Achtung!
Dies ist eine Internet-Sonderausgabe der Rezension von Michaela Ofitsch (Hrsg.), Eros, Liebe und Zuneigung in der Indogermania (Graz 1997) von Jost Gippert (2000).
Sie sollte nicht zitiert werden. Zitate sind der
Originalausgabe in “Beiträge zur Namenforschung” 36/2, 2001, 235-236 zu entnehmen.

Attention!
This is a special internet edition of the review of Michaela Ofitsch (Hrsg.), Eros, Liebe und Zuneigung in der Indogermania (Graz 1997) by Jost Gippert (2000).
It should not be quoted as such. For quotations, please refer to the
original edition in “Beiträge zur Namenforschung” 36/2, 2001, 235-236.




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Jost Gippert, Frankfurt 2001

Michaela Ofitsch (Hg.), Eros, Liebe und Zuneigung in der Indogermania. Akten des Symposiums zur indogermanischen Kultur- und Altertumskunde in Graz (29.-30. September 1994), Graz: Leykam 1997, XII, 282 Seiten



Der vorliegende Band enthält 16 Beiträge eines im September 1994 am Institut für Sprachwissenschaft, Abteilung ‘Vergleichende Sprachwissenschaft’, der Universität Graz von der Herausgeberin gemeinsam mit Christian Zinko veranstalteten Symposiums, dessen Anlass “die Beschäftigung mit den anatolischen und vedischen Zeugungs- und Geburtsritualen” innerhalb der Lehre an der Grazer Indogermanistik darstellte. Die thematische Spannbreite der Beiträge, die unter dem gegebenen, weit über den Anlass hinausgehenden Symposiumstitel zusammengekommen sind, ist in der Tat enorm: Sie reicht von Michaela Ofitschs eigener Untersuchung über ‘Sexualität und sexuelle Vergehen in den hethitischen Gesetzestexten’ (S. 121 ff.) bis hin zu Lutz Rzehaks umfangreichem Essay ‘Ungleichheit in der Gleichheit: Materialien zu männlich-männlicher Erotik in den iranischsprachigen Kulturen Mittelasiens’ (S. 37ff.). Der Begriff ‘Indogermania’ ist hier also so weit gefasst wie möglich; er schließt altindogermanische (neben dem Anatolischen Altindisches, Tocharisches, Lateinisches, Altarmenisches) ebenso ein wie mittelalterliche oder frühneuzeitliche Überlieferungen (z.B. Mittelarmenisches, Neupersisches); dabei halten sich literarische und sprachwissenschaftliche Untersuchungen etwa die Waage.
      Onomastisches Interesse verdient der Beitrag von Fritz Lochner von Hüttenbach, der ‘Worte für `Zuneigung' in der indogermanischen Namengebung’ behandelt (S. 203ff.). Der Autor beschränkt sich dabei auf eine Zusammenstellung von Personennamen, die (im Falle ‘eingliedriger’ Struktur) als ganzes oder (im Falle des ‘zusammengesetzten’ Typs) teilweise auf Wortmaterial beruhen, das in die semantische Sphäre der ‘Zuneigung’ fällt. So listet er zum Beispiel für das Altindische diejenigen Namen auf, die das Adjektiv cā́ru- ‘angenehm, lieb, schön’ enthalten wie zum Beispiel Cāru-pada- (mit padá- ‘Fuß’), sowie solche Bildungen, “die mit priya- `lieb, angenehm; Freund, Gatte, Geliebter' zusammengesetzt sind” wie zum Beispiel Priya-darśana- ‘einen wohlgefälligen Anblick bietend’ (S. 204). Der Autor scheint in der Tat eine Gesamtschau beabsichtigt zu haben, indem er über das Iranische (Awestische / Altpersische), Griechische, Italische, Illyrische, Thrakische, Keltische, Germanische, Slavische, Baltische bis hin zum Anatolischen mit entsprechenden Auflistungen fortschreitet; ausgenommen bleiben lediglich das Phrygische und Tocharische, da uns von diesen Sprachen “zu wenig überliefert” sei, das Albanische, da es “nichts Altes” enthält, und das Armenische, das, “wie Hübschmann 1893 feststellen konnte, die alte idg. Art der Namengebung nicht erhalten” hat (S. 209). Als Ergebnis seiner Zusammenstellung formuliert F. Lochner die folgende für ihn enttäuschende Erkenntnis: “In der Tat könnte man erwarten, daß Liebe und Freundschaft in entsprechendem Ausmaß” (wie die überaus häufigen Namen, die sich auf die von M. Mayrhofer so genannten `Kulturideale der kriegerischen Aristokratie beziehen') “als positive Elemente des menschlichen Daseins in der Namengebung erscheinen. Aber [...] es ist Liebe nur im Sinn des Interesses für ein Objekt, die in der Anthroponymie zu finden ist, die Liebe zur kriegerischen Auseinandersetzung [...], zu schönen Rossen [...], zum Materiellen [...] Worte für Liebe, Zuneigung, Zuwendung dem Nächsten gegenüber, zur Familie, zum Partner, zu Kindern, sind bei Eigennamen selten zu finden” (S. 214).
      Ob man diese Schlussfolgerung für das indogermanische Onomastikon teilen wird, hängt freilich von zwei Faktoren ab: zum einen von der Auswahl des Materials, das ja selbst wiederum von der etymologischen Beurteilung des oder der zugrunde liegenden Wörter beziehungsweise Wortstämme abhängt (F. Lochner behandelt eben nur solche Namen, die ein für ihn klar ersichtliches Element aus dem semantischen Feld der “Zuneigung” enthalten), und zum anderen von der historischen Identität sowohl dieser Elemente als auch der auf ihrer Grundlage gebildeten Namen. Auch wenn es, etwa im Falle der mit cā́ru- gebildeten altindischen Namen, sehr auffällige Parallelen im Keltischen geben mag (Seno-carus, Vo-carus, S. 209), bleibt doch die Möglichkeit unabhängiger Neubildungen immer bestehen; im gegebenen Beispiel ist zu bedenken, daß aind. cā́ru- mit kelt. caru- (lies kāru-, entsprechend lat. cārus) historisch nicht identisch sein kann, da das aind. anlautende c- ein ursprüngliches *k(u̯)ēr/lu- mit ē-Vokal voraussetzt1, und “das Nebeneinander von ai. Sucāru und gall. Sucarius” (S. 204 Anm. 2) besagt unter diesem Aspekt eher wenig. Für das letztere Wort kommt hinzu, daß seine Zugehörigkeit zu caru- (‘liebenswürdig’, mit Vorderglied su- ‘wohl, gut’) schon wegen der suffixalen Ableitung fraglich ist und zudem das ihm entgegenstehende Du-carius, das F. Lochner2 durch “auf schlechte Weise liebend” übersetzt (S. 209), schwerlich zu caru- ‘lieb’ zu stellen ist, da es in diesem Falle eine geradezu antiphrastische Bedeutung aufweisen würde. Im Falle der keltischen Anthroponymie vermisst man im Übrigen eine Auseinandersetzung mit den zahlreichen in jüngerer Zeit vorgelegten Untersuchungen zu den altirischen Personennamen in handschriftlicher Überlieferung und den Ogam-Inschriften; hierzu wären insbesondere S. Ziegler, Die Sprache der altirischen Ogam-Inschriften, Göttingen 19943 und J. Uhlich, Die Morphologie der komponierten Personennamen des Altirischen, Witterschlick/Bonn 19934 zu nennen.


Frankfurt am Main

Jost Gippert





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