Achtung!
Dies ist eine Internet-Sonderausgabe der Rezension des Buches
Klaus Mylius, „Wörterbuch Pāli-Deutsch“,
von Jost Gippert (2000).
Sie sollte nicht zitiert werden. Zitate sind der Originalausgabe in
„Archiv orientální“ 68, 2000, 653-655
zu entnehmen.

Attention!
This is a special internet edition of the review of
Klaus Mylius, „Wörterbuch Pāli-Deutsch“,
by Jost Gippert (2000).
It should not be quoted as such. For quotations, please refer to the original edition printed in
„Archiv orientální“ 68, 2000, 653-655.



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Jost Gippert, Frankfurt 2001


Klaus Mylius, Wörterbuch Pāli-Deutsch. Institut für Indologie, Wichtrach (Schweiz) 1997. 438 S. Price 180,- SFr. ISBN 3718700190. — Besprochen von Jost Gippert.

Pāli, die mittelindische Sprache des buddhistischen Kanons, spielt in der westlichen Indologie seit jeher eine untergeordnete Rolle. Tatsächlich ist das 1997 von Klaus Mylius vorgelegte Werk das erste Wörterbuch, das das Pāli einer deutschsprachigen Öffentlichkeit erschließt und sich dabei hinsichtlich der Menge der enthaltenen Lemmata mit dem vor rund fünfundsiebzig Jahren publizierten Pāli-English Dictionary der Pāli Text Society (T.W. Rhys Davids und W. Stede, erste Auflage 1921-1925; im folgenden PED) messen kann. Das jetzt erschienene Werk soll „vor allem ... bei der Erschließung des alten, ursprünglichen Buddhismus behilflich sein“, so daß es sich „vorwiegend für die Übersetzung des Tipiṭaka“ eignet, „aber auch für große Teile der nachkanonischen Literatur ... herangezogen werden“ kann (S. 5). Es versteht sich von selbst, daß bei seiner Abfassung andere lexikographische Werken zum Pāli, insbesondere das Critical Pāli dictionary (begun by V. Trenckner, Copenhagen 1924-; CPD) „gründlich ausgewertet“ wurden; im Gegensatz zu den beiden genannten englischsprachigen Werken fehlen jedoch jegliche Stellenangaben.
      Hinsichtlich seines Aufbaus reiht sich Klaus Mylius' Wörterbuch in die Tradition der Pāli-Lexikographie ein, insofern es, wie etwa auch das PED, Verben nicht, entsprechend der Sanskrit-Gepflogenheit, nach Wurzeln (bzw. Wurzeln mit Präverbien) anordnet, sondern in der Form der 3.Ps.Sg. Präs(ens), wobei Kaus(ativbildungen) gesondert erfaßt sind; zusätzlich werden vielfach (unregelmäßige) P(räteritale) P(artizipien)sowie Abs(olutive) angeführt. So finden wir z.B. neben karoti „machen, tun“ (S. 133) das PP kata als eigenes Lemma (S. 125), neben phusati „berühren, anfassen“ sind das PP phuṭṭha, das Abs. phussa sowie auch das (mit dem Simplex phusati bedeutungsgleiche) Kaus. passeti (S. 263) erfaßt. Nicht immer wird das gegenseitige Verhältnis der Formen dabei völlig klar dargestellt; so erscheint unter dassati „sehen“ die Zusatzangabe „Präs dakkhati, dakkhiti“, womit der Eindruck erweckt wird, dassati selbst sei keine Präsensbildung – ganz abgesehen davon, daß das Verhältnis der drei Formen untereinander sowie weiter gegenüber dem bedeutungsgleichen passati (≈ Skt. paśyati; S. 250) nicht erläutert wird. Daß wir auch im Pāli den für das Sanskrit geltenden Suppletivismus der Wurzeln paś- und dr̥ś- als ursprünglich anzusehen haben und die Präsensbildungen dassati, dakkhati und dakkhiti sekundär sind (nach dem Kaus. dasseti ≈ Skt. darśayati oder dem Passiv dissati ≈ Skt. dr̥śyate bzw. nach dem Aorist addakkhi ≈ Skt. adrakṣīt), zeigt sich nicht zuletzt deutlich am noch „gemeinsamen“ PP diṭṭha ≈ Skt. dr̥ṣṭa-, das sowohl s.v. dassati als auch unter passati angeführt ist. Wenn von diṭṭha als eigenem Lemma mit der Bedeutung „gesehen“ (S. 188) umgekehrt auf keine der Präsensbildungen verwiesen wird, so liegt dies nicht an der gegebenen Besonderheit; Rückverweise von PP-Bildungen auf Präsensformen fehlen generell (z.B. auch bei kata „gemacht“). Hier würde man sich oft etwas mehr Information wünschen.
      Nicht systematisch dürften demgegenüber andere Inkonsistenzen sein, die hier und dort das Verweissystem betreffen. So wird die Form tayo als Nom(inativ)Pl(ural) des Num(erale) ti „drei“ mit Verweis auf die letztere Lemmaform eigens erfaßt (S. 177), nicht jedoch die entsprechende Form des Zahlworts „vier“, cattāro, die auch unter dem Lemma catur (S. 160) nicht angeführt ist, obwohl ihre Bildung weit weniger „regelmäßig“ ist als diejenige von tayo im Verhältnis zur Stammform ti. Auch wäre es oft von Vorteil, wenn Querverweise kommentierend ausgestaltet wären. So wird s.v. puthavī einfach auf die Lemmaform paṭhavī „Erde, Land“ verwiesen (S. 258), das Verhältnis der beiden Entsprechungen von aind. pr̥thivī zueinander bleibt jedoch offen, und s.v. paṭhavī (S. 229) wird puthavī nicht erwähnt; daß es daneben noch die Varianten pathavī, puthuvī und puṭhuvī gibt (vgl. PED, S. 403), erfährt man weder s.v. paṭhavī noch sonst.
      Bisweilen würde man sich etwas mehr Informativität auch bei Bedeutungsangaben wünschen. So ist es sicher nicht falsch, wenn S. 297 rohiṇī als „Name eines Sternbildes mit alpha Tauri (= Aldebaran)“, S. 263 phussa als „1. Name eines Monats (Dezember/Januar) 2. Name eines Sternbildes“, S. 262 phagguṇa als „der Monat ~ (= Frühlingsbeginn), Februar/März“, S. 162 citta als „Name eines Frühlingsmonats (März/April)“, S. 323 visākhā als „1. aus alpha und beta Librae bestehendes Sternbild“, S. 172 jeṭṭhamāsa als „Name eines Monats (Mai/Juni)“, S. 83 aṣāḷha als „Name eines Monats (Juni/Juli)“, S. 362 sāvana als „Monatsname (Juli/August)“ und S. 261 poṭṭhapāda als „Monatsname (September/Oktober)“ deklariert werden. Es hätte jedoch durchaus vermerkt werden können, daß den betr. Namen so wie auch ihren jeweils getreulich verzeichneten altindischen Entsprechungen róhiṇī/rohiṇī, puṣyà etc. zunächst das seit dem Atharvaveda belegte System der 28 Sternbilder (nákṣatra, Pāli nakkhatta „Mondhaus“) zugrundeliegt, nach dem schon in vedischer Zeit das Jahr in Abschnitte eingeteilt wurde und von denen aus eigentliche Monatsnamen mit unterschiedlichen Bildeverfahren abgeleitet werden konnten (z.B. Vr̥ddhi in ved. phālguṇá ≈ Pāli phagguṇa zu ved. (pū́rve / úttare) phálguṇī, 9./10. nákṣatra, oder śrāvaṇa ≈ Pāli sāvana zu ved. śrávaṇa/śroṇā́, 21. nákṣatra; Komposition mit māsa ≈ ved. mā́sa „Monat“ in jeṭṭhamāsa, zu ved. jyéṣṭhā/jyeṣṭhā́, 16. nákṣatra). Daß die Aufteilung des Tierkreises in 28 „Mondhäuser“ für die indische Astronomie wie auch die darauf beruhende Zeitrechnung im buddhistischen Kontext der Pāli-Überlieferung dieselbe grundlegende Bedeutung hatte wie in vedischer Zeit, kann keinem Zweifel unterliegen, wenn man bedenkt, daß die Mondhauszählung im buddhistischen Sri Lanka wie auch auf den seit dem 12. Jh. n.Chr. islamisierten Malediven bis heute völlig lebendig geblieben ist1.
      Ein großer Vorteil des Wörterbuchs Pāli-Deutsch etwa gegenüber dem PED besteht darin, daß zu den Pāli-Lemmata nicht nur, wo immer möglich, die jeweiligen altindischen Entsprechungen aufgeführt werden, sondern daß das enthaltene Wortmaterial durch einen eigenen Sanskrit-Index (S. 378-438) noch einmal insgesamt vom Altindischen her erschlossen ist. Bedenkt man, daß es schwerlich Indologen geben wird, die den Zugang zum Pāli nicht über das Sanskrit erlangt haben werden, so stellt dieser Index, der „der dankenswerten Initiative des Verlags“ zu verdanken ist (S. 7), ein äußerst willkommenes Hilfsmittel dar. Es ist wohl nur ein Versehen, daß die auf der letzten Seite des eigentlichen Pāli-deutschen Glossars (S. 377) erfaßten altindischen Comparanda nicht im Index erfaßt sind. Im Falle der Pseudowurzel heṭh „schädigen“ (cf. Whitney, Roots S. 208), auf die s.v. heṭhaka „schädigend, beraubend“ verwiesen ist, wird man dies verschmerzen können, im Falle von aind. adhástāt „unten, unterhalb“, das von seinem Pāli-Äquivalent heṭṭhā lautlich viel weiter entfernt ist, jedoch nicht unbedingt. Daß die altindischen Entsprechungen ihrerseits (bei den Verweisen) in (akzentuierte) ved(ische) und S(ans)k(ri)t-Formen geschiedenen sind, entspringt vermutlich dem Bedürfnis, die Überlieferungstiefe der betreffenden Wörter im Indoarischen zu dokumentieren; für das Pāli selbst ist die Differenzierung schwerlich von Belang.
      Mit dem Wörterbuch Pāli-Deutsch hat Klaus Mylius ein Nachschlagewerk vorgelegt, das die Arbeit mit Pāli-Texten nicht nur für Indologen erleichtern, sondern auch den Bedürfnissen „der Historiker, Ethnologen, Religionswissenschaftler sowie .. der Vertreter anderer Disziplinen und aller am Buddhismus Interessierten“ entgegenkommen will (S. 5). Daß das handliche und übersichtlich angelegte Buch diesen Zweck erfüllen wird, steht für den Rezensenten außer Zweifel; eine weitere Verbreitung auch in Privatbibliotheken dürfte ihm freilich durch den für ein Wörterbuch seines Umfangs geradezu horrenden Preis versagt bleiben.




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