Michaela Ofitsch
(Hg.), Eros, Liebe und Zuneigung in der Indogermania.
Akten des Symposiums zur indogermanischen Kultur- und Altertumskunde in Graz
(29.-30. September 1994), Graz: Leykam 1997, XII, 282 Seiten
Der vorliegende Band enthält 16 Beiträge eines im September 1994 am Institut für
Sprachwissenschaft, Abteilung ‘Vergleichende Sprachwissenschaft’, der Universität
Graz von der Herausgeberin gemeinsam mit Christian Zinko veranstalteten Symposiums, dessen Anlass “die Beschäftigung mit den anatolischen und vedischen Zeugungs- und Geburtsritualen” innerhalb der Lehre an der Grazer Indogermanistik
darstellte. Die thematische Spannbreite der Beiträge, die unter dem gegebenen, weit
über den Anlass hinausgehenden Symposiumstitel zusammengekommen sind, ist in
der Tat enorm: Sie reicht von
Michaela Ofitschs eigener Untersuchung über ‘Sexualität und sexuelle Vergehen in den hethitischen Gesetzestexten’ (S. 121 ff.) bis hin
zu
Lutz Rzehaks umfangreichem Essay ‘Ungleichheit in der Gleichheit: Materialien
zu männlich-männlicher Erotik in den iranischsprachigen Kulturen Mittelasiens’ (S.
37ff.). Der Begriff ‘Indogermania’ ist hier also so weit gefasst wie möglich; er
schließt altindogermanische (neben dem Anatolischen Altindisches, Tocharisches,
Lateinisches, Altarmenisches) ebenso ein wie mittelalterliche oder frühneuzeitliche
Überlieferungen (z.B. Mittelarmenisches, Neupersisches); dabei halten sich literarische und sprachwissenschaftliche Untersuchungen etwa die Waage.
Onomastisches Interesse verdient der Beitrag von
Fritz Lochner von Hüttenbach, der ‘Worte für `Zuneigung' in der indogermanischen Namengebung’ behandelt (S. 203ff.). Der Autor beschränkt sich dabei auf eine Zusammenstellung von
Personennamen, die (im Falle ‘eingliedriger’ Struktur) als ganzes oder (im Falle des
‘zusammengesetzten’ Typs) teilweise auf Wortmaterial beruhen, das in die semantische Sphäre der ‘Zuneigung’ fällt. So listet er zum Beispiel für das Altindische
diejenigen Namen auf, die das Adjektiv
cā́ru- ‘angenehm, lieb, schön’ enthalten
wie zum Beispiel
Cāru-pada- (mit
padá- ‘Fuß’), sowie solche Bildungen, “die mit
priya- `lieb, angenehm; Freund, Gatte, Geliebter' zusammengesetzt sind” wie zum
Beispiel
Priya-darśana- ‘einen wohlgefälligen Anblick bietend’ (S. 204). Der Autor
scheint in der Tat eine Gesamtschau beabsichtigt zu haben, indem er über das Iranische (Awestische / Altpersische), Griechische, Italische, Illyrische, Thrakische,
Keltische, Germanische, Slavische, Baltische bis hin zum Anatolischen mit entsprechenden Auflistungen fortschreitet; ausgenommen bleiben lediglich das Phrygische
und Tocharische, da uns von diesen Sprachen “zu wenig überliefert” sei, das
Albanische, da es “nichts Altes” enthält, und das Armenische, das, “wie
Hübschmann 1893 feststellen konnte, die alte idg. Art der Namengebung nicht erhalten” hat
(S. 209). Als Ergebnis seiner Zusammenstellung formuliert F. Lochner die folgende
für ihn enttäuschende Erkenntnis: “In der Tat könnte man erwarten, daß Liebe und
Freundschaft in entsprechendem Ausmaß” (wie die überaus häufigen Namen, die
sich auf die von M. Mayrhofer so genannten `Kulturideale der kriegerischen Aristokratie beziehen') “als positive Elemente des menschlichen Daseins in der Namengebung erscheinen. Aber [...] es ist Liebe nur im Sinn des Interesses für ein Objekt, die in der Anthroponymie zu finden ist, die Liebe zur kriegerischen Auseinandersetzung [...], zu schönen Rossen [...], zum Materiellen [...] Worte für Liebe,
Zuneigung, Zuwendung dem Nächsten gegenüber, zur Familie, zum Partner, zu
Kindern, sind bei Eigennamen selten zu finden” (S. 214).
Ob man diese Schlussfolgerung für das indogermanische Onomastikon teilen
wird, hängt freilich von zwei Faktoren ab: zum einen von der Auswahl des Materials, das ja selbst wiederum von der etymologischen Beurteilung des oder der
zugrunde liegenden Wörter beziehungsweise Wortstämme abhängt (F. Lochner behandelt eben nur solche Namen, die ein für ihn klar ersichtliches Element aus dem
semantischen Feld der “Zuneigung” enthalten), und zum anderen von der historischen Identität sowohl dieser Elemente als auch der auf ihrer Grundlage gebildeten
Namen. Auch wenn es, etwa im Falle der mit
cā́ru- gebildeten altindischen Namen,
sehr auffällige Parallelen im Keltischen geben mag (
Seno-carus, Vo-carus, S. 209),
bleibt doch die Möglichkeit unabhängiger Neubildungen immer bestehen; im gegebenen Beispiel ist zu bedenken, daß aind.
cā́ru- mit kelt.
caru- (lies
kāru-, entsprechend lat.
cārus) historisch nicht identisch sein kann, da das aind. anlautende
c- ein ursprüngliches *
k(u̯)ēr/lu- mit
ē-Vokal voraussetzt
1, und “das Nebeneinander
von ai.
Sucāru und gall.
Sucarius” (S. 204 Anm. 2) besagt unter diesem Aspekt
eher wenig. Für das letztere Wort kommt hinzu, daß seine Zugehörigkeit zu
caru-
(‘liebenswürdig’, mit Vorderglied
su- ‘wohl, gut’) schon wegen der suffixalen Ableitung fraglich ist und zudem das ihm entgegenstehende
Du-carius, das F. Lochner
2 durch “auf schlechte Weise liebend” übersetzt (S. 209), schwerlich zu
caru-
‘lieb’ zu stellen ist, da es in diesem Falle eine geradezu antiphrastische Bedeutung
aufweisen würde. Im Falle der keltischen Anthroponymie vermisst man im Übrigen
eine Auseinandersetzung mit den zahlreichen in jüngerer Zeit vorgelegten Untersuchungen zu den altirischen Personennamen in handschriftlicher Überlieferung und
den Ogam-Inschriften; hierzu wären insbesondere S. Ziegler, Die Sprache der
altirischen Ogam-Inschriften, Göttingen 1994
3 und J. Uhlich, Die Morphologie der
komponierten Personennamen des Altirischen, Witterschlick/Bonn 1993
4 zu nennen.
Frankfurt am MainJost Gippert