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Dies ist eine Internet-Sonderausgabe des Buches
"Iranica Armeno-Iberica.
Studien zu den iranischen Lehnwörtern im Armenischen und Georgischen [Bd. 1]"
von Jost Gippert (1990).
Sie sollte nicht zitiert werden. Zitate sind der Originalausgabe, veröffentlicht als
"Österreichische Akademie der Wissenschaften,
philosophisch-historische Klasse,
Sitzungsbericht, 606. Band" /
"Veröffentlichungen der Kommission für Iranistik, Nr. 26",
Wien 1993,
zu entnehmen.
Attention!
This is a special internet edition of the book
"Iranica Armeno-Iberica.
Studien zu den iranischen Lehnwörtern im Armenischen und Georgischen [Bd. 1]"
by Jost Gippert (1990).
It should not be quoted as such. For quotations, please refer to the original edition,
published as
"Österreichische Akademie der Wissenschaften,
philosophisch-historische Klasse,
Sitzungsbericht, 606. Band" /
"Veröffentlichungen der Kommission für Iranistik, Nr. 26",
Wien 1993.
Alle Rechte vorbehalten / All rights reserved:
Jost Gippert, Frankfurt 2002.
Jost Gippert
Iranica
Armeno-Iberica
Studien zu den
iranischen Lehnwörtern
im Armenischen und Georgischen
abezar-:
1. Dieses Wort tritt uns mit zahlreichen Belegen aus dem Visramiani entgegen, wobei es regelmäßig im endungslosen Kasus neben einer finiten oder
infiniten Passivform des Verbums -kmen- "machen" ≈ "werden" steht; im
pers. Text erscheint an diesen Stellen zumeist das Wort bēzār, mit dem
abezar- folglich gleichzusetzen ist. Die Bedeutung beider ist nicht ganz
leicht wiederzugeben. Die gegebenen Kontexte führen auf ein weitgefächertes Spektrum adjektivischer Bezeichnungen, die das Verhältnis zweier
Menschen zueinander oder von Menschen zu Sachen betreffen; deutsche
Übersetzungen können etwa mit "abgewandt, abgeneigt, abgestoßen, abtrünnig" operieren. Dabei ist die syntaktische Besonderheit zu berücksichtigen, daß neben pers. bēzār normalerweise ein durch die Präposition az
"weg von" gekennzeichnetes Separativobjekt steht, dem im Georgischen
ebenso regelmäßig eine Fügung mit der Postposition -gan entspricht; das
betrifft auch die einer Zusammenrückung nahekommende Verbindung mit
dem Partizip kmn-il- "geworden" (53,35 {8.}; in der Edition Gvaxaria /
Todua als abezarkmnil- in einem Wort geschrieben), die ihrerseits dem
Passivperfekt abezar-mkmnia nahekommt (204,37 {7.}). Eine solche Syntax
ist mit der Bedeutungsangabe "rastlos, lästig, aufsässig, widerwärtig, ärgerlich, ermüdend, langweilig", wie sie z.B. das Wörterbuch Ḳiṭa Tschenkelis
für die heutige Sprache bietet, nur schwer zu vereinbaren, da sie suggeriert, daß abezar- ein Gefühl oder eine Charaktereigenschaft bezeichnet;
Beispiele wie Visr. 104,9 {3.} zeigen aber, daß sich das Wort im Altgeorgischen noch auf den Zustand bezog, in den man gerät, wenn man sich
von jemand oder etwas abwendet. Das dürfte etwa auch die Glossierung
im Lexikon Sulxan-Saba Orbelianis meinen, der das Wort durch gamdgari
übersetzt; dieses Partizip bedeutet, wörtlich übersetzt, etwa "einer, der sich
abseits gestellt hat", und kann im Sinne von "Abtrünniger" gebraucht
werden. In die gleiche Richtung weist weiter die Interpretation im Visramiani-Glossar von Iusṭ. Abulaʒe, nach dem das Wort primär "einen, der
vor jemandem oder etwas davonläuft" bezeichnet, dann aber auch "jemand,
der sich vor etwas ekelt, es von sich selbst entfernt oder abhält; der sich abseits stellt, wegwendet, von jemandem oder etwas abwendet" ("ვინც
გაურბის ვინმეს, ან რამეს; მზიზღობი, თავის მაშორი, ან ამრიდი.
ფეხგამდგარი, ქცეული, განმქცევი ვინმესგან, ან რამესგან;" Visram. 347).
Tschenkelis Bedeutungsangabe kommt demgegenüber einer zweiten
Definition näher, die in Sabas Lexikon im Handschriftenzweig C auftritt:
Hier wird als mögliche Bedeutung auch mc̣q̇rali, i.e. "zornig" angegeben.
Wie I. Abulaʒe feststellte, (Vepx.leks. 7. [SMGM 1], 195 / [Šr. 2], 83),
findet sich eine entsprechende Bedeutungsangabe auch im Kommentar des
georg. Königs Vaxṭang VI. zum Vepxisṭq̇aosani, nach dem abezar- mit
gamc̣q̇rali oder šemomc̣q̇rali "erzürnt, böse" synonym war. Während eine
solche Konnotation im Altgeorgischen bisher unbelegbar bleibt, läßt sich ein
späterer Beleg des Wortes immerhin um eine Nuance abweichend vom
bisherigen interpretieren:
2. In der ersten georg. Version der "Geschichte der Orbeliani", einem
Teiltext der "Geschichte des Hauses Sisakan" des armen. Autors Stepՙanos
Orbelian (13.Jh.), steht georg. abezar- für arm. apizar (Step.Orb. A 62.:
92,8-13 {6.}); für die Bedeutung beider weist der Kontext etwa auf "verlassen, im Stich gelassen", was sich vom bisherigen insofern unterscheidet,
als die Belege im Visramiani eher auf ein "aktives" "sich von jemand oder
etwas entfernen" deuteten als auf ein "passives" "von jemand im Stich
gelassen werden". Weiter ab steht demgegenüber die zweite Redaktion des
georg. Textes, die anstelle von abezar- das PPP šečvenebul- "verflucht,
verwünscht" gebraucht; dies geht offenbar mit einer syntaktischen Umdeutung einher, insofern die Postpositionalphrase ġmrtisa-gan da tavisis ṗeġambrisa-gan "von Gott und seinem Propheten" nicht auf šečvenebul-,
sondern auf das davorstehende c̣arṭaceba "wegnehmen, entreißen" bezogen
ist. — Ein Schwanken zwischen selbständigem "verlassen" und unselbständigem "verlassen werden" ist auch für eine Weiterbildung von abezar- zu
konstatieren, nämlich das Verbum
abezr-ob-a-:
1. Als Verbalnomen im Dat.Sg. (-sa) begegnet dieser Stamm einmal in
der Homiliensammlung, die von I. Abulaʒe unter dem Titel "Mamata
Sc̣avlani" herausgegeben wurde (120,18-23 {10.}). Der Überschrift zufolge
handelt es sich bei dem betreffenden Text um einen "Brief des hl. Johannes
Chrysostomus an Theodor, der das Mönchtum aufgab (wtl. `verließ') und
sich eine Ehefrau wählte, die das Schwesterkind Jonans, des Papstes der
Römer war" (Ebisṭole c̣midisa okroṗirisay tevdoresa mimart, romelman
monazonebay dauṭeva da coli šeirto, romeli iq̇o dis c̣uli ionan hromta
ṗaṗisay: M.Sc̣. 119-128). Während der im selben Polykephalion direkt
vorangehende "Brief des Joh. Chrys. an Theodor, den Herrn von Rom, der
sich vom Mönchtum wieder dem weltlichen (Leben) zuwandte" (Ebisṭole
c̣midisa iovane okroṗirisa, romeli miuc̣era tevdores mtavarsa hromisasa,
romeli monazonebit ḳualad ikca sopladve: M.Sc̣. 107-119) mit dem in PG
47, 309-316 abgedruckten Λόγος δεύτερος identisch ist (bzw. dem bei
Dumortier, Jean Chrys. A Théodore 46-78 abgedruckten Brief), entbehrt
der hier interessierende Teiltext jedoch bisher eines griech. Äquivalents1.
Auch ohne ein solches läßt sich die Bedeutung von abezr-ob-a- im gegebenen Kontext mit großer Sicherheit ermitteln, da das Wort hier in einer
Synonymreihung mit den Verbalnomina da-ṭeveba- "verlassen", gan-šoreba- "sich entfernen" und gan-q̇eneba- "sich absondern" steht; der Beleg
ist also der oben unter 1. besprochenen Verwendung des Grundworts
zuzugesellen, wobei ihm besonderes Gewicht zukommt, insofern georg.
abezar- mit ihm bereits für das 10. Jh. belegbar wird.
2. In die gleiche Richtung weist auch der bisher einzige verfügbare Beleg
einer finiten Form des Verbums. Es handelt sich um das in Vepx. 177d
{10.} erscheinende i-abezr-o-s, das als 3.Sg.Opt. ("Konj.Aor.") entweder
eines passiven Verbs oder eines aktiven Verbs mit "subjektiver Version"
aufzufassen ist. Auch hier kann die Bedeutung unmittelbar aus dem Kontext
gewonnen werden: i-abezr-o-s dürfte das zur "Vereinsamung" (ga-ġarib-d-e-s) führende "Verlassen" der "heimatlichen Gefilde" (samq̇opta-gan)
bezeichnen. In diesem Sinne argumentiert auch I. Abulaʒe, der den betreffenden Vers wie folgt periphrasiert: "Er würde irgendwo in der Fremde
sein, aus der Heimat vertrieben oder von ihr entfernt, d.h. er würde sie
aufgeben (wtl `die Hand, sc. von ihr, heben') und in ein fremdes Land
gehen" ("იგი სადმე უცხოობაში იყოს, სამკვიდროდან განდგეს თუ მას
გაეცალოს, ე.ი. ხელი აიღოს და უცხო მხარეს წავიდეს"; l.c.).
3. Nicht ganz klar ist demgegenüber ein weiterer Beleg für das Verbalnomen, der dieses in der nicht synkopierten Form abezar-ob-a- zeigt (Visr.
202,34-46 {12.}). Während das unmittelbar vorangehende abezar-kmnil-
wieder im Sinne von "im Stich gelassen (vom Glück)" interpretiert werden
kann, hängt die Beurteilung des fraglichen Teilsatzes von der Fügung čaki
mimicemia ab, die offenbar das pers. nibištam "ich habe geschrieben"
wiedergibt. Unter der Bedingung, daß čak- hier als "Siegel" aufgefaßt
werden kann, ist etwa von einer Bedeutung "ich habe meine Abwendung
(von jeglicher Freude) besiegelt" auszugehen2. — Etwas weiter ab führt auch
der Gebrauch der Ableitung
sa-abezar-o-:
Dieser Stamm, der wiederum mit zwei Textstellen aus dem Visramiani
belegbar ist (253,28 {13.} / 264,6 {14.}, beide endungslos), sollte als
Bildung mit dem Circumfix sa--o- "etwas, was für das Grundwort geeignet
ist oder zum Grundwort gehört" bezeichnen3. Von der oben ausgearbeiteten
Bedeutung "abgesondert, abgewendet" für abezar- ausgehend, wäre für
sa-abezar-o- folglich eine Bedeutung wie "zum Abgesondertsein geeignet,
zum Sich-Abwenden gereichend" zu erwarten; die gegebenen Textstellen
lassen eine solche Umschreibung durchaus zu. Dabei läßt sich allerdings
keine exakte Korrelation mit dem pers. Text herstellen: Hier erscheint im
einen Fall zwar immerhin das Abstraktum bēzārī, das im Sinne der obigen
Ausführungen durch "Abgewandtheit" wiedergegeben werden kann (VR
467: 95.,27 {14.}), das sa-abezar-o des georg. Texts scheint aber eher das
in beiden Passagen erscheinende pers. zištī "Häßlichkeit, Ekelhaftigkeit" zu
reflektieren. Weniger zutreffend erscheint hingegen die Bedeutungsangabe
Sabas, nach dem sa-abezr-o- (so, in synkopierter Form, geschrieben) ein
"abezart adgili", d.h. ein "Ort der Abtrünnigen" o.ä. sei; eine solche
Bedeutungsangabe läßt sich zwar mit der Wortbildungsstruktur vereinbaren,
nicht jedoch mit den hier vorgelegten Belegen.
Daß die durch textuale Übereinstimmungen dokumentierbare Äquivalenz
von georg. abezar- mit npers. bēzār einerseits und arm. apizar andererseits
auch eine etymologische Identität der Wörter beinhaltet, wird seit langem
allgemein angenommen4. Nachdem bereits N. Marr in seinem postum veröffentlichten Glossar zum Visramiani, Amiran-Dareǯaniani, Rusudaniani
und Dilariani für georg. abezar- auf npers. بيزار byz՚r hinwies (Vopr.Vepx.,
172), findet sich dieselbe Gleichsetzung zunächst auch in den Lexika zu den
Visramiani-Editionen von Iusṭine Abulaʒe (347) und Gvaxaria-Todua (731); eine ausführliche Untersuchung widmete der Sippe dann Ilia
Abulaʒe (Vepx.leks. 83-84), der im Gefolge von Ačar̄yan, AEW (1,
234-235) auch das armen. Wort in die Zusammenstellung einbezog. Dennoch ist die etymologische Beurteilung der Sippe nicht unproblematisch.
Zunächst gilt es, festzuhalten, daß der armen. und der georg. Terminus
gegenüber dem npers. bēzār ein anlautendes a- aufweisen, das, wie bereits
Marr zu Recht feststellte (l.c.), "in keinem Fall einen späteren lautlichen
Zuwachs" darstellen kann ("ни в каком случае не может считаться
позднейшим звуковым наростом"). Marr ging deshalb davon aus, daß
sich in georg. abezar- und pers. bēzār ein älteres pers. *abē zār verberge,
das er zwar nicht näher analysierte, in dessen erstem Bestandteil abē er aber
offensichtlich eine ältere Variante der Präposition "ohne" gesehen hat. In
diesem Fall befand sich Marr in Übereinstimmung mit C. Salemann, der
im Grundriß der iran. Philologie npers. bēzār auf ein mpers. awēžār
zurückführte (1,1,284), das von einer Ausgangsbedeutung "ohne Kummer
(mehr)" zu "überdrüssig" geführt habe. Eine entsprechende Analyse ist mit
Hübschmann, AG 105 f., 52. auch für das arm. apizar möglich, das a.a.O.
zwar nicht selbst erwähnt wird, sich aber ohne weiteres in die dort
aufgelisteten Wörter mit "api- als 1. Gl. eines Comp." einreiht, das "nach
armen. Gesetzen aus apē- entstanden ist".
Nun ist aber das im Grundriß erwähnte mpers. awēžār "ohne Kummer ≈
überdrüssig" alles andere als gesichert. Unter der Graphie <՚pyc՚l>, die
sich hinter der bei Salemann angesetzten Form verbergen dürfte, verzeichnet zunächst Nyberg (Manual 2, 27) ein Wort apē-cār, das er durch
"being without expedient, being at a loss, falling short of" übersetzt.
Dieselbe Graphie wird bei MacKenzie, Dict. für ein mpers. abēzār mit
der Bedeutungsangabe "free" beansprucht, das der Autor ausdrücklich mit
npers. bēzār identifiziert5. Beide Bedeutungsangaben lassen sich miteinander
und mit der hier beschriebenen Verwendung von npers. bēzār,
georg. abezar- und arm. apizar aber nur schwer vereinbaren.
Allerdings dürfte Nyberg sein apēcār selbst mit einem anderen npers.
Wort gleichgesetzt haben, nämlich dem Adjektiv bēčāra, das z.B. in Vīs u
Rāmīn belegbar ist, wo es als Gegensatz zu der Macht eines Königs (VR
235: 41.,38 {15.}) oder als Charakteristikum eines Traurigen (375: 64.,41
{16.}) den Zustand der "Hilflosigkeit" bezeichnet. Das Wort ist über den
genannten Text auch ins Georgische gedrungen, und zwar in der Form
bečara- (140,1 {15.}) bzw. in dem darauf aufbauenden ga-bečarav-eb-ul-
(214,13 {16.}), das als PPP zu einem transitiven ga-bečarav-eb-a- durch
"hilflos gemacht" übersetzt werden kann. Für ein mpers. *apēčār "hilflos"
kann nicht nur der von Nyberg selbst herangezogene Beleg aus dem VII.
Kapitel des Dēnkart {18.} beansprucht werden6, sondern auch zwei Textstellen aus dem Pāzendtext Škand-gumānīg-vičār (11,17 {19.} und 12,32
{20.}), wo Hübschmann (l.c., nach West) ein awēčār "without help" erkannte.
Demgegenüber braucht MacKenzies Lemma nicht von vornherein dasselbe Wort zu meinen, zumal er für sein abēzār neben der Graphie
<՚p̄yc՚l> auch eine Schreibung <՚p̄yz՚l> erfaßt. Mit diesem Wort dürfte das
mehrfach in den von R.C. Zaehner herausgegebenen Briefformeln (Nāmak-nipēsišnīh [BSOS 9], 93 ff.) erscheinende apēzār identisch sein (z.B.
94: 16.,3 {21.}; vgl. außerdem die Weiterbildungen apēzārīh, 24. {21a}
und apēzārēnītār, 5. {21b}), das dem Kontext zufolge in der Verbindung
mit der Präposition az (hač) soviel wie "geschützt vor (jeglicher Gegnerschaft)" bedeuten dürfte und sich über einen Ansatz "abseits von" mit
npers. bēzār (so bereits Zaehner, o.c., 103), arm. apizar (so bereits
Bailey, Iran.Infl [Enc.Ir.] 460) und georg. abezar- verknüpfen läßt.
Es erhebt sich also die Frage, ob für das Mittelpersische tatsächlich zwei
Wörter anzusetzen sind, deren eines mit npers. bēčāra "hilflos" und deren
anderes mit npers. bēzār bzw. arm. apizar und georg. abezar- zu identifizieren ist. Diese Frage ist nur über etymologische Erwägungen zu klären.
Während ein von npers. bēčār-a gestütztes mpers. abēčār als Zusammenrückung der Präposition abē "ohne" mit čār "Hilfe, Mittel" ohne weiteres
motivierbar ist, läßt der Ansatz abēzār weder unter einer Bedeutung "abgewendet, abseits" noch im Sinne eines weniger spezifischen "free" eine problemlose Deutung zu. Dies betrifft auch die Interpretation als "ohne Kummer", mit der C. Salemann das im Grundriß angesetzte awēžār versah
(vgl. die Bedeutungsangabe "ohne Leid" für das in dem Fragment M 338
erscheinende parth. ՚byz՚r bei Sundermann, Kosmog.T. 109, Z. 2105). Hier
scheint eine Verbindung mit dem Wort für "Kummer, Sorge" gemeint
zu sein, das aufgrund der Graphien <zlyk> (mpers.B) und <zryg>
(mpers.T) zarīg gelautet haben dürfte (vgl. MacKenzie, Dict. 98 bzw.
Nyberg, Manual 2, 229 mit zarīk). Will man Salemanns awēžār mit
diesem Wort in Zusammenhang bringen, so hat man drei Divergenzen zu
beachten: Es fehlt das Suffix -īg, awēžār hat ein langes -ā-, und gegenüber
zarīg liegt ein "-ž-" anstelle von -z- vor (falls Salemanns -ž- tatsächlich ein
geschriebenes <-c-> reflektiert). Während die Divergenz im Konsonantismus auf eine "inverse Schreibung" zurückgeführt werden kann, bei der
nach dem Muster von Wörtern mit gesprochenem z < *č für ein etymologisch berechtigtes z7 ebenfalls <c> geschrieben worden wäre, läßt sich die
Annahme einer morphologischen Variante *zār wohl nur durch npers. zār
stützen, das aber nicht "Kummer, Sorge" bedeutet, sondern die "laute
Klage". Mit einem Ansatz "ohne Klage" entfernt sich das Wort aber noch
weiter von der belegbaren Verwendung von npers. bēzār und georg. abezar-.
Eine ursprüngliche Identität der durch npers. bēzār und bēčāra vertretenen Etyma läßt sich demgegenüber semantisch besser motivieren. Es gilt,
sich zu vergegenwärtigen, daß das letztere Wort im Neupersischen mit der
Erhaltung eines inlautenden zwischenvokalischen -č- eine lautliche Eigenheit aufweist, die bei einem aus dem Mittelpersischen ererbten Wort nicht
ohne weiteres zu erwarten ist; als Normalentwicklung eines älteren -č- in
dieser Position ist vielmehr schon innerhalb der mpers. Zeit der Übergang
zu -z- anzusehen (man vgl. z.B. mpers. tz՚d "soll fließen" gegenüber parth.
tcynd "sie fließen" bei Boyce, Reader, z 11 bzw. ch 2). Es wäre deshalb
denkbar, daß ein miran. Kompositum *apē-čār "hilf-, mittellos" im Mittelpersischen einerseits die Normalentwicklung zu *abēzār durchgemacht
hätte, andererseits aber auch immer wieder neu gebildet werden konnte,
wobei der Anlaut des HGs erhalten blieb. Eine solche "Restitution" ist im
Falle von npers. bēčāra allein schon deswegen anzunehmen, weil das Wort
das gegenüber čār "Hilfe" suffixal erweiterte čāra "id." < mpers. čār-ag
voraussetzt; das zeigt sich nicht zuletzt auch an seinem georg. Duplikat,
bečara-, das als -a-Stamm zu gelten hat. Um die Bedeutungsdivergenz zwischen beiden Wortsippen zu überbrücken, wäre am ehesten von den oben
unter 2. behandelten Fällen auszugehen, wo georg. abezar- und arm. apizar etwa im Sinne von "verlassen, im Stich gelassen" interpretiert wurden;
eine solche Bedeutung läßt sich von "hilflos" aus durchaus motivieren.
Dabei ist zu beachten, daß die rektionale Verbindung mit az "von .. weg"
≈ georg. -gan, die sich bei npers. bēzār durchweg zeigte, auch bei allen
bisher verfügbaren Belegen von mpers. <՚pyc՚r> zu beobachten ist. Erleichtert wird die Gleichsetzung weiter durch einen Rückgriff auf die interne
Etymologie von mpers. čār(ag), das zusammen mit khot.-sak. tcera- auf ein
*čār(i)i̯a- als Gerundivbildung zur Verbalwz. *kr̥- / *čar- "machen" zurückzuführen ist (frdl. Hinweis von N. Sims-Williams, briefl.); das als
Grundlage von npers. bēzār und mpers. abēzār anzusetzende *apēčār hätte
demnach ursprünglich etwa "ohne (etwas) zu Tuendes", d.h. "ohne etwas
tun zu können" bzw. "ohne etwas zu tun zu haben (mit)" bedeutet.
Als Problem bleibt bei dieser Analyse die Lautgestalt von arm. apizar
bestehen, das einerseits mit seinem -z- den vollzogenen mpers. Lautwandel
von č > z reflektieren müßte (entsprechendes gilt auch für das o.e. parth.
<՚byz՚r>), bei dem andererseits jedoch das ältere inlautende p erhalten
wäre. Auf eine rel. frühe Entlehnungszeit weist dabei auch das -i-, das als
Fortsetzer eines älteren -ē- (< miran. -ē-) die armen. Vokalschwächung
erlitten haben muß. Will man die Gleichsetzung mit der Sippe um bēčāra
dennoch nicht aufgeben, so kann man für das armen. Wort immerhin eine
sekundäre Restitution des VGs nach anderen Komposita mit api- annehmen.
Georg. abezar- reflektiert demgegenüber sowohl im VG als auch im HG
genau die für das sasanid. Mittelpersische anzusetzende Lautgestalt abēzār.
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Copyright Jost Gippert, Frankfurt a/M 7. 1.2003.
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