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Dies ist eine Internet-Sonderausgabe des Buches
"Iranica Armeno-Iberica.
Studien zu den iranischen Lehnwörtern im Armenischen und Georgischen [Bd. 1]"
von Jost Gippert (1990).
Sie sollte nicht zitiert werden. Zitate sind der Originalausgabe, veröffentlicht als
"Österreichische Akademie der Wissenschaften,
philosophisch-historische Klasse,
Sitzungsbericht, 606. Band" /
"Veröffentlichungen der Kommission für Iranistik, Nr. 26",
Wien 1993,
zu entnehmen.

Attention!
This is a special internet edition of the book
"Iranica Armeno-Iberica.
Studien zu den iranischen Lehnwörtern im Armenischen und Georgischen [Bd. 1]"
by Jost Gippert (1990).
It should not be quoted as such. For quotations, please refer to the original edition, published as
"Österreichische Akademie der Wissenschaften,
philosophisch-historische Klasse,
Sitzungsbericht, 606. Band" /
"Veröffentlichungen der Kommission für Iranistik, Nr. 26",
Wien 1993.



Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved:
Jost Gippert, Frankfurt 2002.

Jost Gippert



Iranica

Armeno-Iberica



Studien zu den
iranischen Lehnwörtern
im Armenischen und Georgischen






ḳaran-:

1. Das Wort bedeutet einmal etwa "Führer" im apokryphen (dritten) Buch Esra (Zorobabel) in der Ošḳi-Hs. (3.Esr. 6,7-8 {13.}: ni-); dabei deckt sich die kopulative Verbindung ḳaranni da mtavarni, wtl. etwa "Führer und Oberhäupter", genau mit der Fügung gorcakalkՙ ew glxaworkՙ in der armen. Bibel und steht zusammen mit dieser dem einfachen ἡγεμόνες der Septuaginta gegenüber. Dieses wird in der AT-Übersetzung ansonsten meist durch einfaches mtavar- wiedergegeben, während die armen. Bibel teils išxan (z.B. Gen. 36,15 ff. {24.}), teils zōrawar hat (z.B. Jer. 38,17 ff. {25.}); seltener bietet der georg. Text c̣inamʒġuar- "Anführer" (entsprechend arm. ar̄aǰnord in Ps. 54,14 {26.} sowie 67,28 {27.}) oder eris-tav-, wtl. "Volks-Haupt" (Od. 1,15 ≈ Ex. 15,15 {28.} gegenüber arm. datawor-kՙ). An den beiden letztgenannten Stellen steht mtavar-ni, arm. išxankՙ für gr. ἄρχοντες daneben, das selbst ebenfalls einmal durch ḳaran- übersetzt ist (s.u. 3.). Bemerkenswert ist auch die Wiedergabe von ἡγεμών in den beiden Redaktionen der NT-Übersetzung: Während die "Protovulgata" auch hier regelmäßig mtavar- hat, überwiegen in der Adiši-Hs. die beiden Termini bč̣e- (z.B. Mt. 27,2 {29.}) und msaǯul- (z.B. Mt. 10,18 {30.}), die gemeinhin soviel wie "Gericht" bzw. "Richter" bedeuten; die Verteilung zwischen ihnen ist so geregelt, daß das letztere meist den Plural vertritt (s. dazu weiter unter 5.). — Für die hier interessierende Stelle in 3.Esr. ist festzuhalten, daß ḳaran- nicht als unmittelbare Entsprechung von gr. ἡγεμών gelten kann, obwohl damit der Gebrauch der Ableitung sa-ḳarno- für gr. ἡγεμονία in Sir. übereinstimmen würde (s.u.); vielmehr ist das Wort hier ebenso wie arm. gorcakal zunächst als "überzählig" anzusehen.
2. Im selben Esra-Buch scheint ḳaran- einmal auch gr. οἰκονόμος in der Bedeutung "Verwalter" wiederzugeben (3.Esr. 8,64 {15.}: -ta). Auch hier hat der armen. Text wieder gorcakal, und auch hier stehen sich die georg. und die armen. Vs. wieder weitaus näher als der Septuaginta, insofern sie statt von den zwei Beamtenkategorien τοῖς βασιλικοῖς οἰκονόμοις καὶ τοῖς ἐπάρχοις von dreien sprechen; dies sind im georg. Text ḳaranta mat mepisata da mplobelta da soplis-mṗq̇robelta, im arm. gorcakalkՙ tՙagaworin ew išxankՙ ew gawar̄apetkՙ.
Die Kombination der beiden letzteren Titel begegnet in der georg. Bibel nun noch drei weitere Male im selben Buch (und nur hier), nämlich in 3.Esr. 3,14 {38.}, 4,47 {36.} und 49 {37.}. Dabei übersetzt in den beiden letztgenannten Belegen soplis-mṗq̇robel- selbst gr. οἰκονόμος, während mplobel- τοπάρχης wiedergibt; in 3,14 steht soplis-mṗq̇robel- für gr. τοπάρχης, mplobel- hingegen für ὕπατος. Die armen. Bibel hat in 4,47 und 49 wieder gawar̄apet an der Stelle von soplis-mṗq̇robel-, für mplobel- jedoch tełakal; dieses steht in 3,14 für τοπάρχης, während für ὕπατος hier išxan gebraucht ist. Der Übersichtlichkeit halber sei der Befund noch einmal tabellarisch aufgelistet:


 1.3.Esr.  οἰκόνομος  τοπάρχης  ὕπατος
   georg.  armen.  georg.  armen.  georg.  armen.
 4,47:  soplis-mṗq̇robel-  gawar̄apet  mplobel-  tełakal    
 4,49:  soplis-mṗq̇robel-  gawar̄apet  mplobel-  tełakal    
 3,14:      soplis-mṗq̇robel-  tełakal  mplobel-  išxan

Zu berücksichtigen ist nun weiter der in 8,64 {15.} erscheinende gr. Terminus ἔπαρχος. Dieser Titel, der innerhalb der Septuaginta ausschließlich in den zwei Esra-Büchern belegt ist, wird in der armen. und georg. Bibel völlig regelmäßig durch išxan bzw. mtavar- wiedergegeben wie z.B. in 3.Esr. 6,3 {39.}; beide Versionen stimmen auch darin überein, daß in 3.Esr. 6,17 {40.} die Entsprechung von τῶ ἐπάρχῳ fehlt. Für die hier zu behandelnde Stelle (8,64 {15.}) führt dies zunächst zu der Annahme, daß in der gemeinsamen Vorlage des armen. und des georg. Texts die Termini οἰκονόμος und ἔπαρχος in umgekehrter Reihenfolge standen und der erstere wie üblich durch gawar̄apet bzw. soplis-mṗq̇robel- übersetzt wurde; der zweite wäre im Armenischen ebenfalls regulär wiedergegeben, nämlich durch išxan, während im Georgischen unter dem Einfluß der o.g. Parallelstellen, möglicherweise aber auch durch eine Verwechslung von gr. ἔπαρχος und τοπάρχης das "Pendant" zu soplis-mṗq̇robel-, nämlich mplobel- in den Text geraten wäre. Damit fällt jedoch gerade ḳaran-, als der dritte der drei verwandten Termini, auch hier wieder als "überzählig" aus; das gleiche gilt für das gorcakal des armen. Textes.
Es fragt sich also, ob es sich eventuell in beiden Fällen um in den Text geratene Glossen bzw. durch Glossen duplizierte Wörter handelt, die aus einer gemeinsamen Vorlage des armen. und georg. Texts stammen. In diese Richtung weist zunächst ein weiterer Beleg für armen. gorcakal im AT, wo dieses selbst gr. τοπάρχης übersetzt (Gen. 41,34 {41.}; die georg. Bibel hat hier adgilta mtavar-ni, wtl. "Oberhäupter der Orte", was natürlich eine genaue Wiedergabe des gr. Wortes ist). Dies ist zwar der einzige Beleg, wo gorcakal für gr. τοπάρχης steht, da dieses normalerweise durch tełakal (wie in 3.Esr. 3,2 [etełakal]; 4,47; 49, s.o.) oder aber durch kowsakal übersetzt ist (wie in Dan. 3,2 {42.}). Dennoch ergibt sich damit für die oben behandelte Stelle (3.Esr. 8,64 {15.}) die Möglichkeit, ḳaran- und gorcakal als ursprüngliche Vertreter eines gr. τοπάρχης aufzufassen, das anstelle von ἔπαρχος bereits in einer gemeinsamen Vorlage zu lesen gewesen wäre; das cՙ-išxans der Zohrab-Bibel würde dann auf einer sekundären Korrektur nach dem gr. ἔπαρχος beruhen.
Außerdem läßt sich so wahrscheinlich machen, daß in 4.Kön. 18,24 {17.} das nur hier überlieferte uḳantagan- der Mcxeta-Bibel aus ursprünglichem *ḳaran-ta-gan- "einer von den ḳ.s" entstellt ist, da dieses offenbar für gr. τοπάρχης, arm. kowsakal steht. Das würde bedeuten, daß es sich bei uḳantagan- um ein ghost word handelt; vgl. dazu Ab.Wb., wo ein Lemma uḳuanagan-i, wtl. etwa "einer der hinteren", mit dieser Stellenangabe angeführt wird, die allerdings im Manuskript des Wörterbuchs lediglich als Bleistiftnotiz eingetragen sein soll (422, Anm. *).

Ein Zusammenhang von ḳaran- und gorcakal läßt sich auch dadurch wahrscheinlich machen, daß in der oben zuerst behandelten Stelle (3.Esr. 6,7 {13.}) die Mcxeta-Bibel das ḳaran-ni der älteren Übersetzung durch mo-sakme-ni, wtl. etwa "das Geschäft Ausführende", ersetzt hat. Daß hier eine Ableitung von sakme- "Geschäft, Arbeit, Werk" erscheint, ist am ehesten motivierbar, wenn man einen Einfluß des arm. gorcakal annimmt, das ja ohne weiteres als Ableitung von gorc "Werk" deutbar war. In die gleiche Richtung weist auch 3.Esr. 6,26 O {44.}, wo dem Abstraktum des armen. Wortes, gorcakalowtՙiwn, georg. sakme-ni "(Amts-)Geschäfte" (Nom.pl.) entspricht (gegenüber gr. τοῖς .. ἡγεμόσιν der LXX). Unter diesem Aspekt ist auch die Glossierung von ḳaran- in Sabas Lexikon zu sehen; s. dazu weiter unten. — Keinen Aufschluß über den Zusammenhang zwischen georg. ḳaran- und arm. gorcakal geben die übrigen Belegstellen des armen. Wortes in der Bibel, wo dieses einmal gr. ὁ τῶν ἐξουσίων (Dan. 3,2 {42.}), einmal καϑεστάμενος wiedergibt (3.Kön. 4,7 {43.}); die georg. Vs. hat hier qelmc̣ipe- "Herrscher" bzw. mbrʒanebel- "Befehlshaber" (gorcakal erscheint außerdem noch in 3.Kön. 4,27, das in der Septuaginta wie in der georg. Mcxeta-Bibel fehlt).
3. Einmal bedeutet ḳaran- etwa "Anführer" als Wiedergabe von gr. ἄρχων in dem (unedierten) Buch Esther der Ošḳi-Bibel (1,3 {18.}: -eb-i). Das in der Septuaginta überaus häufige ἄρχων wird ansonsten völlig regelmäßig durch mtavar- "Oberhaupt" (und arm. išxan "Herr") übersetzt wie an derselben Stelle in der Mcxeta-Hs. oder z.B. in Gen. 12,15 {46.}; nur ausnahmsweise weist die Mcxeta-Bibel andere Entsprechungen auf wie z.B. tavad- (Esth. 1,11 {47.}), das sonst normalerweise "selbst" bedeutet, oder sṗasṗeṭ-, wtl. "Heerführer" (3.Kön. 1,19; 25). Auch in der NT-Übersetzung ist mtavar- die regelmäßige Wiedergabe von ἄρχων; lediglich in Lk. 23,13 {48.} erscheint in der Protovulgata statt dessen mc̣ignobar- "Schriftgelehrter", was offenbar unter dem Einfluß des unmittelbar vorausgehenden (und auch sonst häufigen) ἀρχιερεῖς καὶ γραμματεῖς in 23,10 {48a} zu sehen ist. — Für den hier interessierenden Beleg aus Esther (1,3 {18.}) ist noch darauf hinzuweisen, daß weder die Ošḳi-Bibel mit ḳaranebi soplebisay noch die Mcxeta-Hs. mit mtavarta soplebisata das griech. ἄρχουσιν τῶν σατραπῶν genau wiedergibt, insofern sopel- gemeinhin nicht σατράπης, sondern χώρα übersetzt wie z.B. in Esth. 3,12 {55.}. Hier dürfte eine Verwechslung von σατράπης und σατραπεία vorliegen, die auch sonst belegbar ist (z.B. Esth. 8,9 {50.}), und die dadurch begünstigt sein dürfte, daß σατράπης ansonsten meist selbst durch mtavar- wiedergegeben ist wie z.B. in Dan. 6,6 {49.}; auf andere Weise ist der Konflikt in Dan. 2,48 vermieden worden, wo ἄρχοντα σατραπῶν durch mtavrad naxṗeṭta wiedergegeben ist (s. dazu weiter unter naxṗeṭ-, 2 {12.}). Vgl. zu diesem Themenkomplex weiter die Ausführungen zu der Ableitung sa-ḳaran-o- (s.u.).
4. Kein eigentlicher Beleg für das Appellativum ḳaran- ist Gen. 14,5 O {11.}, wo die Ortsangabe ἐν Ασταρωϑ Καρναιν (hebr. בְּעַשְׁתְּרֹת קַרְנַיִם bə-ՙaštərōṯ qarnayīm) mit asṭarots šina ḳaran-isa-sa, wtl. "in (dem) Asṭarot des ḳaran-s" wiedergegeben ist; die Mcxeta-Bibel hat statt dessen das zu erwartende appositive asṭarots šina, ḳarnains "in A., in Ḳarnain" und entspricht damit dem armen. Text (yastarovtՙ kar̄nayim). Dennoch ist die syntaktische Umdeutung, die der Fügung in der Ošḳi-Bibel zugrunde liegt, offenbar von dem Appellativum ḳaran- beeinflußt worden; sie liefert somit einen weiteren Hinweis auf den Status des Wortes zur Zeit der AT-Übersetzung.

5. Außerhalb der Bibelübersetzung begegnet ḳaran- in einigen apokryphen und hagiographischen Texten, die mehr oder weniger sicher aus dem Armenischen übersetzt sind, wie z.B. das Nikodemus-Evangelium (Gesta Pil.) oder die Martyrien des hl. Theodor (s. dazu auch unter azraṗeṭ-), der hll. Eubulus und Malcamon oder der hll. Cosmas und Damian. Dabei läßt sich deutlich belegen, daß ḳaran- hier weitgehend synonym mit den Wörtern msaǯul- und bč̣e- gebraucht ist, die üblicherweise "Richter" oder "Gericht" bedeuten; man vgl. z.B. in der Pilatuslegende die beiden direkt aufeinanderfolgenden Passagen 38,22 {2.} und 39,3 {2a}, wo Pontius Pilatus erst als ḳaran-, dann als msaǯul- bezeichnet wird, oder die Titulierung eines gewissen Maximus im Martyrium der hll. Eubulus und Malcamon, die zwischen ḳaran- (89,1 {3.}: -sa), bč̣e- (97,1 {3a}) und msaǯul- schwankt (97,10 {3b}). Die Texte stellen sich damit in engeren Zusammenhang mit dem Tetraevangelium der Adiši-Hs., wo die Funktion des Pontius Pilatus, die auf gr. mit ἡγεμών benannt ist, meist durch bč̣e- (z.B. Mt. 27,2 {29.}), seltener durch msaǯul- wiedergegeben wird (z.B. Mt. 27,21 {31.}; vgl. dazu bereits oben unter 1.). Die Adiši-Hs. deckt sich dabei genau mit dem armen. NT, wo der Terminus datawor gebraucht ist, der sonst ebenfalls "Richter" bedeutet; die Redaktion der georg. "Protovulgata", die statt dessen mtavar- hat, steht hingegen dem gr. ἡγεμών näher. Um dieselbe Funktion eines "Statthalters, der auch die oberste Richtergewalt hat", wie bei Pontius Pilatus geht es in den meisten der hier interessierenden hagiographischen Texte (z.B. Mart. Cosm.Dam. 52,13 {7.}). Das gilt auch für die Theodor-Legende, wo sich der georg. Wortlaut im Gebrauch von ḳaran- wieder weitgehend mit dem der armen. Version deckt, die zumeist datawor verwendet, während in der griech. Vs. ausnahmslos τύραννος erscheint. Dabei ist vor allem der dritte Beleg (44,5 {14.}: -ni) bemerkenswert, bei dem es sich um ein fast wörtliches Zitat aus Spr.Sal. 8,15 f. {14a} handelt; der georg. Bibeltext, der nur nach der Mcxeta-Hs. ediert vorliegt, hat für gr. τύραννος hier wie auch sonst meist mʒlavr- "Mächtiger, Gewaltherrscher" (Ableitung von ʒal- "Kraft"), während die armen. Bibel das Wort bowr̄n "id." verwendet. — Diese Belege leiten über zu dem Gebrauch der Ableitung

sa-ḳarn-o-:
Dieses Wort bedeutet zweimal etwa "Herrschaft" als Entsprechung von gr. ἡγεμονία im (unedierten) apokryphen Buch Sirach der Ošḳi-Bibel (7,4 {22.} und 10,1 {23.}). Für das in AT und NT seltene ἡγεμονία tritt einmal die genau entsprechende Ableitung sa-mtavr-o- von mtavar- "Oberhaupt" auf (Gen. 36,30 {32.}), einmal eine andere Ableitung desselben Wortes, nämlich mtavr-ob-a- (Num. 1,52 {33.}; vgl. ḳaran-, 1.); einmal ist ganc̣eseba-, wtl. etwa "Festsetzung, Regelung", zu verzeichnen (Num. 2,17 {34.}). An der einzigen Belegstelle im NT, Lk. 3,1 {35.}, hat mit upleba-sa "Herrschaft" nur die Adiši-Hs. eine Entsprechung für das gr. Wort, in DE fehlt sie. Auch in der armen. Bibel ist der Befund uneinheitlich: hier begegnen petowtՙiwn "Herrschaft" (Gen. 36,30 {32.}; Num. 2,17 {34.}), nahapetowtՙiwn "Vorherrschaft" (Num. 1,52 {33.}) und tērowtՙiwn "Herrschaft" (Lk. 3,1 {35.}). — Weniger klar ist die Verwendung der lautlichen Variante

sa-ḳaran-o-:
Diese Bildung wird bei Ab.Wb. mit mehreren Belegen aus dem (unedierten) Buch Esther der Ošḳi-Bibel angeführt. Dabei ist sie an der ersten Stelle (1,1 {20.}) als Substantiv im (endungslosen !) Nom. mit dem Gen.-Attribut soplebisay aufzufassen: "Ihm waren untertan .. die 127 s. der `Gebiete'"; an der zweiten Stelle (16,1 {21.}) kann sa-ḳaran-o-ta entweder attributives Adjektiv zu übergeordnetem mtavar-ta oder von diesem abhängiges, vorangestelltes Attribut im Gen.Pl. sein: "(Brief des Königs) an die 127 s. Befehlshaber und die Statthalter" oder "(..) an die Befehlshaber der 127 s. und die Statthalter". Gemeint sind an beiden Stellen die (127) Satrapien, über die der Achämenidenkönig Artaxerxes "von Indien bis Äthiopien" herrschte, oder eben ihre Verwalter. Weder der gr. noch der armen. Text gibt Aufschluß darüber, welches Wort nun genau durch sa-ḳaran-o- wiedergegeben wird: In Esth. 1,1 (= 1,1s LXX) ist lediglich von den 127 χωρῶν bzw. gawar̄, i.e. "Gebieten" die Rede, in der Passage 16,1 = 8,12b spricht die Septuaginta von 127 σατραπείαις χωρῶν ἄρχουσι, während in der armen. Bibel von 127 gawar̄acՙ, naxaracՙd ew išxanacՙd ("den 127 Gebieten, den Befehlshabern und Herrschenden") die Rede ist.
Keinen direkten Hinweis gibt auch der edierte georg. Esther-Text aus der Mcxeta-Bibel: Im ersten Falle erscheint hier, wie auch sonst meist, einfaches sopel-i "Gebiet" als Wiedergabe des gr. χώρα, an der zweiten Stelle ist mit sopel-ta offenbar ebenfalls wieder gr. χωρῶν übersetzt, wobei aber eine Entsprechung von σατραπείαις fehlt. Mit einer eng benachbarten Stelle im selben Buch (Esth. 8,9 {50.}) liefert die Mcxeta-Bibel aber dennoch einen Hinweis darauf, daß mit sa-ḳaran-o- in beiden Fällen eine Wiedergabe von gr. σατραπεία beabsichtigt gewesen sein dürfte: Das griech. 127 σατραπείαις κατὰ χώραν καὶ χώραν ist hier mit samtavrota soplad da soplad übersetzt, wobei sa-mtavr-o- ebenso als Alternative zu sa-ḳaran-o- anzusehen ist wie oben zu sa-ḳarn-o-. In der gleichen Funktion tritt sa-mtavr-o- in der Mcxeta-Hs. auch noch ein zweites Mal auf, nämlich in Ri. 3,3 ({51.}, woe es ebenfalls gr. σατραπείας gegenübersteht. Eine andere Bildung hat die Hs., wiederum für dat. σατραπείαις, in Jos. 13,3 {52.} mit sa-naxṗeṭ-o-ta, der entsprechenden Ableitung von naxṗeṭ- "Anführer" (s. dazu weiter unter nax(a)ṗeṭ-). Daß in 3.Esr. 3,2 {53.} sowohl die Ošḳi- als auch die Mcxeta-Bibel σατραπείαις mit mtavr-eb-i "Oberhäupter" übersetzen, spricht nicht gegen die hier vorgeschlagene Interpretation, da es sich offensichtlich wieder um eine Verwechslung von σατραπεία und σατράπης handelt, die an dieser Stelle auch in der armen. Bibel vorliegt (naxararkՙ "Befehlshaber"): Auch wenn an der gleichen Stelle σατράπαις durch upl-eb-sa "Herren" wiedergegeben ist, ist mtavar- doch die häufigste Entsprechung des gr. Wortes in der georg. Bibel wie z.B. in 3.Esr. 3,21 {54.}.

Insgesamt läßt sich der Befund dahingehend deuten, daß ḳaran- bereits z.Zt. der älteren AT-Übersetzung ein obsoletes oder dialektal fixiertes Wort gewesen ist; als adäquate Bedeutungsangabe kommt am ehesten "Statthalter" in Frage. Etymologisch ist ḳaran- zuerst bei Marr, Dej.Pil. [ZVO 17], 026 behandelt worden, der es aus einer rekonstruierten armen. Vorform herleitete und dafür die folgende Proportion aufstellte: Ein armen. *karan verhalte sich so zu dem armen. Verb karem "fähig, mächtig sein, vermögen" wie išxan "Herr" zu išxem "können"; *karan sei deshalb ursprünglich eine "Partizipialform" ("причастная форма") zu karem "могу, я властенъ", seine eigentliche georg. Entsprechung sei qelmc̣ipe-, das als Partizip zu qelc̣ipebis "можетъ, онъ властенъ" gehöre und als äquivalente Bezeichnung der Funktion des Pontius Pilatus z.B. in dem Apokryphon des Joseph v. Arimathia über den "Bau der ersten Kirche in Lydda" erscheine (26,1.-2. {45.}).
Das so angesetzte arm. *karan fand Marr in dem Beinamen eines Fürsten wieder, der in den Formen Gig Daštkarin, Gig Daštkaren oder Gigoy Daštkarani (Gen.Sg.) im Girkՙ Tՙłtՙocՙ (z.B. 149,1-4 {57.}) und den damit parallel laufenden Passagen aus der Historiographie des Uxtanes erwähnt wird (Uxt. 57,1-4 {57.}; 95,1-4 {61.} sowie 64,5-9 {59.}); dort (64,6) sei auch die archaische Variante Daštakaran bezeugt, der ein noch älteres *Daštu karan vorausgehe. Zu vergleichen sei ferner der bei Sebēos (48.: 166,4-8 {62.}) genannte Varaz Nerseh Daštkarin. Als Bedeutung des Epithets schlug Marr "Herrscher von Dašt" ("правитель Дашта") vor. Gleichzeitig wandte er sich aufgrund seiner arm. Parallelen gegen die Gleichsetzung von georg. ḳarani mit mosakmeni, wtl. "Geschäftsträger" (Pl.), bei Saba, der sich irrig an pers. kār anlehne.
Zumindest gegen Marrs Analyse für das Epithet Daštakaran sind nun erhebliche Bedenken angebracht. Zieht man sämtliche Belegstellen des Wortes zurate, so drängt sich nämlich der Verdacht auf, daß es sich nicht um einen Titel handelt, wie Marr meinte, sondern vielmehr um einen Ortsnamen. Am deutlichsten zeigt sich das in Girkՙ tՙłtՙocՙ 42,10-18 {56.}, wo ein Varaznerseh Daštakarani tēr in einer Auflistung von Personen erscheint, deren Namen größtenteils dem Schema PN (Nom.Sg.) – ON (Gen.Sg.) – Titel (Nom.Sg. in Apposition) unterliegen: Der Varaznerseh Daštakarani tēr ist demnach als "V., Herrscher (tēr) von Daštakaran (Gen.Sg.)" aufzufassen; sein Name entspricht genau z.B. dem eines Artašir Siwneacՙ tēr, i.e. "A., Herrscher von (der Provinz) Siwnikՙ". Die Interpretation von Daštakarani als genetivischem Attribut gestatten auch die Stellen 149,1-4 {57.}, 151,8-12 {59.} und 170,1-4 {61.}, obwohl dabei tēr als Bezugswort fehlt; hier kann Daštakarani aber — als nachgestelltes Genetiv-Attribut — direkt auf den vorangehenden PN, Gig, bezogen sein ("G. `von' oder `aus' D."). Daß der Name Gig an allen drei Stellen selbst im Genetiv steht (Giga[y]), hat die Interpretation von Daštakarani als Apposition, die Marr offenbar ausschließlich in Betracht zog, begünstigt1. Fraglich bleibt bei der hier vorgetragenen Deutung allenfalls der Stellenwert der graphischen Varianten Daštkarin und Daštkaren (Girkՙ 150,1-3 ≈ Uxt. 33.: 58,1-3 {58.}; Sebēos 48.: 166,4-8 {62.}). Hierzu ist zu erwägen, ob es sich eventuell um adjektivische Bildungen handeln könnte, die dem genetiv. Daštakarani gleichwertig gewesen wären ("daštakaranisch" ≈ "aus D."). Eine solche Adjektivbildung kann hier zwar nicht weiter begründet werden, ließe sich aber z.B. unter dem Eindruck der Varianten, in denen in armen. Quellen der Name des iran. (parth.) Herrscherhauses der Kārin auftritt, rechtfertigen2. Angesichts von weiter abliegenden Namensvarianten wie z.B. Daštkani (Uxt. ib.) fragt sich allerdings, ob die Belegmasse für die Postulierung eines Adjektivstammes auf -in- bzw. -en- überhaupt zuverlässig genug ist.
Eine andere Etymologie für georg. ḳaran- schlug C. Kurciḳiʒe vor, die das Wort nach ausführlicher Behandlung mit altgr. κάρανος in Verbindung brachte (ḳarani [Xeln.I.M. 5], 17-21; s. auch Aleksiʒe, Episṭ.c̣igni, 149). Angesichts der Bezeugungslage des gr. Wortes hat diese Herleitung jedoch nur geringe Wahrscheinlichkeit für sich. Als Appellativ in der Bedeutung "Anführer" o.ä. ist κάρανος mit Sicherheit nur in Xen. Hist.Gr. 1,4,3 {63.} zu belegen, wo das Wort als Epithet Kyros des Jüngeren in einem Brief gebraucht ist3. Die Tatsache, daß Xenophon es für nötig hielt, κάρανον durch κύριον (beides Akk.Sg.) zu glossieren, weist das Wort eindeutig als fremd aus. Da es sich um das Epithet eines Persers handelt, könnte man nun meinen, daß κάρανος die griech. Wiedergabe eines iran. Terminus sei. Eine bessere Lösung ergibt sich jedoch daraus, daß der Brief im Umfeld der mit Kyros verbündeten Lakedaimonier angesiedelt werden kann: κάρανος könnte dem dorischen Dialekt zugehören, wo es formal als Rückbildung von einer dem hom. Pl. κάρηνα "Köpfe" entprechenden Form ohne weiteres begründbar ist (in diesem Sinne bereits Frisk, GEW s.v.).
Daß κάρανος innerhalb des Griechischen dialektal, und zwar außerhalb der Koine fixiert war, legt auch der mehrfach bei Arrian, Anab. bezeugte PN Κάρανος nahe. Dabei handelt es sich um einen Soldatenführer, der von Alexander zunächst zusammen mit ᾽Αρταβάζος "dem Perser" und einem gewissen ᾽Εριγύϊος gegen den aufständischen Satibarzanes ausgesandt wird; Erigyios und Karanos werden als Angehörige der Reitergarde (ἕταιροι) bezeichnet (III, 28,2-3 {64.}). Die gleiche Episode wird auch bei Curtius (VII,3,2-3) erwähnt, wo den Beteiligten noch ein Andronicus hinzugefügt ist. Später wird Κάρανος von Alexander zusammen mit einem ᾽Aνδρόμαχος und einem Mενέδημος gegen den Skythen Σπιταμένης ausgesendet (Arrian IV, 3,7 ff. {65.}). Aus dem Kontext ergibt sich eindeutig, daß Alexanders Κάρανος ein Makedonier gewesen ist (IV, 5,7 f. {65a}); sein Name braucht also keine koinegriech. Lautung aufzuweisen4.
Für das Georgische erhebt sich nun die Frage, ob es wahrscheinlich zu machen ist, daß die Sprache altgriech. Lehnwörter von außerhalb der Koine aufgenommen haben kann. Abgesehen davon, daß ḳaran- vermutlich das erste und bisher einzige altgeorg. Wort ist, für das eine solche Annahme erforderlich wäre, ist zu bedenken, daß das Appellativum κάρανος offenbar ausschließlich im dorischen Bereich zu belegen ist, mit dem das Georgische zu keiner Zeit in direkte Berührung gekommen sein dürfte. Die von Kurciḳiʒe, l.c. (21) herangezogene Hypothese, das Wort könnte als "militärischer Terminus" (samxedro ṭermini) gerade während des von Xenophon beschriebenen Kyrosfeldzugs beim Durchschreiten kartvel. Siedlungsgebiete übernommen worden sein, bleibt unbeweisbar.

Unter dem Aspekt der oben aufgezeigten engen Verbindung zwischen ḳaran- und arm. gorcakal ist nun zu überlegen, ob nicht doch im Sinne der Glossierung in Sabas Lexikon ein Anschluß an npers. kār "Werk, Tat" gesucht werden sollte. Von besonderer Bedeutung ist dabei das npers. kārdār "Minister" (Steingass, Dict. 1002: "busy, occupied; a money-maker; one in office, a prime-minister"; Wolff, Šn.-Gl. 626 "Beamter, Minister" mit Belegen), das von Nöldeke (apud Horn, Np.Etym. 185, 834.) zu apers. kāra- "Heer" gestellt wurde. Da arm. gorcakal als Kompositum sicher in die Bestandteile gorc- und -kal zerfällt, deren erster "Werk" bedeutet und deren zweiter zu der Verbalwz. kal- "(er-)halten" (Suppletivwz. für den Aorist von ownim "haben") gehört, drängt sich eine identische Analyse von npers. kārdār auf: Danach wäre das Vorderglied doch mit kār "Werk" identisch und das Hinterglied zu dāram "halten" zu stellen. Eine mpers. Vorform von kārdār ist zwar bisher nur als EN sicher nachweisbar (Christensen, Empire 26 nach Tabarī)5; dennoch kann die Bildung eines *kārdār "Geschäftsträger" auch schon in miran. Zeit vor sich gegangen sein. Wenn andere alte Komposita mit dem Hinterglied *-dār/-δār dieses im Neupersischen in der Form -yār zeigen wie z.B. šahryār "Herrscher" < *šahr-δār (Wolff, Šn.-Gl. 581 ff. mit Belegen) oder dastyār "Helfer" < *dastdār (vgl. Müller, Mitth. [WZKM 8], 275), so kann das -dār in npers. kārdār doch jederzeit aufgrund der etymologischen Durchsichtigkeit restituiert worden sein (vgl. dazu etwa mpers. apēdagdār "custodian of stray animals" bei MacKenzie, Dict.).
Es fragt sich nun, ob eine solche Bildung auch dem georg. ḳaran- zugrunde liegen kann. Wenn man ḳaran- direkt auf ein miran. *kār(a)-δār zurückführen will, müßte man einerseits eine Vertretung von -δ- durch -r- annehmen, wie sie z.B. auch in arm. naxarar vorliegen dürfte (s. dazu weiter unter naxarar-); dies würde auf eine parth. Herkunft weisen. Andrerseits müßte das als Zwischenstufe vorauszusetzende *kararar- die miran. Synkopierung der Mittelsilbe (> *kar(r)ar-) sowie eine Dissimilation der Lautfolge -r--r- > -r--n- erlitten haben. Für beide Annahmen können Parallelen beigebracht werden: Eine völlig identische Struktur liegt zunächst in maran- "Weinhaus" vor, falls sich dieses aus einem älteren *mar(r)an- < miran. *maδ(u)δān herleitet, und die angenommene Dissimilation -r-r- > -r-n- kommt auch für maṭaḳaran- "Oberkoch" sowie das griech. Fremdwort ḳurasṭan- < κρύσταλλος in Betracht (s. dazu weiter unter maṭaḳaran-). Wenn man für die Vertretung eines iran. -d/δ- durch georg. -r- unbedingt ein armen. Zwischenglied annehmen will (cf. in diesem Sinne Bielmeier, Iran.LWW [Fs. Knobloch], 36), so spricht nichts gegen die Annahme, daß ein *kar(r)ar- im älteren Armenischen einmal vorhanden gewesen und durch gorcakal als Lehnübersetzung verdrängt worden sein könnte.
Diese Herleitung ist mit der von Marr vorgeschlagenen natürlich nicht zu vereinbaren. Aber auch die Etymologie Marrs ist nicht völlig von der Hand zu weisen, obwohl sie einiger Korrekturen bedarf. Das betrifft zunächst die Analyse der von Marr als "Partizip" angesehenen Formen auf -an, *karan und išxan, und ihr Verhältnis zu den Verben karem und išxem. Das letztere ist inzwischen mit großer Sicherheit als iran. Lehnwort erkannt worden und zu avest. xšaiia- zu stellen (cf. zuletzt Klingenschmitt, Verbum, 155); auch išxan ist mit iran. Material verknüpft worden (*xšāna-, cf. Benveniste, Titres [RÉA 9], 8), kann dabei jedoch keinesfalls als "Partizip" von išxem gelten. Auch für karem ist eine Etymologie vorgeschlagen worden, die letztlich auf iran. Material basiert; danach handelt es sich um ein Denominativum zu kar "Kraft, Können", das selbst zu sogd. <k՚δy>, <k՚δyw> "sehr" gehören könnte (cf. zuletzt Klingenschmitt, Verbum 138; die Zusammenstellung geht letztlich auf Meillet zurück, cf. Gauthiot, Iranica [BSL 26], 128 f.). Auch ohne daß man von "Partizipialformen" sprechen würde, könnte nun ein armen. *karan analogisch nach der Proportion išxem - karem / išxan - X neugebildet worden sein. Für eine gegenseitige Beeinflussung der beiden bedeutungsnahen Verben gibt es ansonsten jedoch keinen Hinweis; speziell der erklärungsbedürftige Aorist auf -acՙ- von karem gegenüber "normalem" išx-ecՙ- (vgl. Klingenschmitt, o.c., 139) spricht gegen eine besondere Nähe. Solange *karan im Armenischen also nicht nachweisbar als Appellativ belegt ist, wird man die hier vorgetragene Herleitung vorziehen.
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