Achtung!
Dies ist eine Internet-Sonderausgabe der Rezension des Buches
Klaus Mylius, „Āśvalāyana-Śrautasūtra“,
von Jost Gippert (2000).
Sie sollte nicht zitiert werden. Zitate sind der Originalausgabe in
„Archiv orientální“ 68, 2000, 651-653
zu entnehmen.

Attention!
This is a special internet edition of the review of
Klaus Mylius, „Āśvalāyana-Śrautasūtra“,
by Jost Gippert (2000).
It should not be quoted as such. For quotations, please refer to the original edition printed in
„Archiv orientální“ 68, 2000, 651-653.



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Jost Gippert, Frankfurt 2001


Āśvalāyana-Śrautasūtra. Erstmalig vollständig übersetzt, erläutert und mit Indices versehen von Klaus Mylius. [Reihe Texte und Übersetzungen, 3] Institut für Indologie, Wichtrach (Schweiz) 1994. 624 S. Price 360,- SFr. ISBN 3718700158. — Besprochen von Jost Gippert.

Mit dem hier anzuzeigenden Buch hat Klaus Mylius die erste vollständige Übersetzung des zum R̥gveda gehörenden Āśvalāyana-Śrautasūtra ins Deutsche vorgelegt. Erstmalig publiziert wurde dabei allerdings nur ein geringerer Teil des Textes (Adhyāyas X-XII); die ersten neun Abschnitte waren bereits zuvor, seit 1967, in verschiedenen Zeitschriften für sich veröffentlicht worden1. Wie Mylius selbst festhält (S. 13), wurden die früher erschienenen Teile für die Gesamtausgabe einer redaktionellen Glättung unterzogen, wodurch sich jedoch „nicht alle durch die lange Zeitspanne bedingten Ungleichmäßigkeiten eliminieren“ ließen, zumal im Laufe der Bearbeitung insgesamt drei verschiedene Ausgaben zugrundegelegt wurden: Die editio princeps von Rāmanārāyaṇa Vidyāratna (Nr. 49 der Bibliotheca Indica, Calcutta 1874) für Adhyāya I-III, die Ausgabe von Gaṇeśa Śāstrī Gokhale (Bd. 81 der Ānandāśrama Sanskrit Series, Poona 1917) für Adhyāya IV-IV sowie die Neuedition von Paṭṭābhirāma Śāstrī Padmabhūṣaṇa und Rāmanāthadīkṣita (Neu Delhi 1984-1985) ab Adhyāya VII. Mylius räumt ein, daß etwaige sich hieraus ergebende Inkonsistenzen auch die Register der Arbeit betreffen können, die nach den verschiedenen Ausgaben „eingerichtet wurden“ (S. 14); in welchem Ausmaß sich dies tatsächlich ausgewirkt hat, bleibt freilich offen, da eine Kollationierung der verschiedenen Ausgaben auch für die jüngeren Teile offenbar nicht vorgenommen wurde.
      Dem Autor ist sicher recht zu geben, wenn er „die Übersetzung eines Śrautasūtra eine crux maxima der Indologie“ nennt, wobei es „nicht die Grammatik ist ..., die diese Schwierigkeiten bereitet. Die Ursachen liegen vielmehr im Sūtra-Stil und in der Terminologie ... Die Śrautasūtras (verstanden sich) nicht als sprachliches Vehikel ausgefeilter Gedanken, sondern lediglich als eine mnemotechnische Stütze ..., indem sie ... wesentliche Kenntnisse des Benutzers voraussetzten“ (S. 14). Es ist nur folgerichtig, wenn Mylius den auf diese Weise entstandenen „Telegrammstil“ „nicht nur aus exegetischen Gründen, sondern oft um der bloßen Verständlichkeit willen“ in seiner Übersetzung durch „Klammerausdrücke“ auszugleichen bestrebt ist, wobei die Kompetenz eines Übersetzers zum Tragen kommt, der sich im Laufe seiner langjährigen Beschäftigung mit dem altindischen Ritual „in die diversen Opferpraktiken und die ihnen zugrundeliegenden Denkstrukturen minutiös eingearbeitet“ hat (S. 15); als flankierende Information stand Mylius darüber hinaus der (über die genannten Ausgaben verfügbare) Kommentar des Gārgya Nārāyaṇa („nach 850, aber lange vor 1100“: S. 14) zur Verfügung, dessen Meinung jedoch „nicht immer unbedingt das Richtige getroffen haben muß“, da bis zu seinem Wirken selbst bereits „rund 1400 Jahre“ seit der mutmaßlichen Abfassungszeit des Sūtras vergangen waren (S. 15).
      Das Ergebnis des von Mylius gewählten Übersetzungsverfahrens ist in der Tat ein deutscher Text, der nicht nur lesbar und verständlich ist, sondern auch ein klares Bild von den Einzelheiten des Rituals vermittelt. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Sūtra 6,14,13 lautet sampraiṣavad ādeśān. Für sich genommen enthält diese Sentenz lediglich einen Akk.pl. ādeśān „Anweisungen“ und ein neutrales Adjektiv im Nom.Akk.sg., sampraiṣavad, das als Weiterbildung von sampraiṣa- „Anordnung, Aufforderung“ zu gelten hat, also etwa „nach Art der Anordnung“ bedeutet. In Mylius' Übersetzung sind dann sowohl das den Akk.pl. regierende Prädikatsverb als auch der dazugehörende Agens ergänzt, wodurch sich ein vollständiger Satz ergibt, der freilich seinerseits erst wieder im gegebenen Kontext klar wird: „(Er gibt seine) Anweisungen wie bei den (im Tieropfer üblichen) Aufforderungen“, wobei sich „er“ auf den unmittelbar zuvor genannten hotṛ beziehen müßte. Etwas anders aufgelöst wird das folgende Sūtra paśuvan nipātān (6,14,14), das Mylius mit indefinitem Agens übersetzt: „(Man gebrauche) die beim Tieropfer üblichen Bezeichnungen“.
      Es liegt auf der Hand, daß die Ansichten darüber divergieren können, welche impliziten Bezüge in solchen Kontexten tatsächlich vorauszusetzen sind. So wäre es im gegebenen Fall ebensogut denkbar und würde dem Parallelismus der beiden Sūtren vielleicht besser gerecht, wenn man annähme, daß in beiden Fällen das gleiche Subjekt zu ergänzen ist, wofür nach 6,14,12 sowohl der hotṛ als auch die adhvaryavas in Frage kommen (oder alle beteiligten Priester gemeinsam). Zu berücksichtigen ist weiter, daß sampraiṣavad in einem anderen Ritualtext, dem zum Yajurveda gehörigen Śrautasūtra des Āpastamba, mehrfach in der stehenden Wendung saṃpraiṣavat kurvanti belegt ist1, die nicht nur das mutmaßlich zu ergänzende Prädikatsverb illustriert, sondern auch – mit W. Caland – eine einfache Übersetzung „sie handeln, wie befohlen ist“, d.h. „entsprechend der Aufforderung“, nahelegt. Für ĀśvŚS 6,14,13-14 bleibt dann zu überlegen, ob der formale Parallelismus der beiden Sätze nicht auch einen inhaltlichen Hintergrund (im Sinne eines Gegensatzes) haben könnte, was voraussetzen würde, daß ādeśa- und nipāta- hier gewissermaßen komplementär zu verstehen sein müßten; für das letztere Wort, das gemeinhin so viel wie „Sturz, Fall“ bedeutet, an der gegebenen Belegstelle im ĀśvŚS jedoch meist als „(zufällige) Erwähnung“ (im Sinne von „Fallenlassen“) aufgefaßt wird2, erscheint jedenfalls „Bezeichnung“ als ein wenig prägnantes Äquivalent. Eine endgültige Entscheidung, wie die betr. Stelle zu interpretieren ist, kann letztlich nicht aus dem Āśvalāyana-Śrautasūtra allein gewonnen werden, sondern lediglich aus textübergreifenden Studien, zu denen die Lektüre von Klaus Mylius' Übersetzung den Leser immer wieder stimuliert.
      Leider wird der insgesamt positive Eindruck, den das Werk macht, dadurch ein wenig beeinträchtigt, daß es trotz eines eher bescheidenen Layouts (Paperback, Schreibmaschinentype)3 zu einem geradezu präventiven Preis vertrieben wird. Der Verlag des Instituts für Indologie in Wichtrach (Schweiz) sollte sich darüber im klaren sein, daß er mit einer derartigen Verkaufsstrategie gerade noch die großen Bibliotheken der westlichen Welt erreichen wird, nicht jedoch kleinere Fachbibliotheken oder gar private Indologenhaushalte; der Verbreitung des Buches dürften somit enge Grenzen gesetzt sein.
      Es bleibt festzuhalten, daß die interpretatorische Leistung, die der vorliegende Übersetzung zugrundeliegt, durch Marginalien der genannten Art nicht geschmälert wird. Mit Klaus Mylius' Bearbeitung des Āśvalāyana-Śrautasūtra, die sich durchaus würdig an entsprechende Arbeiten Willem Calands und seiner Schüler anschließt, hat die deutschsprachige Tradition in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem vedischen Ritual einen vielversprechenden neuen Anfang genommen.




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Copyright Jost Gippert, Frankfurt a/M 29. 6.2002. No parts of this document may be republished in any form without prior permission by the copyright holder.