöglichkeiten zu sichern sind (Wurzel sṭw-n-), während knar- wie auch arm. kՙnar über syr. ܟܷܢܳܪܴܐ kennārā auf hebr. כִּנּוֹר kinnōr bzw. dessen griech. Entlehnung κινύρα "Zither" zurückgeht und damit ebenfalls als Bezeichnung eines Musikinstruments feststeht1. Auch wenn gr. ὄργανον außerhalb dieses Bereichs in der armen. Bibel noch andere Entsprechungen kennt wie z.B. ktakaran (Ps. 136,2 {15.}), sałmosaran (Ps. 151,2 {16.}), owraxowtՙiwn (Ps. 150,4 {17.}) oder sring (Am. 6,5 {19.}), läßt sich seine Wiedergabe durch nowagaran auf der Grundlage sonstiger Bildungen auf -ran, bei denen das Suffix eine Art von "Behälter" bezeichnet, semantisch gut rechtfertigen; das Wort hätte dann so etwas wie einen "Musikkasten" bezeichnet2.
Als Ausgangsbedeutung für eine "appositive" Verbindung mit erg "Gesang" kommt diese Verwendung jedoch kaum in Betracht. Hierfür muß auf zwei Belege zurückgegriffen werden, die nowagaran in einer anderen Funktion zeigen. Es handelt sich um 3.Esr. 4,63 {6.} und 5,2 {7.}, wo ihm im gr. Text das Wort μουσικός gegenübersteht, das hier offenbar im substantivischen Sinne einen "Musiker" bezeichnet. Da μουσικός im armen. Text ansonsten regelmäßig durch arowestakan wiedergeben wird (Gen. 31,27 {20.} u.ö.3), das als Ableitung von arowest "Kunst" eindeutig als Adjektiv gekennzeichnet ist, fragt sich, ob nowagaran an den fraglichen Stellen ebenfalls als eine adjektivische Ableitung von nowag verwendet worden sein kann; damit wäre die "appositive" Stellung neben erg erklärbar. Allerdings kann eine solche Verwendung mit dem Suffix -ran kaum vereinbart werden; deshalb ist weiter zu erwägen, ob nowagaran in den Esra-Büchern ein ansonsten nicht bezeugtes, mit arowestakan parallel gebautes *nowagakan vertritt, das als Adjektiv genau diese Funktion innegehabt haben könnte.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang noch einmal das Zeugnis der georg. Bibel, die an den beiden letztgenannten Stellen (3.Esr. 4,63 und 5,2 {6.; 7.}) nicht einfaches novag-, sondern me-noag-e- bietet, das ohne weiteres als Ableitung von novag- mit dem Circumfix me--e- aufgefaßt werden kann (zum Lautlichen s. weiter unten). Dieses Circumfix dient gemeinhin zur Bildung von Nomina agentis wie Berufsbezeichnungen o.ä. und kann wie das funktionsgleiche Circumfix m--el- als Äquivalent des armen. Suffixes -akan aufgefaßt werden; man vgl. dazu das Nebeneinander von arm. aspnǰ-akan und georg. m-asṗinʒ-el- (s. dort). Zur Bildeweise ist ferner das in 2.Chr. 5,12 M {14b} erscheinende me-psalmun-e- zu vergleichen, das als Wiedergabe von gr. ψαλτῳδός die genau entsprechende Ableitung von psalmun- "Psalm" darstellt; die armen. Bibel bietet hierfür das Kompositum sałmosanowag4.
Wenn auf diese Weise also neben der Bildung nowagaran ≈ ὄργανον eine Ableitung *nowagakan ≈ μουσικός für das Armenische indirekt erschlossen werden kann, ist es umso auffälliger, daß von den zahlreichen Belegen für den Stamm nowag, der als Grundlage beider angesehen werden kann, innerhalb der Bibel nur einer als semantisch nahestehend aufzufassen ist. Es handelt sich um Am. 5,23 {26.}, wo das Wort gr. ψαλμός wiedergibt, das im Georgischen wie auch sonst durch psalmun- vertreten ist. In der Mehrzahl der Belege ist nowag hingegen etwa im Sinne von "Mal" zu interpretieren, wobei ihm im gr. Text nur teilweise genaue Entsprechungen gegenüberstehen wie z.B. περίοδος (Jes. 6,16 {27.}; georg. gare-še-slva-, wtl. "Hinaus-Hinein-Gang") oder κάϑοδος (Pred. 7,23 {28.}; ohne georg. Version), normalerweise jedoch Bildungen wie ἅπαξ (Ri. 16,28 {29.}; georg. ert-gzis, wtl. "eines Gangs") oder ἐν τῷ ἑβδόμῳ (3.Kön. 18,44 {30.}; georg. mešwde-sa ǯer-sa, wtl. "beim siebten Mal"). Noch eine andere Bedeutung kommt dem arm. nowag in zwei Belegen aus den Makkabäerbüchern zu (1.Makk. 11,58 {35.}; 2.Makk. 4,39 {36.}; ohne georg. Version), wo es in Verbindung mit oski "gold(en)" gr. χρύσωμα als Bezeichnung eines goldenen Gefäßes, etwa "Kelch" übersetzt; in der gleichen Bedeutung sind daneben auch spas (3.Esr. 3,6 {37.}; ≈ georg. sa-msaxur-eb-el-, wtl. "zum Dienst gehöriges, sc. Geschirr", und 2.Makk. 4,32 {38.}) sowie kah gebraucht (3.Esr. 8,56 {39.}; georg. č̣urč̣er-, wtl. "Geschirr"). Für das georg. novag- ist keine dieser beiden Verwendungen belegbar. Auch das Georgische kennt jedoch eine von bisherigen völlig abweichende Bedeutung von novag-:

3. Mit einem vereinzelten Beleg tritt uns novag- in der älteren Redaktion des georg. Barlaam-Romans entgegen, wo es mit der kürzeren Form der Gen.-Pl. Endung, -t, eine genetivische Zusammenrückung mit dem Wort moq̇uare- "Liebhaber" bildet (Balahv.A 7,35-36 {40.}). Auch wenn keine der flankierenden Versionen des Texts an der entsprechenden Stelle etwas Vergleichbares enthält, läßt der gegebene Kontext novag-t-moq̇uare- doch als Bezeichnung eines "Gourmets" interpretieren, was für novag- auf eine Bedeutung wie "Speise, Schmaus" weist (vgl. in diesem Sinne auch Ab.Wb. mit der Bedeutungsangabe "sma-č̣amis moq̇varuli", i.e. "Liebhaber von Speis [und] Trank"). In "aufgelöster" Form begegnet die Verbindung des Gen.Pl. von novag- (-ta-sa) mit moq̇uare- erst wieder im Martyrikon des Bischofs Anṭoni I. aus dem 18. Jh. (197,25 {41.}), wo als Gegensatz zum Zustand eines Hungernden und Dürstenden ebenfalls der eines "Schlemmerers" oder "Speisenliebhabers" gemeint sein dürfte. Während ansonsten weder die Zusammenrückung mit moq̇uare- noch das Simplex novag- selbst in einer vergleichbaren Verwendung belegbar sind, bleibt dieses doch als Grundlage einer Weiterbildung greifbar, die v.a. in der Bibelübersetzung gut bezeugt ist, nämlich

sa-novag-e-:
1. Mit zahlreichen Belegen innerhalb des ATs ist dieser Stamm v.a. als Wiedergabe von gr. ἔδεσμα zu notieren (z.B. Gen. 27,4 MB {53.}), womit ihm eine von seinem präsumptiven Grundwort nur wenig abweichende Bedeutung von "Speise" zukommen dürfte; entsprechend der Bildeweise mit dem Circumfix sa--e- könnte man etwa eine Interpretation als "zur Schlemmerei Gehöriges" vorschlagen. Ohne erkennbares Prinzip schwankt die Schreibung des Wortes zwischen dem hier als Normalform angesetzten sa-novag-e- und den Graphien sa-noag-e- (z.B. Gen. 27,7 B {64.}) und sa-nuag-e- (genauer sa-nowag-e-; z.B. Gen. 27,4 C {53.}), wozu die oben behandelte Ableitung me-noag-e- zu novag- "Musik" zu vergleichen ist.
sa-novag-e- und seine Varianten konkurrieren in dieser Verwendung mit Bildungen wie sa-č̣m-el- (z.B. Gen. 27,4 O {53.}) oder č̣am-ad- (ib. Pl/AKH), die als Ableitungen der Verbalwurzel č̣am- etwa im Sinne von "zu Essendes" aufzufassen sind. Dabei fällt auf, daß die Ošḳi-Bibel als der älteste der in Frage kommenden Textzeugen die Verwendung von sa-novag-e- gerade dann zu vermeiden scheint, wenn im gr. Text ἐδεσμα erscheint; denn das Wort ist auch in dieser Hs. nicht unbekannt. So tritt es zunächst in Tob. 2,2 {42.} an der Stelle von gr. ὄψα (BA) auf (entsprechend auch in der Mcxeta-Bibel), ferner in Gen. 40,17 {48.}, wo die Hs. durch q̇ovl-is-a-gan sa-novag-is-a, romelsa č̣amn, wtl. "von aller Speise, die er zu essen pflegte", das einfache gr. πάντων τῶν γενῶν, ὧν .. ἐσϑίει wiedergibt (entsprechend auch M sowie das Pariser Lektionar). Aus der armen. Bibel ist dieses Sonderverhalten nicht zu begründen, da hier sowohl ὄψα in Tob. 2,2 als auch ἔδεσμα an den genannten Stellen durch xortik "Speise" übersetzt sind; möglicherweise ergibt sich aber eine innergeorg. Erklärung (s. dazu weiter unten).
Der hier vorgestellten Verwendung von sa-novag-e- gesellt sich aus der Bibelübersetzung noch 3.Kön. 10,4-5 {62.} zu, wo die Mcxeta-Bibel das Wort (in der Form sa-noag-e) zur Wiedergabe von gr. βρῶμα benutzt, sowie Jud. 12,1 {65.}, wo es dem gr. ὀψοποιήματα gegenübersteht; auch hier hat die armen. Bibel wieder xortik. In den gleichen Zusammenhang gehört ferner Spr.Sal. 17,1 {58.}, wo die Mcxeta-Bibel durch sa-novag-e-(-ta) pauschal die gr. πολλὰ ἀγαϑὰ καὶ ἀδικὰ ϑύματα wiedergibt; der armen. Text spricht hier genauer von "Opfern und Gütern" (zenleōkՙ ew bareōkՙ). Mit derselben Verwendung ist sa-novag-e- ferner aus zahlreichen hagiographischen und homiletischen Werken zu belegen wie z.B. der Vita des hl. Grigor von Xanʒta (296,24 {45.}: sa-novag-e; 254,38 {51.}: sa-novag-it-a); eine armen. Version steht hier z.B. für das Martyrium des hl. Philektimon (134,25 {46.}) zur Verfügung, wo ebenfalls wieder das Wort xortik erscheint. Dabei ist noch eine weitere graphische Variante des Wortes zu notieren, nämlich die Form sa-nuvag-e-, die innerhalb der Schrift eines Abraham Monachus über das "Mönchtum" in dem Sammelcodex auftritt, den I. Abulaʒe unter dem Titel Mamata Sc̣avlani herausgegeben hat (305,14-15 {66.}); die Vorlage dieses Textes ist nicht bekannt. Bemerkenswert sind darüber hinaus die beiden Belege in den Lehren Basilius des Großen, wo das Wort wieder sa-nuag-e- geschrieben ist, und wo es offensichtlich ein gr. τρυϕή wiedergibt (7,16 u. 13,34 {67.; 68.}).
2. Von der bisherigen Verwendung zu trennen sind die Belege in Ex. 39,17 OBAK {43.}, Ex. 35,16 AK {43a} sowie Jes. 39,2 I {49.}, wo sa-novag-e- gr. σκεύη im Sinne von "Geschirr" zu vertreten scheint. Das übliche Pendant für dieses Wort im Georgischen ist č̣urč̣er- bzw. č̣urč̣el-, das in unterschiedlicher Verteilung auch an diesen drei Stellen auftritt: Während es in Jes. 39,2 OM und Ex. 35,16 BM an der Stelle von sa-novag-e- steht, ist es in Ex. 39,17 OBAK neben demselben zu notieren, wodurch dieses den Stellenwert eines Adjektivs erlangt. Nun läßt sich auf der Grundlage einer Bedeutung "Speise", die oben für das Simplex novag- vorgeschlagen wurde, auch diese Verwendung motivieren; dabei würde die Bildung mit dem Circumfix sa--e- das Speisengeschirr als etwas "zur Speise gehörendes" bezeichnen, was ohne weiteres im Funktionsrahmen des Affixes bleibt. Die so entstehende Mehrdeutigkeit des Wortes sa-novag-e- könnte der Anlaß gewesen sein, warum die unter 1. vorgestellte Verwendung in der Ošḳi-Bibel vermieden wurde. Ein anderer Weg zur Vermeidung der Mehrdeutigkeit manifestiert sich in Ex. 39,17 {43.} in der Textvariante der Mcxeta-Bibel (hier 39,35), wo anstelle von sa-novag-e- eine zusätzlich charakterisierte Bildung erscheint, nämlich

sa-sa-novag-e-:
Diese Bildung ist nicht unmittelbar auf novag- zu beziehen, da es kein "dupliziertes" Präfix sa-sa- gibt, sondern stellt ihrerseits eine Ableitung von sa-novag-e- "Speise" dar, die "zufällig" dasselbe Bildungselement doppelt enthält. Daß der Stamm sa-sa-novag-e- keine Augenblickserfindung eines Abschreibers oder des Redaktors der Mcxeta-Bibel war, erweist sich an einigen weiteren Belegen im Buch Exodus, wo das Wort auch in den anderen verfügbaren Hss. erscheint; dabei tritt es teils mit (z.B. Ex. 38,23 OBAKM {70.}), teils ohne danebenstehendes č̣urč̣er- auf (z.B. Ex. 38,12 AK {69.}). Gemeint ist in allen Fällen "zur Speise gehöriges, sc. Geschirr". Lediglich in Ex. 40,24 OMBPl {72.}, wo das Wort an der Stelle von gr. λυχνία steht, dürfte eine Textverderbnis vorliegen, wobei das zu erwartende und in AK auch vorhandene sa-sa-ntl-e- "Leuchter" zu sa-sa-novag-e- (bzw. der Lesart sa-sa-nuvag-e- in O) entstellt wurde (in der Edition Šaniʒe ist folgerichtig sa-sa-ntl-e- in den Text gesetzt).

Die Frage, wie weit es gerechtfertigt ist, sämtliche hier vorgestellten Wortformen unter einem Lemma zu subsumieren, ist letztlich nur über eine etymologische Untersuchung zu klären. Unter der Bedeutungsangabe "Melodie, Lied; Mal; Becher" wurde arm. nowag zusammen mit dem davon abgeleiteten Verbum nowagem "singen, spielen" erstmalig bei Hübschmann, AG 207, 456. etymologisch behandelt, der das Wort mit npers. nawā "Melodie, Gesang" sowie nawāxtan, Präs. nawāzam "ein Instrument spielen, schlagen, singen, schmeicheln, streicheln, liebkosen" verglich. Hübschmann äußerte jedoch selbst Bedenken gegen die Zusammenstellung, da das armen. Wort "lautlich nicht recht" zu der npers. Form "passt"; arm. nowag setze "ein phl. *nivāg, np. navā ein phl. *navāk (oder *nivāk) voraus". Unberücksichtigt blieb bei Hübschmann die doch beträchtliche Bedeutungsdivergenz, die das armen. Wort allein in der Bibelübersetzung offenbart; die Zusammenstellung mit npers. nawā beschränkt sich in der angegebenen Form zunächst auf die Verwendung im musikalischen Bereich.
Die lautlichen Probleme einer Zusammenführung von arm. nowag mit npers. nawā versuchte R.v. Stackelberg, Beitr. [WZKM 17], 54 f. zu klären, der einen mpers. Vorläufer des Wortes in dem mpers. Text über Xosrow und den Pagen fand. Stackelberg ging von den hier erscheinenden Formen hwnyy՚gyh "Musik" und hwnyy՚kl "Musiker" (§ 60: 28,5 bzw. § 61: 28,8) aus, die er als hunivākīh bzw. hunivākar < *hunivākkar las und als Komposita eines Grundworts nivāk "Laut, Lied, Melodie" mit dem Präfix hu- "gut" interpretierte. Während er auf ein solches mpers. hu-nivāk "direkt np. xunyā `Musik' zurück" führte, sah er in der Ausgangsform *nivāk den unmittelbaren Vorläufer des unkomponierten npers. nawā, das er z.B. aus Vīs u Rāmīn belegen konnte (329,12 Lees = VR 441: 82.,5); dabei sei -a- < -i- entsprechend den bei Hübschmann, Pers.St. 136 f., § 17 behandelten Fällen entstanden.
Durch den Nachweis eines mpers. nw՚g, nw՚k mit der Bedeutung "Lied" sowie von dessen sogd. Äquivalent <nw՚q> in den Turfan-Fragmenten konnte Salemann, Man.St. I, 98 die Identifikation mit arm. nowag und npers. nawā in ein neues Licht rücken, insofern hiermit der von npers. nawā vorausgesetzte miran. Vorläufer selbst greifbar wurde.
Ein weiterer inneriran. Anschluß der als *nivāγ angesetzten parth. Form findet sich dann bei Ghilain, Essai 68, der das Wort als eine mit Präverb ni- versehene Ableitung der Verbalwz. vac- "dire, parler" auffaßte, wobei er die vorausgesetzte verbale Bildung ni-vāž- in dem Präsensstamm nw՚c- der Bedeutung "entonner, parler amicalement" wiederfand. Die Zurückführung des Wortes auf die Verbalwurzel *u̯ak- kann zusätzlich durch npers. āwāz "Lied, Ton, Laut, Stimme" gestützt werden, das bei einer ähnlichen Bedeutung dieselbe Wurzel in Verbindung mit dem Präverb ā- enthalten dürfte (cf. in diesem Sinne bereits Horn, Np. Etym. 13, 54); allerdings setzt diese Form eine andere Stammbildung voraus als *ni-vāk-, da es im Gegensatz zu diesem eine Palatalisierung des Wurzelauslauts zeigt. Für Ghilains Zusammenstellung spricht darüber hinaus auch der bei Henning, Henoch [SPAW 1934], 28, Anm. 7 zitierte Satz aus dem mpers. Fragment M 22 R, in dem hwnyw՚z՚n "Musikanten" und nw՚[g] "Melodie" aufeinanderfolgen (und gleichzeitig in einem Wortspiel mit dem Namen des bibl. Propheten Henoch benutzt sind, dessen Name als hy nwx, wörtlich "Du bist der Uranfang", mißverstanden wurde; cf. in diesem Sinne Henning, ib.).
Aufgrund der in den Turfan-Fragmenten bezeugten Wortform kann arm. nowag in der Bedeutung "Melodie, Lied" also mit Sicherheit als Reflex eines miran. *nivāk gelten. Hübschmanns Bedenken, die sich offenbar v.a. gegen das stammauslautende -g des armen. Wortes richteten, werden durch den Nachweis der sowohl für die mpers. als auch für die parth. Variante des Wortes geltende Graphie nw՚g (cf. Boyce, Word-List 63) mit <g> aufgehoben. Trotz der Schreibung mit <g> in den Turfantexten kann auch die von Ghilain vorgebrachte inneriran. Deutung des Wortes bestehen bleiben, da diese Schreibung wie auch die armen. Entlehnung ohne weiteres die spätere, sasanid. Lautung eines ursprünglichen *ni-u̯āka- repräsentieren kann.
In die damit umrissene iran. Wortsippe wurde nun bei Androniḳašvili, Narḳv. 352 auch das georg. novag- in der Bedeutung "Klang, Melodie" eingereiht. Dabei ließ die Autorin nicht erkennen, ob sie auch das georg. Wort als direkte Entlehnung aus dem Mitteliranischen ansah oder von einer arm. Vermittlung ausging. Diese Frage ist im gegebenen Fall jedoch mit großer Sicherheit zu beantworten. Zunächst ist davon auszugehen, daß die überlieferte arm. Graphie nowag eine Lautung [nəwag] repräsentiert, die gegenüber dem präsumptiven miran. Original durch den Eintritt der Vokalreduktion (-i- > [-ə-]) gekennzeichnet ist. Obwohl nun nicht völlig ausgeschlossen werden kann, daß der vokalische Lautwandel, der von einem mpers. *nivāg zu npers. nawā führte, sich bereits relativ früh vollzogen hat und die georg. Form eine lautliche Zwischenstufe dieses Wandels, etwa *nowāg, vertritt, kann das überlieferte georg. novag- doch bedenkenlos als Reflex eines arm. [nəwag] erklärt werden. Entscheidend für eine Übernahme aus dem Armenischen spricht die Beleglage, die das Wort im Georgischen nur in solchen Texten erscheinen läßt, für die auch sonst eine Abhängigkeit vom Armenischen nachweisbar ist, und die sich im gegebenen Fall durch besonders augenfällige, bis in den syntaktischen Bereich reichende Übereinstimmungen mit den jeweiligen armen. Pendants auszeichnen. Daß georg. novag- in der Bedeutung "Melodie, Lied" nicht direkt auf npers. nawā zu beziehen ist, läßt sich außerdem zumindest für die klassische Zeit an der georg. Übersetzung von Vīs u Rāmīn zeigen, wo dem pers. nawā (VR 441: 82.,5) nicht novag-, sondern qma- "Laut, Stimme" gegenübersteht (249,5 {79.}); das Beispiel zeigt zugleich, daß georg. novag- in der fraglichen Zeit nicht (mehr) gebräuchlich gewesen sein dürfte, was sich mit der Annahme einer textgebundenen Entlehnung aus dem Armenischen ohne weiteres vereinbaren läßt. Georg. novag- "Melodie, Musik" bleibt dabei als ein Beispiel für die Vertretung von arm. [-ə-] durch georg. -o- festzuhalten, die offenbar durch das folgende -u̯- bedingt ist.
Fragwürdig bleibt hingegen der Zusammenhang mit den übrigen Verwendungen von arm. nowag und georg. novag-. Zwar weist npers. nawā eine äußerst umfangreiche Bedeutungspalette auf, die z.B. bei Steingass, Dict. von "a sum of money sent to an invader to save the country from plunder" über "voice, sound, modulation, song" bis hin zu "a son; a grandson" reicht, und die mit "a hop, skip, jump" bzw. "food, sustenance; provisions for a journey" auch für die Nebenbedeutung "Mal" von arm. nowag und für georg. novag- "Speise" und seine Ableitungen eine Vergleichsbasis abgeben kann. Aufgrund der für nawā "Melodie" vorgelegten inneriran. Deutung sind diese Nebenbedeutungen jedoch kaum motivierbar. Das Dilemma hat wiederum auch M. Androniḳašvili erkannt, die georg. novag- "Nahrung, Speis und Trank" ("საკვები, სასმელ-საჭმელი") zwar ebenfalls mit npers. nawā verknüpft, gegenüber novag- "Melodie, Ton" jedoch mit einem anderen Etymologie versieht (Narḳv. 352). Allerdings ist das von ihr angesetzte mpers. *nāvak, für das sie eine Bedeutung "Lebensmittel" rekonstruiert ("საარსებო საშუალება": ib. Anm. 2) als Vorläufer eines npers. nawā allein schon in lautlicher Hinsicht mehr als fragwürdig; auch bliebe offen, wie eine solche Form mit einer Bedeutung "Lebensmittel" inneriran. motiviert werden könnte. Sollte sich Androniḳašvili von arm. nawak haben leiten lassen, das neben der etymologisch berechtigten Ausgangsbedeutung "Schiffchen" (< miran. *nāvak) auch eine Verwendung im Sinne von "Kelch" kannte und sich so mit nowag in seiner Nebenbedeutung "Becher" traf (cf. Ven.Wb. s.vv. sowie Ačar̄yan, AEW 3, 468)? Auch wenn man annimmt, daß die Autorin anstelle von *nāvak (so dreimal l.c.) eine Form *navāk gemeint hat, wird das Problem nicht gelöst, da eine solche Form allenfalls als Weiterbildung von *nau̯a- "neu" in Betracht käme (vgl. das bei Boyce, Word-List 63 erfaßte parth.T nw՚g "new" neben mpers.T nwg "id.") und somit semantisch weit entfernt bliebe5.
Erwägenswert bleibt hingegen eine Verbindung mit dem arm. nowag in der Bedeutung "Becher", das natürlich von nawak "Schiffchen" zu trennen ist. Tatsächlich ist für nowag im Ven.Wb. neben "calyx, poculum" auch eine Nebenbedeutung "potus, potio, potatio, convivium" verzeichnet, die georg. novag- im Sinne von "(Trink-)Gelage" nahekommen würde; allerdings würde es übereinstimmender Belege bedürfen, um eine Identifikation beider zu untermauern. Für die etymologische Einordnung müßte man sich auch in diesem Fall mit dem Hinweis auf npers. nawā begnügen6.
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