ZU DEN SEKUNDÄREN KASUSAFFIXEN
DES TOCHARISCHEN
A | B | |||||||||||||||||||
"Lokativ" | -aṃ | -ne
"Ablativ"
| -äṣ
| -meṃ
| "Allativ"
| -ac
| -ś, -śc, -śco
| "Perlativ"
| -ā
| -sa = /x́-sā/
| "Instrumental"
| -yo
| /
| "Komitativ"
| -aśśäl
| -mpa = /x́-mpā/
| "Kausalis"
| /
| -ñ6.
| |
0.3. Um die Wirkungsweise der Affixe im Zusammenhang mit dem
Obliquus als Bildungsgrundlage zu veranschaulichen, ist es zweckmäßig,
einmal zwei vollständige ost- und westtoch. Paradigmen miteinander zu
konfrontieren. Als Beispiele mögen A yuk / B yakwe "Pferd" und A oṅk /
B eṅkwe "Mann" dienen7. Beiden Wörter gehören zwar derselben
Flexionsklasse (V) an, unterscheiden sich aber dadurch, daß das zweite als
Bezeichnung eines vernunftbegabten Lebewesens über einen eigens
charakterisierten, vom Nominativ unterschiedenen Singularobliquus
verfügt. Man vgl. z.B.:
A | B | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Sing. | Plur. | Sing. | Plur. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Nom. | yuk | yukañ8 | yakwe | yakwi
Gen.
| yukes
| yukaśśi
| yäkwentse
| yäkweṃts
| Obl.
| yuk
| yukas
| yakwe
| yakweṃ
| Lok.
| yukaṃ
| yukasaṃ
| yakwene
| yakweṃne
| Abl.
| yukäṣ
| yukasäṣ
| yakwemeṃ
| yakweṃmeṃ
| All.
| yukac
| yukasac
| yakweś(c)
| yakweṃś(c)
| Perl.
| yukā
| yukasā
| yakwesa
| yakwentsa
| Instr.
| yukyo
| yukasyo
| /
| /
| Komit.
| yukaśśäl
| yukasaśśäl
| yakwempa
| yakweṃmpa
| |
Kaus. | / | / | yäkweñ | yäkweṃñ
|
|
|
|
| Nom.
| oṅk
| onkañ
| eṅkwe
| eṅkwi
| Gen.
| oṅkis
| oṅkaśśi
| eṅkwentse
| eṅkweṃts
| Obl.
| oṅkaṃ
| oṅkas
| eṅkweṃ
| eṅkweṃ
| Lok.
| oṅknaṃ
| oṅksaṃ
| eṅkweṃne
| eṅkweṃne
| Abl.
| oṅknäṣ
| oṅksäṣ
| eṅkweṃmeṃ
| eṅkweṃmeṃ
| All.
| oṅknac
| oṅksac
| eṅkweṃś(c)
| eṅkweṃś(c)
| Perl.
| oṅknā
| oṅksā
| eṅkwentsa
| eṅkwentsa
| Komit.
| oṅknaśśäl
| oṅksaśśäl
| eṅkweṃmpa
| eṅkweṃmpa9
| |
1. Der bedeutendste Unterschied zwischen den Affixen des Ost- und
Westtocharischen besteht darin, daß die ersteren durchweg mit
vokalischem Anlaut anzusetzen sind (einzige Ausnahme ist das Affix des
Instrumentals, -yo), die letzteren jedoch mit konsonantischem Anlaut. In
seiner Systemhaftigkeit wurde dieser fundamentale Unterschied zwischen den
beiden Dialekten nirgends gebührend berücksichtigt, obwohl, wie sich zeigen
läßt, gerade er den Schlüssel für eine weitergehende etymologische Deutung
der Affixe birgt.
1.1. Die bisherigen Untersuchungen zu den sekundären Kasusaffixen
gingen zumeist ezplizit oder implizit davon aus, daB diese historisch aus
eigenen Wortgebilden entstanden seien und erst einzelsprachlich, d.h. in den
beiden Dialekten unabhängig voneinander mit Obliquusformen zu
sekundären Kasus verschmolzen seien. Diese Annahme deckt sich mit
folgenden Beobachtungen:
a) Die "sekundären" Kasus sind in beiden Dialekten zur "Gruppenflexion" fähig, d.h. in einer koordinativen Reihe braucht das Affix nur
einmal, hinter dem letzten Glied gesetzt zu werden, die übrigen Glieder
stehen im einfachen Obliquus10;
b) im Westtocharischen unterliegen die sekundären Kasusformen
meist nicht der sog. "Akzentregel", wonach in mehr als zweisilbigen
Wörtern der Akzent auf die zweite Silbe fällt (vgl. in den obigen
Paradigmen die Formen yakwesa - /yä́kwesā/ oder yakwene –
/yä́kwene/), die endgültige Anbindung der Affixe an den Obliquus kann
also nicht älter sein als der Eintritt der Akzentregel selbst11;
c) in den obigen Vergleichsparadigmen können tatsächlich nur einige
der primären kasusformen direkt miteinander identifiziert werden, und nur
diese gestatten a priori die Rekonstruktion einer gemeinsamen urtoch. Basis;
es handelt sich um die Formen
Nom./Obl.Sg. | A yuk, B yakwe | < urtoch. | *yäkwæ12, |
Gen. Sg. | A yukes, B yäkwentse | < | *yäkwænsæ13, |
Nom. Sg. | A oṅk, B eṅkwe | < | *ænkwæ12, |
Obl. Sg. | A oṅkaṃ, B eṅkweṃ | < | *ænkwæn(-). |
Weniger sicher ist die gemeinsame Zurückführung der Formen
Obl. Pl. | A yukas, B yakweṃ | auf | *yäkwæns(-) | |
und | ||||
Obl. Pl. | A oṅkas, B eṅkweṃ | auf | *ænkwæns(-), |
da für die hier vorliegende Lautentsprechung A -s, B -n (- <-ṃ>) keine
Beispiele außerhalb der Formkategorie des Obliquus Plural angeführt werden
können.
1.1.1. Gerade die Beurteilung der letztgenannten Entsprechung ist aber
von entscheidender Bedeutung für die oben aufgeworfene Frage, ob die
sekundären Kasusformen als solche bereits im Urtoch. existiert haben
können. Unter der Bedingung, daß A -s und B -n tatsächlich die Fortsetzer
eines gemeinsamen urtoch. *-ns sind, läßt sich nämlich zumindest auch
Pl. eine der oben angeführten Kasusformen ein urtoch. Vorläufer
ansetzen. Es handelt sich um den Perl. Plural A yukasa, B yakwentsa, der
so auf ein urtoch. *yäkwens-ā zurückführbar ist. Dabei wäre *-ā das im
Osttoch. auch im Perl. Singular yukā erhaltene. ursprüngliche Affix des
Perlativs.
1.1.2. Diese Herleitung, die im wesentlichen einem Vorschlag G.
Klingenschmitts folgt14, hat folgende Implikationen:
a) Der Lautwandel *-ns > B -n hätte nur im absoluten Wortauslaut
stattgefunden, nicht aber in der "gebundenen Stellung" vor einem antretenden
Kasusaffix;
b) die z.B. für den Gen. Sg. A yukes (= B yäkwentse) vorauszusetzende Entwicklung eines epenthetischen -i- Elements in der Folge
*V-ns-V > *V-i̯ns-V15 wäre auf echte Inlautsstellung beschränkt
gewesen, nicht aber vor einem (vokalisch anlautenden) Kasusaffix
eingetreten.
Es wäre mit anderen Worten also impliziert, daß die Kombination Obl.
(PIural) + Kasusaffix (Perl.) im Urtoch. als der gemeinsamen Vorstufe des
Ost- und Westtoch. bereits existierte, daß sie dabei noch nicht vollständig
univerbiert war, aber auch keine normale. feste Wortgrenze mehr in sich
trug.
1.2. Trotz der nicht unbedeutenden Implikationen spricht für diese
Theorie, daß sie nicht nur ad hoc an die gegebenen innertoch.
Vergleichsmöglichkeiten angepaßt ist, sondern mit der Herleitung des Obl.
Pl. aus einer Form auf *-ns letztlich auch einen außertoch. Anschluß,
nämlich an den uridg. Ausgang des Akk. Pl. nicht neutraler Stämme
gestattet; im gegebenen Fall: urtoch. *yäkwæns < uridg. *eḱu̯ons16. Zum
anderen läßt sich auf ihrer Basis zwanglos erklären, auf welche Weise ein
ursprüngliches, urtoch. Formans *-ā perlativischer Funktion im Westtoch. die
Form -sa (- unbetontes -sā) annehmen konnte: Nachdem hier der Obl.
Pl. das auslautende -s verloren hatte, ergab sich eine Proportion Obl. Pl.
*yä́kwæn / Perl. Pl. *yäkwænsā, die eine Reanalyse von *yä́kwæns-ā zu
*yä́kwen-sā nach sich zog; das neugewonnene Affix -sā konnte nun auch an
den Obl. Sing. antreten: *yä́kwæ-sā17. Entscheidendes Argument für die
Richtigkeit der Annahme ist aber, daß sie den Weg für die Analyse weiterer
sekundärer Kasusformen ebnet.
1.2.1. Das Affix des Allativs begegnet im Westtoch. in den Formen
-śco, -śc und -ś. In Übereinstimmung mit der oben wiedergegebenen
Herleitung des westtoch. Perlativs liegt es nahe, auch für dieses Affix
zunächst vom Plural auszugehen und B yakwenś etc. auf ein urtoch.
*yäkwæns-cV zurückzuführen18. Die hierfür anzunehmende Assimilation
von s + c zu śc ist durch Beispiele wie B ścirye (A śre) "Stern", wohl über
urtoch. *ścär- < uridg. *h2ster-, gewährleistet19. Die Vorform
*yäkwænś-cV wäre dann in der gleichen Weise reanalysiert worden wie die
Vorform des Perl. Pl., wodurch das Suffix in der Form -ś(c(o))
verallgemeinert werden konnte: die Proportion All. Pl. *yäkwænś-cV /
Obl. Pl. *yäkwæn führte zur Reanalyse *yäkwæn-ścV, das neugewonnene
Suffix -ścV wurde auch auf den Singular *yäkwæ-ścV übertragen.
1.2.2. Diese Herleitung hat nicht nur den Vorteil, daß sie für zwei
sekundäre Kasus des Westtoch. den gleichen Entwicklungsgang annimmt,
sondern sie gestattet wiederum auch eine Identifikation der west- und
osttoch. Formantien. Hierfür ist zunächst die Frage zu stellen, wie im
gegebenen Falle der urtoch. All. Singular ausgesehen hätte, der im
Westtoch. durch *yäkwæ-ścV ersetzt wurde. Da im Sinne obiger
Herleitung das eigentliche Kasusaffix im Urtoch. lediglich -cV lautete,
ergibt sich als Vorform des All. Sg. *yäkwæ-cV. Genau diese Form kann
sich nun hinter dem osttoch. yukac verbergen, wobei -a- der Reflex des
ursprünglich zum Wortstamm gehörenden urtoch. *-æ- wäre. Ist diese
Annahme richtig, so ist für das Osttoch. ebenfalls eine Reanalyse
vorauszusetzen, die aber anders als im Westtoch. von der Singularform
ausgegangen wäre: Nachdem der Auslaut des (Nom.-) Obl. Sg. *yäkwæ zu
yuk apokopiert worden war, ergab sich eine Proportion Obl. yuk / All.
yukac, aufgrund derer das Kasusaffix als -ac abstrahierbar wurde. Dieses
neugewonnene Affix ließ sich dann auf den Plural übertragen, so daß die
zu erwartende A-Form *yukaś20 < *yäkwænścV durch yukas-ac ersetzt
wurde.
1.2.3. Auch für diese Entwicklung spricht wieder, daß sie auf einen
weiteren Kasus anwendbar ist. Geht man auch fur den Lokativ von der
Singularform aus, so läßt sich die osttoch. Form yuk-aṃ ohne weiteres auf
ein umgedeutetes urtoch. *yäkwæ-nV zurückführen, wobei das Affix des
Lokativs urspriloglich mit dem n angelautet hätte. Damit ließe es sich
eindeutig mit dem westtoch. Lokativaffix -ne identifizieren, wodurch die
urtoch. Form als *-næ, präzisierbar wäre. A yukaṃ und B yakwene könnten
so sogar als eine echte Gleichung aufgefaßt und auf ein urtoch.
*yäkwæ-næ zurückgeführt werden. Im Westtoch. erhebt sich hier aber die
Frage nach der ursprünglichen Form des Lokativ Plural: man würde im
Zusammenhang mit den bisher vorgestellten Entwicklungen für diesen
Dialekt anstelle von yakweṃne ja eher eine Form †yakwensne < urtoch.
*yäkwæms-næ erwarten, die wiederum ein singular. †yakwesne nach
sich gezogen hätte. Es ist aber fraglich, ob eine urtoch. Lautfolge *-nsn- in
der gegebenen Position tatsächlich zum Westtoch. hin beibehalten worden
wäre; es ist vielmehr zumindest denkbar, daß die Gruppe zunächst zu
*-nn- vereinfacht wurde21, womit B yakweṃne der direkte Fortsetzer des
urtoch. Lokativ Plural wäre.
1.3. Sämtliche bisherigen Annahmen waren natürlich nur an einem
Beispiel entwickelt worden, dem durch urtoch. *yäkwæ- fortgesetzten
thematischen Stamm. Die westtoch. Entwicklungen bleiben aber auch für die
anderen nicht neutralen Stammklassen gültig, für die ja entsprechend
ein Obl. Pl. auf *-ns anzunehmen ist; von hier aus müßten die
reanalysierten Kasusaffixe auch auf solche Klassen übertragen worden sein,
die uridg. Neutra fortsetzen, wie z.B. der in B camel, Pl. cmela
"Geburt" fortgesetzte Typ mit All. cmelaśc (z.B. K 2 a6)22. Demgegenüber
setzen die angenommenen osttoch. Entwicklungen unbedingt einen urtoch.
Obl. Sg. auf *-æ voraus, dessen auslautender Vokal sich eben im synchron
"anlautenden" a- der reanalysierten Allativ- und Lokativendungen
manifestiert hätte und dann auf alle anderen Stammklassen übertragen
worden wäre. Diese Annahme ist für die Klassen, deren Obl. Sing. im
Osttoch. auf Konsonant endigt, auf der Grundlage einer Proportion Obl. Sg.
yuk / All. Sg. yuk-ac ohne weiteres motivierbar, da die durch yuk vertretene
Klasse ja durchaus stark repräsentiert ist23.
1.3.1. Daß der durch A yuk, B yakwe vertretene Obl. eines auf ein
uridg. thematisches Maskulinum zurückgehenden Wortes (*eḱu̯os) schon
im Urtoch. auf den Reflex des Themavokals selbst auslautete, ist ein
bemerkenswertes Zusatzresultat des oben aufgestellten
Entwicklungsgangs. Es deckt sich mit den Gegebenheiten des toch.
Pronominaladjektivs für "der andere', für das das Westtoch. mit der Form
alyek auf ein durch die angehängte Partikel -k geschütztes, in Nom. und
Obl. Sg. mask. identisches *ālyæ weist24. Man wird sich also fragen. ob
sich hinter dieser Form sowohl der uridg. Nom. *ali̯os als auch der uridg.
Akk. *ali̯om verbergen, was implizieren würde, daß zum Urtoch. hin
sowohl ein auslautendes -s als auch ein auslautendes -m geschwunden
wären. Andererseits wäre es nach wie vor verlockend, die Endung -ṃ (-
/-n/) des eigens charakterisierten Obliquus Singular vernunftbegabter
Lebewesen auf einen Reflex der uridg. Akkusativendung *-m
zurückzuführen25. Im Zusammenhang mit den hier aufgestellten
Prinzipien ließe sich dies durchaus motivieren: Wenn es schon im Urtoch.
eine enge Verbindung zwischen Obliquusformen und ihnen nachgestellten
Adverbialformantien gab, so könnte gerade in einer solchen "gebundenen"
Stellung der Reflex des auslautenden Konsonanten erhalten geblieben
sein26. Dies würde vor allem natürlich im Falle des Perlativs einleuchten,
dessen urtoch. Formans ja mit anlautendem Vokal angesetzt wurde; die
angeführte Beispielsform A oṅknā wäre so ohne weiteres auf ein urtoch.
*ænkwæn-ā mit -æn- < uridg. *-om- zurückführbar27. Allerdings
bliebe es schwer zu erklären, warum die Erhaltung dann eben auf die
Kategorie von Wörtern beschränkt geblieben wäre, die vernunftbegabte
Lebewesen bezeichnen; die Unterscheidung von Nom. und Obl. Sg., die
diese Wörtern gestatten, ist ja hauptsächlich da sinnvoll, wo es gilt, einen
Agens und einen Patiens zu unterscheiden, also bei Subiekt und Objekt,
kaum jedoch bei einer Adverbialangabe. Ich würde deshalb vorziehen, bei
den Wörtern, die keinen eigens charakterisierten Obliquus Sing. haben,
von einer vorurtoch. Ersetzung der Akk.-Form durch die Nom.-Form
auszugehen (beide = *eḱu̯os, *ali̯os). Diese Ersetzung könnte auf
genereller Analogie nach den Neutra beruhen, im Falle der thematischen
Stämme dürften die neutralen -s-Stämme eingewirkt haben28. Auf jeden Fall
bedarf dieses Problem weiterer Untersuchungen.
1.4. Die bisherigen Ausführungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Unter der Annahme, daß schon das Urtoch. die Verbindung des
Obliquus mit "sekundären" Kasusaffixen kannte, lassen sich die ost- und
westtoch. Endungen des Perlativ, Allativ und Lokativ miteinander
identifizieren und jeweils auf eine gemeinsame Vorform zurückführen:
urtoch. *-ā, *-cV, *-næ. Dabei ist für das Westtoch. im Falle des Perlativs
und Allativs, für das Osttoch. im Falle des Allativs und Lokativs eine
Reanalyse vorauszusetzen, die im Westtoch. eine Umgestaltung nach der
Pluralform, im Osttoch. nach der Singularform nach sich zog.
2. Aufgrund dieser Vorüberlegungen, die allein aus dem systematischen
Vergleich der innertoch. Daten hatten gewonnen werden können, ergeben
sich nun neue Erkenntnismöglichkeiten für die Etymologie der besprochenen
sekundären Kasusaffixe selbst.
2.1. Für das Suffix des Allativs ist schon früh eine Verbindung mit der
z.B. in griech. οἶκόν-δε vorliegenden Partikel vorgeschlagen worden29.
Angesichts der in A śäk, B śak "zehn" zu notierenden Entwicklung von
*de- > *śä- ist diese Etymologie nicht ohne Probleme30. Im
Zusammenhang mit dem hier vorgeschlagenen Entwicklungsgang läßt sich
die Herleitung aber neu motivieren: Es wäre immerhin denkbar, daß in der
Verbindung mit vorausgehendem Akk. Pl. eine progressive Assimilation
*-nsde > *-nste eingetreten wäre, was zu dem erwarteten urtoch.
*-nscä ( > *-nścä) geführt hätte31. Die so entstandene "Endung" -cä
müßte dann schon innerhalb des Urtoch. auf die Stellung nach anderen
Obliquusendungen übertragen worden sein. Unnötig wird auf jeden Fall
die Annahme, die Allativsuffixe des Ost- und Westtocharischen seien auf
zwei grundlegend verschiedene idg. Etyma zurückzuführen32.
2.2. Ist das Formans des Lokativs mit urtoch. *næ richtig angesetzt, so
scheidet die zuletzt von A. J. Van Windekens vertretene direkte
Identifikation von A -aṃ mit dem in A anapär, B enepre "(da)vor" und in
den Adverbien A ane, B eneṃ "innen, herein" vorliegenden *ænæ- aus33.
Wahrscheinlich wird hingegen eine Verbindung mit dem im Präs. des toch.
verbum substantivum auftretenden Element A na-, B ne- (vgl. z.B. 3. Sg.
A naṣ, B nesäṃ), das sich so auf ein mit dem Lokativsuffis identisches
Präverb zurückführen läßt34. Als außertoch. Anknüpfung kommt zunächst
das im lit. Illativ verbaute Element -n(a) in Betracht35, das mit dem toch.
Formans die postponierte Stellung teilt; der weitere Zusammenhang, sei es
mit griech. ἐν etc., sei es mit dem dem slav. na zugrundeliegenden Etymon,
bleibt ungewiß.
2.3. Für den Perlativ sind zwei BrundleBend divergierende Herleitungen vorgeschlagen worden: Die eine geht wie bei den bisher genannten
Kasus von einer ursprüinglichen postpositionalen Fügung aus, die andere
sieht den toch. Kasus als Fortsetzer des uridg. Instrumentals. Mit der hier
vertretenen Entwicklungslinie ist die erste Annahme auf jeden Fall
leichter zu vereinbaren: für das anzusetzende urtoch. Formans *ā kommt
sowohl eine Verbindung mit lat. ad in Betracht36 als auch eine
Identifikation mit dem indoiran. Präverb ā, falls dieses auf uridg. *ō
zurückgeht37; diese wäre vorzuziehen, da das indoiran. ā auch als
Postposition auftritt und dabei mit voranstehenden Kasusformen
univerbiert erscheint38. Bei einer Herleitung aus dem uridg. Instrumental
(*-ō < *-o-h bei thematischen Stämmen oder *-h bei konsonant.
Stämmen) besteht die Schwierigkeit, daß die für die Identifizierung der
ost- und westtoch. Formantien vorauszusetzende Übertragung auf die
Pluralformen innerhalb des Urtoch. singulär und kaum zu motivieren
wäre: Ein aus uridg. *eḱu̯ō entstandenes *yäkwā hätte zu *yäkw-ā
reanalysiert werden müssen, bevor die "Endung" *-ā auch an den
Pluralobliquus antreten konnte39. Allerdings ist zu bedenken, daß im Falle
vokalisch auslautender Obliquus-Sg.-Formen auch bei der Zurückführung
auf eine der gen. Postpositionen eine Zusatzannahme erforderlich ist,
nämlich daß der Auslaut mit der Postposition "verschmolzen" wäre (sei es
im Sinne einer Krasis, sei es im Sinne einer Elision); man vgl. die
schematisch anzusetzende Form *yäkwæ-ā mit dem durch A yukā
vorausgesetzten *yäkwā. Diese Annahme erscheint mir angesichts der in
beiden Dialekten synchron herrschenden Sandhiregeln unbedenklich40.
2.4. Im Zusammenhang mit dem hier vorgestellten Ansatz für einen
schon urtoch. Perlativ, Allativ und Lokativ ist natürlich auch ein Blick auf
die übrigen sekundären Kasusformen der beiden Dialekte geboten.
2.4.1. Im Osttoch. scheint mit der Komitativendung -aśśäl ein weiteres
Formans vorzuliegen, das seinen synchronen vokalischen Anlaut dem
verallgemeinerten Themavokal verdankt. Diese Vermutung bestätigt sich
durch die interne Identifizierbarkeit mit der Präposition A śla, B śle, die
ebenfalls "mit" bedeutet; eine Form wie yukaśśäl läßt sich so ohne
weiteres auf ein früheres *yäkwæ ścälæ zurückführen, das ein
analogisches yukasaśśäl nach sich gezogen hätte41. Bemerkenswert sind
dabei die Formen, die auf einem durch -ṃ charakterisierten Obl. Sing.
aufbauen, da hier die Analogie offenbar nicht immer gegriffen hat; man vgl.
z.B. die nebeneinander existierenden Formen Nand(e)ṃśäl und
Nandenaśśäl42. Dies konnte auf eine spätere Univerbierung als bei den
bisherigen Affixen deuten. Die Etymologie, für die man von *ścälæ- <
*stelo- auszugehen hat, bleibt unklar.
2.4.2. Das osttoch. Ablativsuffix, dessen Normalform als -äṣ angegeben
werden kann, unterscheidet sich grundlegend von den bisher behandelten
Affixen, insofern es nicht von den thematischen Stämmen aus
verallgemeinert sein kann. Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, daß es
in weitaus größerem Maße als die anderen in seiner Notation schwankt; bei
diversen Wörtern herrschen die Schreibungen -aṣ und -āṣ vor43. Da es
sich hierbei meist um stehende Wendungen oder sogar erstarrte Formen
handelt wie z.B. das als Postposition verwendete ṣurmaṣ "wegen",
offensichtlich Abl. Sg. zu ṣurm (= B ṣarm) "Ursache", wird man diese Fälle
nur ungern als Neuerungen im Sinne der bisherigen Fälle werten, sondern
vielmehr von einer Erhaltung älterer Zustände ausgehen; die
"Normalform" -äṣ würde dann eine sich analogisch ausbreitende, jüngere
Variante darstellen. Fraglich bleibt, von welcher Stammklasse diese
Analogie ausgegangen sein könnte, zumal die Herkunft des Affixes ebenso
unsicher ist wie die seiner westtoch. Entsprechung, -meṃ. Das letztere gilt
ferner auch für das Suffix des Instrumentals, -yo.
2.4.3. Für die drei verbleibenden Kasusaffixe des Westtoch., das komit.
-mpa, das abl. -meṃ und das -ñ des Kausalis liefert die oben aufgestellte
Entwicklungslinie keine neuen Erkenntnismöglichkeiten. Da alle drei mit
Nasal anlauten, dürften für alle die gleichen Bedingungen gelten, wie sie
oben für das Lokativaffix angenommen wurden44. Einer eingehenden
Überprüfung bedarf hier vordringlich die Akzentproblematik45.
Anmerkungen
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